S 12 KA 857/08 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 857/08 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 122/08 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmender Vertragsarzt hat in einem anderem Notdienstbezirk keinen Anspruch auf Teilnahme an Notdiensten in einem bestimmten Umfang.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 10.12.2008 wird abgewiesen.

2. Der Antragsteller hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 1.667 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung des Antragstellers bei der Vergabe von Notdiensten im Bezirk der Notdienstgemeinschaft BS. in der Zeit vom 02.01. bis 31.01.2009.

Der Antragsteller ist als Frauenarzt mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Der Antragsteller wurde im Notdienstbezirk BS. für verschiedene Dienste im Zeitraum vom 14.09. bis 01.01.2009 eingeteilt. Der Obmann des Notdienstbezirkes Dr. C teilte dem Antragsteller unter Datum vom 28.07.2008 mit, nach einer Reihe von Klagen seitens verschiedener Patienten über vom Antragsteller ausgeführte Behandlungen und sein Verhalten gegenüber diesen Patienten, insbesondere aber nachdem er vor dem Krankenhaus in BS. in Sichtweite einer Patienten uriniert habe, möchte er ihn bitten, die weiteren Dienste im ärztlichen Bereitschaftsdienst in BS. nicht mehr wahrzunehmen. Er werde daher die Dienste anderweitig besetzen. Er könne nicht zulassen, dass die Reputation des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in dieser Art und Weise beschädigt werde. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und beantragte bei der Kammer den Erlass einer einstweiligen Anordnung am 04.08.2008. Die Antragsgegnerin führte hierzu unter Datum vom 11.08.2008 aus, bei dem Schreiben des Obmanns handele es sich nicht um einen Bescheid von ihr. Wie der Antragsteller selbst ausführe, befinde sich auch die Erklärung des Obmanns nicht im Einklang mit ihrer Notdienstordnung. Sie werde daher den Obmann zur Einhaltung der Notdienstordnung anweisen. Es bedürfe daher keiner Entscheidung des Gerichts über den Antrag des Antragstellers. Mit Schriftsatz vom 02.09.2008 erklärte die Antragsgegnerin den Rechtsstreit für erledigt, da der Obmann zwischenzeitlich mit Schreiben vom 28.08.2008 bestätigt habe, dass er seine Diensteinteilung aufrecht erhalte. In der Folgezeit entspann sich ein Schriftwechsel zwischen den Beteiligten über die Kostentragungspflicht und über die Erweiterung des Antrags auf die Dienstteilnahme ab dem 02.01.2009. Auf Hinweis des Gerichts nahm der Antragsteller den Antrag am 10.12.2008 zurück.

Am 10.12.2008 stellte der Antragsteller einen weiteren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung führte er aus, er habe bei dem Obmann, Herrn Dr. C, die Teilnahme an ambulanten Bereitschaftsdiensten im Bezirk BS. für die Zeit vom 02.01.2009 bis 01.01.2010, und zwar 3 bis 11 mal in jedem Monat, beantragt. Eingeteilt worden sei er lediglich für 3 Dienste im Mai, 2 Dienste im Juni, jeweils einen Dienst im Zeitraum Juli bis September, und jeweils 2 Dienste im Oktober und November sowie weitere Dienste im Dezember 2009. Dies ergebe eine durchschnittliche Zahl an Diensten von 16 geteilt durch 12 gleich 1,33 im Monat. Die durchschnittliche Zahl an Diensten, die anderen Ärzten genehmigt worden sei, betrage 2,78 Dienste. Hierin zeige sich die erhebliche Benachteiligung des Antragstellers. Der Dienst am 01.01.2009 sei ihm jedoch schon bei der Diensteinteilung für 2008 zugeteilt worden. Andere Ärzte hätten 5 bis 7 Dienste erhalten. Er habe Widerspruch gegen den Dienstplan, der ihm am 01.12.2008 zugegangen sei, eingelegt. Eine Antwort sei bisher nicht erfolgt. Aufgrund der Eilbedürftigkeit, gerade für Januar 2009, sei der Antrag dringend erforderlich.

Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn bei Bereitschaftsdiensten im Bezirk BS. in der Zeit vom 02.01. bis 31.01.2009 in gleichem Umfang zu berücksichtigen wie seine Mitbewerber, jedenfalls ihm zumindest die durchschnittliche Anzahl der Dienste zu genehmigen, die auch seinen Kollegen genehmigt worden sei.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, es sei weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf die Erteilung zum Dienst im ärztlichen Bereitschaftsdienst BS. in der Zeit vom 02.01. bis 31.01.2009 im gleichen Umfang wie seine Mitbewerber. Er sei mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Sein Anspruch beschränke sich auf eine ermessensfehlerfreie Bescheidung. Am Notdienst nehmen grundsätzlich alle niedergelassenen Ärzte teil. Andere Ärzte nähmen nur insoweit daran teil, soweit aufgrund der organisatorischen Erfordernisse eine Mitwirkungsnotwendigkeit gesehen werde. Eine ermessensfehlerhafte Bescheidung sei nicht ersichtlich. Neben den Wünschen des Antragsgegners seien auch die Wünsche der anderen Ärzte zu berücksichtigen. Der Obmann des Notdienstbezirkes habe mit Schreiben vom 15.12.2008 erklärt, dass sich zwingend aus den ihm übermittelten Dienstwünschen der Ärzte, die bislang an Vordergrunddiensten teilgenommen hätten, mehrfach Besetzungen für die verschiedensten Tage ergeben hätten. Dabei sei es auch keine Seltenheit, dass für einen Dienst 5 oder gar 6 Bewerber gleichzeitig eingeteilt werden möchten. Zu berücksichtigen seien daher zunächst die in dem Notdienstbezirk niedergelassenen Ärzte, die einen Anspruch auf Teilnahme hätten, und die Ärzte, die bereits seit längerer Zeit ihre Dienste im Notdienstbezirk verrichtet hätten. Der Antragsteller habe erstmals im Jahr 2008 an den Notdiensten im Notdienstbezirk BS. teilgenommen. Dabei sei er nur als Vertreter bzw. Nachfolger eines ärztlichen Kollegen eingesetzt worden, welcher selber nur als Vertreter eingesetzt gewesen sei. Für die Einteilung des Antragstellers zu weiteren Diensten fehle es an einem Bedarf. Es hätten zeitgleiche Wünsche von den im Notdienstbezirk niedergelassenen Ärzten vorgelegen. Die Wünsche des Antragstellers seien nachrangig zu beurteilen gewesen, da er im Bezirk nicht niedergelassen sei. Er stelle auch seinen Lebensunterhalt nicht über die Notdiensttätigkeit sicher. Er verrichte auch noch Notdienste im Notdienstbezirk A-Stadt. Er habe auch einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft dargelegt.

Hierauf erwiderte der Antragsteller unter Datum vom 27.12.2008 (offensichtlich irrtümlich zum Az.: S 12 KA 390/08 ER), kein Arzt, der an den Notdiensten in BS. teilnehme, sei dort niedergelassen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei grob missachtet worden. Unbestritten nicht niedergelassene Ärzte hätten 5 oder gar 6 Dienste erhalten. Er habe sich bereits 2007 das erste Mal im Notdienstbezirk gemeldet. Bereits länger tätige Ärzte seien nicht vorrangig zu berücksichtigen. Er sei auch zu keiner Zeit lediglich nur für einen anderen Kollegen eingesprungen. Erst seit dem skandalösen Schreiben vom 28.07.2008 werde er offensichtlich diskriminiert. In A-Stadt werde er nicht diskriminiert. Er sei auf die Dienste finanziell angewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und beigezogenen Verfahrensakte mit dem Az.: A 12 KA 390/08 ER verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet.

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag einen Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 1 u. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Es müssen ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 920 Zivilprozessordnung i. V. m. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG).

Nach Aktenlage ist ein Anordnungsanspruch nicht ersichtlich.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 der hier maßgeblichen und ab 01.10.2002 gültigen Notdienstordnung, bekannt gegeben durch die Bekanntmachung vom 20.09.2002 (Teil I), zuletzt geändert durch Beschluss der Abgeordnetenversammlung vom 24.11.2004, bekannt gegeben durch die Anlage 1 zum Landesrundschreiben/Bekanntmachung vom 15.12.2004 (im Folgenden: NDO), die Satzungsqualität hat, nehmen am organisierten allgemeinen Notdienst grundsätzlich alle niedergelassenen Vertragsärzte einer Notdienstgemeinschaft teil sowie bei Vorliegen einer entsprechenden Qualifikation – siehe hierzu § 11 Absatz (1) – privat niedergelassene Ärzte und andere Ärzte, sofern bei letzterem die Bezirksstelle aufgrund der organisatorischen Erfordernisse eine Mitwirkungsnotwendigkeit sieht. Soweit eine gebietsärztliche Bereitschaft mit Zustimmung des Vorstandes oder eines von ihm beauftragten Gremiums besteht, nehmen grundsätzlich alle Gebietsärzte des entsprechenden Gebietes hieran teil. Hierbei bilden die in einem Notdienstbezirk niedergelassenen Vertragsärzte die Notdienstgemeinschaft in dem beschriebenen örtlich abgegrenzten Bereich § 2 Abs. 2 NDO).

Der in A-Stadt niedergelassene Antragsteller gehört nicht zur Notdienstgemeinschaft BS., für die er die Teilnahme begehrt. Er hat daher keinen Anspruch darauf, am Notdienst beteiligt zu werden. Sein Anspruch beschränkt sich auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Teilnahme am Notdienst.

Die Teilnahmeberechtigung nach § 95 Abs. 3 SGB V schließt eine Teilnahme am vertragsärztlichen Notdienst (§ 75 Abs. 1 Satz 2) ein, da dieser zum Versorgungsauftrag gehört. Der Teilnahmeanspruch ist aber nach der zulässigen Ausgestaltung der NDO auf die Teilnahme im eigenen Notdienstbezirk beschränkt. Für die Teilnahme am vertragsärztlichen Notdienst in anderen Notdienstbezirken besteht lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung. Eine mögliche Diskriminierung hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller weist selbst darauf hin, dass er im Jahr 2009 für 16 Bereitschaftsdienste eingeteilt wurde. Insofern kann eine Nichtbeachtung der Wünsche des Antragstellers ausgeschlossen werden. Der Antragsteller hat aber, wovon die Antragsgegnerin zu Recht ausgeht, keinen Anspruch auf bestimmte Notdienste bzw. auf einen bestimmten oder höheren Umfang an Notdiensten, jedenfalls nicht für den strittigen Zeitraum 02.01. bis 31.01.2009. Die Antragsgegnerin hat auch insoweit darauf hingewiesen, dass vorrangig die Wünsche der niedergelassenen Ärzte, die im Übrigen im Gegensatz zu den nicht im Notdienstbezirk niedergelassenen Ärzte verpflichtet sind, gerade auch bei Fehlen weiterer Ärzte, den Notdienst durchzuführen, zu berücksichtigen sind. Allein aus dem Umstand der vom Antragsteller genannten unterschiedlichen Häufigkeit der Einteilung zu den Notdiensten kann auf eine Diskriminierung nicht geschlossen werden. Hinzu kommt, dass selbst dann, wenn die Entscheidung des Obmanns fehlerhaft sein sollte, daraus kein Anspruch des Antragstellers für bestimmte Notdienste im Januar 2009 folgen würde. Sollten tatsächlich nicht niedergelassene Ärzte wesentlich mehr Dienste erhalten haben, so könnte darin eine ermessensfehlerhafte Entscheidung der Beklagten liegen. Dies kann aber im einstweiligen Anordnungsverfahren nicht aufgeklärt werden. Hinzu kommt ferner, gerade auch im Hinblick auf den Anordnungsgrund, dass die Einteilung für Januar 2009 bereits vorgenommen wurde und insofern Ansprüche der bereits eingeteilten Ärzte bestehen, die nicht ohne Weiteres beseitigt werden können. Auch weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass der Antragsteller als Vertragsarzt tätig ist und in seinem Bezirk Notdienste verrichtet. Soweit der Antragsteller auf seine finanzielle Situation hinweist, folgt hieraus kein schützenswertes Interesse. Der Kläger konnte aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit im Notdienstbezirk BS. nicht davon ausgehen, dass er in einem bestimmten Umfang zum Notdienst herangezogen werde. Ein wie auch immer gearteter Vertrauensschutz auf bestimmte Einkünfte besteht nicht. Insofern trägt der Kläger ein unternehmerisches Risiko als niedergelassener Vertragsarzt. Soweit ihm die Einkünfte hieraus nicht reichen, folgt kein Anspruch auf Teilnahme in anderen Notdienstbezirken. Insofern fehlt es auch an einem Anordnungsgrund.

Nach allem war der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den gesetzlichen Vorgaben.

Für das Klageverfahren gilt das Gerichtskostengesetz i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG) vom 05.05.2004, BGBl. I S. 718, da der Antrag nach dem 30.06.2004 anhängig wurde (vgl. § 72 Nr. 1 GKG). Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, was hier der Fall ist, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt (§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG). In Prozessverfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit wird die Verfahrensgebühr mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 GKG).

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG).

Auszugehen war hier vom Regelstreitwert, der für das einstweilige Anordnungsverfahren zu dritteln war.
Rechtskraft
Aus
Saved