Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 265/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2244/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. Januar 2004 aufgehoben und der Bescheid des Beklagten vom 11. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2003 abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, beim Kläger ab November 2005 einen Gesamt-GdB von 50 festzustellen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger ¾ der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 im Wege eines Neufeststellungsantrages.
Bei dem 1943 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Bescheid vom 27.04.2000 den GdB ab 05.11.1999 mit 30 fest, wobei er "Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20), seelische Störung, psychovegetative Störungen (Einzel-GdB ebenfalls 20)", berücksichtigte. Grundlage dieser Entscheidung waren der Befundbericht von Dr. B. vom 16.03.2000, dem u. a. die Arztbriefe des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 08.09. und 06.10.1998 (Angstsyndrom und beginnende Somatisierungstendenz bzw. akzentuierte Persönlichkeit, vegetatives Syndrom), des Internisten Dr. F. vom 13.01.1999 und des Orthopäden L. vom 28.01.1999 beigefügt waren, sowie die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme vom 07.04.2000.
Am 16.08.2002 beantragte der Kläger die Neufeststellung seines GdB wegen eines Bandscheibenschadens und degenerativer Veränderungen der Halswirbelsäule (HWS). Er fügte seinem Antrag den Brief der Orthopädin R. vom 19.11.2001 (Diagnose: Cervikale Migräne, massive degenerative Veränderungen der HWS, S-förmige Skoliose, HWS/BWS, leichter Rundrücken der BWS), des Neurologen und Psychiaters Dr. G. vom 24.05.2002 und des Radiologen W. vom 24.05.2002 (computertomographische Untersuchung der HWS, deutliche degenerative Diskopathie C 4/5, initiale, nicht raumfordernde Protrusion C 6/7, degenerative Diskopathie C 3/4) vor. In Auswertung der vä Stellungnahme vom 28.10.2002 stellte der Beklagte daraufhin mit Bescheid vom 11.11.2002 den GdB seit 16.08.2002 mit 40 fest, wobei er für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden und Kopfschmerzsyndrom jetzt einen Einzel-GdB von 30 annahm. Der Einzel-GdB für die psychischen und vegetativen Störungen blieb unverändert. Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte von Dr. B. den Befundbericht vom 05.12.2002 ein und wies mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2003 den Widerspruch zurück.
Dagegen erhob der Kläger am 06.02.2003 Klage vor dem Sozialgericht Heilbronn (SG) und machte geltend, allein die Wirbelsäulenbeschwerden in zwei Wirbelsäulenabschnitten rechtfertigten einen Einzel-GdB von 40. Unter Berücksichtigung der psychischen Störungen sei ein Gesamt-GdB von mindestens 50 angemessen. Das SG holte von dem Nervenarzt und Psychotherapeuten Prof. Dr. R. die sachverständige Zeugenauskunft vom 03.05.2003 und von dem Orthopäden Dr. K. die Auskunft vom 15.07.2003 ein. Prof. Dr. R. teilte mit, dass er den Kläger im Juli 2002 einmalig gesehen habe. Er habe wegen einer Angstsymptomatik um weitere Behandlung mit Medikamenten gebeten, was er durchgeführt habe. Dr. K. beschrieb eine deutlich schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit der HWS bei Rotation nach links und Reklination sowie eine endgradig schmerzhaft eingeschränkte Inklination der Lendenwirbelsäule (LWS). Das Zeichen nach Lasègue sei rechts endgradig positiv, links negativ. Dr. K. fügte seiner Auskunft u. a. die Arztbriefe des Radiologen Dr. M. vom 13.03.2003 (MRT der HWS) und Dr. S. vom 17.03.2003 (Computertomographie der LWS) bei. Der Beklagte legte hierzu die vä Stellungnahme von Dr. B. vom 21.11.2003 vor, in der dieser darauf hinwies, dass mittelgradige Funktionseinbußen in zwei Wirbelsäulenabschnitten entgegen der Auffassung des Klägers nicht mit einem Einzel-GdB von 40, sondern mit einem solchen von 30 zu bewerten seien. Die vorgelegten Befunde ließen eine Anhebung des Teil-GdB im Rahmen der Wirbelsäulenstörung nicht zu.
Mit Urteil vom 30.01.2004 wies das SG die Klage ab. Im Bereich der Wirbelsäule seien keine Befunde beschrieben, die eine Anhebung des Einzel-GdB von 30 auf 40 rechtfertigten. Die Festsetzung eines Gesamt-GdB von 40 durch den Beklagten sei deshalb nicht zu beanstanden.
Gegen das ihm am 08.05.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.06.2004 Berufung eingelegt. Er hält an seiner Auffassung fest, dass allein die Befunde im Bereich der Wirbelsäule die Festsetzung eines Teil-GdB von 40 rechtfertigten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 30.01.2004 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 11.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2003 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte bei dem Orthopäden L. (Auskunft vom 16.12.2004) und bei der Psychotherapeutin Dr. R. (Auskunft vom 09.05.2005) sowie durch Einholung des nervenärztlichen Gutachtens von Dr. M. vom 15.11.2005. Der Orthopäde L. hat mitgeteilt, der Kläger habe sich einmalig im Januar 1999 und jetzt am 15.11.2004 vorgestellt. Bei der Untersuchung sei die HWS in allen Ebenen endgradig eingeschränkt gewesen, für die Wirbelsäule hat er ein Zeichen nach Schober von 10/14 cm bei einem Fingerspitzen-Fußboden-Abstand (FBA) von 30 cm beschrieben. Im Bereich der LWS bestehe eine pathologische Bewegungseinschränkung. Lähmungserscheinungen im Sinne von Nervenwurzelreizerscheinungen hätten zum Untersuchungszeitpunkt nicht bestanden. Dr. R. teilte mit, dass sich der Kläger seit September 2004 bei ihr in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Im Vordergrund des Beschwerdebildes stehe immer noch die Angst, plötzlich zu sterben. Des weiteren berichte der Kläger, seit 1989 unter Schlafstörungen zu leiden. In den letzten Jahren habe er sich aus fast allen sozialen Beziehungen zurückgezogen. Als Diagnosen hat Dr. R. eine Dysthymia, eine Agoraphobie mit Panikstörung, eine spezifische Phobie (Höhenangst), sowie eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig leichte Episode) genannt. Dr. M. beschrieb in ihrem Gutachten eine generalisierte Angststörung, ein depressives Syndrom, daneben wirbelsäulenabhängige Beschwerden und einen Bruxismus. Für die psychische Erkrankung betrage der Einzel-GdB 50, da der Kläger schon in leichten Alltagsbereichen beeinträchtigt sei. Die muskulären Beschwerden seien mit der seelischen Erkrankung integriert. Die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule seien mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Insgesamt bestehe ein GdB von 50. Der Beklagte hat hierzu die vä Stellungnahme von Dr. K. vom 25.01.2006 vorgelegt. Dr. K. hat dem Gutachten von Dr. M. nicht zugestimmt. Er habe nicht den Eindruck einer mehr als leichten Einschränkung der Lebensgestaltung. Bei dem dokumentierten Tagesablauf, der sozialen Anamnese und dem psychischen Befund werde die Störung nach wie vor als leicht beeinträchtigend eingestuft. Selbst wenn man bei gewissen Zeichen der wesentlichen Einschränkung der Gestaltungsfähigkeit von einer leichten bis stärker behindernden seelischen Störung ausgehe und hierfür einen Teil-GdB von 25 bzw. 30 annehme, werde die allgemeine Situation infolge der gesundheitlichen Verhältnisse als nicht so hochgradig eingeschränkt eingeschätzt, dass die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft begründet wäre.
Der Kläger vertritt demgegenüber die Auffassung, dass unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. M. ein Gesamt-GdB von 60 festzustellen sei, da diese die Wirbelsäulenbeschwerden mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet habe, obwohl hierfür ein Einzel-GdB von 30 bereits anerkannt worden sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des SG und des Senats sowie die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liege nicht vor.
Die Berufung ist auch im Wesentlichen begründet. Beim Kläger liegt ein Gesamt-GdB von 50 vor.
Rechtsgrundlage für die Neufeststellung ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen welche ihrerseits nicht zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides gehören zugrunde gelegten Teil GdB Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 9 RVs 15/96 BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustandes mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind seit 01.07.2001 die Vorschriften des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (vgl. Art. 63, 68 des Gesetzes vom 19.06.2001 BGBl. I S. 1046). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB IX die in § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) festgelegten Maßstäbe entsprechend. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).
Diese Vorschriften sind weitgehend inhaltsgleich mit den bis zum 30.06.2001 geltenden Vorschriften der §§ 3 und 4 SchwbG, weshalb die bisherigen Grundsätze zur GdB Bewertung weiter angewandt werden können. Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, die in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht. Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4, SozR 3 3870 § 4 SchwbG Nr. 19 und Urteil vom 07.11.2001 a.a.O.). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 3870 a.a.O.).
Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze ist davon auszugehen, dass sich die Verhältnisse, die bei Erlass des Bescheides vom 27.04.2002 vorgelegen haben, wesentlich geändert haben und beim Kläger nunmehr ein GdB von 50 festzustellen ist.
Beim Kläger ist nach Überzeugung des Senats auf psychischem Fachgebiet wegen der bei ihm vorliegenden generalisierten Angststörung mit depressivem Syndrom von einem Einzel-GdB von 40 auszugehen. Dr. M. hat ausgeführt, dass die Persönlichkeit des Klägers durch die langjährige Schmerz-, Depressions- und Angsterkrankung im Sinne eines Lebensmittelpunktes geprägt ist. Im Bereich der Affektivität zeige sich eine Bedrücktheit mit Freudlosigkeit, Reduktion der seelischen und körperlichen Frische. Der Kläger hat ständig Befürchtungen, Sorge um die Zukunft, Krankheitsfurcht. Nach den Darlegungen von Dr. M. besteht eine motorische Spannung und vegetative Übererregbarkeit mit Herzklopfen, Oberbauch- und Rückenbeschwerden. Während Dr. B. in seinem Befundbericht vom 05.12.2002 noch angegeben hat, die sozialen Integration des Klägers sei nicht beeinträchtigt, ist zwischenzeitlich eine erhebliche Rückzugstendenz festzustellen. Dies ergibt sich auch aus der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. R. vom 09.05.2005, nach der sich der Kläger in den letzten Jahren aus fast allen sozialen Beziehungen zurückgezogen und nur wenig Interesse daran hat, alte soziale Kontakte wieder aufzunehmen oder neue anzuknüpfen. Es falle ihm auch sehr schwer, neue Aktivitäten aufzubauen. Insoweit ist es nachvollziehbar, vom Vorliegen stärker behindernder Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) im Sinne der AP, S. 48, auszugehen, die mit einem GdB von 30 bis 40 bewertet werden. Angesichts der von Dr. R. und Dr. M. beschriebenen Befunde, insbesondere der ausgeprägten Somatisierungsstörungen, hält der Senat im vorliegenden Fall einen Einzel-GdB für die psychische Erkrankung von 40 für angemessen. Einen Einzel-GdB von 50, wie ihn Dr. M. für angemessen hält (bei der einmaligen Angabe eines GdB von 60 auf der letzten Seite ihres Gutachtens dürfte es sich um einen Schreibfehler handeln) kann der Senat jedoch nicht nachvollziehen, zumal Dr. M. die Beschwerden von Seiten der Erkrankung des Klägers ausdrücklich als mittelschwer bezeichnet hat. Eine Einordnung im Bereich der schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mindestens mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten (vgl. AP S. 48) kommt daher nicht in Betracht, wäre jedoch Voraussetzung, um einen Einzel-GdB von mindestens 50 für die psychische Erkrankung annehmen zu können. Andererseits geht der Senat aber auch davon aus, dass angesichts der von Dr. R. und Dr. M. beschriebenen - anhaltenden - Störungen ein Einzel-GdB von 20, wie ihn der Beklagte bislang zugrunde gelegt hat, nicht angemessen ist. Auch die in der vä Stellungnahme von Dr. K. vom 25.01.2006 allenfalls für möglich gehaltene Bewertung mit einem Einzel-GdB von 25 bzw. 30 wird der gesundheitlichen Situation des Klägers nicht gerecht. Ein Einzel-GdB von 40 kann allerdings nicht bereits seit Antragstellung, sondern erst ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. M. angenommen werden, da erst ab diesem Zeitpunkt entsprechende Befunde als nachgewiesen angesehen werden können.
Neben den Beschwerden auf psychischem Gebiet sind die beim Kläger vorliegenden degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit Bandscheibenschaden und Kopfschmerzsyndrom vom Beklagten bislang mit einem Teil-GdB von 30 bewertet worden. Diese Bewertung ist allerdings insoweit zweifelhaft, als die psychische Störung gerade mit einer Somatisierungstendenz verbunden ist und nach den Darlegungen von Dr. M. z. B. die muskulären Beschwerden von Seiten der Wirbelsäule in ihrer Bewertung der psychischen Störung erfasst sind. Selbst wenn man jedoch mit Dr. M. unter diesen Voraussetzungen für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und dem Bandscheibenschaden lediglich einen Einzel-GdB von 20 ansetzt, führt dies beim Kläger zu einer Bewertung des Gesamt-GdB von 50.
Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den Grundsätzen zu verfahren, wie sie in den AP (Abschnitt 19) ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind bei der Festsetzung des Gesamt-GdB die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB verursacht. Dann ist im Hinblick auf weitere Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung insgesamt größer wird und deshalb dem höchsten Einzel-GdB ein Behinderungsgrad von 10 oder 20 oder mehr hinzuzufügen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Mathematische Methoden, insbesondere eine Addition der einzelnen GdB-Werte, sind hierbei ausgeschlossen (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).
Zwar hat Dr. M. dargelegt, dass der Schwerpunkt der Beschwerden beim Kläger auf psychischem Gebiet liegt. Sie hat deshalb den von ihr für angemessenen gehaltenen GdB von 50 für die psychische Erkrankung im Hinblick auf den Einzel-GdB von 20 für die Wirbelsäulenveränderungen und den Bandscheibenschaden nicht erhöht. Selbst wenn man jedoch davon ausgeht, dass ein Teil der Wirbelsäulenbeschwerden durch die psychische Erkrankung bedingt wird bzw. sich mit dieser überschneidet, erscheint dem Senat im Hinblick auf die insgesamt vorliegenden Beschwerden des Klägers ein Gesamt-GdB von 50 angemessen. Ein Gesamt-GdB von 60, wie ihn der Kläger nach der Vorlage des Gutachtens von Dr. M. für angemessen hält, kommt nach Auffassung des Senats jedoch nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger ¾ der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 im Wege eines Neufeststellungsantrages.
Bei dem 1943 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Bescheid vom 27.04.2000 den GdB ab 05.11.1999 mit 30 fest, wobei er "Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20), seelische Störung, psychovegetative Störungen (Einzel-GdB ebenfalls 20)", berücksichtigte. Grundlage dieser Entscheidung waren der Befundbericht von Dr. B. vom 16.03.2000, dem u. a. die Arztbriefe des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 08.09. und 06.10.1998 (Angstsyndrom und beginnende Somatisierungstendenz bzw. akzentuierte Persönlichkeit, vegetatives Syndrom), des Internisten Dr. F. vom 13.01.1999 und des Orthopäden L. vom 28.01.1999 beigefügt waren, sowie die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme vom 07.04.2000.
Am 16.08.2002 beantragte der Kläger die Neufeststellung seines GdB wegen eines Bandscheibenschadens und degenerativer Veränderungen der Halswirbelsäule (HWS). Er fügte seinem Antrag den Brief der Orthopädin R. vom 19.11.2001 (Diagnose: Cervikale Migräne, massive degenerative Veränderungen der HWS, S-förmige Skoliose, HWS/BWS, leichter Rundrücken der BWS), des Neurologen und Psychiaters Dr. G. vom 24.05.2002 und des Radiologen W. vom 24.05.2002 (computertomographische Untersuchung der HWS, deutliche degenerative Diskopathie C 4/5, initiale, nicht raumfordernde Protrusion C 6/7, degenerative Diskopathie C 3/4) vor. In Auswertung der vä Stellungnahme vom 28.10.2002 stellte der Beklagte daraufhin mit Bescheid vom 11.11.2002 den GdB seit 16.08.2002 mit 40 fest, wobei er für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden und Kopfschmerzsyndrom jetzt einen Einzel-GdB von 30 annahm. Der Einzel-GdB für die psychischen und vegetativen Störungen blieb unverändert. Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte von Dr. B. den Befundbericht vom 05.12.2002 ein und wies mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2003 den Widerspruch zurück.
Dagegen erhob der Kläger am 06.02.2003 Klage vor dem Sozialgericht Heilbronn (SG) und machte geltend, allein die Wirbelsäulenbeschwerden in zwei Wirbelsäulenabschnitten rechtfertigten einen Einzel-GdB von 40. Unter Berücksichtigung der psychischen Störungen sei ein Gesamt-GdB von mindestens 50 angemessen. Das SG holte von dem Nervenarzt und Psychotherapeuten Prof. Dr. R. die sachverständige Zeugenauskunft vom 03.05.2003 und von dem Orthopäden Dr. K. die Auskunft vom 15.07.2003 ein. Prof. Dr. R. teilte mit, dass er den Kläger im Juli 2002 einmalig gesehen habe. Er habe wegen einer Angstsymptomatik um weitere Behandlung mit Medikamenten gebeten, was er durchgeführt habe. Dr. K. beschrieb eine deutlich schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit der HWS bei Rotation nach links und Reklination sowie eine endgradig schmerzhaft eingeschränkte Inklination der Lendenwirbelsäule (LWS). Das Zeichen nach Lasègue sei rechts endgradig positiv, links negativ. Dr. K. fügte seiner Auskunft u. a. die Arztbriefe des Radiologen Dr. M. vom 13.03.2003 (MRT der HWS) und Dr. S. vom 17.03.2003 (Computertomographie der LWS) bei. Der Beklagte legte hierzu die vä Stellungnahme von Dr. B. vom 21.11.2003 vor, in der dieser darauf hinwies, dass mittelgradige Funktionseinbußen in zwei Wirbelsäulenabschnitten entgegen der Auffassung des Klägers nicht mit einem Einzel-GdB von 40, sondern mit einem solchen von 30 zu bewerten seien. Die vorgelegten Befunde ließen eine Anhebung des Teil-GdB im Rahmen der Wirbelsäulenstörung nicht zu.
Mit Urteil vom 30.01.2004 wies das SG die Klage ab. Im Bereich der Wirbelsäule seien keine Befunde beschrieben, die eine Anhebung des Einzel-GdB von 30 auf 40 rechtfertigten. Die Festsetzung eines Gesamt-GdB von 40 durch den Beklagten sei deshalb nicht zu beanstanden.
Gegen das ihm am 08.05.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.06.2004 Berufung eingelegt. Er hält an seiner Auffassung fest, dass allein die Befunde im Bereich der Wirbelsäule die Festsetzung eines Teil-GdB von 40 rechtfertigten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 30.01.2004 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 11.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2003 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte bei dem Orthopäden L. (Auskunft vom 16.12.2004) und bei der Psychotherapeutin Dr. R. (Auskunft vom 09.05.2005) sowie durch Einholung des nervenärztlichen Gutachtens von Dr. M. vom 15.11.2005. Der Orthopäde L. hat mitgeteilt, der Kläger habe sich einmalig im Januar 1999 und jetzt am 15.11.2004 vorgestellt. Bei der Untersuchung sei die HWS in allen Ebenen endgradig eingeschränkt gewesen, für die Wirbelsäule hat er ein Zeichen nach Schober von 10/14 cm bei einem Fingerspitzen-Fußboden-Abstand (FBA) von 30 cm beschrieben. Im Bereich der LWS bestehe eine pathologische Bewegungseinschränkung. Lähmungserscheinungen im Sinne von Nervenwurzelreizerscheinungen hätten zum Untersuchungszeitpunkt nicht bestanden. Dr. R. teilte mit, dass sich der Kläger seit September 2004 bei ihr in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Im Vordergrund des Beschwerdebildes stehe immer noch die Angst, plötzlich zu sterben. Des weiteren berichte der Kläger, seit 1989 unter Schlafstörungen zu leiden. In den letzten Jahren habe er sich aus fast allen sozialen Beziehungen zurückgezogen. Als Diagnosen hat Dr. R. eine Dysthymia, eine Agoraphobie mit Panikstörung, eine spezifische Phobie (Höhenangst), sowie eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig leichte Episode) genannt. Dr. M. beschrieb in ihrem Gutachten eine generalisierte Angststörung, ein depressives Syndrom, daneben wirbelsäulenabhängige Beschwerden und einen Bruxismus. Für die psychische Erkrankung betrage der Einzel-GdB 50, da der Kläger schon in leichten Alltagsbereichen beeinträchtigt sei. Die muskulären Beschwerden seien mit der seelischen Erkrankung integriert. Die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule seien mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Insgesamt bestehe ein GdB von 50. Der Beklagte hat hierzu die vä Stellungnahme von Dr. K. vom 25.01.2006 vorgelegt. Dr. K. hat dem Gutachten von Dr. M. nicht zugestimmt. Er habe nicht den Eindruck einer mehr als leichten Einschränkung der Lebensgestaltung. Bei dem dokumentierten Tagesablauf, der sozialen Anamnese und dem psychischen Befund werde die Störung nach wie vor als leicht beeinträchtigend eingestuft. Selbst wenn man bei gewissen Zeichen der wesentlichen Einschränkung der Gestaltungsfähigkeit von einer leichten bis stärker behindernden seelischen Störung ausgehe und hierfür einen Teil-GdB von 25 bzw. 30 annehme, werde die allgemeine Situation infolge der gesundheitlichen Verhältnisse als nicht so hochgradig eingeschränkt eingeschätzt, dass die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft begründet wäre.
Der Kläger vertritt demgegenüber die Auffassung, dass unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. M. ein Gesamt-GdB von 60 festzustellen sei, da diese die Wirbelsäulenbeschwerden mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet habe, obwohl hierfür ein Einzel-GdB von 30 bereits anerkannt worden sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des SG und des Senats sowie die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liege nicht vor.
Die Berufung ist auch im Wesentlichen begründet. Beim Kläger liegt ein Gesamt-GdB von 50 vor.
Rechtsgrundlage für die Neufeststellung ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen welche ihrerseits nicht zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides gehören zugrunde gelegten Teil GdB Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 9 RVs 15/96 BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustandes mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind seit 01.07.2001 die Vorschriften des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (vgl. Art. 63, 68 des Gesetzes vom 19.06.2001 BGBl. I S. 1046). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB IX die in § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) festgelegten Maßstäbe entsprechend. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).
Diese Vorschriften sind weitgehend inhaltsgleich mit den bis zum 30.06.2001 geltenden Vorschriften der §§ 3 und 4 SchwbG, weshalb die bisherigen Grundsätze zur GdB Bewertung weiter angewandt werden können. Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, die in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht. Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4, SozR 3 3870 § 4 SchwbG Nr. 19 und Urteil vom 07.11.2001 a.a.O.). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 3870 a.a.O.).
Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze ist davon auszugehen, dass sich die Verhältnisse, die bei Erlass des Bescheides vom 27.04.2002 vorgelegen haben, wesentlich geändert haben und beim Kläger nunmehr ein GdB von 50 festzustellen ist.
Beim Kläger ist nach Überzeugung des Senats auf psychischem Fachgebiet wegen der bei ihm vorliegenden generalisierten Angststörung mit depressivem Syndrom von einem Einzel-GdB von 40 auszugehen. Dr. M. hat ausgeführt, dass die Persönlichkeit des Klägers durch die langjährige Schmerz-, Depressions- und Angsterkrankung im Sinne eines Lebensmittelpunktes geprägt ist. Im Bereich der Affektivität zeige sich eine Bedrücktheit mit Freudlosigkeit, Reduktion der seelischen und körperlichen Frische. Der Kläger hat ständig Befürchtungen, Sorge um die Zukunft, Krankheitsfurcht. Nach den Darlegungen von Dr. M. besteht eine motorische Spannung und vegetative Übererregbarkeit mit Herzklopfen, Oberbauch- und Rückenbeschwerden. Während Dr. B. in seinem Befundbericht vom 05.12.2002 noch angegeben hat, die sozialen Integration des Klägers sei nicht beeinträchtigt, ist zwischenzeitlich eine erhebliche Rückzugstendenz festzustellen. Dies ergibt sich auch aus der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. R. vom 09.05.2005, nach der sich der Kläger in den letzten Jahren aus fast allen sozialen Beziehungen zurückgezogen und nur wenig Interesse daran hat, alte soziale Kontakte wieder aufzunehmen oder neue anzuknüpfen. Es falle ihm auch sehr schwer, neue Aktivitäten aufzubauen. Insoweit ist es nachvollziehbar, vom Vorliegen stärker behindernder Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) im Sinne der AP, S. 48, auszugehen, die mit einem GdB von 30 bis 40 bewertet werden. Angesichts der von Dr. R. und Dr. M. beschriebenen Befunde, insbesondere der ausgeprägten Somatisierungsstörungen, hält der Senat im vorliegenden Fall einen Einzel-GdB für die psychische Erkrankung von 40 für angemessen. Einen Einzel-GdB von 50, wie ihn Dr. M. für angemessen hält (bei der einmaligen Angabe eines GdB von 60 auf der letzten Seite ihres Gutachtens dürfte es sich um einen Schreibfehler handeln) kann der Senat jedoch nicht nachvollziehen, zumal Dr. M. die Beschwerden von Seiten der Erkrankung des Klägers ausdrücklich als mittelschwer bezeichnet hat. Eine Einordnung im Bereich der schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mindestens mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten (vgl. AP S. 48) kommt daher nicht in Betracht, wäre jedoch Voraussetzung, um einen Einzel-GdB von mindestens 50 für die psychische Erkrankung annehmen zu können. Andererseits geht der Senat aber auch davon aus, dass angesichts der von Dr. R. und Dr. M. beschriebenen - anhaltenden - Störungen ein Einzel-GdB von 20, wie ihn der Beklagte bislang zugrunde gelegt hat, nicht angemessen ist. Auch die in der vä Stellungnahme von Dr. K. vom 25.01.2006 allenfalls für möglich gehaltene Bewertung mit einem Einzel-GdB von 25 bzw. 30 wird der gesundheitlichen Situation des Klägers nicht gerecht. Ein Einzel-GdB von 40 kann allerdings nicht bereits seit Antragstellung, sondern erst ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. M. angenommen werden, da erst ab diesem Zeitpunkt entsprechende Befunde als nachgewiesen angesehen werden können.
Neben den Beschwerden auf psychischem Gebiet sind die beim Kläger vorliegenden degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit Bandscheibenschaden und Kopfschmerzsyndrom vom Beklagten bislang mit einem Teil-GdB von 30 bewertet worden. Diese Bewertung ist allerdings insoweit zweifelhaft, als die psychische Störung gerade mit einer Somatisierungstendenz verbunden ist und nach den Darlegungen von Dr. M. z. B. die muskulären Beschwerden von Seiten der Wirbelsäule in ihrer Bewertung der psychischen Störung erfasst sind. Selbst wenn man jedoch mit Dr. M. unter diesen Voraussetzungen für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und dem Bandscheibenschaden lediglich einen Einzel-GdB von 20 ansetzt, führt dies beim Kläger zu einer Bewertung des Gesamt-GdB von 50.
Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den Grundsätzen zu verfahren, wie sie in den AP (Abschnitt 19) ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind bei der Festsetzung des Gesamt-GdB die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB verursacht. Dann ist im Hinblick auf weitere Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung insgesamt größer wird und deshalb dem höchsten Einzel-GdB ein Behinderungsgrad von 10 oder 20 oder mehr hinzuzufügen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Mathematische Methoden, insbesondere eine Addition der einzelnen GdB-Werte, sind hierbei ausgeschlossen (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).
Zwar hat Dr. M. dargelegt, dass der Schwerpunkt der Beschwerden beim Kläger auf psychischem Gebiet liegt. Sie hat deshalb den von ihr für angemessenen gehaltenen GdB von 50 für die psychische Erkrankung im Hinblick auf den Einzel-GdB von 20 für die Wirbelsäulenveränderungen und den Bandscheibenschaden nicht erhöht. Selbst wenn man jedoch davon ausgeht, dass ein Teil der Wirbelsäulenbeschwerden durch die psychische Erkrankung bedingt wird bzw. sich mit dieser überschneidet, erscheint dem Senat im Hinblick auf die insgesamt vorliegenden Beschwerden des Klägers ein Gesamt-GdB von 50 angemessen. Ein Gesamt-GdB von 60, wie ihn der Kläger nach der Vorlage des Gutachtens von Dr. M. für angemessen hält, kommt nach Auffassung des Senats jedoch nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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