L 5 KR 5296/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 1674/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 5296/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufungen der Beklagten gegen die Urteile des Sozialgerichts Ulm vom 9. November 2004 werden zurückgewiesen.

Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten auch der Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob den Klägern von der Beklagten jeweils ein Behindertendreirad als Hilfsmittel zu gewähren ist.

Die 1965 geborenen Kläger sind Zwillingsbrüder und leiden beide an einer frühkindlichen Hirnschädigung mit zerebralem Residualsyndrom und begleitender Tetraspastik mit Ataxie.

Mit Schreiben vom 26. Januar 2004 (Eingang bei der Beklagten am 30. Januar 2004) beantragte der Vater und amtlich bestellte Betreuer der Kläger unter Vorlage der Betreuungsurkunde und eines Attestes des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. M. vom 19. Januar 2004 die Gewährung eines neuen Dreirads für jeden der beiden Zwillingsbrüder. Nach über 18 Jahren sei es dringend erforderlich und notwendig, die damals angeschafften Jugenddreiräder, die von der Beklagten bezuschusst worden seien, durch neue, angepasste Dreiräder zu ersetzen. An den Jugenddreirädern seien vielfache Reparaturen an Achsen, Felgen, Rahmen und Lenker notwendig geworden. Wegen der Größe und des Gewichts der Söhne sei keine Sicherheit mehr gewährleistet. Die Anschaffung sei auch gerechtfertigt. Er sei mit seinen Söhnen das Jahr über sehr viel mit den Fahrrädern unterwegs. Soweit er wisse, kosteten die Räder ohne besondere Sonderausstattung cirka 1.350 EUR plus Mehrwertsteuer (siehe Kostenvoranschlag Blatt 9b der SG-Akte für Haverich-Dreirad 24" Seite 11 des in der SG-Akte befindlichen Prospektes "Haverich 2000") Dr. M. hat in dem noch vorgelegten Attest darauf verwiesen, es sei durch jahrelange und regelmäßige Übungen den Klägern gelungen, ihren Gleichgewichtssinn soweit zu stabilisieren, dass eine Gehfähigkeit ohne Hilfsmittel erreicht werden konnte. Mit Unterstützung des Vaters sei Radfahren auf einem Dreirad erlernt worden, welches aus ärztlicher Sicht zur Koordinationsstabilisierung beitrage. Zur Erhaltung der Bewegungsfähigkeit und Stärkung der Muskulatur sowie zum Mithelfen einer ausgeglichenen Stimmungslage sei es aus ärztlicher Sicht für die Kläger von sehr großem Nutzen und deshalb erforderlich, ein neues Dreirad zu bekommen.

Mit Bescheid vom 3. Februar 2004 (Bl. 14 der Verwaltungsakte - VA -) lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die Dreiräder ab. Zur Begründung führte sie aus, das Dreirad komme für Jugendliche und Erwachsene als Hilfsmittel nicht in Betracht, weil es primär der Fortbewegung diene. Die eingeschränkte Eigenmobilität reiche nicht aus.

Hiergegen erhoben beide Kläger durch ihren Vater Widerspruch mit der Begründung, sie hätten zunächst nicht um eine volle Kostenübernahme, sondern eine angemessene Unterstützung gebeten. Im Übrigen sei Tatsache, dass die Behindertendreiräder ein Hilfsmittel auch bei hundertprozentiger Behinderung bei Menschen seien, die damit auch sich in freier Natur fortbewegen könnten, wie ihre gesunden Mitmenschen auch, und das auch ohne fremde Hilfe. Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2004 (Bl. 25 VA) wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung noch aus, nach den vorliegenden ärztlichen Attesten würden die Kläger an einer frühkindlichen Hirnschädigung mit entsprechenden Ausfallserscheinungen leiden. Aus Sicht des Arztes werde hier eine Versorgung mit Dreirädern aus den Gründen, wie sie für Kinder und Jugendliche anerkannt seien, für notwendig erachtet. Bei Erwachsenen seien die Entwicklungsprozesse aber bereits abgeschlossen und könnten durch Therapiedreiräder nicht mehr verändert werden. Bestehenden Defiziten könne mit Krankengymnastik und gegebenenfalls mit Ergotherapie begegnet werden. Soziale Kontakte seien darüber hinaus durch die Tätigkeit der Zwillingsbrüder in der beschützenden Werkstatt der Lebenshilfe sichergestellt. Die Dreiräder würden damit lediglich der Fortbewegung dienen und seien damit keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Daher könnten dafür weder die Kosten noch ein Zuschuss zu den Kosten übernommen werden.

Dagegen haben die Kläger durch ihren Vater am 15. Juni 2004 Klage vor dem Sozialgericht Ulm (SG) erhoben, die dort getrennt unter den Aktenzeichen S 1 KR 1674/04 und S 1 KR 1675/04 geführt wurden. Die Kläger haben zur Begründung u. a. ausgeführt, sie fragten sich, warum das Behindertendreirad für sie bei ihrer hundertprozentigen Behinderung kein Hilfsmittel mehr sein solle. Womit sollten sie sich nach der Arbeit in der Freizeit fortbewegen, die Gesundheit erhalten, die Beweglichkeit kräftigen und die Gleichgewichtsreaktion. Sie hätten, auch wenn sie in einer beschützenden Werkstatt untergebracht seien, Anspruch auf soziale Kontakte in der Umwelt mit anderen gesunden Menschen, dies gelinge mit dem Dreirad in der Freizeit. Es sei zwar richtig, dass der Entwicklungsprozess abgeschlossen sei, für Behinderte stehe der Erhaltungsprozess im Hinblick auf Gesundheit und die körperlichen und geistigen Kräfte im Vordergrund, was noch lange nicht abgeschlossen sein müsse. Das Leben der behinderten Menschen sei sowieso stark eingeschränkt, weshalb an dem erhobenen Anspruch festgehalten werde.

Mit Urteilen vom 9. November 2004 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 26. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2004 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Klägern jeweils ein Behindertendreirad (3-Gang-Schaltung und Rücktrittbremse) zur Verfügung zu stellen. Es hat hierbei die Auffassung vertreten, dass jeder der Kläger einen Anspruch habe, von der Beklagten mit einem Behindertendreirad in der Grundausstattung (3-Gang-Schaltung und Rücktrittbremse) versorgt zu werden. Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) hätten Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich seien, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen seien. Nach allgemeiner Meinung in Literatur und Rechtsprechung sei das Hilfsmittel erforderlich, das zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt werde, zu denen auch ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum zu rechnen sei, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasse. Das Behindertendreirad sei - wie schon der Name sage - kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Es sei für Behinderte konstruiert und werde von Behinderten benutzt. Das SG halte es in diesem Fall für unerheblich, dass das Behindertendreirad für Erwachsene nach den Vorgaben, an denen sich die Beklagte zu halten habe, von der Leistungspflicht ausgeschlossen sei. Das Behindertendreirad sei für die Kläger erforderlich, weil sein Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen eines allgemeinen Grundbedürfnisses, nämlich der Gewährleistung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasse, benötigt werde. Der Gesetzgeber habe durch die Verwendung der Worte "im Einzelfall erforderlich sind" die konkrete Situation des Versicherten in seinem Lebensumfeld zu berücksichtigen versucht. Diese konkrete Situation stelle sich bei den Klägern so dar, dass sie schon immer ein Dreirad benutzen mussten und konnten, das aber nun nach nahezu 20 Jahren nicht mehr benutzt werden könne. Die Mobilitätsmöglichkeit der Kläger sei so eng mit einem Dreirad verbunden, dass ersichtlich keine andere Bewegung im Freien möglich sei. Der behandelnde Arzt Dr. M. beschreibe in seinem Attest, dass bei beiden Klägern ein zerebrales Residualsyndrom und begleitender Tetraspastik mit Ataxie vorliege. Dies bedeute, dass ein normales Gehen in dem Gelände, in dem die Kläger lebten, was nämlich durch eine hügelige Landschaft gekennzeichnet sei, ausfalle. Die Kläger hätten es aber gelernt, sich in dieser Landschaft bergauf und bergab mit einem Dreirad zu bewegen. Er sei, wie sein Vater beschreibe, einem Kind in vielerlei Hinsicht gleichzustellen, Kinder aber hätten ein besonderes Mobilitätsbedürfnis, was einem Grundbedürfnis entspräche. Dieses Mobilitätsbedürfnis befriedigten die Kläger jeweils zusammen mit dem Zwillingsbruder und in der Regel auch mit dem Vater. Sie könnten mit dem Dreirad Strecken zurücklegen, die sie zu Fuß nicht zurücklegen könnten, sie könnten mit dem Dreirad Geländeveränderungen abfangen, was ihnen zu Fuß wegen der Ataxie nicht möglich sei. Daneben liege auf der Hand, dass die Bewegung auf dem Fahrrad unbestreitbar therapeutischen Nutzen für die Kläger habe. Mit der Nutzung des Dreirads eröffne sich den Klägern ein Freiraum mit Entfernungen, wie sie ein Gesunder im ländlichen Raum auch zu Fuß zurücklegen könnte. Die Versorgung der Kläger mit dem Behindertendreirad in der Grundausstattung widerspreche auch nicht dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Sicherheitsbedenken bestünden ebenfalls nicht. Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 SGB V lägen nicht vor. Insgesamt sehe das SG im Hinblick darauf, dass die Kläger mental einem Kind vergleichbar seien, einen GdB von 100 hätten und bei ihnen die Voraussetzungen für die Anerkennung der Merkzeichen "B" und "G" vorliegen würden, eine Situation, die der Entscheidung des BSG vom 16. April 1998 (B 3 KR 9/97 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 27) entspreche und schließe sich dieser Entscheidung für den Fall der Kläger an.

Die Beklagte hat gegen die ihr mit Empfangsbekenntnis am 19. November 2004 zugestellte Urteile am 23. November 2004 jeweils Berufung eingelegt, die der Senat zunächst unter den Aktenzeichen L 5 KR 5296/04 und L 5 KR 5297 /04 geführt und die er mit Beschluss vom 16. Februar 2002 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen L 5 KR 5296/04 verbunden hat. Zur Begründung ihrer Berufungen macht die Beklagte geltend, die Entscheidung des SG entspräche nicht der bisherigen Rechtsprechung des BSG (mit Hinweis auf Urteil vom 23. Juli 2002 - B 3 KR 3/02 R), wonach Radfahren im Regelfall nicht zu den körperlichen Grundfunktionen und auch nicht zu den Grundbedürfnissen gehöre, für deren Sicherstellung die gesetzliche Krankenversicherung sorgen müsste. Entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts Ulm liege eine Ausnahme, wie sie das BSG bei behinderten Kindern für zulässig anerkannt habe, wenn dadurch die Integration des Kindes in seiner jugendlichen Entwicklungsphase gefördert werde, nicht vor. Aus Sicht der Beklagten stehe die Entscheidung des SG somit im Widerspruch zu der bislang ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Weiter trägt die Beklagte noch vor, der Leistungsanspruch des Versicherten umfasse nicht solche Hilfsmittel, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen seien. Die gesetzliche Krankenversicherung sei grundsätzlich nur für die medizinische Rehabilitation zuständig, dies bedeute, es würden nur solche Mittel erfasst, die die Bekämpfung von Krankheiten und die Milderung ihrer Folgen zum Ziel hätten. Die Rechtsprechung habe insoweit auf das Merkmal der "Grundbedürfnisse" abgestellt. Zu diesen Grundbedürfnissen gehörten die Fähigkeiten des "Gehens", "Laufens" und "Stehens". Soweit hieraus allerdings die Schlussfolgerung gezogen werde, dass die Kläger ihr Grundbedürfnis nach elementarer Bewegungsfreiheit wegen einer spezifischen Behinderung nicht wie ein Gesunder durch Gehen und Laufen und Stehen befriedigen könnten, müssten Bedenken geltend gemacht werden. In der ärztlichen Stellungnahme vom 19. Januar 2004 werde sowohl für die Kläger bestätigt, dass eine Gehfähigkeit ohne Hilfsmittel bestehe. Darüber hinaus habe der Vater der Zwillinge in einer Stellungnahme vom 26. Januar 2004 den Leistungsantrag damit begründet, dass die Dreiräder für gemeinsame Touren des Vaters mit seinen Söhnen genutzt würden und insbesondere auch im Urlaub zum Einsatz kommen sollten. Es sei deshalb die Betroffenheit in einem Grundbedürfnis zu hinterfragen. Das BSG habe in seiner Entscheidung vom 23. Juli 2002 darauf abgestellt, dass das Fahrradfahren allgemein nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung falle. Bequemere Fortbewegungsmittel (wie auch das Autofahren, siehe BSG-Urteil vom 16. September 2004 - B 3 KR 15/04 R -) beträfen nicht die grundlegenden Organfunktionen wie "Gehen" oder "Stehen" und gehörten damit nicht mehr zum Grundbedürfnis. Die Möglichkeit, Wegstrecken jeder Art und Länge zurückzulegen, gehe über den Basisausgleich hinaus, für den die gesetzliche Krankenversicherung zuständig sei (Hinweis auf BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 31: Rollstuhlbike, und Urteil des BSG vom 21. November 2002 - B 3 KR 8/02 R bzw. vom 26. März 2003 - B 3 KR 26/02 R -: Therapietandem; und Hinweis auch auf Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 24. August 2004 - L 11 KR 72/04 -). Die hier streitgegenständlichen Dreiräder seien nach dem Schreiben des Vaters vom 26. Januar 2004 auch Räder ohne besondere Sonderausstattung. Insoweit sei die Bezeichnung "Behindertendreirad" irreführend und ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ebenfalls nicht von vornherein auszuschließen. Die Spitzenverbände der Krankenkassen hätten in ihrem gemeinsamen Rundschreiben vom 15. Januar 2004 zur Hilfsmittelversorgung im Untertitel III.3 zur Erfüllung der elementaren Grundbedürfnisse eine ausführliche Bewertung unter Einbeziehung verschiedener BSG-Urteile vorgenommen. U. a. werde im Rundschreiben ausgeführt:

"Die gesetzliche Krankenversicherung ist nicht dafür zuständig, Nachteile im privaten, gesellschaftlichen oder beruflichen Bereich auszugleichen. Zum Grund- bedürfnis gehbehinderter Menschen auf Erschließung bzw. Sicherung eines ge- wissen körperlichen Freiraums zählt laut ständiger höchstrichterlicher Recht- sprechung nicht das Zurücklegen längerer Wegstrecken vergleichbar einem Rad- fahrer, Jogger oder Wanderer. Das allgemeine Grundbedürfnis, selbständig zu gehen, kann nämlich nicht dahingehend verstanden werden, dass die Krankenkasse einen behinderten Menschen durch die Bereitstellung von Hilfsmitteln in die Lage versetzen muss, Wegstrecken jeder Art und Länge zurückzulegen, die ein nicht be- hinderter Mensch beim normalen Gehen zu Fuß bewältigen kann. Auch ist zu be- rücksichtigen, dass die gesetzliche Krankenversicherung bei dem Verlust der Geh- fähigkeit nur für einen Basisausgleich zu sorgen hat. Zu den insoweit maßgeblichen vitalen Lebensbedürfnissen im Bereich des Gehens gehört jedoch nur die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang üblicherweise im Nahbereich der Wohnung Stellen zu erreichen, an denen die Alltagsverrichtungen zu erledigen sind. Eventuelle Beson- derheiten der Wohnlage können für die Hilfsmitteleigenschaft gleichfalls nicht maßgebend sein ..."

Aufgrund der ärztlichen Stellungnahme und der Argumentation des Vaters sei die Annahme, es gehe im vorliegenden Fall nicht darum, einen größeren Radius als ein Fußgänger zu bewerkstelligen, in Frage zu stellen.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Ulm vom 9. November 2004 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufungen der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kläger halten die Entscheidung des SG für zutreffend und führen ergänzend aus, das SG verweise zu Recht darauf, dass die Gerichte zum einen über Einzelfälle zu entscheiden hätten und zum anderen, ob die Hilfsmittelversorgung im konkreten Einzelfall erforderlich sei. Dem sei das SG in vollem Umfange nachgekommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Auszüge aus der beigezogenen Schwerbehindertenakte des Klägers H. B. und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund nach § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegt nicht vor. Der Beschwerdewert von 500 EUR ist überschritten. Im Streit steht die Kostenerstattung für zwei Behindertendreiräder in einer Größenordnung von jeweils ca. 1.350 EUR.

II.

Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Beklagte zur Versorgung der Kläger mit dem von ihnen begehrten Dreirädern verurteilt. Jeder der Kläger hat Anspruch auf Versorgung mit einem Dreirad.

Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst gemäß § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB V auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch.

Gemäß § 34 Abs. 4 Satz 1 SGB V kann das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Heil- und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die Krankenkasse nicht übernimmt.

Bei dem hier streitigen Dreirad "Haverich-Dreirad 24" handelt es sich, entgegen der Auffassung der Berufungsklägerin, gerade nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Das streitige Dreirad ist von einer Spezialfirma speziell für die Bedürfnisse behinderter Menschen konstruiert worden und kann in der Praxis auch nur von Behinderten eingesetzt werden (siehe hierzu BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 33 und Nr. 46; sie auch Seite 11 im Prospekt "Haverich 2000" in der SG-Akte). Für Nichtbehinderte, die das Gleichgewicht halten können, ist dieses Rad viel zu teuer, zu schwer zu steuern, für unebenes Gelände nicht gut einsetzbar und für höherer Geschwindigkeiten nicht geeignet.

Zur Versorgung mit Hilfsmitteln hat das BSG hat in ständiger Rechtsprechung deutlich gemacht, dass der gesetzlichen Krankenversicherung allein die medizinische Rehabilitation obliegt, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben zu führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 46). Eine darüber hinausgehende berufliche und soziale Rehabilitation, die auch die Versorgung mit einem Hilfsmittel umfassen kann, ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (vgl. hierzu im Einzelnen BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 32; SozR 3-2500 § 33 Nr. 46). Hieran hat sich auch durch die Einführung des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) nichts geändert. Die Förderung der Selbstbestimmung des behinderten Menschen und seiner gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch Versorgung mit Hilfsmitteln fällt danach nur dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/Gesellschaft/Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben ("allgemein") beseitigt oder mildert und damit ein "Grundbedürfnis des täglichen Lebens" betrifft (siehe BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 29; SozR 3-2500 § 33 Nr. 5, Nr. 27 und Nr. 32 sowie zuvor bereits: SozR 2200 § 182 b Nr. 12, 30, 34, 37 jeweils mit weiteren Nachweisen). Nach der ständigen Rechtsprechung gehören zu derartigen Grundbedürfnissen die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, das ständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, die auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissens) umfassen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 46 mit Hinweis auf BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 29 mit weiteren Nachweisen). Das BSG sieht auch die elementare "Bewegungsfreiheit" als Grundbedürfnis an (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 7 - Rollstuhlboy -). Dieses Grundbedürfnis wird bei Gesunden durch die Fähigkeit des Gehens, Laufens, Stehens etc. sichergestellt. Ist diese Fähigkeit durch eine Behinderung beeinträchtigt, so richtet sich die Notwendigkeit eines Hilfsmittels in erster Linie danach, ob dadurch der Bewegungsradius in diesem Umfang erweitert wird, den ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß erreicht. Dient ein behindertengerechtes Fahrzeug nur dem Zweck, einen größeren Radius als ein Fußgänger zu erreichen, so ist es im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB V nicht notwendig (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 46). Nur wenn durch das Fahrzeug ein weitergehendes Grundbedürfnis gedeckt wird, kann es ein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung sein.

Die Ermöglichung allein des Fahrradfahrens für einen behinderten Menschen, der ein handelsübliches Fahrrad nicht benutzen kann, fällt somit nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Würde der Senat nur der Argumentation des Vaters folgen, der im Urlaub mit den Söhnen gemeinsame Ausflüge mit den Rädern machen will, müsste eine Leistungspflicht der Beklagten verneint werden. Denn diese Ausflüge mit den Fahrrädern gehen über die Absicherung eines Grundbedürfnisses hinaus.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung einen Augenschein vom Gehvermögen der Kläger eingenommen, indem er die Kläger beim Gehen auf dem ebenen Gerichtsflur beobachtet hat. Das Gehvermögen der Kläger hat sich dabei als außerordentlich eingeschränkt erwiesen. Bereits auf der völlig ebenen Fläche des Gerichtsflurs erwiesen sich die Kläger als sehr gangunsicher, blieben mit den Schuhsohlen am Boden hängen und waren in der Gefahr zu stolpern. Die Aussage des begleitenden Sozialarbeiters, die Kläger könnten auf dem Weg zur Behindertenwerkstatt nur untergehakt gehen, um nicht zu stürzen, erschien ohne weiteres einleuchtend.

Bei diesem stark eingeschränkten Gehvermögen kann keine Rede davon sein, dass die Kläger ohne Hilfsmittel auch nur annähernd einen Bewegungsradius eines Gesunden erreichen. Ohne Hilfsmittelversorgung sind die Kläger nicht in der Lage, den geschützten Bereich des Heimes zu verlassen. Im Falle der Kläger besteht andererseits die Besonderheit, worauf das SG zu Recht hingewiesen hat, dass ihre Bewegungsmöglichkeiten eng mit dem Dreirad verbunden sind. Den Umgang mit diesem Hilfsmittel haben sie erlernt und beherrschen ihn so gut, dass schwerere Unfälle nicht zu erwarten sind. Die begehrten Dreiräder sind mehr als nur ein Fahrradersatz. Für die geistig behinderten Kläger ist das Dreirad die einzige erlernte Möglichkeit, sich im Freien über ihre stark eingeschränkte Gehstrecke hinaus fortbewegen zu können. Die Versorgung der Kläger mit jeweils einem Dreirad deckt daher ihr Grundbedürfnis nach Bewegung ab. Jedenfalls kann so im Falle der Kläger ein Bewegungsradius erreicht werden, der dem eines Gesunden entspricht. Damit stellen die Dreiräder die einzige Bewegungsmöglichkeit dar, mit deren Hilfe es den Klägern ermöglicht wird, aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne Gefährdung ihrer Gesundheit den geschützten Bereich des Heimes zu verlassen und im umliegenden Nahbereich Alltagsverrichtungen erledigen zu können.

Aus diesen Gründen kann die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm keinen Erfolg haben und musste abgewiesen werden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Es handelt sich hier um besonders gelagerte Einzelfälle ohne grundsätzliche Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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