L 6 SB 2064/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 83/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2064/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. April 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) sowie der Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), B (Notwendigkeit ständiger Begleitung) und H (Hilflosigkeit).

Der 1966 geborene Kläger beantragte am 8. Juni 2000 beim Beklagten die Feststellung von Behinderungen und die Ausstellung eines Ausweises. Als Gesundheitsstörungen gab er eine paranoide Psychose und eine Diazepam-Abhängigkeit an. Die Feststellung solle aus steuerlichen Gründen ab September 1997 erfolgen. Seinem Antrag fügte er das Attest der Ärztin für Innere Medizin Dr. H. vom 7. Oktober 1997 (vor vier Wochen Bänderriss im Bereich des linken Sprunggelenkes), die Bescheinigung des Orthopäden H. vom 29. April 1998 (zunehmende Belastungsschmerzen am linken Sprunggelenk), den Brief des Zentrums für Psychiatrie E. (ZfP) vom 25. Mai 2000 (Diagnosen: Paranoide Psychose, Diazepam-Abhängigkeit) sowie den Brief von Dr. S. vom 30. Mai 2000 (u. a. linkes Sprunggelenk stabil und ohne Schwellung, subjektiv auf Druck und beim Versuch der Mobilisation schmerzhaft) bei.

Der Beklagte holte bei dem Neurologen und Psychiater Dr. K. den Befundbericht vom 23. Juni 2000 ein und zog vom ZfP den Brief vom 16. Juni 2000 bei. Mit Bescheid vom 22. September 2000 stellte der Beklagte in Auswertung der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 15. September 2000 den GdB seit 1. Dezember 1998 mit 50 fest, wobei er als Gesundheitsstörungen eine seelische Krankheit und eine Abhängigkeitserkrankung berücksichtigte. Merkzeichen wurden keine festgestellt, da deren Voraussetzungen nicht vorlägen.

Im Widerspruchsverfahren wandte sich der Kläger gegen die Versagung der Merkzeichen G, B und H sowie die Nichtberücksichtigung seines Fußgelenkleidens. Er legte den Brief von Dr. B. vom 24. Mai 2001 (diskrete fibulare Bandinstabilität links, Hypomobilität linker Talus mit leichter Einschränkung des oberen Sprunggelenkes in der Extension) vor. Der Beklagte holte bei Dr. I. den Befundbericht vom 21. Dezember 2000 und bei Dr. G. den Befundbericht vom 10. April 2001 ein, zog den Entlassungsbericht der F.-H.-Klinik, Fachklinik für Psychiatrie und Neurologie, B., vom 4. August 1998 und vom Versorgungsamt Freiburg (VA) Unterlagen aus einem Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) bei. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2001 wies der Beklagte in Auswertung der vä Stellungnahme vom 24. August 2001 den Widerspruch zurück. Zwar sei zusätzlich eine Funktionsbehinderung des linken oberen Sprunggelenkes zu berücksichtigen (Einzel-GdB 10). Dies führe jedoch nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB.

Hiergegen erhob der Kläger am 8. Januar 2002 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG). Das SG holte beim Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin Dr. D. die sachverständige Zeugenauskunft vom 21. November 2002 (u. a. GdB für die psychische Erkrankung 70) und bei Dr. G. das neuropsychiatrische Gutachten vom 15. April 2003 ein. Dr. G. bewertete den GdB mit 50 und führte aus, die Voraussetzungen für die begehrten Merkzeichen lägen nicht vor.

Der Beklagte legte hierzu die vä Stellungnahme von Dr. K. vom 21. August 2003 vor und unterbreitete das Vergleichsangebot vom 25. August 2003, in dem er sich bereit erklärte, den GdB seit 1. November 2002 mit 70 zu bewerten.

Der Kläger lehnte das Vergleichsangebot ab und beantragte gleichzeitig, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, ein Sprunggelenksleiden als weitere Behinderung anzuerkennen, einen höheren GdB sowie die Merkzeichen G, H und B festzustellen, da er andernfalls dauernde finanzielle Nachteile habe.

Mit Beschluss vom 17. Februar 2004 lehnte das SG den Antrag ab. Der Kläger habe weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es sei ihm auch grundsätzlich zuzumuten, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Klägers wies der Senat mit Beschluss vom 24. August 2004 (L 6 SB 928/04 ER-B) zurück.

Mit Urteil vom 15. April 2005 änderte das SG den Bescheid vom 22. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Dezember 2001 ab, stellte bei dem Kläger den GdB mit 70 ab 1. November 2002 fest und wies im Übrigen die Klage ab.

Hiergegen hat der Kläger am 12. Mai 2005 Berufung eingelegt. In seinem Schreiben vom 11. Mai 2005 hat er ausgeführt, bei ihm lägen keine Abhängigkeitserkrankung, keine hirnorganischen Ausfälle, keine paranoide Psychose und keine Persönlichkeitsstörung vor. Er leide aber an einer Infektionskrankheit (Mykose), welche sich inzwischen verschlechtert habe. Hinsichtlich des Gutachtens von Dr. G. und der Behandlungsunterlagen des ZfP, der F.-H.-Klinik, von Dr. D., des Allgemeinmediziners Dr. G., des Kreiskrankenhauses T., der Klinik in H. und von Dr. K. sowie der vä Stellungnahme von Dr. K. bestehe ein Verwertungsverbot. Der Kläger hat mit Schreiben vom 16. November 2005 den Arztbrief des Hautarztes Dr. B. vom 22. April 2004 (Diagnose: Diskrete Ekzeme im Bereich der Leisten und des Perianalbereichs sowie im Bereich der Arme und Beine), den Laborbefund von Dr. G. vom 11. Juni 2003 ("reichlich Candida glabrata, mäßig Candida albicans") und einen Datenauszug des Hautarztes und Allergologen Dr. P. vorgelegt.

Der Kläger beantragt - sinngemäß gefasst -,

das Urteil des SG vom 15. April 2005 und den Bescheid vom 22. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2001 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, seinen GdB mit 100 sowie die Merkzeichen G, H und B festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Am 19. Dezember 2005 hat der Kläger beantragt, durch einstweilige Anordnung seinen GdB auf 100 festzusetzen und ihm die Merkzeichen G, B und H vorläufig zu bewilligen. Er hat ausgeführt, eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis habe sich bestätigt. Auch sei er pflegebedürftig. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus dem Gesetz. Ein Anordnungsgrund liege vor, weil er keine Geldmittel habe, um den öffentlichen Nahverkehr zu benutzen, auf den er dringend angewiesen sei. Er benötige die Merkzeichen auch für einen höheren Bezug von Sozialleistungen, auf welche er dringend angewiesen sei.

Mit Beschluss vom 2. Januar 2006 (L 6 SB 5421/05 ER) hat der Senat diesen Antrag abgelehnt. Weder hinsichtlich des geltend gemachten höheren GdB noch hinsichtlich der geltend gemachten Merkzeichen bestehe ein Anordnungsanspruch, da es unwahrscheinlich sei, dass bei dem Kläger ein höherer GdB als 70 vorliege und dass er Anspruch auf die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche G, B und H habe.

Der Senat hat den Beteiligten am 8. März 2006 mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, die Beteiligten Gelegenheit erhalten haben, sich hierzu zu äußern und die Entscheidung einstimmig ergeht.

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 70.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind seit 1. Juli 2001 die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63 und 68 SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046).

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.

Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind daher im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB. Die AP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AP, 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AP, 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AP, 19 Abs. 4, S. 26).

Unter Berücksichtigung dieser Einzel-GdB-Werte kommt nach Überzeugung des Senats kein höherer Gesamt-GdB als 70 in Betracht.

Auf nervenheilkundlichem Fachgebiet leidet der Kläger an einem paranoid anhaltenden Wahnsystem und einer schweren aggressiven enthemmten Persönlichkeitsstörung. Dies hat Dr. G. in seinem Gutachten vom 15. April 2003 für den Senat nachvollziehbar dargelegt. Für die paranoide Psychose hat Dr. G. den Teil-GdB auf 50 eingeschätzt. Diese Einschätzung ist für den Senat nachvollziehbar. Denn nach den AP ist für eine langdauernde (über ein halbes Jahr anhaltende) Psychose im floriden Stadium je nach Einbuße beruflicher und sozialer Anpassungsmöglichkeiten ein GdB von 50 bis 100 anzusetzen (AP, Abschnitt 26.3, Seite 47). Für die von ihm als Anpassungsstörung mit mittelgradiger Ausprägung beurteilte Persönlichkeitsstörung hat Dr. G. ebenfalls einen GdB von 50 berücksichtigt. Auch dies leuchtet dem Senat ein. Denn nach den AP ist für schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten ein GdB von 50 bis 70 anzusetzen (AP, Abschnitt 26.3, Seite 48). Hieraus und in Anlehnung an die sachverständige Zeugenauskunft von Dr. D. vom 21. November 2002 hat Dr. K. in seiner vä Stellungnahme vom 21. August 2003 den GdB zutreffend mit 70 bewertet. Anhaltspunkte, von einem höheren GdB für die psychiatrische Erkrankung des Klägers auszugehen, hat der Senat nicht.

Auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet liegt beim Kläger eine Funktionsbehinderung des linken oberen Sprunggelenkes vor, welche in der vä Stellungnahme vom 29. November 2001 unter Berücksichtigung der Atteste von Dr. B. vom 24. Mai 2001, Dr. S. vom 30. Mai 2000 und der Orthopädin H. vom 29. April 1998 zutreffend mit einem Teil-GdB von 10 bewertet wurde.

Weitere GdB-relevante Erkrankungen liegen beim Kläger nicht vor. Es ist für den Senat nicht ersichtlich, dass von der vom ZfS im Arztbrief vom 16. Juni 2000 beschriebenen Benzodiazepin-Abhängigkeit Funktionsstörungen ausgehen. Dasselbe gilt für die von Dr. B. in seinem Arztbrief vom 22. April 2004 diagnostizierten diskreten Ekzeme im Bereich der Leisten und im Perianalbereich sowie im Bereich der Arme und Beine sowie für die von Dr. G. in seinem Laborbefund vom 11. Juni 2003 beschriebene Candida glabrata und Candida albicans.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G.

Nach § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer in Folge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Auch bei der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vorliegt, orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den AP niedergelegt sind.

Als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zurückgelegt werden, gelten solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten (BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987 - 9a RVs 11/87 - SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2). Nach den AP kann eine derartige Einschränkung des Gehvermögens angenommen werden, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen (AP, 30 Abs. 3 Satz 1, S. 137). Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einem GdB von unter 50 auch gegeben sein, wenn sich diese Behinderungen an den unteren Gliedmaßen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B bei einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (AP, 30 Abs. 3 Satz 2, S. 138). Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 (AP, 30 Abs. 3 Satz 3, S. 138 i. V. m. AP 26.9 S. 71) und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades (AP, 30 Abs. 3 Satz 3, S. 138 i. V. m. AP 26.8 S. 68) anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen (AP, 30 Abs. 3 Satz 4, S. 138 i. V. m. AP 26.8 S. 89).

Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, sind nach den AP bei allen Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70, bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen. Bei Hörbehinderungen ist die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr - Beendigung der Gehörlosenschule) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt (AP, 30 Abs. 5 Satz 1, S. 138).

Bei geistig Behinderten sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn sich die Behinderten im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht (AP, 30 Abs. 5 Satz 2, S. 138).

Beim Kläger liegen keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule vor, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Auch sind keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von sich auf die unteren Gliedmaßen des Klägers auswirkenden Behinderungen gegeben. Für die Gehfähigkeit relevante Herzschäden oder Atembehinderungen liegen ebenfalls nicht vor. Auch eine Taubheit oder eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit ist nicht gegeben. Abgesehen davon fehlt es auch an der erforderlichen Kombination mit einer erheblichen Störung der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung). Auch liegen beim Kläger weder geistige Behinderungen mit einem GdB von mindestens 80 vor, noch ist ein besonders gelagerter Einzelfall gegeben. Insoweit folgt der Senat dem Gutachten von Dr. G., der die Voraussetzungen einer erheblichen Einschränkung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr aus zutreffenden Gründen verneint hat. Soweit der Kläger im Berufungsverfahren vorträgt, mit einer Infektion könne man überhaupt nicht laufen, sondern er liege im Bett, kann ihm der Senat hierin nicht folgen. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 2. Januar 2006 (L 6 SB 5421/05 ER) bereits ausgeführt, hinsichtlich einer Mykose gelte dies jedenfalls nicht, wobei dahingestellt bleiben könne, ob es sich um eine Infektionskrankheit oder vielmehr um eine Pilzerkrankung handele. Der Senat sah und sieht ferner keinen Anhalt dafür, dass die von Dr. Berthold diagnostizierten diskreten Ekzeme im Bereich der Leisten und im Perianalbereich sowie im Bereich der Beine das Gehvermögen beeinträchtigen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs H.

Der Nachteilsausgleich H ist im Schwerbehindertenausweis einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33 b Einkommenssteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 der aufgrund von § 70 SGB IX ergangenen Schwerbehindertenausweisverordnung [SchwbAwV]).

Gemäß § 33 b Abs. 6 Satz 2 EStG ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist. Bei den gemäß § 33 b Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der so genannten Grundpflege zusammengefasst. Hinzu kommen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistige Anregungen und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen). Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen. Die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen. Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem behinderten Menschen nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. In der Regel wird dabei auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein (vergleiche zum Ganzen BSG, Urteile vom 12. Februar 2003 - B 9 SB 4/01 R und B 9 SB 1/02 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 1 m. w. N.). Insoweit ist es sachgerecht, die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen. Nicht hilflos ist, wer nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist (BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSGE 67, 204 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 1; BSG, Urteil vom 8. März 1995 - 9 RVs 5/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 12). Darüber hinaus ist ein täglicher Zeitaufwand grundsätzlich nur dann als erheblich anzusehen, wenn dieser ohne den Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen mindestens zwei Stunden erreicht (BSG, Urteile vom 12. Februar 2003 - B 9 SB 4/01 R und B 9 SB 1/02 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 1). Allerdings sollen auch die weiteren Umstände der Hilfeleistung, insbesondere deren wirtschaftlicher Wert, Bedeutung haben, weshalb Hilflosigkeit bereits bei einem täglichen Zeitaufwand für fremde Hilfe zwischen einer und zwei Stunden gegeben sein kann, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege (wegen der Zahl der Verrichtungen bzw. ungünstiger zeitlicher Verteilung der Hilfeleistungen) besonders hoch ist.

In seinem Beschluss vom 24. August 2004 (L 6 SB 928/04 ER-B) hat der Senat bereits ausführlich dargelegt, dass weder nach dem Gutachten von Dr. G. noch nach den sonstigen vorliegenden ärztlichen Unterlagen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei dem Kläger Hilflosigkeit im Sinne des § 33 b EStG vorliegt, so dass auch das Merkzeichen H nicht festzustellen ist.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleich B.

Für die unendgeltliche Beförderung einer Begleitperson nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX ist i.V.m. § 146 Abs. 2 SGB IX die Notwendigkeit ständiger Begleitung zu beurteilen. Ständige Begleitung ist bei schwerbehinderten Menschen (bei denen die Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche G oder H vorliegen) notwendig, die infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder Andere bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dementsprechend ist zu beachten, ob bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels notwendig ist oder bereit sein muss oder Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (z. B. bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) erforderlich sind. Die Notwendigkeit ständiger Begleitung ist anzunehmen bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern, Blinden sowie Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme des Nachteilsausgleichs G gerechtfertigt ist (AP, Abschnitt 32, Seite 140).

Da weder die Voraussetzungen für das Merkzeichen H noch für das Merkzeichen G vorliegen, kommt auch die Feststellung des Nachteilsausgleichs B nicht in Betracht. Auch hierauf hat der Senat bereits in seinen Beschlüssen vom 24. August 2004 (L 6 SB 928/04 ER-B) und 2. Januar 2006 (L 6 SB 5421/05 ER) hingewiesen.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Rechtskraft
Aus
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