L 3 SB 4/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 3084/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 4/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 30 streitig.

Der am 02.12.1943 geborene Kläger stellte beim Beklagten am 06.05.2003 den Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.

Nach Beiziehung medizinischer Unterlagen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 09.09.2003 den Antrag ab mit der Begründung, die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen einer Lähmung des rechten Oberlids, einer Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform, degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule sowie eines Schulter-Arm-Syndroms bedingten keinen GdB von wenigstens 20. Eine Feststellung nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) könne deshalb nicht getroffen werden.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und das Schulter-Arm-Syndrom bedingten einen GdB von 30.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.2003 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 28.11.2003 Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm erhoben. Das SG hat Beweis erhoben durch Anhörung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Der Arzt für Neurologie Dr. Böttger hat unter dem 30.01.2004 mitgeteilt, er habe den Kläger vom 14.05. bis 08.07.2002 wegen einer okulären Myasthenia gravis mit der Symptomatik eines herunterhängenden rechten Oberlides behandelt. Einen aktuellen Grad der Behinderung könne er nicht nennen.

Der Orthopäde Dr. F. hat unter dem 09.02.2004 die Diagnosen einer Periarthropathie der linken Schulter sowie eines degenerativen HWS-Syndroms mitgeteilt. Die Gesundheitsstörungen seien als mittelgradig einzustufen und entsprächen einem GdB von 20 vom Hundert.

Der Orthopäde Dr. O. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 25.02.2004 ausgeführt, der Kläger habe wegen Fußbeschwerden in seiner Behandlung gestanden und sei mit Einlagen versorgt worden. Zu einer Kontrolle im Oktober 2003 sei er nicht erschienen.

Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. G. hat unter dem 22.02.2004 mitgeteilt, beim Kläger bestünden ein chronisches HWS-Syndrom bei Osteochondrose C 5 - C 7 mit wiederkehrenden Beschwerden im Nacken- und Schulterbereich, Schweregrad leicht, eine Hypertonie mit unter medikamentöser Behandlung leichtem Schweregrad, eine Hyperlipidämie und Hyperurikämie sowie ein subklinischer Diabetes mellitus Schweregrad leicht. Er schätze den GdB auf 40.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.11.2004, dem Kläger am 06.12.2004 zugestellt, hat das SG die Klage abgewiesen. Auf den Gerichtsbescheid wird insoweit Bezug genommen.

Hiergegen hat der Kläger am 02.01.2005 Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 19. November 2004 sowie den Bescheid des Beklagten vom 9. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von mindestens 30 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Dr. F. mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 22.08.2005 hat Dr. F. die Diagnosen eines degenerativen Halswirbelsäulensyndroms mit pseudoradikulärer Symptomatik, einer Osteochondrose L 5/S 1 mit Einengung des Neuroforamens L 5/S 1 sowie einer Retropatellararthrose Grad I-II beider Kniegelenke mit endgradiger Bewegungseinschränkung gestellt. Neurologische Ausfälle lägen nicht vor, frische Wurzeldehnungszeichen seien nicht nachweisbar, auch bestehe kein Hinweis auf einen Bandscheibenvorfall. Beim Treppauf- und Treppabgehen, In-die-Hocke-Gehen und Anheben von Lasten habe der Kläger Kniegelenksbeschwerden. Die Hals- und Lendenwirbelsäule sei mit einem GdB von 20 einzustufen. Die Kniegelenkserkrankung beidseits sei ebenfalls mit 20 v.H. einzustufen. Der Gesamt-GdB betrage 30. Gegenüber den ärztlichen Vorbeurteilungen seien Veränderungen der Kniegelenke und der Lendenwirbelsäule hinzugekommen. Der mit Einlagen versorgte Ballen/Hohlfuß schränke die Leistungsfähigkeit nicht zusätzlich ein und sei mit 10 v.H. korrekt eingestuft.

In der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 9.11.2005 hat der medizinische Dienst des Beklagten hierzu vorgetragen, die GdB-Angaben in dem von Dr. F. erstatteten Gutachten seien nicht nachvollziehbar. An der HWS bestehe eine lediglich endgradige Einschränkung der Beweglichkeit, welche für sich allein noch nicht GdB-relevant sei. Im Bereich der LWS bestehe bei einem erreichten Finger-BO.n-Abstand (FBA) von 20 cm nur eine leichte Bewegungseinschränkung, so dass für die Wirbelsäule insgesamt der bisherige GdB weiterhin zutreffe. An den Schultern bestehe angesichts der dokumentierten Bewegungsausmaße keine GdB-relevante Einschränkung. Auch die Kniegelenke seien frei beweglich, so dass hieraus kein messbarer GdB resultiere.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 144 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von wenigstens 20.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides die einschlägigen Rechtsvorschriften ausführlich und zutreffend zitiert. Es hat auch die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP 2004) zutreffend zitiert und angewandt. Insoweit wird auf die ausführliche und zutreffende Darstellung im angefochtenen Gerichtsbescheid gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Ergänzend ist auszuführen, dass auch unter Auswertung des von Dr. F. erstatteten Gutachtens kein GdB von mindestens 20 vorliegt.

An der Halswirbelsäule des Klägers besteht zwar eine Osteochondrose in den Segmenten C 5/C 6 und C 6/C 7. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule ist jedoch nur endgradig eingeschränkt. So bestand bei der Untersuchung durch Dr. F. eine Rotation von 70/0/75 Grad, eine Neigung von 35/0/40 Grad, ein Vorneigen/Rückneigen von 45/0/30 Grad und ein Kinn-Jugulum-Abstand von 1,5/17 cm. Bei kräftig ausgebildeter Schulter-Nacken-Muskulatur konnte Dr. F. zwar eine Verspannung, jedoch keine Myogelosen feststellen. Eine GdB-relevante Einschränkung im Bereich der Halswirbelsäule liegt damit nicht vor.

Auch im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule hat Dr. F. lediglich leichte Bewegungseinschränkungen feststellen können. Der FBA betrug 20 cm, eine weitgehend freie Entfaltbarkeit der Wirbelsäule ist dokumentiert durch den Schober dorsalis mit 30/31 cm und den Schober lumbalis mit 10/12,5 cm. Die Nervenaustrittspunkte waren nicht druckschmerzhaft, die Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule ergab lediglich eine Verschmälerung im Segment L 5/S 1.

Nach den AP 2004 Ziff. 26.18 bedingen Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende O.r anhaltende Bewegungseinschränkung O.r Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20. Der Begriff Instabilität beinhaltet hierbei nach den AP 2004 die abnorme Beweglichkeit zweier Wirbel gegeneinander unter physiologischer Belastung und die daraus resultierenden Weichteilveränderungen und Schmerzen. Sogenannte Wirbelsäulensyndrome (wie Schulter-Arm-Syndrom, Lumbalsyndrom, Ischialgie, sowie andere Nerven- und Muskelreizerscheinungen) können bei Instabilität und bei Einengungen des Spinalkanals O.r der Zwischenwirbellöcher auftreten.

Entsprechende Beschwerden hat Dr. F. nicht festgestellt. Ein Schulter-Arm-Syndrom, ein Lumbalsyndrom O.r eine Ischialgie liegen beim Kläger nicht vor. Auch Nerven- und Muskelreizerscheinungen konnte Dr. F. bei der gutachterlichen Untersuchung nicht feststellen. Die von Dr. F. festgestellten Funktionseinschränkungen rechtfertigen damit keinen GdB von 20. Somit ist insgesamt der vom Beklagten für die Wirbelsäule festgestellte GdB von 10 weiterhin zutreffend.

Der Senat folgt Dr. F. auch nicht hinsichtlich der Bewertung der Retropatellararthrose bei der Feststellung des GdB. Nach den AP 2004 Ziff. 26.18 bedingt eine beidseitige Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 0/0/90) einen GdB von 10 bis 20. Dr. F. hat für das rechte Kniegelenk eine Streckung/Beugung von 0/0/140 und für das linke Kniegelenk von 0/0/135 festgestellt. Danach besteht keine relevante Bewegungseinschränkung der Kniegelenke.

Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z.B. Chondromalacia patellae Stadium II - IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen bedingen je nach Bewegungseinschränkung einen GdB von 10 bis maximal 40. Eine entsprechende Erkrankung liegt beim Kläger nicht vor. Die Röntgenaufnahmen zeigen lediglich eine links etwas verstärkte Retropatellararthrose, die nach den AP 2004 keinen GdB zu begründen vermag.

Weitere gesundheitliche Einschränkungen, die einen GdB von mindestens 20 begründen könnten, liegen nicht vor. Dr. G. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 22.02.2004 mitgeteilt, eine arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie und Hyperurikämie sowie ein subklinischer Diabestes mellitus seien allesamt nur leichten Schweregrades und medikamentös einstellbar. Auch die von Dr. Böttger beschriebene okuläre Myasthenia gravis führt zu keinem höheren GdB als 10. In den AP 2004 Ziff. 26.4 sind eine Lähmung des Oberlides mit nicht korrigierbarem vollständigem Verschluss des Auges mit einem GdB von 30, sonst mit 10 bis 20 bewertet. Eine Lähmung des Oberlides liegt beim Kläger jedoch nicht vor. Ausweislich des Arztbriefes von Prof. Dr. Schumm, Klinik für Neurologie am Christophsbad Göppingen vom 08.08.2002, besteht beim Kläger lediglich eine Ptose mit leicht bedeckter Pupille ohne Wahrnehmung von Doppelbildern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved