L 10 U 5336/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 3354/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 5336/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit.

Der am 1946 geborene Kläger stammt aus Russland. In Deutschland war er vom 29. März 1982 bis 31. August 2002 bei der Firma HEB Hydraulik-Elementebau GmbH (Firma HEB) als Dreher beschäftigt. Am 3. September 2002 wies er die Süddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft, Rechtsvorgängerin der Beklagten, auf Bandscheibenvorfälle, Probleme der Wirbelsäule und der Hüfte hin und beantragte die Gewährung einer Verletztenrente wegen Vorliegens einer Berufskrankheit. Er gab an (Fragebogen vom 15. Oktober 2002), er habe Gegenstände zwischen 5 und 100 kg gehoben (15 - 20 kg 70 mal pro Schicht, 20 - 25 kg 100 mal pro Schicht, mehr als 25 kg 50 mal pro Schicht) und über mehr als 5 m getragen (10 - 15 Teile, manchmal 50 - 100 Teile am Tag, durchschnittlich 20 m) sowie in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet.

Nach einer Besichtigung des Arbeitsplatzes in Anwesenheit des Klägers kam der Präventionsdienst der Süddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft im Bericht vom 26. November 2002 zu der Einschätzung, dass in der Zeit von 1982 bis 1989 pro Schicht vier zu bearbeitende Teile von 15 bis 50 kg ca. 20 m getragen und ca. 12 mal pro Schicht Teile von mehr als 15 kg gehoben worden seien; schwere Teile seien mit mehreren Mitarbeitern bzw. mit einer Schubkarre transportiert worden. In der Zeit von 1989 bis 1998 (nach einem Umzug der Firma) seien maximal 42 Lastenmanipulationen von mehr als 15 kg pro Schicht vorgenommen worden. In der Zeit von 1998 bis 2002 habe der Kläger nur Teile bis maximal 10 kg bearbeitet. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung seien nicht vorgenommen und es seien keine Lasten auf den Schultern getragen worden. Die Mindestkriterien für die Gefährdung im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) seien nicht erfüllt.

Nach zustimmender Äußerungen des Gewerbearztes lehnte die Süddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft die Gewährung von Leistungen mit Bescheid vom 11. März 2003 und Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2003 ab, da keine Berufskrankheit nach Nr. 2108 oder Nr. 2109 der Anlage zur BKV vorliege.

Der Kläger hat hiergegen am 23. Oktober 2003 Klage bei dem Sozialgericht Freiburg erhoben, die mit Urteil vom 15. Oktober 2004 abgewiesen worden ist.

Gegen das ihm am 25. Oktober 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25. November 2004 Berufung eingelegt. Er ist der Ansicht, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 oder Nr. 2109 der Anlage zur BKV vorliegen, da er schwerer gearbeitet habe, als von der Beklagten angenommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Oktober 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 11. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2003 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 oder Nr. 2109 der Anlage zur BKV anzuerkennen und hierfür eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Auf Anforderung des Senats, die Belastungen konkret anzugeben, hat der Kläger auf seine Erklärung vom 15. Oktober 2002 verwiesen, deren Richtigkeit sich durch "Stempelkarten" oder "Lohnscheine", die bei der Firma HEB vorhanden seien, beweisen lasse.

Die Firma HEB hat auf Anfrage des Senats angegeben, in den Jahren 1982 bis 1989 seien Teile entsprechend dem Bericht vom 26. November 2002 bearbeitet worden; hin und wieder seien Teile von mehr als 15 kg gehoben worden. In den Jahren 1981 bis 1998 könne von 42 Lastenmanipulationen von mehr als 15 kg pro Schicht nur sporadisch ausgegangen werden; den Angaben des Klägers werde widersprochen. In der Zeit von 1998 bis 2002 seien dem Kläger nur Werkstücke bis zu 5 kg zugewiesen worden. "Stempelkarten" (seit 1994: Computerausdrucke) seien nicht mehr vorhanden.

Der Präventionsdienst der Beklagten hat daraufhin berechnet, dass auch bei Zugrundelegung der Angaben des Klägers der Richtwert für die Beurteilungsdosis von 5,5 kNh nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MDD) nicht erreicht werde. Hierzu wird auf die Berechnung auf Seiten 52 ff. der Akten des Senats Bezug genommen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Da die Beklagte jedwede Entschädigung ablehnt, weil kein Versicherungsfall eingetreten sei, kann der Kläger eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG erheben. Dies hat der Kläger bei sinnentsprechender Auslegung seines Vorbringens (BSG, Urteil vom 7. September 2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2) auch getan. Hinzu tritt (§ 56 SGG) die Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) auf Gewährung einer Verletztenrente.

Voraussetzungen für Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ist das Vorliegen eines Versicherungsfalles, hier in Form einer Berufskrankheit (§ 7 Abs. 1, § 9 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]) nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV (bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können). Eine Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) scheidet von vornherein aus, da der Kläger nicht langjährig Lasten auf der Schulter trug.

Der Senat kann sich nicht davon überzeugen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen (langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten; langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung) für eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV vorliegen. Daher kommt es auf die weiteren Voraussetzungen für eine solche Berufskrankheit, insbesondere das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung und die übrigen medizinischen Voraussetzungen nicht an.

Auf der Grundlage der Angaben des Klägers, soweit diese vom Präventionsdienst der Beklagten nach der Arbeitsplatzbesichtigung und den Angaben der Firma HEB als realistisch angesehen worden sind, ergibt sich in den Jahren 1982 bis 1989 lediglich eine tägliche Belastung von 2,1 kNh, danach von 1 kNh. Damit wird die nach dem MDD erforderliche Tagesbelastungsdosis von 5,5 kNh (s. BK-Report 2/03, S. 69) in keinem Jahr der Berufstätigkeit des Klägers erreicht, vielmehr deutlich verfehlt. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (Arbeiten in Arbeitsräumen niedriger als 100 cm; Arbeiten mit Beugung des Oberkörpers aus der aufrechten Haltung um mehr als 90°; s. BK-Report 2/03, S. 32) führte der Kläger nicht aus.

Wie das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 18. März 2003, B 2 U 13/02 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 1, ausgeführt hat, stellt das MDD ein geeignetes Instrumentarium dar, um zu bewerten, ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegen (vgl. dazu auch die Urteile des BSG vom 19. August 2003, B 2 U 1/02 R und vom 22. Juni 2004, B 2 U 22/03 R). Bei Belastungen, die lediglich weniger als die Hälfte des Tagesdosisgrenzwertes des MDD erreichen, besteht auch kein Anlass für die Einholung eines Sachverständigengutachtens (BSG, Urteil vom 18. März 2003, a.a.O.).

Soweit der Kläger höhere Belastungen angegeben hat, sind diese nicht nachgewiesen. Diese würden nach den ergänzenden Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten, die erforderliche Tagesbelastungsdosis von 5,5 kNh in der Zeit von 1982 bis 1998 (4,8 kNh) und in der Zeit danach (keine relevante Belastung) ebenfalls unterschreiten.

Der Kläger hat im Erörterungstermin keine weiteren Ermittlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Insbesondere hat er selbst eingeräumt, dass die von ihm zunächst benannten Zeugen zu den von ihm konkret gehobenen und getragenen Gewichten nichts sagen können. Daher sieht der Senat keinen Anlass, insoweit weitergehende Ermittlungen vorzunehmen. Das gilt auch für die Einsicht in "Stempelkarten" und "Lohnzettel", die nach den Angaben der Firma HEB nicht mehr vorhanden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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