L 6 VG 5252/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 VG 1448/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 5252/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 12. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Der 1958 geborene Kläger, der seit 1. März 1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhält, beantragte erstmals am 7. Dezember 1992 Leistungen nach dem OEG. Er gab an, ungefähr am 25. März 1992 von seinen Brüdern W. und J. in seiner Wohnung zusammengeschlagen worden zu sein. Er habe stationär im Krankenhaus R. behandelt werden müssen. Er leide noch immer an Schmerzen an verschiedenen Körperstellen und am Kopf. Er habe Strafanzeige gegen seine Brüder gestellt.

Das Versorgungsamt Freiburg, Außenstelle Radolfzell (VA), zog die Ermittlungsakten der Polizei bei (Strafanzeige vom 21. April 1992). In der Mitteilung des Polizeireviers R. an die Staatsanwaltschaft Konstanz vom 22. Mai 1992 heißt es u.a., der Kläger habe bei der Anzeigenerstattung recht verworrene Angaben gemacht, sich fortlaufend in Widersprüche verwickelt, speziell in Bezug auf den Ablauf des angezeigten Vorfalls. Im Gegensatz zu seiner Schadensmeldung gegenüber der AOK, die eingesehen worden sei, habe er der Polizei gegenüber nicht angegeben, mit einem Gegenstand geschlagen worden zu sein und auch nicht von beiden angeblichen Tätern gemeinsam. Der Kläger habe sich geweigert, ein ärztliches Attest beizubringen, das die behaupteten Verletzungen belegen könnte. In den beigezogenen Akten war weiter das ärztliche Attest zur Vorlage bei der Staatsanwaltschaft vom 30. Oktober 1992, Krankenhaus R., Dr. S ... Darin wurde bestätigt, dass sich der Kläger vom 8. bis 17. März 1992 in stationärer Behandlung in der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses befunden habe. Er habe angegeben, am 6. März 1992 mit seinem Bruder in eine Schlägerei verwickelt gewesen zu sein. Bei der Aufnahme am 8. März 1992 habe sich der Kläger in reduziertem Allgemeinzustand befunden. Äußerlich sei im Kopfbereich ein Monokelhämatom rechts feststellbar gewesen. Die rechte Stirnhöhle und die rechte Kieferhöhle seien deutlich klopfschmerzhaft gewesen. Äußerlich seien ansonsten bei der klinischen Untersuchung keine frischen Verletzungsspuren nachweisbar gewesen. In psychischer Hinsicht habe der Kläger bei der Aufnahme verwirrt gewirkt, er sei zeitlich, örtlich und zur Situation nur unscharf orientiert gewesen.

Im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung gab der Bruder des Klägers W. zu Protokoll, seinen Bruder nicht, auch nicht zusammen mit seinem Bruder J., geschlagen zu haben und auch nicht in dessen Wohnung gewesen zu sein. Er gehe davon aus, dass es sich bei der Anzeige um einen Racheakt handle, der auf eine Erbstreitigkeit zurückzuführen sei. Sein Bruder (der Kläger) sei psychisch krank, die Mutter und er hätten mittlerweile sogar Angst vor ihm. Er beantrage zu seiner Entlastung ein psychiatrisches Gutachten über den Kläger. J. M. (wohnhaft in L. bei G.) gab an, er fahre zwei- bis dreimal jährlich zu Besuch zu seiner Mutter. Ob er an dem fraglichen Wochenende überhaupt in R. gewesen sei, könne er nicht mehr sagen. Seinen Bruder habe er nicht geschlagen. Dieser sei aus seiner Sicht psychisch krank. Man habe ihn vor Jahren beim Rauschgiftschmuggel erwischt und für fünf Jahre inhaftiert. Aus dieser Zeit habe er psychische Schäden davon getragen.

Mit Verfügung vom 9. Februar 1993 stellte die Staatsanwaltschaft Konstanz das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) mangels Tatverdacht ein.

Mit Bescheid vom 20. April 1993 lehnte das VA den Antrag des Kläger nach dem OEG ab, da die angeschuldigte Tat nicht erwiesen sei.

Einen weiteren Antrag auf Gewährung von Entschädigung nach dem OEG stellte der Kläger am 8. Januar 1999 bei dem Versorgungsamt Köln und machte geltend, seine Behinderungen infolge der Gewalttat hätten sich verschlimmert. Als Tatzeit gab er die Jahre 1989 und 1992 und für die Jahre 1992 bis 1995 Psycho- und Seelenterror an. Als Tatverursacher gab er seine Mutter S. sowie die Brüder W. und J. an. Als Tatzeugen benannte er E. M. (L.), die Polizeibehörde R. sowie das Rauschgiftdezernat von K ... Auf die Nachfrage des VA vom 1. Februar 1999 nach dem genauen Tathergang und Zeitpunkt reagierte der Kläger nicht.

Mit Bescheid vom 14. April 1999 lehnte das VA daraufhin Leistungen nach dem OEG im Hinblick auf den bestandskräftigen Bescheid vom 20. April 1993 ab, im Übrigen mangels näherer Angaben zum erhobenen Tatvorwurf.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und gab an, wegen des "Totschlags" im Jahr 1992 sei ihm gegenüber nie ein Verfahren eröffnet worden. Er habe bis 1998 wegen der Tat unter Schock gestanden. Der erste Totschlag sei schon 1988 gewesen. Es könne sich beim Bescheid vom 14. April 1999 also nur um eine Verwechselung handeln.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1999 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Rücknahme des Bescheids vom 20. April 1993 nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) komme nicht in Betracht, da keine neuen Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen worden seien, die nicht schon früher bekannt gewesen seien. Auch mit dem neuen Antrag seien keine neuen Tatsachen vorgetragen worden, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.

Am 10. März 2005 gingen beim VA mehrere Fotokopien von Schreiben des Klägers ein, denen sinngemäß entnommen werden konnte, er habe schon zweimal Anzeige stellen müssen, ohne dass in seiner Sache eine Entscheidung getroffen worden sei. Seit 12 Jahren sei das der Fall und er beantrage eine gerichtliche Entscheidung.

Auf Nachfrage des VA stellte der Kläger am 18. April 2005 Formantrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung, in welchem er sinngemäß geltend machte, ca. 1985 in S. und ca. 2005 in "H. bis K." aufgrund eines Gehörmuscheltests Gesundheitsstörungen erlitten zu haben sowie im Jahr 1991 in R. einen Komaschlag. Als Schädiger wurden neben seinen Brüdern ein "J. L. (Untergrundagent)" angegeben.

Mit Bescheid vom 19. April 2005 lehnte das VA die Erteilung eines Rücknahmebescheids nach § 44 SGB X ab.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2005 zurückgewiesen wurde.

Dagegen erhob der Kläger am 15. Juni 2005 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG), ohne seinen Vortrag jedoch zu präzisieren. Durch Urteil vom 12. Oktober 2005 wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen für die Rücknahme der ablehnenden Bescheide vom 14. April 1999 und 20. April 1993 lägen nicht vor, da der Kläger keine neuen Tatsachen vorgebracht habe, aus denen sich das Vorliegen eines vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffs ableiten ließe. Das SG führte weiter aus, der vom Kläger behauptete Vorfall liege nunmehr 13 Jahre zurück, die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren gegen die angeblichen Täter eingestellt, weil sich ein Tatverdacht nicht habe bestätigen lassen. Dies erscheine auch dem Gericht nachvollziehbar. Die beschuldigten Brüder hätten die Tat geleugnet, auch im Polizeibericht vom 22. Mai 1992 gebe es Hinweise darauf, dass sich der Kläger ständig in Widersprüche verwickelt habe. Bedenken im Hinblick auf die behauptete Tat ergäben sich auch aus dem Bericht des Krankenhauses R ... Insbesondere wäre zu erwarten, dass sich, wenn sich die Tat wie vom Kläger ungefähr beschrieben, abgespielt hätte, äußerlich erheblich mehr und gravierendere Verletzungen hätten feststellen lassen müssen. Daher fehle es am Nachweis eines Angriffs im Sinne des OEG. Der Anregung des Klägers, seine Mutter zu vernehmen, da diese zur Tat angestiftet hätte, habe daher nicht nachgekommen werden müssen.

Gegen das am 26. Oktober 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9. November 2005 mehrere Seiten handschriftlicher Aufzeichnungen, teilweise auf dem ihm zugestellten Urteil des SG angebracht, vorgelegt, die als Berufung gegen das Urteil gewertet werden.

Der Kläger beantragt, sinngemäß gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 12. Oktober 2005 sowie den Bescheid vom 19. April 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juni 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Anerkennung des Ereignisses vom 6./7. März 1992 Leistungen nach dem OEG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet die angefochtenen Entscheidungen als zutreffend.

Der Senat hat den Beteiligten mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten haben, sich hierzu zu äußern und die Entscheidung einstimmig ergeht.

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Anspruch auf Entschädigung nach dem OEG besitzt, wer im Geltungsbereich des Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten und durch die Schädigung gesundheitliche oder wirtschaftliche Folgen zu tragen hat (§ 1 Abs. 1 OEG).

Wie das SG in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, sind keine neuen Tatsachen oder Erkenntnisse vom Kläger vorgebracht worden, die Anlass zu der Annahme geben könnten, die im Streit stehenden Entscheidungen seien unrichtig gewesen und dem Kläger infolge dessen Leistungen nach dem OEG zu Unrecht nicht erbracht worden. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat nach eigener Prüfung daher auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG).

Auch im Berufungsverfahren hat der Kläger nichts vorgebracht, was Anlass zu einer davon abweichenden Beurteilung geben könnte. Soweit der Kläger sinngemäß Einwände gegen Betreuungsstellen, von dort vorgenommene Abrechnungen oder Ähnliches vorbringt, weist der Senat nur ergänzend darauf hin, dass für diese Fragen nicht die Entscheidungszuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist.

Daher war die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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