S 15 KR 630/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 15 KR 630/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Erhebung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Der am 27.04.19xx geborene Kläger ist seit dem 27. Juli 1988 Mitglied bei der Beklagten. Seit 1994 besteht eine freiwillige Versicherung. Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung wurden per Lastschrift vom Konto des Klägers eingezogen. Der letzte Lastschrifteinzug erfolgte am 30.06.2004 für Juni 2004.

Im März 2014 stellte die Beklagte Unstimmigkeiten bezüglich der von der Arbeitgeberin des Klägers, der E. ON New Build & Technology GmbH gemeldeten Angaben zur Beitragsgruppe fest, und teilte dies der Arbeitgeberin des Klägers mit. Diese teilte der Beklagten mit Schreiben vom 24.03.2014 mit, dass der Kläger zwar freiwillig bei der Beklagten versichert sei, die Beiträge aber selbst an diese überweise.

Mit Beitragsbescheid vom 09.04.2014 forderte die Beklagte vom Kläger die Leistung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 01.05.2004 bis zum 31.03.2014 in Höhe von insgesamt 73.165,77 Euro nach. Der Arbeitgeber hatte die Arbeitgeberanteile zusätzlich zum Gehalt an den Kläger ausgezahlt. Diese Beträge wurden jedoch nicht an die Beklagte weitergeleitet, was dem Kläger nicht aufgefallen sei.

Hiergegen erhob der Kläger am 22.04.2014 Widerspruch. Hierzu führte er im Wesentlichen aus, dass die Beiträge, welche bis zum 31.12.2009 fällig geworden sind, nach § 25 Absatz 1 Sozialgesetzbuch 4. Buch (SGB IV) verjährt seien. Hinsichtlich des nicht verjährten Betrages werde die Verwirkung eingewandt. Das Verhalten der Beklagten habe beim Kläger die berechtigte Erwartung erweckt, dass eine Beitragsforderung nicht bestehe. Seit fast 10 Jahren sei die Geltendmachung der Beitragsforderung unterblieben. Die Einzugsermächtigung sei ohne Mitteilung und Angabe von Gründen von der Beklagten nicht mehr genutzt worden. Damit habe der Kläger nicht rechnen können.

Mit Korrekturbescheid vom 16.05.2014 reduzierte die Beklagte die Beitragsforderung unter Berücksichtigung der Verjährungsfrist des § 25 Absatz 1 SGB IV. Sie fordert nunmehr für die Zeit vom 01.12.2009 bis zum 30.04.2014 Arbeitgeberanteile in Höhe von 16.648,96 Euro sowie Arbeitnehmeranteile in Höhe von 18.471,80 Euro, d. h. insgesamt 35.120,76 Euro vom Kläger nach.

Hiergegen erhob der Kläger am 03.06.2014 Widerspruch und beantragte zugleich die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.

Mit Schreiben vom 01. Juli 2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung habe.

Am 14.07.2014 beantragte der Kläger beim Sozialgericht Duisburg unter dem Aktenzeichen S 9 KR 511/14 ER die Aussetzung der Vollziehung des Beitragsbescheides vom 16.05.2014.

Dieser Antrag ist mit Beschluss vom 11.08.2014 im Verfahren S 9 KR 511/14 ER durch das Sozialgericht Duisburg zurückgewiesen worden. Der Beschluss ist rechtskräftig geworden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2014 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 09.04.2014 als unbegründet zurück, soweit ihm nicht bereits mit Bescheid vom 16.05.2014 abgeholfen wurde. Die noch offene Beitragsforderung für die Zeit vom 01.12.2009 bis zum 30.04.2014 in Höhe von 35.120,76 Euro sei nicht verwirkt. Die Beklagte habe dem Kläger gegenüber nicht aktiv zum Ausdruck gebracht, dass sein Arbeitsentgelt beitragsfrei sei, so dass kein Verwirkungstatbestand vorliege. Dem Kläger hätte im Laufe der vergangenen 10 Jahre anhand der Gehaltsbescheinigungen auffallen können und müssen, dass ihm die Arbeitgeberzuschüsse ausgezahlt wurden und der gesamte Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag von cirka 650,- Euro monatlich nicht an die Beklagte abgeführt wurde. Eine Mehrbelastung bedeute die Nacherhebung für den Kläger nicht, da nicht mehr verlangt würde, als bei fristgemäßer Entrichtung zu zahlen gewesen wäre.

Hiergegen hat der Kläger am 11.09.2014 Klage erhoben.

Zur Begründung beruft er sich weiterhin darauf, dass der Anspruch der Beklagten auf die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verwirkt sei.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Bescheid vom 09.04.2014 in Gestalt des Bescheides vom 16.05.2014 sowie den Widerspruchsbescheid vom 14.08.2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide im Hinblick auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid weiterhin für rechtmäßig.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Akte des SG Duisburg S 9 KR 511/14 ER Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Das Gericht konnte gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da der Sachverhalt geklärt und die Sache keine Schwierigkeit in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufweist. Die Beteiligten sind vorher angehört worden.

Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne von § 54 Absatz 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte hat zu Recht die nicht verjährten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 01.12.2009 bis zum 30.04.2014 in Höhe von insgesamt 35.120,76 Euro vom Kläger nacherhoben.

Nach § 250 Absatz 2 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) haben freiwillige Mitglieder den Beitrag zur Krankenversicherung allein zu tragen. Die Beiträge sind nach § 252 Satz 1 SGB V von demjenigen zu zahlen, der sie zu tragen hat. Dies gilt nach § 59 Absatz 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch 11. Buch (SGB XI) in Verbindung mit § 60 Absatz 1 Satz 1 SGB XI analog für die Beiträge zur Pflegeversicherung.

Der Kläger ist für den Zeitraum vom 01.12.2009 bis zum 30.04.2014, in welchem er keine Beiträge gezahlt hatte und die Beitragsforderung nicht verjährt ist, weiterhin beitragspflichtig.

Zwar hatte der Kläger bereits seit vielen Jahren der Beklagten eine Einzugsermächtigung erteilt und diese hatte die Beiträge bis einschließlich Juni 2004 auch abgebucht, dies ändert jedoch nichts an der Beitragspflicht für den hier noch streitigen Zeitraum vom 01.12.2009 bis zum 30.04.2014. Dem Kläger hätte auffallen müssen, dass innerhalb von 10 Jahren keine Beiträge mehr abgebucht wurden.

Auf den Einwand der Verwirkung kann sich der Kläger nicht berufen.

Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist im Sozialrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen anerkannt. Danach entfällt eine Leistungspflicht, wenn der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmtes Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG, Urteil vom 29.01.1997, 5 RJ 52/94). An das Verwirkungsverhalten des Berechtigten sind strenge Anforderungen zu stellen, weil dem Interesse des Beitragsschuldners, das Ausmaß der wirtschaftlichen Belastung durch Beitragsnachforderungen in angemessenen Grenzen zu halten, bereits durch die kurze Verjährungsfrist des § 25 Absatz 1 SGB IV hinreichend Rechnung getragen wird. Daher reicht das bloße "Nichtstun" als Verwirkungsverhalten regelmäßig nicht aus, es muss darüber hinaus ein konkretes Verhalten des Gläubigers hinzukommen, welches bei dem Schuldner die berechtigte Erwartung erweckt, dass eine Beitragsforderung nicht bestehe oder nicht geltend gemacht werde. Ein Unterlassen kann ein schutzwürdiges Vertrauen nur dann begründen und zur Verwirkung eines Rechts führen, wenn der Schuldner das Nichtstun des Gläubigers nach den Umständen als bewusst und planmäßig betrachten darf.

Der Kläger hätte anhand seiner Kontoauszüge erkennen können und müssen, dass über Jahre hinweg keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge an die Beklagte abgeführt wurden, obwohl seine Arbeitgeberin ihm einen entsprechenden Anteil zu seinem Gehalt gezahlt hat. Es bestand für den Kläger keine Veranlassung, davon auszugehen, dass die Beklagte keine Beiträge erheben werde. Falls ihm aufgrund der Höhe seines monatlichen Einkommens nicht aufgefallen sein sollte, dass die Beitragsentrichtung unterblieben ist, hat er diesen Umstand selbst zu verantworten. Es kann allerdings auch dahinstehen, ob der Kläger tatsächlich darauf vertraut hat, dass die Beklagte ihre Beitragsforderung nicht mehr geltend machen werde, da außerdem kein zu einer Verwirkung führendes Verhalten der Beklagten vorliegt. Die Beklagte hat es zwar unterlassen, vom Kläger die Beiträge einzuziehen, sie hat aber zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Kläger ausdrücklich bestätigt, dass keine Beitragsforderungen mehr bestehen. Die Leistungserbringung stellt insoweit kein konkludentes Handeln dar. Es fehlt also an einer zu der schlichten Untätigkeit hinzutretenden vorsätzlichen Verwirkungshandlung der Beklagten.

Die vorstehenden Ausführungen gelten für die Beiträge zur Pflegeversicherung des § 20 Absatz 3 in Verbindung mit 57 Absatz 4 Satz 1 SGB XI entsprechend.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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