L 7 R 5119/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 1692/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 5119/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 14. September 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am 1956 geborene Kläger durchlief eine Berufsausbildung zum Schreiner, welche er im August 1975 mit der Gesellenprüfung erfolgreich beendete. Danach war er als Schreinergeselle bis Ende Dezember 1985 - unterbrochen lediglich durch die Zeit des gesetzlichen Wehrdienstes (Mitte Mai 1976 bis Mitte August 1977) - versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend stand der Kläger im Zeitraum von Ende Dezember 1985 bis Mai 1988 - bis auf die Zeiten versicherungspflichtiger Beschäftigung von Anfang März bis Mitte Dezember 1986, Anfang Februar bis Anfang April 1987 sowie Ende Mai bis Mitte August 1987 - durchgehend im Leistungsbezug bei der damaligen Bundesanstalt für Arbeit. Während dieser Zeit absolvierte er 1987/1988 einen Meistervorbereitungskurs; die Meisterprüfung schloss er im März 1988 mit Erfolg ab. Zum 1. Juni 1988 machte sich der Kläger als Schreinermeister selbständig. Vom 1. Juni 1988 bis 31. Dezember 1990 war er als selbständiger Handwerksmeister rentenversicherungspflichtig tätig; zunächst ab 1. Februar 1991 zahlte er freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Am 1. Oktober 2000 erlitt der Kläger in Österreich einen Motorradunfall, bei dem er sich multiple Verletzungen (Schultergelenksluxation rechts, Kompressionsfraktur des 9. und 11. Brustwirbelkörpers, Acetabulum- und Sitzbeinfraktur links, Patellafraktur links, Oberschenkelfraktur links, zahlreiche Riss- und Quetschwunden im rechten Ellenbogenbereich) zuzog. Stationäre Aufenthalte im Landeskrankenhaus F. (1. bis 19. Oktober 2000 mit Osteosynthese des linken Oberschenkels und konservativer Versorgung der übrigen Brüche), im Städtischen Krankenhaus S. (19. Oktober bis 11. November 2000) und in der B. -Klinik Ü. (Anschlussheilbehandlung vom 16. November bis 7. Dezember 2000) folgten. In der Folgezeit entwickelte sich eine Pseudarthrose im Bereich des linken Oberschenkels; darauf wurde der Kläger in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik (BG-Klinik) T. (17. Juli bis 2. August 2001) aufgenommen, wo am 19. Juli 2001 der gebrochene Oberschenkelnagel entfernt, im Bereich der Pseudarthrose eine Dekortikation durchgeführt wurde und ferner eine Reosteosynthese mittels Kondylenplatte erfolgte. Bis Juli 2002 bescheinigte der Hausarzt für die private Krankenversicherung des Klägers Arbeitsunfähigkeit. Während eines nochmaligen stationären Aufenthalts in der BG-Klinik T. (3. bis 13. Februar 2003) ist aufgrund einer Valgus- und Außentorsionsstellung des linken Oberschenkels am 4. Februar 2003 eine Achsenkorrektur durchgeführt worden. Im Jahr 2004 hat der Kläger aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung rückwirkend zum Unfallzeitpunkt eine monatliche Rente zuerkannt erhalten.

Bereits am 13. Dezember 2001 hatte der Kläger bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Baden-Württemberg einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung gestellt, welchen er mit den am 1. Oktober 2000 erlittenen Knochenbrüchen sowie der Pseudarthrose des linken Oberschenkels begründete. Durch Bescheid vom 15. Februar 2002 ließ die LVA den Kläger zur Zahlung eines freiwilligen Beitrags im Wege des Herstellungsanspruchs zu, nachdem bei Prüfung des Beitragskontos aufgefallen war, dass die Veranlagung trotz anderslautenden Antrags des Klägers erst ab Februar 1991 vorgenommen worden war; eine Beitragszahlung seitens des Klägers erfolgte zunächst nicht. Die LVA veranlasste Begutachtungen durch den Orthopäden Dr. T. und die Ärztin für Allgemeinmedizin/Sozialmedizin Dr. S ... Dr. T. erachtete den Kläger im Gutachten vom 5. März 2002 für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne schwere einseitige Belastung der Wirbelsäule noch mehr als sechs Stunden täglich leistungsfähig. Dr. S. schloss sich dieser Beurteilung im Gutachten vom 13. März 2002 an. Durch Bescheid vom 21. März 2002 lehnte die LVA den Rentenantrag ab, weil nach den getroffenen Feststellungen weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit (BU) bestehe. Im April 2002 zahlte der Kläger den freiwilligen Beitrag für den Monat Januar 1991 nach. Ferner erhob er gegen den Bescheid vom 21. März 2002 Widerspruch, zu dem er eine Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. U. vom 19. Juli 2002 einreichte. Unter dem 6. August 2002 erging der zurückweisende Widerspruchsbescheid; nach Entrichtung des freiwilligen Beitrags seien zwar die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt, jedoch sei der Kläger nicht voll erwerbsgemindert und auch nicht berufsunfähig, weil er ab dem theoretisch möglichen Rentenbeginn (1. Dezember 2001) wieder mindestens sechs Stunden täglich als Schreinermeister tätig sein könne.

Deswegen hat der Kläger am 5. September 2002 Klage zum Sozialgericht (SG) Konstanz erhoben. Das SG hat zunächst Dr. U. , HNO-Ärztin Dr. H. und Facharzt für Orthopädie K. als sachverständige Zeugen schriftlich gehört. Während Dr. H. Schreiben vom 12. Dezember 2002) auf ihrem Fachgebiet keine Leistungseinschränkungen sah, haben Dr. U. (Schreiben vom 3. Dezember 2002 und 5. August 2003) und Orthopäde K. (Schreiben vom 23. Juni 2003) jedenfalls hinsichtlich der Einsatzfähigkeit des Klägers als Schreinermeister Bedenken geäußert, wobei der Orthopäde jedoch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten bejaht hat. Das SG hat von der BG-Klinik T. noch die Befundberichte über ambulante Untersuchungen vom 18. März, 24. April und 17. Juli 2003 beigezogen. Das SG Konstanz hat darauf Facharzt für Orthopädie Dr. B. zum Sachverständigen bestellt. Im Gutachten vom 4. März 2004 ist der Arzt zum Ergebnis gelangt, dass der Kläger körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten noch vollschichtig verrichten könne; ausgeschlossen seien ständig gehende und stehende Tätigkeiten, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 10 kg ohne mechanische Hilfsmittel, ständige oder gehäuft durchzuführende Arbeiten in ungünstigen Kopfhaltungen (z.B. Überkopfarbeiten), Arbeiten in häufiger oder ständiger gebückter Haltung oder sonstiger Zwangshaltung der Wirbelsäule, Arbeiten in kniender und hockender Stellung, Tätigkeiten mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, Arbeiten mit Anmarschwegen von mehr als 2 km, zu vermeiden ferner Tätigkeiten mit häufiger oder ständiger Exposition von Nässe, Kälte und Zugluft sowie Tätigkeiten mit erhöhter Beanspruchung der Feinmotorik und des manuellen Geschicks. Dr. B. hat im Gutachten die Tätigkeit eines Schreinermeisters nicht mehr für zumutbar gehalten, während der Kläger jedoch Teilbereiche des Schreinereigewerbes, z.B. die Tätigkeit eines Bilderrahmentischlers, noch vollschichtig ausüben könne. Das SG hat anschließend aus der Datenbank "BERUFEnet" der Bundesagentur für Arbeit (BA) Unterlagen zum Berufsbild des/der Holzmechanikers/in - Leisten- und Rahmenindustrie beigezogen. Die Beklagte hat darauf - unter Vorlage von Auszügen aus dem Urteil des SG Karlsruhe vom 4. Februar 2003 (S 6 RJ 2855/00) und des Hessischen Landesozialgerichts (LSG) vom 11. Oktober 1988 (L 12 J 843/87) sowie der Auskunft des Einzelhandelsverbands Baden- Württemberg e.V. vom 2. Juni 1997 - als Verweisungsberufe diejenigen eines Fachberaters in einem Küchenstudio, einer Bürokraft bzw. eines technischen Angestellten in einer größeren Schreinerei sowie des Möbelverkäufers benannt. In seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 27. Juli 2004 hat Dr. B. große Teile des Tätigkeitsfeldes eines Bilderrahmentischlers sowie alle von der Beklagten genannten Verweisungstätigkeiten mit dem Restleistungsvermögen des Klägers vereinbar und ihm daher vollschichtig zumutbar gehalten. Mit Urteil vom 14. September 2004 hat das SG die Klage abgewiesen; wegen der Einzelheiten der Gründe wird auf das dem Bevollmächtigten des Klägers am 11. Oktober 2004 zugestellte Urteil verwiesen.

Hiergegen richtet sich die am 11. November 2004 beim LSG eingelegte Berufung des Klägers. Er ist der Auffassung, zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit nicht mehr in der Lage zu sein; auch Tätigkeiten als Bilderrahmentischler, Fachberater in einem Küchenstudio oder Bürokraft bzw. technischer Angestellter in größeren Schreinereien seien ihm nicht zumutbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 14. September 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. August 2002 zu verurteilen, ihm ab 1. Dezember 2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend. Der Kläger sei im Übrigen als Schreinermeister selbständig tätig gewesen, was zu der Annahme berechtige, dass sich auch ein so genannter "Einmannbetrieb" nicht ohne betriebswirtschaftliche, organisatorische, kaufmännische und rechtliche Kenntnisse führen lasse. Sie hat die beratungsärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie/Sozialmedizin Dr. L. vom 9. Mai 2005 zu den Akten gereicht.

Der Senat hat Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. als sachverständigen Zeugen schriftlich befragt; dieser hat im Schreiben vom 12. April 2005 über die Behandlungen des Klägers seit 21. Februar 2005 berichtet. Auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat anschließend Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Ho. als Sachverständige beauftragt. Im Gutachten vom 15. Dezember 2005 hat die Ärztin eine depressive Entwicklung mit Somatisierungstendenzen, in etwa einer Dysthymie oder neurotischen Depression entsprechend, diagnostiziert. Die Sachverständige ist zum Ergebnis gelangt, dass der Kläger Tätigkeiten ohne Zeitdruck und im Akkord noch mehr als sechs Stunden täglich verrichten könne; jedenfalls hinsichtlich von Bürotätigkeiten, z.B. im logistischen Bereich einer größeren Firma, bestünden, auch was die Umstellungsfähigkeit des Klägers betreffe, keine Bedenken. Der Senat hat den Beteiligten ferner Berufsinformationen aus der Datenbank "BERUFEnet" der BA zum Beruf des Tischlermeisters/in übersandt.

Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers und seines Bevollmächtigten in der Sache verhandeln und entscheiden, da in der dem Klägerbevollmächtigten rechtzeitig und formgerecht zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufung wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat in der streitbefangenen Zeit keinen Anspruch auf die im Haupt- und Hilfsantrag begehrten Renten wegen Erwerbsminderung.

Maßgeblich für die beanspruchten Renten ist vorliegend das ab 1. Januar 2001 für die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit geltende Recht (eingeführt durch Gesetz vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827)), denn im Streit steht ein Anspruch des Klägers erst ab 1. Dezember 2001 (vgl. § 300 Abs. 1 und 2 SGB VI). Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie (1.) voll erwerbsgemindert sind, (2.) in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (versicherungsrechtliche Voraussetzungen) und (3.) vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2 a.a.O.). Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. hierzu allgemein Bundessozialgericht (BSG) - Großer Senat - BSGE 80, 24 ff. = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). Versicherte, die, wie der Kläger, vor dem 2. Januar 1961 geboren sind, haben - bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen (vgl. hierzu § 43 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI) - im Falle der Berufsunfähigkeit (BU) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 240 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGB VI). Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2 a.a.O.). Gemäß § 240 Abs. 2 Satz 4 SGB VI ist nicht berufsunfähig, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Eine Drei-Fünftel-Belegung mit Pflichtbeiträgen ist nach der Übergangsregelung des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI nicht erforderlich, wenn schon vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt war und jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufunfähigkeit (§ 240 SGB VI) mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist.

Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Nr. 2, § 51 Abs. 1 SGB VI) hatte der Kläger bereits im Dezember 1976 erfüllt. Ferner wären - nach zwischenzeitlich erfolgter Zahlung des freiwilligen Beitrags für den Monat Januar 1991 - die übergangsrechtlichen Voraussetzungen des § 240 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI (lückenlose Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten seit 1. Januar 1984; vgl. auch Versicherungsverlauf vom 21. März 2002) gegeben, wenn die verminderte Erwerbsfähigkeit - wie vom Kläger in der Anlage zum Rentenantrag geltend gemacht - bereits am 1. Oktober 2000 eingetreten wäre; sie wären jedoch auch noch bei einem erst mit der Rentenantragstellung eingetretenen Leistungsfall erfüllt. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hat der Kläger indes keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung oder auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei BU, weil er in der streitbefangenen Zeit ab 1. Dezember 2000 nicht voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI und auch nicht berufsunfähig (§ 240 SGB VI) gewesen ist.

Die gesundheitliche Beeinträchtigungen des Klägers berühren vorwiegend das chirurgisch-orthopädische und das nervenärztliche Fachgebiet; sie führen jedoch zu keinen die begehrten Renten begründenden Leistungseinschränkungen. Auf chirurgisch-orthopädischem Gebiet leidet der Kläger an den Restfolgen des Unfalltraumas vom 1. Oktober 2000 mit einer sonographisch nachzuweisenden Rotatorenmanschettenläsion rechts nach rechtsseitiger Schultergelenksluxation, an einem ortsständigen thorakolumbalen Wirbelsäulensyndrom mit geringer statischer Auswirkung nach knöchern vollständig konsolidierter Kompressionsfraktur des 9. und 11. Brustwirbelkörpers, an Restbeschwerden im linken Oberschenkel bei - bis auf eine geringfügige Beinverkürzung links - weitgehend folgenlos verheilter Reoperation wegen Fehlstellung mit Pseudarthrose sowie an einer schmerzhaften Belastungsstörung des linken Kniegelenks ohne nennenswerte Funktionseinschränkung bei vorwiegend posttraumatischer Retropatellararthrose; die Acetabulumfrakur links und die Sitzbeinfraktur links sind ohne wesentliche Funktionsbehinderung verheilt, neurologische Defizite im Bereich der Wirbelsäule insbesondere mit Blick auf die Brustwirbelkörperfrakturen sind nicht vorhanden. Unfallunabhängig bestehen ein ortsständiges zervikales Wirbelsäulensyndrom sowie eine initiale Retropatellararthrose rechts. Außerdem liegt eine geringfügige Funktionseinschränkung des rechten Daumenendgelenks mit Teilverlust des rechten Daumennagels und Verminderung der Sensibilität des rechten Daumens vor nach einem Ende der 1990er Jahre stattgehabten Arbeitsunfall. Auf nervenärztlichem Gebiet leidet der Kläger an einer reaktiv-depressiven Entwicklung mit Somatisierungstendenzen. Ein Karpaltunnelsyndrom konnte anlässlich der neurographischen Untersuchung bei Dr. M. angeschlossen werden. Auf hals-nasenohrenärztlichem Gebiet bestehen - bis auf Nasenpolypen und eine chronische Tonsillitis - keine Gesundheitsstörungen.

Die beim Kläger vorhandenen Krankheitsbilder bewirken keine Einschränkung seines Leistungsvermögens in quantitativer Hinsicht. Der Senat schließt sich insoweit der überzeugenden Beurteilung der Sachverständigen Dr. B. und Ho. , der Rentengutachter Dr. T. und Dr. S. , deren Gutachten vom 5. und 13. März 2002 urkundenbeweislich zu verwerten sind, der sachverständigen Zeugen Dr. H. und K. sowie der Beratungsärztin Dr. L. in ihrer als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen zu würdigenden Stellungnahme vom 9. Mai 2005 an; alle diese Ärzte haben zeitliche Leistungseinschränkungen verneint. Der behandelnde Arzt Dr. U. hat sich bezüglich der zeitlichen Leistungsfähigkeit nicht dezidiert geäußert; der sachverständige Zeuge Dr. M. hat im Übrigen von einer Befundbesserung seit der Erstbehandlung gesprochen. Hinsichtlich des zu beachtenden positiven und negativen Leistungsbildes würdigt der Senat die schlüssigen ärztlichen Äußerungen dahingehend, dass der Kläger körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann. Ausgeschlossen sind ständig gehende oder stehende Tätigkeiten, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 10 kg ohne mechanische Hilfsmittel, ständige oder gehäuft durchzuführende Arbeiten in ungünstigen Körperhaltungen (z.B. Überkopfarbeiten), Arbeiten in häufiger oder ständiger gebückter Haltung oder sonstiger Zwangshaltung der Wirbelsäule einschließlich deren einseitiger Belastung, Arbeiten in kniender und hockender Stellung, Tätigkeiten mit Besteigen von Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten mit Anmarschwegen über 2 km, zu vermeiden ferner Arbeiten mit erhöhter Beanspruchung der Feinmotorik und des manuellen Geschicks, Tätigkeiten mit häufiger oder ständiger Belastung durch Nässe, Kälte und Zugluft sowie Arbeiten unter Zeitdruck und im Akkord. Die Notwendigkeit zu Arbeitsunterbrechungen in einem das betriebsübliche Maß übersteigenden Rahmen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19. August 1997 - 13 RJ 11/96 - (juris)) besteht unter Würdigung der ärztlichen Ausführungen ebenso wenig wie eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Gehfähigkeit (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10); sowohl Dr. B. als auch die ärztliche Psychotherapeutin Ho. haben derartige Einschränkungen ausdrücklich verneint.

Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen ist der Kläger zur Überzeugung des Senats weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, und zwar auch nicht im Sinne einer BU. Bei der Prüfung, ob der Versicherte noch einen ihm zumutbaren Arbeitsplatz ausfüllen kann oder ihm eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden muss, ist von seinem bisherigen Beruf auszugehen (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 75). Als bisheriger Beruf ist, sofern sich der Versicherte von seinem vorherigen Beruf nicht aus gesundheitlichen Gründen gelöst hat, grundsätzlich die letzte vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit anzusehen, welcher er sich auf Dauer zugewandt hat (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 130, 164). Vorliegend ist bisheriger Beruf des Klägers die Tätigkeit als Schreinermeister in einem Einmannbetrieb, für welche er in der Zeit von Juni 1988 bis Dezember 1990 Pflichtbeiträge nach dem Handwerkerversicherungsgesetz entrichtet hat (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 39; BSG, Urteil vom 23. März 1995 - 13 RJ 27/94 - (juris)). Mit diesem Beruf genießt der Kläger, wie nachstehend auszuführen sein wird, zwar Berufsschutz, ohne dass daraus hier indes ein Rentenanspruch hergeleitet werden kann.

Zur Erleichterung der Einordnung der Berufe der Versicherten und der ggf. in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten hat die höchstrichterliche Rechtsprechung ein Mehrstufenschema entwickelt, das eine Untergliederung in Leitberufe vorsieht, nämlich denjenigen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannte Ausbildungsberufe mit einer Regelausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstige Ausbildungsberufe mit einer Ausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters (ständige Rechtsprechung; vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45 m.w.N.). Grundsätzlich darf der Versicherte nur auf die nächst niedrige Stufe verwiesen werden (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 5 m.w.N.). In die oberste Gruppe mit dem Leitbild des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters gehören Versicherte, die ihre zur Gruppe der Facharbeiter zählenden Arbeitskollegen wegen der qualitativen, insbesondere geistigen und persönlichen Anforderungen ihrer bisherigen tatsächlich verrichteten Arbeiten deutlich überragt haben. Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion müssen Weisungsbefugnis gegenüber mehreren anderen Facharbeitern gehabt haben und dürfen selbst nicht Weisungen eines anderen Beschäftigten im Arbeiterverhältnis unterlegen haben; besonders hoch qualifizierte Facharbeiter sind u.a. Versicherte, die eine Tätigkeit ausgeübt haben, zu der sie sich zusätzlich zu einer vorgeschriebenen, mit einer Facharbeiter- oder Gehilfenprüfung abgeschlossenen Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf durch eine längere planmäßige spezielle weitere Ausbildung mit Prüfungsabschluss qualifiziert haben (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn. 34 und 39; BSG, Urteil vom 23. März 1995 a.a.O.). Die Tätigkeit des Klägers als Schreinermeister in seinem Einmannbetrieb schließt eine Qualifizierung der Tätigkeit als diejenige eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion aus, weil eine Weisungsbefugnis gegenüber Facharbeitern nicht bestand. Manches spricht dagegen dafür, dass der Kläger, der durch die Meisterprüfung seine Fähigkeit nachgewiesen hat, einen Handwerksbetrieb selbständig zu führen, Lehrlinge ordnungsgemäß auszubilden sowie die in seinem Handwerk gebräuchlichen Arbeiten meisterhaft verrichten zu können, als besonders hoch qualifizierter Facharbeiter einzustufen ist, denn mit der Beklagten geht der Senat davon aus, dass der Kläger in seinem Einmannbetrieb auch tatsächlich mit Arbeiten befasst war, welche die durch die Zusatzausbildung zum Meister vermittelten Fähigkeiten auf betriebswirtschaftlichem, kaufmännischem, rechtlichem und berufserzieherischem Gebiet erforderten (vgl. hierzu nochmals BSG a.a.O.). Dessen ungeachtet ist der Kläger jedoch noch in der Lage, als Schreinermeister tätig sein, wobei hier dahingestellt bleiben kann, ob er - wie von der Beklagten vermutet - derzeit weiterhin selbständig tätig ist. Denn jedenfalls kann der Kläger sozial und gesundheitlich zumutbar als Fach- und Führungskraft in der Betriebsabteilung einer größeren Schreinerei tätig sein. Eine solche Tätigkeit ist - wie der Senat den Berufsinformationen der BA in der Datenbank "BERUFEnet" entnimmt - vom Berufsbild des Tischermeisters umfasst. Dass es sich insoweit um eine unselbständige Tätigkeit handelt und der Kläger ggf. seinen Betrieb schließen muss, macht eine solche abhängige Beschäftigung nicht unzumutbar (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 39).

Fach- und Führungskräfte in Tischlereien übernehmen nach den vorgenannten Berufsinformationen u.a. die Berechnung des erforderlichen Holzbedarfs und der Fertigungszeiten, sind für die Materialdisposition verantwortlich, wählen die erforderlichen Hölzer, Holzwerkstoffe, Geräte und Maschinen aus und kaufen diese ggf. gemeinsam mit dem Einkäufer oder der Betriebsleitung ein, stellen die Betriebsbereitschaft und den rationellen Einsatz der Betriebsmittel sicher, legen das Arbeitsprogramm fest und vergeben die Arbeitsaufträge an die Mitarbeiter, erstellen Entwurfsskizzen, stellen Maschinen und Geräte ein und überprüfen und kontrollieren diese, fertigen Arbeitsmodelle und überwachen Prototypen, überwachen die Herstellung der in der Tischlerei hergestellten Produkte und überprüfen deren Formgenauigkeit, legen die Arbeitsabläufe in der Weiterverarbeitung fest, kontrollieren die Montage von einzelnen Teilen zu einem Gesamtkorpus, unterstützen die Mitarbeiter fachlich, überwachen die Arbeitsdurchführung und -qualität sowie die Einhaltung von Kosten und Terminen, leiten die Mitarbeiter an, wirken an deren Weiterbildung mit und führen den betrieblichen Teil der Ausbildung durch. Dem Anforderungsprofil dieses Berufsbilds vermag der Kläger gesundheitlich zu entsprechen. Ständig gehende und stehende Tätigkeiten sowie das Heben, Tragen und Bewegen schwerer Lasten fallen nicht an, ständige oder gehäufte ungünstige Kopfhaltungen oder Zwangshaltungen der Wirbelsäule können ebenso vermieden werden wie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Tätigkeiten mit erhöhter Beanspruchung der Feinmotorik und des manuellen Geschicks, Belastung durch Nässe, Kälte und Zugluft sowie Zeitdruck. Arbeitsplätze im genannten Berufsbild sind auch - wie sich aus den Berufsinformationen der BA zwanglos ergibt - in genügender Zahl vorhanden. Der Kläger ist der Tätigkeit als Fach- und Führungskraft in einer größeren Schreinerei nach seinem beruflichen Können und Wissen gewachsen; auch seine Umstellungsfähigkeit ist unter Berücksichtigung der Ausführungen der Sachverständigen Ho. gegeben. Die Sachverständige hat aus therapeutischer Sicht sogar ausdrücklich den Wiedereinstieg in den Arbeitsprozess empfohlen. Der Senat hat ferner keinen Zweifel daran, dass der Kläger mit der vorbeschriebenen Tätigkeit als Schreinermeister auch die gesetzliche Lohnhälfte erzielen kann. Eine derartige berufliche Tätigkeit ist dem Kläger nach allem gesundheitlich und sozial zumutbar.

Unerheblich ist, ob dem Kläger in der streitbefangenen Zeit überhaupt ein geeigneter freier Arbeitsplatz hätte angeboten werden können, denn dieses Risiko trifft allenfalls die Arbeitsverwaltung, nicht jedoch die gesetzliche Rentenversicherung, welche ihre Versicherten allein vor den Nachteilen einer durch Krankheit oder Behinderung geminderten Leistungsfähigkeit zu schützen hat (vgl. BSGE 78, 207, 211 f.; ferner §§ 43 Abs. 2 Satz 4, 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI a.F.). Etwaige häufigere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bewirken für sich allein im Übrigen noch keine verminderte Erwerbsfähigkeit (vgl. BSGE 9, 192, 194; BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 12 S. 23).

Nach allem ist der Kläger nicht berufsunfähig; er ist damit erst recht nicht vol erwerbsgemindert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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