L 1 R 340/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 10 R 128/12
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 340/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid vom 17. Juni 2015 und der Bescheid der Beklagten vom 5. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2012 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 5.304,69 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer teilweisen Aufhebung und Erstattung einer Hinterbliebenenrente gegenüber der Erbin des Rentenberechtigten.

Die Klägerin ist die Tochter der 1924 geborenen und 1999 verstorbenen M. H. (nachfolgend: Versicherte) und des 1922 geborenen und 2009 verstorbenen P. H. (nachfolgend: Rentenberechtigter). Der Rentenberechtigte bezog neben der Rente wegen Alters seit 1975 eine Übergangsrente aus der Sozialversicherung der DDR, die später ab 1992 von der Land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (LBG) Hoppegarten als Unfallrente geleistet wurde.

Am 25. August 1999 beantragte der Rentenberechtigte bei der Beklagten eine Witwerrente wegen des Todes seiner Ehefrau, der Versicherten.

Mit Bescheid vom 10. Dezember 1999 gewährte die Beklagte dem Rentenberechtigten eine große Witwerrente für die Zeit ab dem 1. September 1999. Die Rente wurde "um das anzurechnende Einkommen" in Höhe von monatlich 312,95 DM gemindert. Auf Seite 3 des Bescheides vom 10. Dezember 1999 wies die Beklagte den Rentenberechtigten auf dessen Mitteilungspflichten hin. Dabei heißt es: " Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluß auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns den Bezug, das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen [ ] unverzüglich mitzuteilen. Erwerbsersatzeinkommen sind, auch als Kapitalleistung oder Abfindung, folgende Leistungen: [ ] Rente an Versicherte aus der gesetzlichen Unfallversicherung ". In dem beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten sind dazu nur die Meldung zur Krankenversicherung und der Rentenbescheid, nicht jedoch der vom Rentenberechtigten gestellte Antrag auf Witwerrente vom 25. August 1999 enthalten.

Auf die jährliche Überprüfung berechnete die Beklagte die Rente des Rentenberechtigten mit Bescheid vom 18. Juni 2006 neu. Laut der Anlage 1 des Bescheides berücksichtigte die Beklagte ein Einkommen des Rentenberechtigten in Höhe von monatlich insgesamt 164,05 Euro. Im Rahmen einer jährlichen Überprüfung im Jahr 2007 machte der Rentenberechtigte unter dem 14. Dezember 2007 in einer "Anlage zum Antrag auf Hinterbliebenenrente" die Angabe, eine Unfallrente der LBG zu beziehen. Auf Nachfrage der Beklagten teilte die LBG der Beklagten mit Schreiben vom 22. Januar 2008 zunächst mit, der Rentenberechtigte beziehe seit dem 1. Juli 1998 eine Unfallrente. Mit Schreiben vom 4. November 2011 berichtigte die LBG den Rentenbeginn auf das Jahr 1975.

Mit Schreiben vom 28. Januar 2008 hörte die Beklagte den Rentenberechtigten zu der beabsichtigten teilweisen Aufhebung des Rentenbewilligungsbescheides vom 1. Dezember 1999 und Erstattung in Höhe von insgesamt 5.198,89 Euro an.

Mit Bescheid vom 4. März 2008 berechnete die Beklagte die große Witwerrente ab dem 1. September 1999 neu. Für die Zeit vom 1. Dezember 1999 bis zum 30. April 2008 hob sie die Bewilligungsentscheidung teilweise auf und forderte Rentenzahlungen in Höhe von insgesamt 5.304,69 Euro zurück.

Gegen diesen Bescheid erhob der vertretene Rentenberechtigte Widerspruch mit der Begründung, der Bescheid genüge nicht den Anforderungen an die Bestimmtheit und Begründetheit. Jedenfalls gehe nicht hervor, wonach hier die Überzahlung zurückgefordert werde. Er habe weder bewusst noch grob fahrlässig falsche Angaben gemacht. Aufgrund seiner fehlenden Fachkenntnis und seines hohen Alters sei ihm keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Laut Empfangsbestätigung der Beklagten habe er, vertreten durch die Klägerin, bei der Beklagten im September 1999 zwei Rentenbescheide, nämlich die der Unfallversicherung, vorgelegt. Dieser im Widerspruchsverfahren vorgelegten Empfangsbestätigung vom 15. September 1999 ist folgender Vermerk zu entnehmen: " 2 Rentenbescheide (Kop.) ".

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2008 zurück. Auch als Laie habe der Rentenberechtigte erkennen müssen, dass im Bescheid vom 10. Dezember 1999 bei der Einkommensanrechnung als laufendes Einkommen nur die Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt worden sei. Er habe wissen müssen, dass das von ihm erzielte Einkommen in der Berechnung unvollständig gewesen sei. Für seine Angabe, dass der Unfallrentenbescheid bei der Rentenantragstellung vorgelegt worden sei, fehle es an einem ausreichenden Nachweis. Aus der vorgelegten Eingangsbestätigung ergebe sich nur, dass zwei Rentenbescheide abgegeben worden seien, nicht aber, dass einer davon ein Unfallrentenbescheid gewesen sei.

Mit seiner Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg, welche unter dem Aktenzeichen S 15 R 320/08 geführt wurde, wendete sich der Rentenberechtigte gegen die für die Vergangenheit getroffene Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung der Beklagten.

Der Rentenberechtigte verstarb im Laufe des Klageverfahrens am 31. Juli 2009. Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2010 teilte der Prozessbevollmächtigte des Rentenberechtigten mit, dass die Tochter des Verstorbenen, die Klägerin, Erbin sei und den Rechtsstreit weiterführen werde. Das Klageverfahren wurde zum 3. August 2011 durch (fiktive) Klagerücknahme beendet.

Mit Schreiben vom 16. August 2011 hörte die Beklagte die Klägerin dahingehend an, dass der gegenüber dem Rentenberechtigten überzahlte Betrag von ihr zurückgefordert werde. Wenn die Erben das Verfahren fortführten, sei zu prüfen, ob zur Realisierung des Erstattungsanspruchs nunmehr den Erben gegenüber der Verwaltungsakt über das Rückzahlungsgebot zu erteilen sei. Die Voraussetzungen dafür seien erfüllt, weil an der Herstellung des rechtmäßigen Zustandes ein überwiegendes öffentliches Interesse bestehe. Weiter heißt es: " Denn der gegenüber dem verstorbenen Leistungsempfänger erteilte Verwaltungsakt über des Zahlungsgebot hat sich durch dessen Tod auf andere Weise erledigt ".

Mit Bescheid vom 5. September 2011 forderte die Beklagte von der Klägerin die für die Zeit vom 1. Dezember 1999 bis zum 30. April 2008 entstandene Überzahlung. Der Verfügungssatz lautet dabei: " die für die Zeit vom 01.12.99 bis zum 30.04.08 entstandene Überzahlung in Höhe von 5.304,69 EUR wird nach § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückgefordert und der ursprüngliche Rentenbescheid vom 10.12.99 ab 01.12.99 nach § 45 SGB X zurückgenommen ". Weiter heißt es im Bescheid: " Hinsichtlich der Rücknahme- und Rückforderungsgründe verweisen wir auf die Anhörung vom 16.08.11 [ ] Die überzahlte Rente wurde mit Rentenbescheid vom 04.03.08 vom Verstorbenen zurückgefordert und der ursprüngliche Rentenbescheid vom 10.12.99 ab 01.12.99 nach § 45 SGB X zurückgenommen. Aufgrund des Widerspruchsverfahrens erfolgte noch keine Rückzahlung, so dass bei Tod der Rentenberechtigten noch eine Überzahlung in Höhe von 5.304,69 EUR vorlag ".

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, die Rückforderung sei bereits gegenüber dem Rentenberechtigten rechtswidrig gewesen. Ihr würden dieselben Einwände wie dem ehemaligen Leistungsbezieher zustehen. Es werde vorsorglich die Überprüfung der gegenüber dem Rentenberechtigten verfügten Bescheide beantragt. Zudem sei der Vertrauensschutzgrundsatz zu beachten. Dieser stehe auch ihr zu, da sie nicht schlechter gestellt sein dürfe, als wenn sie selbst zum Leistungsempfang berechtigt gewesen wäre.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2012 zurück. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 5. September 2011 sei rechtmäßig, da es zu einer Überzahlung wegen fehlender Anrechnung einer Unfallrente gekommen sei. Der Rentenberechtigte habe in grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit des Bescheides nicht gekannt. Er habe sich auf Vertrauensschutz nicht berufen können. Im Bewilligungsbescheid vom 10. Dezember 1999 sei der Rentenberechtigte auf seine Mitteilungspflicht zur Einkommenserzielung hingewiesen worden. In Abwägung der Interessen der Klägerin überwiege das öffentliche Interesse an der Herstellung des rechtmäßigen Zustandes. Nach dem Tod des Rentenberechtigten sei die Forderung gegenüber der Klägerin geltend zu machen. Als Erbin hafte sie gesamtschuldnerisch für die Nachlassverbindlichkeiten des Rentenberechtigten. Die Jahresfrist sei im Hinblick auf die durchgeführte Anhörung gewahrt.

Die Klägerin hat am 24. Februar 2012 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben. Der Aufhebungsbescheid gegenüber dem Rentenberechtigten sei bereits rechtswidrig gewesen. Dieser habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Er habe der Beklagten 1999 die Bescheide über die Unfallversicherung vorgelegt. Aufgrund der komplizierten Sach- und Rechtslage habe der Rentenberechtigte nicht erkannt, dass und wie Renten gegeneinander aufgerechnet würden. Hierbei habe es an der individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Rentenberechtigten gefehlt. Es habe sich auch nicht um solch ungewöhnlich hohe Überzahlungen gehandelt, dass dem Rentenberechtigten hätte ins Auge springen müssen, dass die Rentenberechnung nicht stimmen könne. Der streitgegenständliche Erstattungsbetrag sei bereits zum Zeitpunkt der Anhörung verbraucht gewesen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17. Juni 2015 abgewiesen. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 habe durch fiktive Klagerücknahme Bestandskraft erlangt. Die Rückforderung in Höhe von 5.304,69 Euro sei wirksam und von der Klägerin als Nachlassverbindlichkeit zu begleichen.

Gegen den ihr am 24. Juni 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 4. Juli 2015 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. Nach ihrer Auffassung habe keine unrechtmäßige Überzahlung vorgelegen. Für den Fall, in welchem die Erbin selbst keine Leistungen vom Versicherungsträger erhalten hat, sondern lediglich jemanden beerbt habe, der überzahlt worden sei, bestehe keine Erstattungspflicht – anders als wenn der Erbe die Leistungen selbst erhalten habe. So habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. Ein Erstattungsanspruch lasse sich auch nicht aus den zivilrechtlichen Vorschriften zum Erbrecht herleiten.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 17. Juni 2015 und den Bescheid vom 5. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrer Auffassung im Verwaltungs- und im erstinstanzlichen Verfahren fest und die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Mit Bescheid vom 16. Dezember 2015 hat die Beklagte den bereits am 19. September 2011 gestellten Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 4. März 2008 mit der Begründung abgelehnt, dieser sei bestandskräftig und auch rechtmäßig. Das Recht sei weder unrichtig angewandt noch sei von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Widerspruch hat die Klägerin dagegen nicht erhoben.

Den weiteren am 22. August 2017 gestellten Überprüfungsantrag hat die Beklagte mit Bescheid vom 12. Dezember 2017 abgelehnt.

Die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die beigezogene Gerichtsakte zum Verfahren vor dem Sozialgericht Magdeburg zu dem Aktenzeichen S 15 R 320/08 haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet.

Die hier streitgegenständliche Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung der Beklagten vom 5. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten, §§ 153 Abs. 1; 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

Streitgegenständlich ist nur der an die Klägerin gerichtete Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 5. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2012. Nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens sind die ursprünglich an den verstorbenen Rentenberechtigten gerichtete Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung oder die für die Zukunft getroffene Rentenneuberechnung vom 4. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 sowie die Überprüfungsbescheide vom 16. Dezember 2015 und vom 12. Dezember 2017. Auch die damit im Zusammenhang stehenden Überprüfungsverfahren sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung vom 5. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2012 ersetzte als sogenannter Zweitbescheid die alte Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung vom 4. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 (sogleich unter I.2.). Zu dieser ersetzenden Neuentscheidung war die Beklagte grundsätzlich befugt (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2016 - B 5 R 26/15 R). Der Rechtsweg ist neu eröffnet. Der Zulässigkeit der Klage gegen die erneute Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung steht dabei eine frühere Bestandskraft der Erstentscheidung nach § 77 SGG nicht entgegen.

1.

Die Beklagte kann einen Erstattungsanspruch nicht (mehr) auf §§ 1922, 1967 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) stützen.

Nach § 1967 Abs. 1 BGB haftet der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten. Die Beklagte hatte bereits einen rechtskräftigen Zahlungstitel nach §§ 1922, 1967 BGB gegenüber der Klägerin als Erbin aus dem vorangegangenen Verfahren vor dem Sozialgericht Magdeburg zum Aktenzeichen S 15 R 320/08 mit dem bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 4. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008. Die Beklagte hat mit streitgegenständlichem Bescheid vom 5. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2012 ihren Erstattungsanspruch auf die überzahlte Rentenleistung nunmehr gegenüber der Erbin des Rentenberechtigten mit einem neuen Verwaltungsverfahren durchzusetzen versucht. Die Bindungswirkung des Bescheides vom 4. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 ist damit entfallen.

2.

Bei dem streitgegenständlichen Bescheid vom 5. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2012 handelt es sich um einen eigenständigen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X (Zweitbescheid) und nicht um eine "wiederholende Verfügung".

Eine wiederholende Verfügung liegt nur dann vor, wenn ein bereits ergangener Verwaltungsakt - hier der Bescheid vom 4. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 - wiederholt wird (Engelmann von Wulffen, SGB X, 8. Auflage 2014, § 31, Rn. 32; Luthe in jurisPK-SGB X, 1. Auflage 2013, § 31, Rn. 44; BSG, Urteil vom 7. April 2016 - B 5 R 26/15 R; Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 6/12 R; Urteil vom 29. September 2009 - B 8 SO 13/08 R). Verweist die Behörde hingegen nicht in der erforderlichen Deutlichkeit auf den bisherigen Bescheid und begründet den zweiten Bescheid mit einem neuen inhaltlichen Akzent, liegt eine neue Regelung und damit ein sogenannter Zweitbescheid vor. Bei einer bloßen wiederholenden Verfügung muss erkennbar sein, dass sich die Behörde auf die Bindungswirkung des Erstbescheides stützen will. Ein Zweitbescheid enthält zwar nicht zwingend eine materiell-rechtliche Entscheidung. Die Behörde trifft jedoch eine formell-rechtliche Entscheidung zu der Frage, ob eine Neueröffnung des Verfahrens erforderlich gewesen ist (vgl. Luthe in jurisPK-SGB X, 2. Auflage, § 31, Rn. 44; BVerwG, Urteil vom 14. März 1984 - 6 C 107/82).

Hier spricht gegen die Annahme einer bloßen wiederholenden Verfügung, dass die Beklagte weder im Bescheid vom 5. September 2011 noch im Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2012 auf die Bestandskraft der vorherigen Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung Bezug genommen hat. Zwar hat sie den Bescheid vom 4. März 2008 benannt. Nach Auffassung des Senats reicht die Nennung des bestandskräftigen Bescheides jedoch nicht aus. Vielmehr hätte sich die Beklagte ausdrücklich auf die Bestandskraft nach § 77 SGG berufen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2016 - B 5 R 26/15 R). Mit dem Bescheid vom 5. September 2011 hat die Beklagte ein neues Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt. Sie hat ein eigenständiges Anhörungsverfahren durchgeführt, die teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 10. Dezember 1999 verfügt, neue Ermessenserwägungen getroffen und neue Rechtsmittelfristen in Gang gesetzt. Die Beklagte war bereits in ihrer Anhörung vom 16. August 2011 - auf diese Anhörung nimmt sie im Bescheid vom 5. September 2011 Bezug - davon ausgegangen, dass ein neues Verwaltungsverfahren erforderlich ist. In der Anhörung hat sie zum Ausdruck gebracht, der gegenüber dem Rentenberechtigten erteilte Verwaltungsakt habe sich auf andere Weise erledigt. Darüber hinaus hat die Beklagte einen neuen Akzent dadurch gesetzt, dass sie ihren Erstattungsanspruch auch auf zivilrechtliche Vorschriften zum Erbrecht gestützt und neue Ermessenserwägungen im Hinblick auf die Klägerin getroffen hat.

3.

Der Erstattungsanspruch der Beklagten kann auch nicht auf § 118 Abs. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) gestützt werden.

Danach sind Personen, denen Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Rentenberechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung verpflichtet, soweit sie die Geldleistungen in Empfang genommen haben. § 118 Abs. 4 SGB VI ist dabei eine Spezialvorschrift für die Fälle, in denen der Träger der Rentenversicherung nach dem Tod an den Erben direkt oder indirekt auf das Girokonto des Rentenberechtigten, für welches ein anderer nach dem Tod die Verfügungsgewalt erlangt hat, geleistet hat (vgl. BSG, Urteil vom 3. April 2014 - B 5 R 25/13 R).

So liegt der vorliegende Fall gerade nicht. Die Überzahlung war aufgrund einer bislang nicht als Einkommen angerechneten Unfallrente eingetreten. Sie ist nicht erst nach dem Tod des Rentenberechtigten erfolgt, sondern bereits zu dessen Lebzeiten.

4.

Rechtsgrundlage für die Entscheidung der Beklagten ist § 45 SGB X i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind nicht erfüllt.

a.

Der Anwendungsbereich des § 50 Abs. 1 SGB X ist für den vorliegenden Fall eröffnet.

Nach dem Tode des Adressaten des Bewilligungsbescheides sind Rücknahmen gemäß § 45 SGB X gegenüber seinen Rechtsnachfolgern möglich. Auch den Erben gegenüber kann der sich aus § 50 SGB X ergebende Erstattungsanspruch aus dem Rückabwicklungsverhältnis durch Verwaltungsakt festgesetzt werden (Schütze in von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Auflage 2014, § 50 Rn. 15; Baumeister, jurisPK-SGB X, § 50, Rn. 43; BSG, Urteil vom 17. Dezember 1965 - 8 RV 749/64). Nach der sogenannten modifizierten Subjektstheorie ist immer dann ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch gegeben, wenn sich die Rückforderung auf eine Leistung bezieht, die im Rahmen der Erfüllung einer tatsächlich bestehenden oder irrtümlich angenommenen öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeit erfolgt ist (Baumeister, jurisPK-SGB X, § 50, Rn. 43). Der Rechtsübergang aus Anlass eines Erbfalles ändert an der Rechtsnatur der öffentlich-rechtlichen Leistung nichts. Denn der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist das Gegenstück der öffentlich-rechtlichen Leistung. Der Erbe kann eine im Erbwege übergegangene Rentenforderung im Verwaltungsrechtsweg geltend machen, ohne Rücksicht darauf, ob die Rente dem Erblasser bereits durch einen bindend gewordenen Bescheid zuerkannt worden war oder nicht. Dies muss dann auch für die Rückforderung gelten. Auch diese betrifft eine öffentlich-rechtliche Leistung, die sich in eine öffentlich-rechtliche Schuld gerwandelt hat. Diese öffentlich-rechtliche Natur der Schuld ändert sich nicht, wenn der Inhaber der Verpflichtung wechselt. Denn bei der Entscheidung, ob der Rückerstattungsanspruch dem öffentlichen oder privaten Recht zuzuordnen ist, kommt es nicht auf die Person des Verpflichteten, sondern auf die Rechtsnatur der Leistung an. Gehörte diese dem öffentlichen Recht an, so ändert sie sich auch nicht durch den Tod des Empfängers als Kehrseite der Leistungserbringung (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1965 - 8 RV 749/64; BVerwG, Urteil vom 25. März 1982 - 2 C 23/81; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Mai 2016 - L 8 R 508/13 - juris).

b.

Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht erfüllt. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben ist.

aa.

Der Bescheid vom 10. Dezember 1999 ist nicht wirksam aufgehoben worden. Rechtsgrundlage für die Rücknahmeentscheidung ist § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3, Abs. 4 Satz 1 SGB X. Danach wird ein Verwaltungsakt, nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, soweit er von Anfang an rechtswidrig begünstigend ist, und sich der Begünstigte nicht auf Vertrauensschutz berufen kann.

bb.

Eine alleinige Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X hätte auf die Bestandskraft des Bescheides vom 4. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 - nach Beendigung des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht zu dem Aktenzeichen S 15 R 320/08 - gestützt werden können. So liegt der Fall jedoch nicht.

Die Beklagte hat mit dem hier streitgegenständlichen Zweitbescheid vom 5. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2012 ihre ursprüngliche Bewilligungsentscheidung vom 10. Dezember 1999 nunmehr gegenüber der Klägerin als Erbin erneut zurückgenommen.

cc.

Die nach § 24 Abs. 1 SGB X erforderliche Anhörung ist erfolgt. Sie war zwar inhaltlich auf die Erstattungsentscheidung nach § 50 SGB X begrenzt. Zu der Aufhebungsentscheidung nach § 45 SGB X wurde die Klägerin nicht mit Schreiben vom 16. August 2011 angehört. Allerdings hatte sie Gelegenheit, sich im Widerspruchsverfahren zu den Aufhebungsgründen nach § 45 SGBX zu äußern.

dd.

Der Ausgangsbewilligungsbescheid vom 10. Dezember 1999 war von Anfang an (teilweise) rechtswidrig. Der Rentenberechtigte bezog seit 1992 eine Rente aus seiner Unfallversicherung von der LBG Hoppegarten. Die Beklagte rechnete diese Rente von Beginn an rechtswidrig nicht an.

ee.

Der Aufhebungsentscheidung steht der zu beachtende Vertrauensschutz entgegen.

Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit

er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X),

der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X), oder

er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X).

Ein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X liegt nicht vor, da der Rentenberechtigte den Bescheid über die Gewährung einer Witwerrente nicht durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat.

Auch die Voraussetzungen für den Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X sind nicht erwiesen. Der Rentenberechtigte hat weder vorsätzlich noch grob fahrlässig Angaben, auf die der Rentenbewilligungsbescheid beruhte, unrichtig oder unvollständig gemacht.

Grobe Fahrlässigkeit nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ist dann gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit ist auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten des Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falls abzustellen (zum subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff vgl. auch BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R). Für die grobe Fahrlässigkeit ist bedeutsam, in welchem Umfang bei Bewilligung der Dauerleistung auf eine Mitteilungspflicht hingewiesen worden ist. Ist jemand unmissverständlich darüber belehrt worden, dass er bestimmte für den Leistungsempfang wesentliche Umstände mitzuteilen hat und unterlässt er dies, liegt in aller Regel grobe Fahrlässigkeit vor (Schütze in von Wulffen, SGB X, 8. Auflage 2014, § 48, Rn. 23).

Soweit die Beklagte dem Rentenberechtigten vorgeworfen hat, bei Rentenantrag falsche Tatsachen grob fahrlässig gemacht zu haben, kann sie dies nicht beweisen. Entsprechend den allgemeinen Regeln der Beweislast treffen die Beklagte die Nachteile daraus, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht (mehr) nachgewiesen werden können. Für die Nachweisführung, dass der Rentenberechtigte bei der Antragstellung den Bezug einer Unfallrente nicht angezeigt hat, ist unter anderem der dazugehörige ausgefüllte Rentenantrag von Bedeutung. Aus diesem könnte abgelesen werden, welche Angaben der Rentenberechtigte zu Lebzeiten gemacht oder unterlassen hat. Insoweit fehlt es jedoch an einem umfassenden Verwaltungsvorgang aus dem Jahr 1999. Es ist nicht erkennbar, welche Unterlagen der Rentenberechtigte im Zusammenhang mit seinem Antrag auf Hinterbliebenenrente vorgelegt hatte. Nach der vorgelegten Empfangsbestätigung vom 15. September 1999 ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Rentenberechtigte den Bezug seiner Unfallrente mitgeteilt hatte. Die Kopie dieser vorgelegten Bescheide hätte die Beklagte zur Dokumentation zum Verwaltungsvorgang nehmen müssen. Dieser ist jedoch aus dem Jahr 1999 nur noch unvollständig.

Grobe Fahrlässigkeit lag ist auch nicht in Bezug auf das Kennenmüssen der Rechtswidrigkeit des Rentenbewilligungsbescheides nachweisbar, § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X.

Zwar hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 10. Dezember 1999 unmissverständlich auf die Mitwirkungspflicht des Rentenberechtigten hingewiesen, dass dieser Einkommen anzugeben habe - auch den Bezug einer Unfallrente. Zu der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit des Rentenberechtigten ab dem Zeitpunkt des Rentenbewilligungsbescheides vom 10. Dezember 1999 können aber nur Vermutungen angestellt werden. Ob der damals 75 Jahre alte Rentenberechtigte hätte erkennen können und müssen, dass die erfolgte Rentenanrechnung nur die Altersrente und nicht auch die Unfallrente erfasste, kann nicht bewiesen werden. Nachprüfbar ist die ihm vorgeworfene grobe Fahrlässigkeit schon deshalb nicht mehr, da er zwischenzeitlich verstorben ist. Dieser Umstand kann der Klägerin - als Erbin - nicht zu ihren Lasten zugerechnet werden.

ff)

Im Übrigen ist die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X nicht eingehalten. Danach muss ein Verwaltungsakt von der zuständigen Behörde innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen zurückgenommen werden, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Unter Tatsachen sind dabei alle tatsächlichen Umstände zu verstehen, die zur Aufhebbarkeit des begünstigenden Verwaltungsaktes erforderlich sind. Die Jahresfrist beginnt nach Abschluss der von der Beklagten für erforderlich gehaltenen Ermittlungen (Schütze in von Wulffen, SGB X, 10. Auflage 2014, § 41, Rn. 15). Dies ergibt sich zwingendend daraus, dass die Jahresfrist nach der Rechtsprechung des BSG nicht als reine Bearbeitungsfrist konzipiert worden ist. Denn das Gesetz stellt für den Beginn der Jahresfrist nicht auf ein bloßes Kennenmüssen der Behörde, sondern auf eine positive Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen ab.

Die Beklagte hatte aus ihrer Sicht spätestens mit Anhörung des Rentenberechtigten im Januar 2008 von den maßgeblichen Tatsachen (Überzahlung und subjektive Umstände zu Vorsatz und grober Fahrlässigkeit) Kenntnis erlangt.

c.

Die aus den genannten Gründen unwirksame Aufhebungsentscheidung bewirkt, dass die Erstattungsforderung nicht mehr durchgreift. Auf das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nach § 50 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 45 SGB X und die Ausübung von Ermessen auf der Rechtsfolgenseite kommt es nicht mehr an. Der Bescheid vom 5. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2012 war aufzuheben.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beklagte trägt als unterliegende Beteiligte für beide Instanzen und im Verwaltungsverfahren die Kosten des Verfahrens. Weder die Klägerin noch die Beklagte ist kostenprivilegiert im Sinne von § 183 SGG. Insbesondere ist die Klägerin nicht Sonderrechtsnachfolgerin nach § 56 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Allgemeiner Teil - SGB I). Sie wurde von der Beklagten wegen übergegangener Erstattungsforderung als Erbin des Rentenberechtigten in Anspruch genommen, weshalb sie allein in dieser Eigenschaft an dem Verfahren beteiligt ist. § 183 Satz 2 SGG ist ebenfalls nicht einschlägig, weil die Klägerin als sonstige Rechtsnachfolgerin das Verfahren nicht im Sinne dieser Regelung aufgenommen, sondern es von vornherein geführt hat.

III.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.

IV.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtskraft
Aus
Saved