L 12 AL 1045/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 AL 5938/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 1045/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15.11.2005 und der Bescheid vom 15.05.04 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.08.2004 aufgehoben.

2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Eintritt einer dreiwöchigen Sperrzeit im Streit.

Der 1960 geborene Kläger ist Diplom-Ingenieur und bezieht seit 1993 - mit Unterbrechungen - Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe sowie Unterhaltsgeld. In seinem letzten Beschäftigungsverhältnis als Versuchs-Ingenieur bei der JCT-E. GmbH in S. vom 15.07.2002 bis zum 31.05.2003 hatte er zuletzt monatlich 3.400,- Euro brutto (zuzüglich Urlaubs- und Weihnachtsgeld) verdient. Zuletzt bezog er von der Beklagten Arbeitslosenhilfe in Höhe von wöchentlich 253,54 Euro, als diese ihm mit Schreiben vom 26.03.2004 ein Arbeitsangebot machte. Es handelte sich um eine Stelle bei der Firma A. Personaldienstleistungen P & P GmbH in S ... Das Anforderungsprofil umfasste die Tätigkeit eines Diplom-Ingenieurs des Fachbereichs Maschinenbau mit dem Einsatzgebiet der planerischen Betreuung von Sonderprojekten in der "FGL 42" sowie der Unterstützung der Fertigungsplanung. Das Arbeitsangebot der Beklagten war mit einer Rechtsfolgenbelehrung für den Fall der unberechtigten Weigerung, sich bei dem Arbeitgeber zu melden, versehen.

Die Firma A. teilte der Beklagten mit Schreiben vom 02.04.2004 mit, dass der Kläger sich am 02.04.2004 vorgestellt habe, jedoch nicht für geeignet gehalten werde. Der Kläger sei "total ungepflegt" und im Jogginganzug zum Vorstellungstermin erschienen. Er habe zu hohe Gehaltsvorstellungen (55.000 Euro jährlich) geäußert und sich zudem geweigert, in die Datenbank der Firma A. aufgenommen zu werden.

Die Beklagte hörte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 10.05.2004 zum möglichen Eintritt einer Sperrzeit an. Der Kläger äußerte sich hierauf nicht.

Die Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 10.05.2004 den Eintritt einer Sperrzeit vom 03.04 bis 23.04.2004 fest. Der Kläger habe das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses dadurch vereitelt, dass er sich im Jogginganzug beworben und eine viel zu hohe Gehaltsvorstellung geäußert habe. Diese Arbeitsvereitelung stehe einer Arbeitsablehnung im Sinne des § 144 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III) gleich. Die Sperrzeit umfasse das gesetzliche Mindestmaß von drei Wochen, da der Kläger nach Entstehung des Anspruchs auf Leistungen erstmalig eine Arbeit abgelehnt habe. Aufgrund der Sperrzeit werde die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 03.04. bis 23.04.2004 aufgehoben, da der Kläger habe wissen müssen, dass der Anspruch wegen Eintritts einer Sperrzeit zum Ruhen gekommen sei. In dem Zeitraum vom 03.04. bis 23.04.2004 sei Arbeitslosenhilfe in Höhe von 740,67 Euro zu Unrecht gezahlt worden. Dieser Beitrag sei vom Kläger nach den § 48 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) sowie § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Der Betrag werde gegen die laufenden Leistungsansprüche des Klägers in voller Höhe aufgerechnet, § 333 Abs. 1 SGB III.

Der Kläger widersprach dem Eintritt einer Sperrzeit und begründete dies damit, dass er sich in ordentlicher Erscheinung bei der Firma A. vorgestellt habe. Er habe keine Joggingkleidung, sondern eine angesichts des am späten Nachmittag des vorigen Tages vereinbarten Termins durchaus angemessene Straßenkleidung getragen. Im Übrigen seien die Mitarbeiter der Firma A. zwar höflich, aber sonst wenig informiert und qualifiziert gewesen. So sei auf seine Nachfrage, was unter "Betreuung von Sonderprojekten in der FGL 42" zu verstehen sei, geantwortet worden, mehr wisse man auch nicht, man wolle ihn lediglich kennen lernen. Ein schriftliches Anschreiben und einen Lebenslauf habe er dem Bearbeiter förmlich aufdrängen müssen. Bei dem Gespräch habe sich dann herausgestellt, dass man ihn lediglich in eine eigene Datenbank aufnehmen wollte, auf die potentielle Arbeitgeber einen direkten Zugriff hätten. Ebenfalls entspreche nicht der Wahrheit, dass er eine Gehaltsvorstellung von 55.000 Euro jährlich geäußert habe. Er habe lediglich wahrheitsgemäß geantwortet, dass sein letztes Einkommen 52.000 Euro im Jahr betragen habe. Als sich dann heraus gestellt habe, dass die Firma A. eine Vermittlungsobergrenze bei Fachkräften von 36.000 Euro im Jahr habe, habe er dies unter der Bedingung akzeptiert, dass seine Unterlagen bei konkreten Angeboten den Arbeitgebern zur Verfügung gestellt würden. Schließlich sei er auch mit einer anonymisierten Aufnahme in der allgemeinen, für Arbeitgeber einsehbaren A.-eigenen Datenbank bereit gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2004 verwarf die Beklagte den zunächst lediglich per E-Mail eingelegten Widerspruch des Klägers als unzulässig.

Daraufhin legte der Kläger seinen Widerspruch erneut auf dem Postweg ein (Eingang bei der Beklagten am 24.05.2004).

Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren hörte die Beklagte die Firma A. erneut zu den gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfen an. Der Zeuge S. teilte daraufhin mit Schreiben vom 07.07.2004 mit, dass das Profil und die Bewerbung des Klägers zum damaligen Zeitpunkt genau der Sorte Mitarbeiter entsprochen hätten, die für die Aufträge der Kunden der Firma A. gesucht worden seien. Der Kläger sei bereits zu Beginn des Vorstellungsgesprächs sehr unmotiviert aufgetreten, sein äußeres Erscheinungsbild habe sehr ungepflegt gewirkt. Der Kläger habe von der ersten Sekunde an den Eindruck vermittelt, nur auf Druck der Beklagten vorstellig geworden zu sein. Der Kläger sei ausführlich über die zu besetzenden Stellen informiert worden. Die Stellen, für die der Kläger vorgesehen gewesen sei, stünden weiterhin auf der Homepage der Firma A ... Es sei zwar richtig, dass manche Firmenkürzel nicht direkt erklärt würden, da sonst die Gefahr bestehe, dass sich Bewerber dort direkt bewerben könnten. Es stimme jedoch nicht, dass der Kläger seine Bewerbung aufgedrängt habe, da diese bereits vorgelegen habe und man ihn ohne die vorliegenden Unterlagen erst gar nicht eingeladen hätte. Je länger das Gespräch gedauert habe, desto klarer sei geworden, dass der Kläger keinesfalls ernsthaft an einer Arbeitsstelle interessiert gewesen sei. Seine Gehaltsforderungen hätten in Höhe von 55.000 Euro jährlich gelegen; auch hier sei keine Übereinstimmung gefunden worden, da lediglich 36.000 Euro jährlich angeboten worden seien. Der Kläger habe sich zudem geweigert, sich in die Datenbank der Firma A. einzutragen, was unverbindlich sei und die Vermittlung der Bewerber sehr erleichtere. Daraufhin sei das Gespräch seitens der Firma beendet worden. Der Kläger sei dann aufbrausend und wütend geworden und habe erst nach nochmaliger Aufforderung das Büro verlassen. Als weitere Zeugen des Vorfalls könnten die Mitarbeiterinnen P. und O. benannt werden.

Die Beklagte teilte dem Kläger, als dieser sich nach dem Stand seines Widerspruchsverfahrens erkundigte, am Telefon die erneuten Vorwürfe der Firma A. mit. Der Kläger sagte daraufhin am Telefon, dass er hierzu bereits alles gesagt habe. Er finde es jedoch verwunderlich, dass die Firma A. mehrere Zeugen für das Gespräch mit ihm aufbiete, obwohl er das Gespräch lediglich in Gegenwart einer Person geführt habe. Die Firma A. habe ihm auch keine konkrete Arbeitsstelle angeboten, sondern ihn lediglich - nicht anonymisiert - in ihre Datenbank aufnehmen wollen, auf welche ihre Partnerfirmen dann hätten zugreifen und sich gegebenenfalls einen Bewerber heraussuchen können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Die Firma A. habe auf konkrete Nachfrage hin mitgeteilt, dass der Kläger sehr unmotiviert und sehr ungepflegt erschienen sei und von der ersten Sekunde an den Eindruck vermittelt habe, nur auf Druck der Beklagten erschienen zu sein. Dieses Verhalten stelle eine konkludente Arbeitsablehnung dar. Die angesprochene Tätigkeit habe auch der Qualifikation des Klägers entsprochen; die Entlohnung wäre in tariflicher Höhe erfolgt. Der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, da er aufgrund der Rechtsfolgenbelehrung habe wissen müssen, dass eine wesentliche Änderung dadurch eingetreten sei, dass der Anspruch auf Leistungen wegen des Eintritts einer Sperrzeit zum Ruhen gekommen sei.

Der Kläger hat am 06.09.2004 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Es habe sich bei dem Vorstellungsgespräch bei der Firma A. nicht um ein konkretes Arbeitsangebot, sondern lediglich um die Aufnahme in die Datenbank der Firma A., welche eine Zeitarbeitsfirma sei, gehandelt. Die Aufnahme in die Datenbank unter Angabe seiner persönlichen Daten habe er deswegen abgelehnt, weil er sich damit die Möglichkeit einer Direktbewerbung bei den interessierten Firmen und auf ein der Tätigkeit angemessenes Gehalt zunichte gemacht hätte. Trotzdem sei er einverstanden gewesen, seine Unterlagen bei konkreten Anfragen den Kunden zu zeigen. Dies habe der Zeuge S. abgelehnt und ihm seine Unterlagen zurückgegeben.

Das SG holt im Klageverfahren zunächst schriftliche Zeugenaussagen der Zeugen S., Oehrle und P. ein. Die Zeugin O. teilte mit Schreiben vom 01.03.2005 mit, dass sie dem Kläger die Tür geöffnet und ihn begrüßt habe, wobei er auf sie einen äußerst ungepflegten Eindruck gemacht habe. Zudem sei der Kläger nicht rasiert gewesen. Der Kläger sei sehr unfreundlich gewesen, als man ihn um die Ausfüllung des Bewerberbogens gebeten habe. Beim Vorstellungsgespräch selbst sei sie nicht anwesend gewesen. Sie habe jedoch gegen Ende des Gesprächs gehört, dass es im Zimmer des Zeugen S. laut geworden sei und dass der Zeuge S. den Kläger mehrfach gebeten habe, zu gehen. Als der Zeuge S. den Kläger zur Tür geleitet habe, habe dieser sich erneut geweigert, zu gehen, und den Zeugen S. verbal angegriffen. Dieser habe ihn dann des Büros verwiesen.

Der Zeuge S. teilte mit Schreiben vom 01.03.2005 mit, dass man den Kläger bei seinem Vorstellungsgespräch beim Betreten des Büros zunächst gar nicht erkannt habe. Das Bewerbungsfoto habe mit dem damaligen Erscheinungsbild keineswegs übereingestimmt. Der Kläger habe Freizeitkleidung (gemeint sei "ein schmuddeliger Pullover und eine dreckige, verwaschene Hose") getragen. Dem Kläger sei die Firma A. ausführlich präsentiert worden. Außerdem sei ausführlich über das Thema Zeitarbeit geredet worden. Dem Kläger seien aktuelle Kundenaufträge, welche den Maschinenbau und die Elektrotechnik betrafen, gezeigt worden. "FGL 42" sei eine kundenspezifische Bezeichnung, auf die aus datenschutztechnischen Gründen nicht näher habe eingegangen werden dürfen. Desweiteren seien ausführlich die zu besetzenden Stellen im Ingenieursbereich besprochen worden. Der Kläger habe sich dann geweigert, trotz ausführlicher Erklärungen seiner Eintragungen in der Datenbank der Firma A. vorzunehmen. Der Kläger habe jedoch bereits von der ersten Sekunde des Vorstellungsgesprächs an absolut unmotiviert, desinteressiert und absolut arbeitsunwillig gewirkt. Es sei richtig, dass er den Satz "ich glaube, sie wollen gar nicht arbeiten" gesagt habe. Den Satz "sie wissen, sie sind verpflichtet jede Arbeit anzunehmen" habe er jedoch nie gesagt, da dies für ihn nicht rechtlich relevant sei. Der Kläger habe ein Gehalt von 52.000 bis 56.000 Euro im Jahr gefordert. Geboten worden seien ihm 36.000 Euro im Jahr.

Mit Schreiben vom 23.03.2005 teilte die Zeugin P. mit, dass sie seit dem 15.10.2004 nicht mehr bei der Firma A. beschäftigt sei, keinen Kontakt mit dem Kläger gehabt habe und ihn nicht kennen gelernt habe. Sie könne keine Aussage zu dieser Angelegenheit machen.

In der mündlichen Verhandlung des SG vom 15.11.2005 bekräftigte der Kläger seine Ansicht, dass die Firma A. ihm keinerlei konkreten Arbeitsplatz habe anbieten wollen, sondern dass es lediglich um die Aufnahme in die Datenbank der Firma A. gegangen sei. Der Zeuge S. gab an, dass er den Kläger nach Durchsicht seines Lebenslauf als sehr gut qualifiziert empfunden habe und sich gewundert habe, dass dieser keinen Arbeitsplatz habe. Nach seinem Auftreten habe er es dann jedoch nachvollziehen können. Der Kläger sei sehr ungepflegt und unmotiviert aufgetreten. Damals hätte die Firma A. Aufträge der Firma B. gehabt; "FGL" sei eine Abteilungsbezeichnung von B ... Die Firma A. arbeite mit B. an zwanzig Standorten zusammen. Nach einem Vorstellungsgespräch werde normalerweise ein Mitarbeiterlebenslauf erstellt, der dann der Firma geschickt werde und ihr die Entscheidung überlasse, ob es zu einem Vorstellungsgespräch komme. Nach der Auseinandersetzung über die Eintragung in die Datenbank sei der Kläger äußerst aggressiv und unhöflich gewesen. So wie der Kläger angezogen gewesen sei, bekomme er in ganz S. bei keiner Zeitarbeitsfirma ein Angebot. Er würde niemanden so angezogen zu einem Kunden mitnehmen. Er sei ein ganz normaler Arbeitgeber und erwarte, dass man ihm gegenüber höflich auftrete.

Anschließend hat das SG die Klage mit Urteil vom 15.11.2005 als unbegründet abgewiesen. Dem Kläger sei von der Beklagten eine Beschäftigung bei der Firma A. Personaldienstleistungen angeboten worden. Das Beschäftigungsangebot sei hinreichend bestimmt und dem Kläger zumutbar gewesen. So sei ein Dipl.-Ing. Maschinenbau gesucht worden, der für die planerische Betreuung von Sonderprojekten "in der FGL 42", Unterstützung der Fertigungsplanung eingesetzt werden sollte. Der Kläger habe sich auch nach seinen eigenen Angaben als für diese Arbeitsstelle geeignet empfunden. Als Lohn sei der Tariflohn der Zeitarbeitsfirmen geboten worden. Nachdem der Kläger zuletzt Arbeitslosenhilfe in Höhe von 253,54 Euro wöchentlich bezogen habe, sei die Beschäftigung ihm auch in finanzieller Hinsicht gem. § 121 Abs. 3 SGB III zumutbar gewesen.

Der Kläger habe die angebotene Beschäftigung nach Überzeugung der Kammer im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III nicht angenommen. Denn der Kläger habe durch sein Verhalten im Vorstellungsgespräch den Abschluss eines Arbeitsvertrages und damit einer Arbeitsaufnahme verhindert. Die Nichtannahme einer angebotenen Beschäftigung sei nicht nur durch ausdrückliche Erklärung, sondern auch durch schlüssiges Verhalten möglich. Dies sei vorliegend dadurch erfolgt, dass der Kläger durch sein äußeres Erscheinungsbild und sein Verhalten einen für einen Stellenbewerber unangemessenen Eindruck gemacht habe. Der Kläger habe eingeräumt, eine Jeans und ein braun-blaues Flanellhemd getragen zu haben. Nach den Angaben der Mitarbeiter der Firma A. sei der Kläger unrasiert und insgesamt ungepflegt erschienen. Auch nach dem Eindruck der Kammer in der mündlichen Verhandlung, in welcher der Kläger nach seinen Angaben die gleiche Kleidung wie bei dem Vorstellungsgespräch bei der Firma A. getragen habe, habe das äußere Erscheinungsbild nicht dem üblichen Äußeren eines Bewerbers auf eine derartige Stelle als Ingenieur entsprochen. Vielmehr werde üblicherweise in Bewerbungsgesprächen für höher qualifizierte Arbeitsstellen nicht eine Jeans, sondern eine Stoffhose, und auch kein Woll- bez. Flanellhemd, sondern ein Bügelhemd getragen. In den meisten Fällen würden außerdem noch zusätzlich ein Jackett und eine Krawatte getragen.

Die Reaktion des Zeugen S. auf das Auftreten des Klägers erscheine der Kammer auch nach dem Eindruck des Klägers in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar. Denn üblicherweise sei es so, dass ein Bewerber bei einem Vorstellungsgespräch im Wesentlichen darum bemüht sei, einen guten Eindruck von sich zu hinterlassen. Der Kläger habe sich jedoch bei dem Vorstellungsgespräch unwillig darüber gezeigt, dass ihm nicht die Firma mit der offenen Stelle und die Arbeitsinhalte mitgeteilt würden, sondern im wesentlichen nur die Angaben auf dem Stellenangebot. Alle weiteren Fragen des Klägers hätten sich jedoch bei einem zweiten Vorstellungsgespräch direkt bei der Firma geklärt. In dem ersten Vorstellungsgespräch bei der Firma A. sei es zunächst vielmehr darum gegangen, dass der Kläger sich vorstelle und die Firma A. abschätzen könne, ob der Kläger für die Stelle geeignet sei. Hinzu komme, dass der Kläger einen für eine Zeitarbeitsfirma äußerst hohen Gehaltswunsch in Höhe von 52.000 - 55.000 Euro jährlich brutto geäußert habe. Dieses Gehaltsansinnen sei deutlich überhöht gewesen. Zum Zeitpunkt des Vorstellungsgesprächs sei der Kläger seit etwa 1 ¾ Jahren arbeitslos gewesen. Bei seiner vorherigen Arbeitsstelle bei der Firma JCT E. GmbH habe er monatlich im wesentlichen 3.400 Euro verdient. Unter Berücksichtigung der Arbeitslosigkeit des Klägers hätte dieser somit keinesfalls eine Gehaltsforderung in Höhe von 52.000 - 55.000 Euro jährlich äußern dürfen. Das Urteil des SG wurde dem Kläger am 02.02.2006 zugestellt.

Der Kläger hat am 02.03.2006 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Der Klägerbevollmächtigte trägt vor, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt arbeitsunwillig gewesen sei. Auch habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt eine ihm angebotene Stelle ablehnt. Zwar sei der Kläger zum Vorstellungsgespräch nicht im Anzug, jedoch keinesfalls ungepflegt oder "schmuddelig" erschienen. Im Vorstellungsgespräch sei ihm auf seine Nachfrage nicht gesagt worden, um welche konkrete Stelle es sich handele. Der Kläger habe sich im Ergebnis bei der Firma A. lediglich vorstellen sollen, um dort in eine Datenbank aufgenommen zu werden. Aus Sicht des Klägers handele es sich demnach nicht um ein reguläres Vorstellungsgespräch. Hinsichtlich der Kleidung sei darauf hinzuweisen, dass gerade im wissenschaftlichen Ingenieurbereich ein "zu schickes Auftreten oft als overdressed" angesehen werde. Zumindest im Landgerichtsbezirk S. werde sogar das Auftreten von Rechtsanwälten mit Jeans und Pulli von den Richtern nicht beanstandet. Bei anderen Vorstellungsgesprächen im März 2004 sei die damalige Kleidung des Klägers in keinem Fall beanstandet worden. Der Kläger sei auch nicht unmotiviert und unhöflich gewesen. Vielmehr habe der Zeuge S. sich durch die auf ihn kritisch wirkenden Nachfragen zur Stellenbeschreibung, auf die er keine Antwort gewusst habe, provoziert gefühlt. Der Kläger habe auch nicht 55.000 Euro Jahresgehalt verlangt, sondern dies lediglich als sein letztes Einkommen angeben. Die von der Firma A. festgesetzte Obergrenze von 36.000 Euro jährlich habe er im Ergebnis akzeptiert. Das SG habe völlig unkritisch allein die Aussage des Zeugen S. zugrunde gelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15.11.2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.08.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zusätzlich zu ihrem bisherigen Vortrag weist die Beklagte daraufhin, dass der Kläger angesichts der Arbeitsbescheinigung zu seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit sein letztes Einkommen mit jährlich 55.000 Euro jährlich falsch angegeben habe.

In der Verhandlung des Senats vom 29.09.2006 wurde erneut der Zeuge S. vernommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des Sozialgerichts sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist begründet.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III in der vom 01.01.2003 bis zum 05.08.2004 geltenden Fassung tritt eine Sperrzeit ein, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht angenommen oder nicht angetreten oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches, durch sein Verhalten verhindert hat (Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung). Nach Satz 2 der Vorschrift hat der Arbeitslose die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, wenn diese in seiner Sphäre oder in seinem Verantwortungsbereich liegen. Die Sperrzeit beginnt mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, oder, wenn dieser Tag in eine Sperrzeit fällt, mit dem Ende dieser Sperrzeit; während der Sperrzeit ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Absatz 2 der Vorschrift). Die Dauer der Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung beträgt nach Absatz 4 Nr. 1 c der Vorschrift im Falle der erstmaligen Ablehnung einer Arbeit nach Entstehung des Anspruchs drei Wochen.

Durch das Job-AQTIV-Gesetz hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 01.01.2002 in den Sperrzeittatbestand des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III ausdrücklich aufgenommen, dass der Ablehnung eines Arbeitsangebots ein Verhalten des Arbeitslosen gleichzusetzen ist, welches die Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses bzw. das Führen eines Vorstellungsgesprächs verhindert. Eine wesentliche materielle Änderung ist dadurch aber nicht eingetreten, da bereits seit der Geltung des Arbeitsförderungsgesetzes die Vereitelung des Zustandekommens eines Beschäftigungsverhältnisses durch zielgerichtetes Verhalten des Arbeitslosen als besonderer Unterfall der stillschweigenden Arbeitsablehnung angesehen wird (vgl. Valgolio, in Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch III, Arbeitsförderung, Kommentar, § 144 Rn. 111 m.w.N.). Ob ein wichtiger Grund für die Arbeitsablehnung vorliegt, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Sperrzeitregelung zu beurteilen. Sie soll die Solidargemeinschaft vor der Inanspruchnahme durch Leistungsberechtigte schützen, die den Eintritt oder die Fortdauer des versicherten Risikos der Arbeitslosigkeit selbst herbeiführen oder zu vertreten haben; eine Sperrzeit soll nur eintreten, wenn einem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen und der Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10.05.2005 - L 9 AL 4331/03 - unter Hinweis auf BSGE 66, 94 , 97 = SozR 4100 § 119 Nr. 36; BSG SozR 3-1500 § 144 Nr. 12; SozR 3-4100 § 119 Nr. 14 und 15 sowie BSG SozR 3-4300 § 144 Nr. 12 S. 34 m.w.N. und BSG NZS 2004, 382 (383)).

Vorliegend hat der Kläger von der Beklagten ein Stellenangebot erhalten, welches alle wesentlichen Angaben zu dem möglichen Arbeitsverhältnis sowie die für den Eintritt einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III erforderliche Rechtsfolgenbelehrung enthielt.

Das Arbeitsangebot war dem Kläger auch hinsichtlich des angebotenen Jahreseinkommens von maximal 36.000 Euro brutto zumutbar, da er in seiner zuletzt im Jahr 2003 ausgeübten Beschäftigung 3.400 Euro brutto monatlich verdiente. Schließlich hat auch der Kläger selbst eingeräumt, dass er sich für die angebotene Arbeit als geeignet angesehen habe.

Der Senat hat nach der erneuten Vernehmung des Zeugen S. und der erneuten persönlichen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2006 jedoch nicht die Überzeugung erlangen können, dass das Scheitern des Vorstellungsgespräches bei dem Zeugen S. auf einem Verhalten beruht hat, welches dem Kläger vorgeworfen werden kann. Während dem Kläger eine sachliche Schilderung des Vorstellungsgespräches gelang, fiel der Zeuge S. mehrfach dadurch auf, dass er mit ersichtlichem Eifer eine ungünstige Darstellung des klägerischen Verhaltens zu erreichen versuchte. So ist der Vorwurf des Zeugen, der Kläger sei unordentlich gekleidet gewesen, von dem Zeugen sogleich als ablehnende Haltung des Klägers ausgelegt worden, während dies auch lediglich auf einer gleichgültigen Einstellung des Klägers in Kleidungsdingen beruhen könnte. Auch auf die Nachfragen des Klägers nach dem Inhalt der angebotenen Arbeit reagierte der Zeuge S. noch in der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2006 in gereizter Weise, obwohl dem Kläger hier ein gewisses Interesse nicht nur nicht abzusprechen war, sondern auch gerade als Bekundung von Interesse an der angebotenen Arbeit angesehen werden konnte.

Letztlich ist der Inhalt des Vorstellungsgesprächs aufgrund der einander widersprechenden Aussagen des Zeugen und des Klägers nicht mehr rekonstruierbar. Dem Senat hat sich allerdings der Eindruck aufgedrängt, dass der Zeuge und der Kläger aufgrund ihres grundverschiedenen Charakters und der unterschiedlichen Interessenlage von vornherein ein angespanntes Verhältnis zueinander hatten. Hierdurch hatte das Vorstellungsgespräch bereits ungünstige Ausgangsbedingungen. Da die Feststellungslast für den Eintritt der Sperrzeit bei der Beklagten liegt und der Beweis für die dem Kläger gemachten Vorwürfe nicht mit der erforderlichen Gewissheit erbracht werden konnte, waren die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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