S 11 KA 97/09 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 97/09 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine Kassenärztliche Vereinigung ist verpflichtet, einem Vertragsarzt erneut die Kontoauszüge (Abrechnungsunterlagen) zu übersenden.
Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Verfahrenskosten im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Der Antragssteller begehrte von der Antragsgegnerin die Herausgabe von Kontoauszügen aus seiner Tätigkeit im ärztlichen Bereitschaftsdienst vom Quartal III/03 bis einschließlich zum Quartal IV/07. Im Einstweiligen Anordnungsverfahren hat das Gericht die streitgegenständlichen Kontoauszüge bei der Antragsgegnerin angefordert und diese dem Antragssteller zur Verfügung gestellt. Das Einstweilige Anordnungsverfahren wurde sodann durch übereinstimmende Erledigungserklärung beendet. Die Beteiligten streiten nun über die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Antragsstellers.

Der Antragsteller trägt vor, dass er die Kontoauszüge zur Fertigung seiner Steuererklärung sowie zur Vorbereitung einer Klage gegen die Antragsgegnerin benötige. Ihm sei nicht zuzumuten, dafür den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten.

Dieser beantragt,
die Verfahrenskosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Sie trägt vor, dass ein Akteneinsichtsrecht nicht bestehe. Ein anhängiges Verwaltungsverfahren gebe es nicht, so dass sich kein Akteneinsichtsrecht aus § 25 SGB X ableiten ließe. Außerhalb eines laufenden Verwaltungsverfahrens bestehe ein solches Recht nicht, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, die bei Beschlussfindung vorgelegen hat und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.

II

Die Antragsgegnerin hat die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen. Diese Entscheidung entspricht billigem Ermessen.

Nach § 197a SGG in Verbindung mit § 161 VWGO entscheidet das Gericht über die Kosten des Verfahrens auf Antrag durch Beschluss. Die Entscheidung erfolgt nach billigem Ermessen, wobei das Gericht alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen hat. Dabei erlangen im Wesentlichen zwei Bewertungskriterien Bedeutung: Die Erfolgsaussichten der Klage bzw. des Antrags und das Veranlasserprinzip. Danach hat grundsätzlich derjenige die Kosten zu tragen, der in dem Rechtsstreit unterliegt bzw. wenn keine streitige Entscheidung zu treffen war, derjenige der im Falle einer streitigen Entscheidung unterlegen wäre (Erfolgsaussicht). Um jedoch auch die Umstände des Einzelfalles angemessen zu berücksichtigen, ist daneben das Veranlasserprinzip als ermessensleitender Gesichtspunkt heranzuziehen. Grundgedanke dieses Prinzips ist, dass die Kosten des Gerichtsverfahrens demjenigen aufzuerlegen sind, der Anlass für den Rechtsstreit gegeben hat.

Im vorliegenden Einzelfall sprechen beide Gesichtspunkte für die Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Antragssteller im Falle einer streitigen Entscheidung obsiegt hätte. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag einen Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 1 u. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Es müssen ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 920 Zivilprozessordnung i. V. m. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG).

Ein Anordnungsanspruch ist vorliegend hinreichend glaubhaft gemacht worden. Die Weigerung der Antragsgegnerin dem Antragssteller eine erneute Einsicht in seine eigenen, ihn betreffenden Kontoauszüge aus ärztlicher Tätigkeit zu gewähren, ist offensichtlich rechtswidrig.

Das Auskunftsbegehren kann im Wege der allgemeinen Leistungsklage in der Hauptsache vor dem Sozialgericht verfolgt werden. Nur in Ausnahmefällen kommt eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Betracht, wenn es sich um eine abwägende Entscheidung einer Behörde handelt (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.11.2007 – 6 A 2/07BVerwGE 130, 29, zitiert nach juris, Rdnr. 13 m.w.N.). Im Regelfall handelt es sich bei der Auskunftserteilung um einen Realakt (vgl. Engelmann, in: v. Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 31, Rdnr. 52 m.w.N.; Bieresborn, in: v. Wulffen, a.a.O., § 83, Rdnr. 9).

Der Beklagten ist zuzugeben, dass sich ein Auskunfts- oder Akteneinsichtrecht rechtlich vorliegend nicht aus den Vorschriften des SGB X ergibt, da das Auskunftsersuchen im vorliegenden Fall nicht Bestandteil eines anhängigen Verwaltungsverfahrens im Sinne des § 25 SGB X ist. Allerdings gilt das Recht auf Akteneinsicht auch bei dem Begehren einer Neufeststellung der Leistung nach § 44 SGB X (vgl. LSG Niedersachsen, Urt. v. 30.07.1986 – L 2J-154/86 – juris). Einen solchen Antrag hat der Kläger aber bisher nicht ausdrücklich gestellt.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ergibt sich der Anspruch auf erneute Übersendung der Kontoauszüge auch nicht aus einem öffentlich rechtlichen Vertragsverhältnis. Zur Überzeugung des Gerichts liegt ein solcher öffentlich rechtlicher Vertrag zwischen den Beteiligten nicht vor.

Anspruchsgrundlage ist vielmehr das Mitgliedschaftsrecht des Antragsstellers, das sich aus § 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Verbindung mit §§ 4 und 5 der Satzung der Antragsgegnerin ergibt. Der Antragssteller ist als Vertragsarzt nach diesen Vorgaben Pflichtmitglied der Antragsgegnerin. Der geltend gemachte Auskunftsanspruch ergibt sich als Nebenpflicht aus dieser Rechtsbeziehung. Ebenso wie die Mitglieder gegenüber der Antragsgegnerin in bestimmtem Umfang zu Auskünften verpflichtet sind (vgl. § 5 Abs. 3 der Satzung der Antragsgegnerin), ist auch die Antragsgegnerin den Mitgliedern gegenüber in zumutbarem Umfang zur Erteilung von Auskünften verpflichtet, soweit ein berechtigtes Interesse der Mitglieder insoweit besteht. Dieses ergibt sich aus einer Anwendung des in § 666 BGB enthaltenen Rechtsgedanken, denn die Antragsgegnerin erfüllt mit ihren Leistungen gleichsam einen entsprechenden "Auftrag" der Solidargemeinschaft aller Mitglieder und jedes einzelnen Mitgliedes. Der Auskunftsanspruch bezieht sich auch auf Vorgänge, über die das Mitglied schon einmal unterrichtet wurde (so auch BGH, Urteil vom 30.01.2001, Az.: XI ZR 183/00).

Voraussetzung des Auskunftsanspruchs ist – auf Seiten des Mitglieds –, dass die begehrte Auskunft über ein bloßes allgemeines Informationsbedürfnis hinausgeht. Dies ist der Fall, wenn die Auskunft Ansprüche des betreffenden Mitglieds betrifft, die grundsätzlich noch realisiert werden können (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.03.1987, 10 U 119/86, NJW 1988, 2389).

Der Antragssteller hat vorliegend dargelegt, dass er die Auskunft zur Fertigung seiner Steuererklärung sowie zur Vorbereitung einer bezifferten Klage gegen die Antragsgegnerin benötige. Dieser Vortrag ist nachvollziehbar, zumal in vergleichbaren Angelegenheiten bei der erkennenden Kammer bereits Verfahren in der Hauptsache betreffend die Abrechnung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes anhängig sind. Der Antragssteller kann insoweit nicht darauf verwiesen werden, dass hier ein bloßes allgemeines Informationsbedürfnis bestehe.

Der Auskunftsanspruch findet seine Grenze, wenn seine Erfüllung mit einem unzumutbaren Aufwand auf Seiten der Antragsgegnerin verbunden sein sollte. Dies ist offensichtlich nicht der Fall, da die Kontoauszüge nur erneut ausgedruckt und übersandt werden müssen. Von der Antragsgegnerin wird auch nicht vorgetragen, dass dies mit einem besonderen Aufwand verbunden wäre.

Auf die Vorlage einer entsprechenden Vollmacht der Verfahrensbevollmächtigten kam es nicht an. Auf das Fehlen einer Vollmacht könnte sich die Antragsgegnerin nur berufen, wenn sie die Vorlage einer solchen verlangt bzw. die ordnungsgemäße Vertretung des Klägers bestritten hätte. Dieser in § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X zum Ausdruck kommende Grundsatz gilt ganz allgemein im Rechtsverkehr. Dies war aber hier nicht der Fall.

Ein Anspruch besteht ferner nach datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Soweit § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB X nur einen Anspruch auf Auskunft von Sozialdaten vorsieht, gelten die allgemeinen datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 Hessisches Datenschutzgesetz (HDSG) in der Fassung vom 7. Januar 1999, GVBl. I 1999, 98 hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes ein Recht auf Auskunft und Benachrichtigung über die zu seiner Person gespeicherten Daten (§ 18). Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HDSG haben datenverarbeitende Stellen, die personenbezogene Daten automatisiert speichern, dem Betroffenen auf Antrag gebührenfrei Auskunft zu erteilen über die zu seiner Person gespeicherten Daten. In dem Antrag soll die Art der Daten, über die Auskunft erteilt werden soll, näher bezeichnet werden. Bei den vom Kläger begehrten Abrechnungsdaten handelt es sich um in Bezug auf seine Person gespeicherte Daten, die der Kläger auch näher bezeichnet hat.

Im Hinblick auf die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Handelns der Beklagten sind nur sehr geringe Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes zu stellen. Insoweit reicht zur Überzeugung des Gerichts der glaubhafte Vortrag des Klägers, dass die Auszüge für die Steuererklärung sowie die Vorbereitung einer Klage benötigt würden. Nach alledem musste der Antrag Erfolg haben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 197a SGG in Verbindung mit § 158 Abs. 2 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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