L 7 AY 3106/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AY 2045/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 3106/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Einstweilige Anordnung, Verpflichtung des Beigeladenen;
Zuständigkeit nach Abschluss des Asylverfahrens
Im Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG kann seit dem 1. August 2006 auch ein beigeladener Sozialhilfeträger gem. § 75 Abs. 5 SGG verpflichtet werden. Diese Regelung gilt entsprechend für die Leistungsträger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Die Zuständigkeit der für die Durchführung des AsylbLG bestimmten Landesbehörden richtet sich nach dem rechts-/bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens und der Ermöglichung eines anderweitigen Aufenthaltes (durch Erteilung einer Duldung) nach dem tatsächlichen Aufenthaltsort (§ 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG) und nicht nach dem in Vollzug des Asylverfahrensgesetzes für das Asylverfahren zugewiesenen Aufenthaltsort (§ 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG).
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Mai 2006 dahingehend geändert, dass die Beigeladene zur Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz im Umfang des Ausspruchs des Sozialgerichts verpflichtet wird.

Die Beigeladene hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), der das Sozialgericht Freiburg (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist in dem Sinn begründet, dass anstelle des Antragsgegners die Beigeladene zur Gewährung der streitigen Leistungen zu verpflichten ist (§ 75 Abs. 5 SGG i.d.F. des Artikels 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006, BGBl I, 1706/1718). In der Sache hat das SG zu Recht eine einstweilige Anordnung erlassen.

Der Antragsteller hat einen im Wege der einstweiligen Anordnung zu regelnden Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2).

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1)), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Auflage, § 86b Rdnrn. 25 ff.; Funke-Kaiser in Bader u.a., Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 3. Auflage, § 123 Rdnrn. 7, 11). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Buchholz 421.21 Hochschulzulassungsrecht Nr. 37; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 123 Rdnrn. 64, 73 ff., 80 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO § 123 Rdnrn. 78 ff.). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 = NVwZ 2005, 927 ff.); Funke-Kaiser in Bader u.a., VwGO, 3. Auflage, § 123 Rdnr. 58; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnrn. 95, 99 ff.). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ggf. ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, a.a.O.; NVwZ 2005, a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B -(juris), 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B -, FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B -, FEVS 57, 164 (jeweils m.w.N. aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung); Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O. Rdnrn. 165 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnr. 79; Funke-Kaiser in Bader u.a., a.a.O. Rdnr. 62).

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Zuständig für die Bewilligung und Auszahlung dieser Leistungen ist allerdings die Beigeladene, in deren Bezirk sich der Antragsteller tatsächlich aufhält (§ 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG) und nicht der Antragsgegner, in dessen Bezirk der Antragsteller zuvor sich aufgehalten hat. Entgegen der Auffassung des SG ist die auf § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gestützte Zuständigkeit des Antragsgegners nicht mehr gegeben, da sich die am 2. April 2004 ausgesprochene Zuweisungsentscheidung des Landratsamts E. als unterer Aufnahmebehörde nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetzes vom 11. März 2004 (GBl. S. 99 - FlüAG -) erledigt hat. Dies ergibt sich zunächst bereits aus dem Unterbringungsbescheid selber, in welchem es heißt, dass das Unterbringungsverhältnis mit Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung oder einer räumlich nicht auf das Gebiet einer Ausländerbehörde beschränkten Duldung im Anschluss an ein Asylverfahren erlischt. Aus den dem Senat vorliegenden Akten ergibt sich, dass dem Antragsteller am 24. Mai 2006 eine bis 30. November 2006 befristete Duldung erteilt worden ist, die nicht auf den Bezirk einer Ausländerbehörde beschränkt ist. Unabhängig von der Frage, ob die offenbar später vorgenommene "amtliche Änderung" mit der Auflage: "Wohnsitznahme nur in E. " eine wirksame Beschränkung dieser Duldung darstellt, endet die Zuweisungsentscheidung aber auch bei richtiger Auslegung des Gesetzes mit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens. Dies ergibt sich u.a. aus der Gesetzessystematik. § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nimmt Bezug auf die nach § 10 AsylbLG bestimmte Behörde, in deren Bereich der Leistungsberechtigte aufgrund der Entscheidung der vom Bundesministerium des Innern bestimmten zentralen Verteilungsstelle verteilt oder von der im Land hierfür zuständigen Behörde zugewiesen worden ist. Damit nimmt das Gesetz Bezug auf die Unterbringung und Verteilung von Asylbewerbern während des Asylverfahrens auf der Grundlage des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG). Dieses gilt nach § 1 Abs. 1 AsylVfG für Ausländer, die um Asyl nachsuchen. Während des Asylverfahrens wird der Asylbewerber gemäß § 20 AsylVfG an eine Aufnahmeeinrichtung weitergeleitet, wo er sich gemäß § 22 Abs. 1 AsylVfG persönlich zu melden hat. Nach § 22 Abs. 2 AsylVfG kann der Asylbewerber von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Stelle einer bestimmten Aufnahmeeinrichtung zugewiesen werden. In dem hiermit beschriebenen funktionalen Zusammenhang erfolgte die Zuweisung des Antragstellers zur Gemeinschaftsunterkunft im Landkreis E ... Für diesen Teil der Aufnahme regeln die §§ 1 bis 10 FlüAG die Unterbringung des Asylbewerbers. Erst in einem dritten Abschnitt dieses Gesetzes wird ab § 11 FlüAG eine so genannte Anschlussunterbringung u.a. auch für Asylbewerber nach Unanfechtbarkeit der Ablehnung des Asylantrags geregelt. Diese Anschlussunterbringung steht in keinem Zusammenhang mehr mit dem Asylverfahren und den innerhalb dieses Verfahrens bestehenden Pflichten des Asylbewerbers.

Im Hinblick auf diese systematischen Zusammenhänge war es in der bis zum 31. Dezember 2004 maßgeblichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte herrschende Meinung, dass sich die asylverfahrensrechtliche Zuweisungsentscheidung mit der endgültigen (bestandskräftigen/rechtskräftigen) Ablehnung eines Asylantrages erledigt hat und die Zuständigkeit für die Leistungen nach dem AsylbLG sich nunmehr nach dem tatsächlichen Aufenthalt im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG richtet (so Hessischer Verwaltungsgerichtshof - VGH -, Beschluss vom 24. Februar 2000 - 1 TG 651/00 -; Oberverwaltungsgericht - OVG - Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. März 2001 - 16 B 44/01 -, beide zitiert nach juris). Dies gilt jedenfalls dann, wenn dem Asylbewerber nach dem bestandskräftigen Abschluss ein anderweitiger Aufenthalt ermöglicht wird, was auch durch eine Duldung geschehen kann (so zu Recht Verwaltungsgericht - VG - Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2005 - 11 K 344/03 - (juris)). Mit dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 12. Januar 2006 - L 20 B 11/05 AY ER, SAR 2006, 57) ist der Senat der Auffassung, dass im Falle eines Anschlussaufenthaltes auf der Grundlage einer gültigen Duldung sich die Zuständigkeit für die Bewilligung von Leistungen nach dem AsylbLG auch bei ehemaligen Asylbewerbern nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG richtet (so auch Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII - § 10a AsylbLG Rdnr. 5). In einem anderen rechtlichen Zusammenhang hat das BVerwG bereits 1992 ausgeführt, dass das asylverfahrensrechtliche Regime - zu dem die Zuweisung für die Dauer des Asylverfahrens gehört - mit der Ermöglichung eines anderweitigen Aufenthaltes aus asylverfahrensunabhängigen Gründen endet (Urteil vom 31. März 1992 - 9 C 155/90 -, NVWZ 1993, 276).

Im Falle des Antragstellers kommt hinzu, dass der Antragsgegner im Rahmen seiner Zuständigkeit als allgemeine Ausländerbehörde ausdrücklich einem Umzug des Antragstellers nach Freiburg zugestimmt hat, wie sich aus seinem Schriftsatz vom 23. Juni 2006 an das VG Freiburg in dem Verfahren 7 K 1014/06 ergibt. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Ausländerbehörde ausdrücklich einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltes zustimmt und gleichzeitig die Duldung mit einer Wohnsitzauflage betreffend den bisherigen Aufenthaltsort versieht. Der Schriftsatz muss so verstanden werden, dass damit diese genannte Auflage wieder aufgehoben wird.

Eine andere Auslegung stieße auch insofern an verfassungsrechtliche Grenzen, als sonst im Falle der Ermöglichung eines anderweitigen Aufenthaltes - und sei es durch eine ausländerrechtliche Duldung - eine Einschränkung der persönlichen Freiheit des Ausländers auf längere Zeit eingeführt würde, die einer Rechtfertigung durch asylverfahrensrechtliche Notwendigkeiten entbehrt. Ob etwas anderes gilt, wenn die Einschränkung im Zusammenhang mit den Notwendigkeiten der Vorbereitung ausländerrechtlicher Maßnahmen (Passbeschaffung, Abschiebungsvorbereitung usw.) begründet wird, braucht hier nicht entschieden zu werden, da es an einer entsprechenden Regelung fehlt. Für eine solche wäre im Übrigen nicht der Antragsgegner zuständig, sondern das gem. § 6 Abs. 2 Nr. 2 der Verordnung der Landesregierung und des Innenministeriums über Zuständigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz und dem Asylverfahrensgesetz vom 11. Januar 2005 (GBl. S 91), in der Fassung der Verordnung vom 4. Oktober 2005 (GBl. S., 678) damit betraute Regierungspräsidium.

Da sich der Antragsteller - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist und sich auch aus den Akten ergibt - mit Billigung der zuständigen allgemeinen Ausländerbehörde in Freiburg aufhält, ist zuständige Behörde im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG die für die Stadt F. zuständige untere Aufnahmebehörde im Sinne des § 10 AsylbLG. Dies ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 AsylbLG die untere Verwaltungsbehörde. Für die Stadt F. ist dies gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 des Landesverwaltungsgesetzes (LVG) der Stadtkreis F. (§ 10 LVG).

Dass die Voraussetzungen für Leistungen nach dem AsylbLG dem Grunde nach vorliegen, ist vom SG zu Recht angenommen worden und wird weder vom Antragsgegner noch von der Beigeladenen bestritten. Dasselbe gilt für die Frage des Vorliegens eines Anordnungsgrundes.

Der Senat macht von der Möglichkeit der Verpflichtung der Beigeladenen Gebrauch und stützt sich hierbei auf das zum 1. August 2006 in Kraft getretene Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I, 1706), wonach gemäß § 75 Abs. 2 SGG auch ein Träger der Sozialhilfe beigeladen und gemäß § 75 Abs. 5 SGG dieser Träger der Sozialhilfe auch verurteilt werden kann. Diese Vorschrift muss allerdings in doppelter Analogie angewendet werden, zum einen - was in Rechtssprechung und Literatur unstreitig ist - auch auf die Verfahren der einstweiligen Anordnung und zum zweiten auf den Leistungsträger nach dem AsylbLG. Da es sich bei den Leistungen nach dem AsylbLG um sozialhilfeähnliche, steuerfinanzierte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes handelt, ist diese Erstreckung nach Auffassung des Senats geboten.

Die Verpflichtung der Beigeladenen ist nur eine Verpflichtung dem Grunde nach. Nicht geklärt ist damit die Frage einer eventuellen Anwendung des § 1a AsylbLG im Hinblick aus das Verhalten des Antragstellers.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177).
Rechtskraft
Aus
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