L 8 SB 763/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 673/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 763/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. Januar 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.

Das Versorgungsamt Rottweil (VA) stellte bei dem 1938 geborenen Kläger mit Abhilfebescheid vom 06.12.1993 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 fest. Mit Neufeststellungsbescheid vom 21.05.2003 erhöhte das VA den GdB ab 19.03.2003 auf 60. Hierbei berücksichtigte es eine Teillähmung des linken Armnervengeflechts, eine Gebrauchseinschränkung des linken Armes, eine Gebrauchseinschränkung der linken Hand und einen operierten Bandscheibenschaden.

Am 29.04.2004 musste sich der Kläger einer Bandscheibenoperation (Nucleotomie L5/S1 rechts sowie Dekompression L4-S1 und posteriore lumbale interkorpale Fusion mit Trinity II L4-S1) unterziehen. Während des stationären Krankhausaufenthaltes erlitt der Kläger Anfang Mai 2004 einen Herzinfarkt. Deshalb wurde am 23.05.2004 eine Fünffachrevaskularisation (Gefäßerweiterung) durchgeführt. Nach der Bandscheibenoperation trat beim Kläger eine Fußheberschwäche am rechten Bein auf. Die Lähmung des Fußhebers rechts bewirkt, dass der Fuß beim Gehen nicht angehoben werden kann und beim Vorschwingen des Beins auf dem Boden schleift. Der Kläger trägt deshalb eine Schiene, die den rechten Fuß im rechten Winkel fixiert und so ein Gehen möglich macht.

Am 19.07.2004 beantragte der Kläger beim VA die Erhöhung des GdB und die Feststellung der Nachteilsausgleiche G und aG. Zur Begründung gab er an, sein rechtes Bein sei seit 29.04.2004 infolge einer Wirbelsäulenoperation gelähmt. Ferner habe er sich im Mai 2004 einer Herzoperation (Implantation von fünf Bypässen) unterziehen müssen. Er legte hierzu entsprechende Klinikberichte vor. Das VA holte von dem behandelnden Arzt Dr. W. einen Befundbericht (nebst weiteren ärztlichen Unterlagen) ein und zog den Bericht der Fachklinik für Innere Medizin in A. über die stationäre Behandlung des Klägers vom 05.06. bis 19.06.2004 bei. Dr. W. gab am 02.08.2004 an, Lumboischialgien aufgrund der Wirbelsäulenerkrankung und die Lähmung des Fußhebers rechts ließen nur kurze Gehstrecken in sehr langsamem Tempo zu. Derzeit sei der Kläger auf die Benutzung einer Gehhilfe angewiesen. In der zu den vorliegenden ärztlichen Unterlagen eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme wurden die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers mit einem GdB von 100 bewertet. Ferner wurden die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches G als erfüllt angesehen. Die Voraussetzungen für eine Gleichstellung mit dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten wurden hingegen verneint. Mit Datum vom 04.11.2004 erließ das VA einen entsprechenden Neufeststellungsbescheid (GdB 100 seit 19.07.2004, Nachteilsausgleich G, Ablehnung der Feststellung des Nachteilsausgleiches aG). Folgende Funktionsbeeinträchtigungen wurden berücksichtigt: Teillähmung des linken Armnervengeflechts, Gebrauchseinschränkung des linken Armes, Gebrauchseinschränkung der linken Hand, coronare Herzkrankheit, abgelaufener Herzinfarkt, coronarer Bypass, intraaortale Ballonpumpe, Bluthochdruck, Lähmung des rechten Wadenbeinnervs, chronisch-venöse Insuffizienz beidseits, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, operierter Bandscheibenschaden, chronisches Schmerzsyndrom, Schlafapnoe-Syndrom.

Dagegen legte der Kläger am 11.11.2004 Widerspruch ein und machte den Nachteilsausgleich aG geltend. Er sei mit dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gleichzustellen. Nach der Wirbelsäulenoperation sei zusätzlich eine Lähmung des rechten Fußhebers zurückgeblieben. Ohne Schmerzen könne er nur ganz kurze Strecken zurücklegen. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2005 zurück.

Am 08.03.2005 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG), mit der er weiterhin einen Anspruch auf den Nachteilsausgleich aG geltend machte und dies mit der Berechtigung seiner Gleichstellung mit dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten begründete. Sein rechtes Bein sei teilweise gelähmt und im Bereich des rechten Fußhebers bestehe ein Totalausfall. In einen PKW könne er nur bei weit geöffneter Tür ein- bzw. aussteigen. Gehen könne er nur mit Hilfe einer Schiene, wobei er auf eine Begleitung auch nicht verzichten könne, weil ihn Beinkrämpfe oft zum plötzlichen Stehen bleiben zwängen. Den geltend gemachten Nachteilsausgleich benötige er hauptsächlich für Arzt- und Therapiebesuche. Der Kläger legte eine Reihe von ärztlichen Unterlagen, insbesondere den Bericht des Zollernalbklinikums Albstadt über seine stationäre Behandlung vom 03.08. bis 04.08.2005 (Diagnose u.a.: Apoplex mit vorübergehender Sprachstörung ohne Paresen) und die Bescheinigung des Chirurgen Dr. S., B. D., vom 05.10.2005, vor. Dr. S. gab an, der Kläger sei aufgrund seiner Erkrankungen erheblich beeinträchtigt. Wegen der Fußheberlähmung rechts bei Nervenwurzelschädigung könne der Kläger nur bei weit geöffneter Tür in sein Auto ein- bzw. aussteigen. Das Gehen erfolge mit Hilfe einer Peroneusorthese, um Gangunsicherheit und eventuelle Stürze zu vermeiden.

Der Beklagte trat der Klage entgegen und machte unter Hinweis auf die vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 02.08. und 11.11.2005 geltend, die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches aG lägen weiterhin nicht vor. Es sei nach wie vor nicht davon auszugehen, dass die Mobilität des Klägers auf das Schwerste eingeschränkt sei.

Das SG hörte zunächst den Orthopäden Dr. H., Dr. W. und Frau Dr. B. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. H. gab am 11.04.2005 an, infolge der schweren Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und der Lähmung des rechten Fußhebers - insoweit liege eine vollständige Peroneusparese ohne jegliche motorische Aktivität vor - sei die Beinfunktion schwerstgradig eingeschränkt. Eine Kompensation durch das gesunde Bein, durch einen belastbaren linken Arm und ein gesundes Herz sei dem Kläger nicht möglich, sodass er einem Doppelunterschenkelamputierten mit guter Armfunktion gleichzusetzen sei. Dr. W. äußerte sich am 18.04.2005 unter Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen dahingehend, dass dem Kläger das Zurücklegen einer Gehstrecke von ca. 100 m s. E. durchaus möglich sei. Im Bericht von Frau Dr. B. sei von einer Gehstrecke von c. 100 bis 120 m die Rede, nach der der Kläger wegen krampfartiger Schmerzen im Bein stehen bleiben müsse. Nach den Beurteilungskriterien der "Anhaltspunkte" sei er s. E. nicht mit einem Doppeloberschenkelamputierten zu vergleichen. Frau Dr. B. schilderte am 26.04.2005 den Krankheits- und Behandlungsverlauf in erster Linie aus ihrer kardiologischen Sicht und teilte mit, die das Gehvermögen betreffenden Fragen könnten von ihr nicht beantwortet werden. Der vom SG nochmals befragte Arzt Dr. W. gab am 27.09.2005 unter Beifügung des Behandlungsberichts des Z.klinikums A. vom 24.08.2005 an, obwohl der Kläger nicht mit einem Doppeloberschenkelamputierten gleichzusetzen sei, sei inzwischen eine Gleichstellung aufgrund seiner internistischen Erkrankungen gerechtfertigt.

Mit Urteil vom 25.01.2006 hob das SG die angegriffenen Bescheide auf und stellte fest, dass beim Kläger seit 19.07.2004 die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG vorliegen. Aufgrund der Lähmung des rechten Wadenbeinnervs, einer chronisch venösen Insuffizienz beidseits und einer schweren Funktionsbehinderung der Lendenwirbelsäule liege beim Kläger eine schwerste Funktionseinschränkung im Bereich der rechten unteren Extremität vor, die mit einer schwersten Beeinträchtigung des linken Armes (einschließlich der linken Hand) kombiniert sei. Das führe dazu, dass die Funktionsstörung des rechten Beines nicht durch einen intakten linken Arm ausgeglichen werden könne. Erschwerend komme noch das Herzleiden hinzu, wodurch nach seinen glaubhaften Angaben immer wieder Situationen aufträten, in denen er wegen Sauerstoffmangel bereits nach fünf Meter Gehstrecke eine Pause einlegen müsse.

Dagegen hat der Beklagte am 16.02.2006 Berufung eingelegt. Er macht geltend, die Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches aG seien entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung nicht erfüllt. Der Beklagte legt die versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. W. vom 13.02.2006 und Herrn D. vom 09.10.2006 vor. Danach könne nicht davon gesprochen werden, dass im Bereich der rechten unteren Extremität des Klägers eine schwerste Funktionseinschränkung vorliege. In kardialer Hinsicht bestehe keine schwere Herzinsuffizienz mit einem GdB von 80, was Voraussetzung für die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung wäre. Hinzu komme, dass die vom SG mitberücksichtigte Beeinträchtigung des linken Armes und der linken Hand kein geeignetes Kriterium für die Beurteilung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung sei, da nur auf die Einschränkung des Gehvermögens abgestellt werden dürfe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. Januar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bringt vor, der Beklagte gehe nicht darauf ein, warum sich die bei ihm vorliegenden schweren Erkrankungen - wie von den behandelnden Ärzten beschrieben - nicht negativ auf sein Gehvermögen auswirken sollen. Ferner bringt er vor, im Dezember 2005 habe er erstmals einen Atemnotanfall erlitten. Solche Anfälle hätten sich mehrmals wiederholt.

Der Senat hat Dr. W. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat am 20.09.2006 über den Krankheits- und Behandlungsverlauf seit seinen Angaben gegenüber dem SG am 27.09.2005 berichtet und hierzu weitere ärztliche Unterlagen vorgelegt. Das Gehvermögen des Klägers sei durch die bestehende Fußheberschwäche, die zunehmende kardiale Schwäche mit deutlich eingeschränkter körperlicher Leistungsfähigkeit und vor allem die neu hinzugekommenen Beinödeme, vor allem bei längerem Stehen und im späteren Tagesverlauf, im Vergleich zum Vorjahr weiter eingeschränkt worden, sodass von einer deutlichen Progredienz der Gehbehinderung auszugehen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig und auch begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleiches aG.

Das SG hat im angefochtenen Urteil die für die Feststellung des Nachteilsausgleiches aG erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen bejaht. Dies hat es im Wesentlichen damit begründet, dass beim Kläger eine schwerste Funktionseinschränkung im Bereich der rechten unteren Extremität kombiniert mit einer schwersten Beeinträchtigung des linken Armes einschließlich der linken Hand und ein das Gehvermögen bei Sauerstoffmangel zusätzlich aufs Schwerste beeinträchtigende Herzleiden vorliegen. Der Senat kommt nach nochmaliger schriftlicher Anhörung von Dr. W. zum gegenteiligen Ergebnis.

Nach § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) iVm §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 12 Nr. 4 des Gesetzes vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950), ist auf Antrag des behinderten Menschen der Nachteilsausgleich aG in den Schwerbehindertenausweis einzutragen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist. Ein solcher Vermerk ist Grundlage für die Inanspruchnahme von Parkerleichterungen, die von den Straßenverkehrsbehörden für bestimmte Ausnahmefälle vorgesehen sind.

Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO). Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1).

Der Kläger, der unstreitig nicht zum ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gehört, ist diesem Personenkreis auch nicht gleichgestellt, da seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich auch nicht nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen kann wie die in der VwV genannten Personen. Dies steht für den Senat aufgrund der Angaben seiner behandelnden Ärzte Dr. H., Dr. W. und Dr. B. sowie Dr. S. in der vom Kläger dem SG vorgelegten Bescheinigung fest. Daraus und auch aus den übrigen aktenkundigen ärztlichen Unterlagen ist zu entnehmen, dass das Gehvermögen des Klägers hauptsächlich durch eine Peroneusparese rechts und des Weiteren durch eine chronisch venöse Insuffizienz beidseits, eine Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule und eine coronare Herzkrankheit beeinträchtigt ist. Aus den damit verbundenen Funktionsstörungen resultiert zwar eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit des Klägers im Straßenverkehr (Nachteilsausgleich G), eine außergewöhnliche Gehbehinderung ist jedoch nicht anzunehmen. Dass das Gehvermögen des Klägers nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist, ergibt sich zunächst aus den Angaben und Beurteilungen seiner behandelnden Ärzte gegenüber dem SG und dem Senat. Während Dr. B. angab, die Fragen zu einer etwaigen außergewöhnlichen Gehbehinderung des Klägers aus fachlichen Gründen nicht beantworten zu können und Dr. W. am 18.04.2005 eine Gleichstellung des Klägers mit dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten wegen der Lähmung des rechten Fußhebers verneint hat, haben zwar der Orthopäde Dr. H. und Dr. W. in seinem späteren Bericht vom 27.09.2005 die Voraussetzungen für eine entsprechende Gleichstellung bejaht. Die von ihnen hierfür jeweils angegebene Begründung vermag die Annahme einer Einschränkung des Gehvermögens des Klägers in ungewöhnlich hohem Maße jedoch nicht zu rechtfertigen. Die Beurteilung von Dr. H. gründet sich nämlich in erster Linie darauf, dass der Kläger die schwerstgradige Funktionseinschränkung des linken (richtig: rechten) Beines nicht durch das andere Bein, einen belastbaren linken Arm und ein gesundes Herz kompensieren könne. Dies genügt den Anforderungen, die an die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches aG zu stellen sind, nicht. Selbst wenn man entgegen der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Herrn D. vom 09.10.2006, der ausführlich und mit guten Gründen eine schwerste Funktionseinschränkung der unteren Extremität infolge der Fußheberlähmung rechts verneint hat, eine derartige Funktionseinschränkung trotzdem annehmen würde, wäre dies für eine Gleichstellung mit dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten nicht ausreichend. Dr. H. hat denn auch die von ihm genannten fehlenden Kompensationsmöglichkeiten zur Begründung der von ihm befürworteten Gleichstellung herangezogen. Diese können jedoch bei der Frage, ob eine Einschränkung des Gehvermögens in ungewöhnlich hohem Maße vorliegt, nicht berücksichtigt werden. Entscheidend ist allein, ob das Gehvermögen selbst auf das Schwerste beeinträchtigt ist. Auch die Einschätzung von Dr. W. in seinem Bericht vom 27.09.2005 wird den hierzu beachtenden Beurteilungskriterien nicht gerecht. Darin geht er - ohne dabei von seiner im Bericht vom 18.04.2005 erfolgten Einschätzung wesentlich abzuweichen - davon aus, dass der Kläger eine Gehstrecke von 100 m derzeit gerade noch zurücklegen könne. Im Unterschied zu seiner früheren Beurteilung bejaht er aber jetzt im Hinblick auf die internistischen Erkrankungen des Klägers die Voraussetzungen für eine Gleichstellung. Dem folgt der Senat nicht. Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen (Nr. 31 Abs. 4, S. 140 der "Anhaltspunkte"). Solche sehr schwerwiegende innere Leiden liegen beim Kläger nicht vor. Insbesondere sind mit seinem Herzleiden keine schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz verbunden. Noch bei der Anamnese-Erhebung in der internistischen Gemeinschaftspraxis Dr. R. hat der Kläger laut Arztbrief vom 28.11.2005 angegeben, er habe nach 2 Stockwerken Dyspnoe (Atemnot), aber keine Angina pectoris (Schmerz in der Brust). Im Mai 2006 ist es zwar zu einer Verschlechterung gekommen. Luftnot trat jetzt bereits bei geringster körperlicher Belastung auf. Dieser Zustand beruhte aber nach dem Bericht des Krankenhauses Albstadt vom 23.05.2006 auf einer Steigerung der Lonoloxdosis (blutdrucksenkendes Arzneimittel). Zu den Nebenwirkungen dieses Medikaments gehören u.a. eine Wasseransammlung im Gewebe (Oedeme). Es handelte sich dabei aber nur um eine vorübergehende Verschlimmerung im Gesundheitszustand. Nach dem Absetzen des Medikaments ging die Wasseransammlung im Gewebe wieder zurück.

Auch der Schlaganfall, den der Kläger am 03.08.2005 erlitten hat, hat zu keinen schweren Dekompensationserscheinungen von Dauer geführt, zumal danach nur vorübergehend eine Sprachstörung auftrat und keine Paresen bestanden. Die Angaben von Dr. S. in der vom Kläger dem SG vorgelegten Bescheinigung vom 05.10.2005 sprechen ebenfalls dafür, dass eine Gleichstellung des Klägers mit dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten nicht gerechtfertigt ist. Zwar ist darin - im Wesentlichen aufgrund der Fußheberparese rechts, dem Herzleiden nach Herzinfarkt und Bypassoperation und den Schlaganfall vom 03.08.2005 - von einer erheblichen Beeinträchtigung des Klägers die Rede. Dies ist für den Senat angesichts dieser Leiden auch ohne Weiteres nachvollziehbar. Als das Gehvermögen des Klägers beeinträchtigende Auswirkungen der Fußheberparese hat Dr. S. aber nur angegeben, der Kläger könne lediglich bei weit geöffneter Tür in sein Auto ein- bzw. aussteigen und das Gehen erfolge mit Hilfe einer Peroneusorthese, um Gangunsicherheit und eventuelle Stürze zu vermeiden. Weder die Notwendigkeit einer weit geöffneten Tür beim Ein- bzw. Aussteigen noch die genannte Versorgung mit einer Peroneusorthese erfüllen die Voraussetzungen für die Annahme einer Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße.

Diese sich auf die erstinstanzlichen ärztlichen Unterlagen gründende Beurteilung hat im Berufungsverfahren eine Bestätigung erfahren. Zwar spricht Dr. W. in seinem Bericht vom 20.09.2006 von einer deutlichen Progredienz der Gehbehinderung des Klägers und begründet dies mit der Fußheberschwäche, einer zunehmenden kardialen Schwäche mit deutlich eingeschränkter körperlicher Leistungsfähigkeit und vor allem mit neu hinzugekommenen Beinödemen. Aus den von ihm übersandten Untersuchungs- und Behandlungsberichten geht eine entsprechende Gehbehinderung jedoch nicht hervor. Im Abschlussbericht Erweiterte Ambulante Physiotherapie des Heilbads Bad Dürrheim vom 24.10.2005 heißt es, der Gang auf der Ebene sei bei angelegter Peroneusorthese sicher, hink- und beschwerdefrei. Nach dem entsprechenden Abschlussbericht vom 07.09.2006 hat der Kläger über Luftnot bei Belastung und schwülem Wetter geklagt. Diagnostiziert wurde - soweit es das Gehvermögen anbelangt - eine Fußheberparese rechts mit gestörtem Abrollvorgang. Damit lässt sich aber - wie bereits erwähnt - eine Gleichstellung mit dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten nicht begründen.

Darüber hinaus lässt sich auch nicht die Feststellung treffen, dass sich der Kläger nur noch mit fremder Hilfe oder nur unter ebenso großen Anstrengungen wie der ausdrücklich begünstigte Personenkreis fortbewegen kann. Zunächst steht fest, dass der Kläger zur Fortbewegung nicht fremder Hilfe bedarf. In keinem der aktenkundigen ärztlichen Berichte ist hiervon die Rede. Auch der Kläger selbst macht dies nicht geltend. Sein Gehvermögen ist auch nicht derart eingeschränkt, dass er sich nur noch unter ebenso großen Anstrengungen wie der ausdrücklich begünstigte Personenkreis fortbewegen kann. Die für den Nachteilsausgleich aG geforderte große körperliche Anstrengung ist vom BSG (SozR 3-3250 § 69 Nr. 1) bejaht worden, wenn der Betroffene die von ihm nach 30 m einzulegende Pause deshalb macht, weil er bereits nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft ist und neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann. Hier hat Dr. W. am 18.04.2005 und 27.09.2005 angegeben, dass der Kläger eine Gehstrecke von 100 m durchaus bzw. derzeit gerade noch zurücklegen könne. Dass dies mit großer Anstrengung geschieht, hat Dr. W. nicht erwähnt. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass der Kläger - wie erforderlich - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an nur mit großer Anstrengung gehen kann.

Der Berufung der Beklagten ist somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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