S 12 KA 261/09

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 261/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für die Zulassungsgremien besteht keine gesetzliche Möglichkeit, dem Verzicht auf die Zulassung eine rückwirkende Wirkung zuzumessen.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Feststellung der Beendigung der vertragsärztlichen Zulassung des Klägers, die Auswirkungen auf die Teilnahme an der Erweiterten Honorarverteilung der zu 1) beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung Hessen hat.

Der Kläger war als praktischer Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A Stadt, PF.Kreis zugelassen.

Der Kläger verzichtete mit Schreiben vom 25.03.2008 zum 30.06.2008 unter dem Vorbehalt, dass er bis dahin einen Nachfolger für seine Praxis gefunden habe, auf seine Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit.

Mit Schreiben vom 28.05.2008, eingegangen am 29.05., verzichtete er "mit zurückliegender Wirkung" auf seine Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit. Er führte an, er sei seit dem 06.05.2007 dauerhaft ohne Aussicht auf Genesung arbeitsunfähig erkrankt. Dies habe im Juli 2007 zum Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente geführt, der letztlich schon einen Zulassungsverzicht impliziere. Auf Nachfrage präzisierte er den Verzicht auf den 18.07.2007, den Zeitpunkt des Antrags auf Berufsunfähigkeitsrente.

Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen stellte mit Beschluss vom 24.06.2008 das Ende der Zulassung des Klägers infolge Verzichtes am 29.05.2008 fest.

Hiergegen legte der Kläger am 10.11.2008 Widerspruch ein. Er trug vor, tatsächlich hätte als Beendigungszeitpunkt der 18.07.2007 festgestellt werden müssen. Er sei seit dem 06.05.2007 ohne Aussicht auf Genesung arbeitsunfähig erkrankt, weshalb er einen Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente am 18.07.2007 gestellt habe. Eine Mitarbeiterin des Zulassungsausschusses habe zuvor gegenüber seiner Ehefrau erklärt, ein Verzicht könne rückwirkend erfolgen. Ein rückwirkender Verzicht werde im Gesetz nicht ausgeschlossen. Die allgemeinen Regelungen des Verwaltungsrechts sähen vor, dass eine rückwirkende Verschlechterung der Rechtsposition eines Bürgers nicht statthaft sei, wenn dieser in schutzwürdiger Weise auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage habe vertrauen dürfen. Aus diesen Grundsätzen ergebe sich, dass die Rückwirkung von Verwaltungsakten nicht grundsätzlich verboten sei. Da der rückwirkende Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung ihn nicht etwa in seinen Rechten verletze, sondern im Gegenteil so stelle, wie er gestellt werden wolle, sei gegen eine rückwirkende Feststellung der Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit rechtlich nichts einzuwenden. Eine Kollision mit dem beschriebenen Rückwirkungsverbot sei nicht gegeben.

Die Kassenärztliche Vereinigung nahm mit Schreiben vom 11.02.2009 abschließend Stellung. Sie teilte mit, das aus ihrer Sicht die Feststellung der Beendigung der vertragsärztlichen Zulassung eine Statusentscheidung darstelle, die ausschließlich mit ex nunc - Wirkung erfolgen könne.

Die Beigeladene zu 1) trug vor, dem Widerspruch fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Der Kläger sei nicht beschwert, da er antragsgemäß beschieden worden sei. Ein Verzicht sei eine Statusentscheidung und könne nur mit ex nunc-Wirkung erfolgen.

Der Beklagte wies mit Beschluss vom 18.02.2009, ausgefertigt am 25.03. und dem Kläger zugestellt am 26.03.2009, den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, bei der am 29.05.2008 eingegangen Verzichtserklärung handele es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die mit Zugang beim Empfänger wirksam werde. Der Zulassungsausschuss habe auf der Grundlage einer solchen Willenserklärung lediglich noch die Beendigung der vertragsärztlichen Zulassung festzustellen. Bei der Erteilung der vertragsärztlichen Zulassung handele es sich um einen statusbegründenden Verwaltungsakt. Diese statusrelevante Eigenschaft weise auch der "actus contrarius" auf, also die Feststellung der Beendigung der vertragsärztlichen Zulassung. Statusrelevante Verwaltungsakte könnten jedoch nicht rückwirkend erlassen werden, sondern lediglich mit Wirkung für die Zukunft.

Hiergegen hat der Kläger am 24.04.2009 die Klage erhoben. Er trägt vor, bei rechtswirksamem rückwirkenden Verzicht hätte er Zahlungen aus der Erweiterten Honorarverteilung bereits ab dem 01.08.2007 und nicht erst ab dem 01.06.2008 erhalten, also bereits zehn Monate früher. Bei monatlichen Zahlungen von 2.300,00 EUR betrage der wirtschaftliche Wert 23.000,00 EUR. Im Übrigen ist er unter Wiederholung seines Widerspruchsvorbringens weiterhin der Auffassung, der Verzicht könne auch rückwirkend erklärt werden.

Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Beklagten vom 18.02.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er ist weiterhin der Auffassung, bei dem Verzicht auf eine vertragsärztliche Zulassung handele es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, welche mit Zugang beim Zulassungsausschuss wirksam werde. Ein Verzicht könne zwar einseitig mit Wirkung für einen späteren Zeitpunkt erklärt werden. Im Hinblick auf den rechtsgestaltenden Charakter der Verzichtserklärung und der hiermit verbundenen Relevanz für den vertragsärztlichen Status könne aber rückwirkend eine solche Verzichtserklärung nicht abgegeben werden, ebenso wenig wie eine vertragsärztliche Ermächtigung oder Zulassung für die Vergangenheit erfolgen könne. Der Kläger verkenne, dass sich das Vertragsarztrecht auf statusrelevante Aspekte stütze, so dass allgemeine verwaltungsrechtliche Regeln nur insoweit anwendbar seien, als diese nicht im Widerspruch zum statusrelevanten Charakter vertragsarztrechtlicher Rechtspositionen stünden. Damit stelle der Tag des Zugangs der Verzichtserklärung beim Zulassungsausschuss - nämlich der 29.05.2008 - den frühestmöglichen Zeitpunkt für die Feststellung der Beendigung des vertragsarztrechtlichen Status des Klägers dar. Im Hinblick auf den statusrechtlichen Charakter der Angelegenheit verbietet sich eine Umdeutung eines Antrags auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente in eine Verzichtserklärung bezüglich der vertragsärztlichen Zulassung, zumal die Adressaten der Verzichtserklärung für die vertragsärztliche Zulassung und die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente nicht identisch seien. Die möglicherweise erteilten mündlichen und anders lautenden Informationen von Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle des Beklagten beziehungsweise des Zulassungsausschusses entbehren jeglicher Rechtsverbindlichkeit, da bekanntermaßen im Hinblick auf den statusrechtlichen Charakter nur schriftliche Bescheide Rechtswirksamkeit entfalten könnten. Im Hinblick auf die statusrechtliche Relevanz der gesamten Angelegenheit könne nur eine formale Betrachtungsweise angewandt werden.

Die Beigeladene zu 1) hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf § 28 Ärzte-ZV, wonach nur in Ausnahmefällen eine Verkürzung der Frist hinsichtlich der Wirksamkeit des Zulassungsverzichts möglich sei. Als Statusentscheidung könne auf die Zulassung nicht rückwirkend verzichtet werden.

Die übrigen Beteiligten haben keinen Antrag gestellt und sich zur Sache schriftsätzlich nicht geäußert.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 04.05.2009 die Beiladung ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem Vertreter der Vertragsärzte und Psychotherapeuten sowie der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Kammer konnte trotz Abwesenheit der Beigeladenen zu 1) und 8) verhandeln und entscheiden, weil diese ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 110 Abs. 1 SGG).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Beschluss des Beklagten vom 18.02.2009 ist rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über seinen Widerspruch neu zu bescheiden.

Der Beschluss des Beklagten vom 18.02.2009 ist rechtmäßig.

Der Beklagte hat in nicht zu beanstandender weise die Feststellung des Zulassungsausschusses für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen im Beschluss vom 24.06.2008 bestätigt, wonach das Ende der Zulassung des Klägers infolge Verzichtes am 29.05.2008 eingetreten ist.

Die Zulassung eines Vertragsarztes endet u. a. mit dem Wirksamwerden eines Verzichts (§ 95 Abs. 7 Satz 1 SGB V). Der Verzicht auf die Zulassung wird mit dem Ende des auf den Zugang der Verzichtserklärung des Vertragsarztes beim Zulassungsausschuss folgenden Kalendervierteljahrs wirksam. Diese Frist kann verkürzt werden, wenn der Vertragsarzt nachweist, dass für ihn die weitere Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit für die gesamte Dauer oder einen Teil der Frist unzumutbar ist (§ 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 Ärzte-ZV).

Danach besteht für die Zulassungsgremien keine gesetzliche Möglichkeit, dem Verzicht auf die Zulassung eine rückwirkende Wirkung zuzumessen. Ihr Ermessen ist beschränkt auf die Möglichkeit, den Beendigungszeitraum bei Verzicht zu verkürzen innerhalb der Zeitspanne des Eingangs der Verzichtserklärung und dem Ende des Folgequartals. Diesen Spielraum haben die Zulassungsgremien zu Gunsten des Klägers maximal genutzt. Eine darüber hinausgehende Ermächtigung, die Verzichtserklärung rückwirkend anzuerkennen, sieht das Gesetz nicht vor. In einem solchen Fall würden die Zulassungsgremien eine Ermessensüberschreitung begehen und damit rechtswidrig handeln. Bereits von daher besteht kein Anspruch auf Feststellung der rückwirkenden Wirksamkeit eines Zulassungsverzichts.

Eine frühere Verzichtserklärung hat der Kläger nicht abgegeben. Die am 27.03.2008 eingegangene Verzichtserklärung war unter dem Vorbehalt eines Praxisnachfolgers und zum 30.06.2008 abgegeben worden.

Soweit der Kläger auf eine Falschberatung verweist, so hat die mündliche Verhandlung ergeben, dass eine solche frühestens für April 2008 in Betracht kommt. Der Kläger hat auf Befragen der Kammer angegeben, er sei plötzlich psychisch erkrankt und seit dem 06.06.2007 nicht mehr in der Praxis gewesen. Im April 2008 sei er dann auch stationär einmal behandelt worden. In dieser Zeit sei seine Frau von einer Mitarbeiterin der Beigeladenen zu 1) angerufen worden aufgrund eines Verzichtschreibens, das nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt datiert worden sei. Auf Nachfrage seiner Ehefrau sei ihr gesagt worden, ja, es ginge auch rückwirkend. Daraufhin habe seine Frau ein Schreiben mit dem rückwirkenden Verzicht verfasst. Dies müsse zu dem Zeitpunkt gewesen sein, als er stationär in der Klinik behandelt worden sei. Auf Nachfrage der Kammer hat der Kläger bestätigt, dass dies etwa im April 2008 gewesen sei. Stationär sei er zwischen dem 8. und dem 18. April 2008 behandelt worden.

Von daher käme ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch allenfalls mit der Rechtsfolge in Betracht – unterstellt, es läge eine Falschberatung vor -, dass der Kläger eine Verzichtserklärung bereits im April 2008 abgegeben hätte. Offensichtlich hat der Kläger aber auf das Telefongespräch seiner Ehefrau hin erst die dann maßgebliche, am 29.05.2008 eingegangene Verzichtserklärung abgegeben. Eine eventuelle Falschberatung konnte daher nicht für die späte Abgabe der Verzichtserklärung ursächlich sein. Bereits von daher kommt auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht in Betracht. Im Übrigen würde diesem § 28 Abs. 1 Ärzte-ZV entgegenstehen, der im Hinblick auf den Zulassungsstatus ausdrücklich eine Rückwirkung ausschließt. Nach der Rechtsprechung des LSG Hessen, Urt. v. 14.12.2005 – L 4 KA 41/05 – www.sozialgerichtsbarkeit.de sind die in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelten Grundsätze zu den Hinweispflichten eines Rentenversicherungsträgers gegenüber einem Versicherten im Zusammenhang mit der Rentenantragstellung nicht auf das sozialrechtliche Schuldverhältnis der Erweiterten Honorarverteilung zwischen Vertragsarzt und Kassenärztlicher Vereinigung übertragbar.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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