L 3 SB 4867/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 4602/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 4867/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 7. November 2005 wird abgewiesen.

Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist der Grad der Behinderung (GdB).

Auf den Erstantrag vom 30.10.2001 stellte der Beklagte bei der am 13.12.1946 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 12.2.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.9.2002 einen GdB von 30 auf Grund der Funktionsbeeinträchtigungen "koronare Herzkrankheit, koronarer Bypass, Bluthochdruck (Einzel-GdB 30), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom (Einzel-GdB 10) fest.

Dagegen hat die Klägerin am 24.9.2002 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren auf Feststellung eines höheren GdB weiterverfolgt hat.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf Blatt 19/49 der SG-Akte Bezug genommen), woraufhin der Beklagte unter dem 14.3.2003 ein Vergleichsangebot mit einem GdB von 40 ab dem 30.10.2001 auf Grund der zusätzlichen Funktionsbeeinträchtigungen "hyperreagibles Bronchialsystem (Einzel-GdB 20), Diabetes mellitus - mit Diät einstellbar -(Einzel-GdB 10)" unterbreitet hat (Blatt 53/55 der SG-Akte), welches die Klägerin nicht angenommen hat.

Sodann hat das SG Beweis erhoben durch Einholung des internistisch-pneumologischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. D. vom 31.7.2003. Erhoben worden ist lungenfachärztlicherseits im Wesentlichen eine leichte obstruktive Ventilationsstörung sowie eine geringgradige bronchiale Hyperreagibilität, die der Sachverständige mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet hat.

Der Beklagte hat daraufhin abweichend vom Vergleichsangebot den Einzel-GdB für den lungenfachärztlichen Befund wieder mit 10 und den Gesamt-GdB wiederum mit 30 eingeschätzt (versorgungsärztliche Stellungnahme Deppisch vom 23.9.2003, Blatt 93 der SG-Akte).

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt worden ist sodann das internistisch/kardiologische Sachverständigengutachten von Dr. B. vom 22.4.2004, der als Behinderungen eine koronare Herzkrankheit mit Zustand nach ACB-Operation sowie Progredienz mit Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung und Bluthochdruck (Einzel-GdB 30 ab Oktober 2001 und 50 ab Mai 2003), eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sowie ein Schulter-Arm-Syndrom (Einzel-GdB 20) und ein hyperreagibles Bronchialsystem (Teil-GdB 10) bei einem Gesamt-GdB von 30 ab Oktober 2001 und von 50 ab Mai 2003 angenommen hat.

Sowohl der Bewertung des Einzel-GdB von 50 für die Herzerkrankung als auch derjenigen von 20 für die orthopädischen Befunde ist der Beklagte unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 3.8.2004 (Blatt 125/126 der SG-Akte) entgegengetreten.

Eingeholt worden ist daraufhin vom SG das orthopädische Sachverständigengutachten von Dr. A. vom 27.9.2004. Festgestellt worden sind diskrete bis mittelgradige Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule bei freier Halswirbelsäulenbeweglichkeit, eine allenfalls ganz endgradig eingeschränkte Beweglichkeit der Brustwirbelsäule sowie eine 30-prozentige Entfaltbarkeitshemmung der Lendenwirbelsäule bei mittelgradig vermehrten Verschleißerscheinungen und fehlenden sensiblen oder motorischen Nervenwurzelreizerscheinungen (insgesamt als geringe funktionelle Auswirkungen eines Wirbelsäuleabschnitts bezeichnet und mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet) sowie eine beginnende Hüftgelenksarthrose beidseits, links deutlicher als rechts, bei beidseits freier Hüftgelenksbeweglichkeit und ganz initiale Zeichen einer beidseitigen medialen Kniegelenksarthrose bei beidseits freier Kniegelenksbeweglichkeit (wegen einer unterstellten gewissen Minderbelastbarkeit der Beine insgesamt mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet). Der Gesamt-GdB für die orthopädischen Befunde ist mit 10 und der Gesamt-GdB insgesamt auf 30 eingeschätzt worden.

Im Hinblick auf die im Sachverständigengutachten von Dr. B. erwähnten, aber nicht mit einem Einzel-GdB bewerteten psychischen Befunde hat das SG schließlich noch das nervenärztliche Sachverständigengutachten von Dr. P. vom 21.3.2005 eingeholt, in welchem auf diesem Fachgebiet Anpassungsstörungen mit depressiven Verstimmungszuständen in Folge der Herzerkrankung ohne wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bei einem Einzel-GdB von 10 und unter Einschätzung des Gesamt-GdB auf 50 erhoben worden sind.

Der Beklagte hat sich unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 29.6.2005 (Blatt 182/183 der SG-Akte) der Feststellung der in den Sachverständigengutachten von Dr. A. und Dr. P. angenommenen zusätzlichen Funktionseinschränkungen mit einem Einzel-GdB von jeweils 10 angeschlossen und den Gesamt-GdB nunmehr wieder mit 40 bewertet.

Das SG hat den Beklagten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil vom 28.10.2005 unter Abänderung seiner Bescheide und Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, ab dem 30.10.2001 einen GdB von 40 festzustellen und der Klägerin die Hälfte von deren außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Der Beklagte hat das Urteil durch Bescheid vom 7.11.2005 ausgeführt.

Gegen das ihr am 4.11.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.11.2005 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Klagebegehren im Wesentlichen gestützt auf die von Dr. B. vorgenommene Bewertung der Herzerkrankung und eine insoweit zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung sowie auf beidseitige Knieverletzungen infolge von Stürzen weiterverfolgt.

Der Senat hat den die Klägerin wegen der Knieverletzungen behandelnden Chirurgen und Sportmediziner Dr. L. als sachverständigen Zeugen befragt, der in seinem Bericht vom 6.2.2006 degenerative Veränderungen und Rissbildungen der Menisken sowie arthrotische Veränderungen mit Chondropathie im Bereich beider Kniegelenke erwähnt und diesbezüglich den Einzel-GdB mit 20 bewertet.

Sodann hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung des internistisch-kardiologischen Sachverständigengutachtens von Dr. N. vom 5.5.2006 mit ergänzender gutachterlicher Stellungnahme vom 11.7.2006. Dieser stellt als Behinderungen eine - unveränderte - koronare Herzkrankheit mit einem Teil-GdB von 30, eine arterielle Hypertonie (Einzel-GdB 10), eine chronisch venöse Insuffizienz (Einzel-GdB 10) sowie ein hyperreagibles Bronchialsystem (Einzel-GdB 10) bei einem Gesamt-GdB für den internistisch Bereich von 30 fest. Insbesondere wegen der hinzugetretenen Veränderungen seitens der Kniegelenke schätzt der Sachverständige den Gesamt-GdB nunmehr mit 50 ein.

Der Beklagte hat unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. W. vom 27.6.2006 und 6.9.2006 (Blatt 78/79 und 86 der LSG-Akte) zusammenfassend als Funktionsbeeinträchtigungen "koronare Herzkrankheit, koronarer Bypass, Bluthochdruck (Teil-GdB 30), Funktionsbehinderungen beider Hüftgelenke, Funktionsbehinderungen beider Kniegelenke (Teil-GdB 20), hyperreagibles Bronchialsystem (Teil-GdB 10), Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom (Teil-GdB 10), Diabetes mellitus - mit Diät einstellbar - (Teil-GdB 10), seelische Störung (Teil-GdB 10)" bei einem Gesamt-GdB von 40 angenommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. Oktober 2005 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2002 sowie des Bescheides vom 7. November 2005 zu verurteilen, einen GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 7. November 2005 abzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40. Eine wesentliche Änderung, die einen höheren GdB rechtfertigen würde, ist nicht eingetreten.

Gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens ist auch der Ausführungsbescheid des Beklagten vom 7.11.2005, über den der Senat auf Klage entscheidet.

Der Senat weist die Berufung im Wesentlichen bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Im Vordergrund der bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen steht die koronare Herzerkrankung, die bei einer ergometrischen Ausbelastung über 5 Minuten bei 75 Watt im Sachverständigengutachten von Dr. N. entsprechend Ziff. 26.9 (Seite 71) der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (AHP) zutreffend - entsprechend einem Mittelwert - mit einem Teil-GdB von 30 bewertet worden ist.

Offen bleiben kann nach Auffassung des Senats, ob - was zutreffend sein dürfte - mit Dr. W. entsprechend Ziff. 18 Abs. 4 der AHP und der darin für den Regelfall angeordneten zusammenfassenden Beurteilung des Herz-Kreislaufsystems der bei der Klägerin bestehende Bluthochdruck bei einem Teil-GdB von lediglich 10 (nach Ziff. 26.9 [Seite 75] der AHP bei leichter Form und allenfalls geringer Leistungsbeeinträchtigung zutreffend) darin bereits einbezogen ist oder ob hierfür ein gesonderter Teil-GdB von 10 anzunehmen ist. Offen bleiben kann ferner, ob - was ebenfalls richtig sein dürfte - bei im Sachverständigengutachten von Dr. N. festgestelltem Fehlen von Ödemen entsprechend Ziff. 26.9 (Seite 74) der AHP für die bei der Klägerin bestehende venöse Insuffizienz kein Einzel-GdB von 10 anzunehmen ist, und ob der ausschließlich diätetisch zu behandelnde Diabetes Typ II nach Ziff. 26.15 (Seite 99) der AHP überhaupt einen Einzel-GdB von 10 rechtfertigt (Dr. N. hat dies in seinem Sachverständigengutachten wohl zutreffend verneint), weil es selbst bei Annahme weiterer Teil-GdB von jeweils 10 insoweit und unter Berücksichtigung eines weiteren Teil-GdB von 10 für das hyperreagible Bronchialsystem (nach dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. D. bei nicht mehr feststellbarer Überblähung der Lunge entsprechend Ziff. 26.8. [Seite 69] der AHP zutreffend) entsprechend der Grundsätze zur Bildung eines Gesamt-GdB (Ziff. 19 der AHP) mangels entgegenstehender Anhaltspunkte bei der Feststellung eines internistischen Gesamt-GdB von 30 zu verbleiben hat. Dies entspricht auch der Einschätzung von Dr. N. in seinem Sachverständigengutachten.

Auf orthopädischem Fachgebiet ist unter Berücksichtigung der von Dr. A. getroffenen Feststellungen wegen der im Wesentlichen bestehenden Entfaltbarkeitshemmung der Wirbelsäule in der Tat entsprechend Ziff. 26.18 (Seite 116) der AHP lediglich von geringen funktionellen Auswirkungen eines Wirbelsäuleabschnitts und damit insoweit lediglich von einem Teil-GdB von 10 auszugehen. Unter Berücksichtigung der vom Senat eingeholten sachverständigen Zeugenauskunft können die bei der Klägerin bestehenden Kniegelenksveränderungen bei rechtsbetonter Knorpelschädigung und Bewegungseinschränkung in Übereinstimmung mit Dr. L. und Dr. W. entsprechend Ziff. 26.18 (Seite 126) der AHP mit einem Teil-GdB von 20 bewertet werden. Nachdem Dr. A. in seinem Sachverständigengutachten hinsichtlich der unteren Extremitäten lediglich wegen einer von ihm unterstellten gewissen Minderbelastbarkeit einen Einzel-GdB von 10 angenommen hat, kann bei mangels gegenteiliger Anhaltspunkte weiterhin anzunehmender freier Hüftgelenksbeweglichkeit trotz der zwischenzeitlich manifestierten Veränderungen der Kniegelenke für die unteren Extremitäten insgesamt (Ziff. 18 Abs. 4 der AHP) kein höherer GdB als 20 festgestellt werden. Orthopädischerseits ist damit insgesamt lediglich von einem GdB von 20 auszugehen.

Nervenärztlicherseits ist nach dem Sachverständigengutachten von Dr. P. nur von einer leichteren psychischen Störung und damit entsprechend Ziff. 26.3 der AHP im Mittelwert von einem Einzel-GdB von 10 auszugehen.

Unter Berücksichtigung der vom SG zutreffend dargestellten Grundsätze zur Bildung des Gesamt-GdB entsprechend Ziff. 19 (insbesondere Abs. 4) der AHP kann vorliegend ausgehend vom höchsten Teil-GdB von 30 (integrativ für den gesamten internistisch Bereich) und einem weiteren Teil-GdB von 20 (integrativ für den orthopädischen Bereich) insgesamt kein höherer Gesamt-GdB als 40 festgestellt werden. Insbesondere die ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Dr. N. berücksichtigt fälschlicherweise nicht, dass orthopädischerseits von dem höchsten Teil-GdB für die unteren Extremitäten von 20 auszugehen ist und der Teil-GdB für die Wirbelsäulenveränderungen bei integrativer Gesamtschau nicht erhöhend wirkt.

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) umfasst nur das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und den Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zu Grunde liegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG vom 24.6.1998 - B 9 SB 17/97 R -). Der Einzel-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Auch im gerichtlichen Verfahren ist somit keine Neubezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen vorzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved