L 10 R 5587/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 2237/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 5587/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. November 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am 1956 geborene Klägerin verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung und arbeitete in verschiedenen ungelernten Tätigkeiten, zuletzt in einer Wäscherei. Seit November 2002 ist sie nach Operation eines Angioleiomyoms (gutartiger Tumor neben der Harnröhre) arbeitsunfähig krank bzw. arbeitslos.

Auf den Antrag der Klägerin vom 20. Januar 2003 gewährte die Beklagte medizinische Rehabilitationsmaßnahmen in der Klinik St. G. H. (Aufenthalt 4. März bis 1. April 2003). Ihren Rentenantrag vom 7. April 2003 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Mai 2003 und Widerspruchsbescheid vom 6. August 2003 ab, da die Klägerin nicht erwerbsgemindert sei. Grundlage hierfür waren der Entlassungsbericht der Klinik St. G. (Leistungseinschätzung: Arbeitsunfähigkeit für Tätigkeit in der Wäscherei, leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten unter Vermeidung schweren Hebens und Tragens und unter Vermeidung häufigen Treppensteigens und Gehens zu unebener Erde vollschichtig möglich).

Die Klägerin hat hiergegen am 28. August 2003 Klage bei dem Sozialgericht Heilbronn erhoben.

Das Sozialgericht hat die behandelnden Ärzte - den Nervenarzt Dr. R. und den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. B. - als sachverständige Zeugen gehört. Die Klägerin hat ein Gutachten von Dr. G., Agentur für Arbeit S. H., vorgelegt (Untersuchung am 28. Juli 2004; insbesondere Gemütserkrankung und chronische Depression; auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht ausreichend leistungsfähig). Dr. W., niedergelassener Nervenarzt in H., hat ein Gutachten (Untersuchung am 15. Dezember 2004) erstattet. Danach liege vorübergehend (im Rahmen einer Trennungssituation) eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome vor, die Klägerin könne jedoch in ihrer letzten Tätigkeit sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig tätig sein. Dr. H., Orthopädisches Forschungsinstitut S., hat auf seinem Fachgebiet ein chronisches lumbales Schmerzsyndrom bei degenerativer Bandscheibenerkrankung L4/5, eine Arthrose des linken Hüftgelenks, eine beginnende Arthrose beider Kniegelenke und eine Versteifung des linken oberen Sprunggelenks festgestellt. In ihrer letzten Tätigkeit könne die Klägerin noch drei Stunden, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne sie acht Stunden täglich verrichten, ohne Heben und Tragen von Gewichten (5 kg, gelegentlich 8 bis 10 kg), ohne mehr als nur gelegentliche und kurzfristige Zwangshaltungen der Wirbelsäule, ohne Besteigen von Leitern und Gerüsten, ohne Arbeiten auf rutschigem Untergrund oder unebenem Gelände. Die Klägerin hat noch eine Stellungnahme ihren Gynäkologen Dr. K. vorgelegt, wonach sie weiterhin harninkontinent und die Aufnahme einer leichten Tätigkeit illusorisch sei.

Mit Urteil vom 23. November 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs. 1, 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]), da sie - was im Einzelnen dargestellt worden ist - nach den Gutachten von Dr. W. und Dr. H. noch in der Lage sei, leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten, auf den sie als ungelernte Arbeiterin verwiesen werden könne.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 8. Dezember 2005 zugestellte Urteil am 29. Dezember 2005 Berufung eingelegt. Sie verweist weiterhin auf ihre orthopädischen Beeinträchtigungen und legt hierzu ein Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. D. (ständige Schmerzen in den Kniegelenken) vor, sowie auf ihre nervenärztliche Erkrankung mit der Einschätzung von Dr. G ... Außerdem sei die Harninkontinenz nicht angemessen berücksichtigt worden.

Der Orthopäde Dr. B. hat als sachverständiger Zeuge erklärt, ein im Januar 2006 festgestellter Innenmeniskusschaden mit beginnender Kniegelenksarthrose führe - solange dieser nicht operiert sei - auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu Einschränkungen für knieende Tätigkeiten, auf unebenem Gelände, mit längerem Stehen oder Gehen. Auf Grund der festgestellten beginnende Hüftgelenksarthrose ergebe sich keine Einschränkung für allgemeine Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Der Gynäkologe Dr. S. hat mitgeteilt, die Klägerin leide an einer Stress- oder Belastungsinkontinenz, so dass sich unter Belastungen wie Husten oder Niesen ein Schwall Urin abgehe, typischerweise ohne vorherigen Harndrang. Ein TVT-Band (seit 2003 in Gebrauch) würde zu Schmerzen an der Anliegestelle und weiteren Reizungen der Blase führen. Dr. D. hat erklärt, dass er der Klägerin Inkontinenzvorlagen verordne.

Die Klägerin hat zuletzt zwei Berichte von Prof. Dr. R., Chefarzt der Inneren Medizin im Kreiskrankenhaus T., über ihren dortigen Aufenthalt vom 4. bis 11. Februar 2006 wegen rezidivierender thorakaler Schmerzen und Verdacht auf Myocarditis vorgelegt.

Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. November 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. August 2003 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere seien die Folgen der Harninkontinenz nicht zu hochgradig, dass dies einer Erwerbsfähigkeit grundsätzlich entgegenstehe. Sie stützt sich auf Stellungnahmen des Internisten Dr. M., sozialmedizinischer Dienst der Beklagten.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt, weil sie zumindest leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen noch vollschichtig ausüben kann und auch keinen besonderen Berufsschutz genießt. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Die ergänzenden Ermittlungen im Berufungsverfahren berechtigen zu keiner anderen Betrachtungsweise.

Auf orthopädischem Fachgebiet sind die von Dr. B. mitgeteilten beginnenden Arthrosen der Knie- und der Hüftgelenke schon von Dr. H. berücksichtigt worden. Der nunmehr neu diagnostizierte Innenmeniskusschaden ist nach der sachverständige Zeugenaussage von Dr. B. operabel und führt auch sonst zu keinen wesentlichen weitergehenden Einschränkungen für Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Der Betrachtung des Orthopäden kommt hier der höhere Beweiswert gegenüber der widersprechenden Einschätzung des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. D. zu.

Die Harninkontinenz führt höchstens zum Ausschluss von Tätigkeiten mit Publikumsverkehr, mit besonderem Stress oder bei denen die Klägerin längere Zeit nicht den Arbeitsplatz verlassen kann. Nach dem Reha-Entlassungsbericht der Klinik St. G. ist zwar die Harninkontinenz medikamentös oder durch sonstige ärztlichen Maßnahmen nicht beeinflussbar und es sind weiterhin Inkontinenzartikel notwendig. Die Klägerin gab in der Klinik St. G. an, acht bis zehn Vorlagen in 24 Stunden zu verwenden. Dies entspricht ihren Angaben bei Dr. H., wo die Klägerin angab, ihre Windeleinlagen zehnmal am Tag wechseln zu müssen. Belästigungen Dritter entstehen dadurch nicht, insbesondere kein Uringeruch. So war bei Dr. H. ein auffälliger Uringeruch, wie er nach seinen Ausführungen bei Patienten mit Harninkontinenz gelegentlich zu vermerken sei, jedenfalls nicht wahrnehmbar (s. auch BSG, Urteil vom 11. September 1991, 9a RVs 1/90; Urteil vom 9. August 1995, 9 RVs 3/95; Urteil vom 12. Februar 1997, 9 RVs 2/96, SozR 3-3870 § 4 Nr. 17, wonach einmal zu tragende Windelhosen existieren, die den Harn bis zu zwei Stunden ohne Geruchsbelästigung für andere Menschen aufnehmen). Nachdem die Klägerin schon seit Jahren Vorlagen verwendet, ist nicht einzusehen, warum diese oder aber die beschriebenen Windelhosen nicht auch an einem Arbeitsplatz getragen werden können, wo die Klägerin die Vorlagen in den üblichen Arbeitspausen wechseln kann. Das Tragen solcher Inkontinenzartikel verstößt jedenfalls nicht gegen Verfassungsrecht (BSG a.a.O.). Sonstige Einschränkungen durch diese Windeln bzw. die Harninkontinenz liegen nicht vor. In der Klinik St. G. absolvierte die Klägerin Wandern, Schwimmen, Wassertreten und erhielt Stangerbäder, nahm an der Wassergymnastik und dem Muskeltraining teil.

Auch aus den Berichten über den Aufenthalt der Klägerin im Kreiskrankenhaus T. ergeben sich keine neuen Gesichtspunkte. Festgestellt worden ist dort nur eine leichtgradige Einschränkung der Herzfunktion ohne weiteren Auffälligkeiten. Die Klägerin war in der Fahrradergometrie bis 100 Watt ohne pathologische Veränderungen belastbar. Wie Dr. M. kann der Senat hieraus keine Einschränkungen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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