Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
50
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 50 KR 852/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Unter Aufhebung des Bescheides vom 17.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2013 wird die Beklagte verurteilt, die Kosten für eine Magenbypass-Operation zu übernehmen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine Magenbypass-Operation.
Der am 24.02.19xx geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er ist als Organisationsleiter im Außendienst bei der Beklagten tätig.
Mit Schreiben vom 26.02.2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Magenbypass-Operation. Zur Begründung führte er an, dass er seit seiner Kindheit stark übergewichtig sei und bisher alles versucht habe, um das Gewicht zu reduzieren. Die Fachärzte des Adipositas-Zentrums der Universitätsklinik Aachen seien nunmehr übereinstimmend der Meinung, dass nur eine Operation eine dauerhafte Gewichtsreduktion bewirken könne. Er habe bereits erhebliche gesundheitliche Einschränkungen. Um einem möglichen Diabetes vorzubeugen und seine Lebensqualität zu verbessern, bitte er um eine entsprechende Kostenzusage. Seinem Antrag fügte der Kläger ein Schreiben des Universitätsklinikums Aachen, Klinik für Allgemein-, Visceral- und Transplantationschirurgie vom 28.01.2013 bei, mit dem ebenfalls die Kostenübernahme für eine Magenbypass-Operation bei dem Kläger beantragt wird. Der Kläger leide an einer morbiden Adipositas Grad III. Das aktuelle Gewicht betrage 151,8 kg bei einer Körpergröße von 181 cm. Der BMI sei 47,5. Bei dem Kläger bestehe bereits seit der Kindheit ein erhebliches Übergewicht. Er habe bereits mit 14 Jahren ca. 100 kg gewogen. In seiner Familie würden der Vater und die Schwester des Klägers ebenfalls unter starkem Übergewicht leiden. Der Kläger sei aufgrund des Übergewichtes in seinem Alltag und seiner Lebensqualität stark eingeschränkt. Besonders die Kniegelenksarthrose belaste ihn aufgrund der eingeschränkten Mobilität sehr. Eine Gewichtsreduktion würde die Beschwerden lindern und einem Fortschreiten der degenerativen Veränderungen vorbeugen. Zusätzlich leide der Kläger unter einer arteriellen Hypertonie und einem obstruktiven Schlafapnoesyndrom. Die arterielle Hypertonie und die Adipositas würden im Rahmen des metabolischen Syndroms ernst zu nehmende Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse darstellen. Zur Primärprophylaxe kardialer Ereignisse und zur Behandlung der arteriellen Hypertonie sei daher eine Gewichtsabnahme zwingend erforderlich. Das Schlafapnoesyndrom sei dabei ein zusätzlicher Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und schränke die Leistungsfähigkeit des Patienten zusätzlich weiter ein. Der Kläger habe verschiedene Diäten in Eigenregie durchgeführt. In der Sprechstunde habe er eine besondere Motivation zur langfristigen Lebensänderung gezeigt. Schon jetzt betreibe er regelmäßig Sport in einem Fitnessstudio und setze die Vorgaben der Ernährungsberatung um. Zusätzlich habe er von März 2012 bis September 2012 eine strukturierte Ernährungsberatung durchgeführt. Auch nach dem Abschluss der Ernährungsberatung habe der Kläger die erlernten Maßnahmen weiterhin umgesetzt. Leider hätte auch diese Lebensstiländerung nicht zu einem signifikanten Gewichtsverlust geführt. Nach Überprüfung der erhobenen Befunde werde entsprechend den europäischen Leitlinien für die interdisziplinäre Behandlung der Adipositas durch chirurgische Maßnahmen und die aktuelle S3- Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" bei dem Kläger eine Indikation für die bariatrische Magenbypass-Operation gestellt. Wie in mehreren Langzeitstudien belegt, könne es nur noch mit einem Adipositas-chirurgischen Eingriff zu einer nennenswerten und vor allem dauerhaften Gewichtsreduktion kommen. Der Kläger kenne die postoperativen Anforderungen und sei hoch motiviert, die geänderten Lebens- und Ernährungsgewohnheiten beizubehalten. Kontraindikationen würden nicht vorliegen.
Die Beklagte übersandte dem Kläger sodann einen Fragebogen. In diesem gab der Kläger unter anderem an, dass er als Bewegungstherapien bisher Reha-Sport durchgeführt habe und im Fitnessstudio gewesen sei. Derzeit würde er aus beruflichen Gründen keine körperliche Aktivität ausüben. In psychiatrischer/psychotherapeutischer Behandlung befinde sich der Kläger nicht.
Des Weiteren holte die Beklagte eine sozialmedizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. In ihrem sozialmedizinischen Gutachten vom 07.05.2013 kommt Frau U. Sch. zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht erfüllt seien. Der Kläger leider unbestritten an einer dringend behandlungsbedürftigen Adipositas Grad III. Es sei auch bereits zur Manifestation von adipositasassoziierten Begleiterkrankungen, wozu die arterielle Hypertonie und das Schlafapnoesyndrom zu zählen seien, gekommen. Bei der beantragten Operation sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Vorfeld zu überprüfen, ob sämtliche konservativen Therapiemöglichkeiten zur Gewichtsreduktion bereits erfolglos ausgeschöpft worden sind. Auch den aktuellen S3-Leitlinien der Fachgesellschaften zufolge bestehe die primäre Behandlung der Adipositas in einem multimodalen, konservativen Therapieprogramm. Diese setzen sich zusammen aus den Bausteinen Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie. Diese Maßnahmen sollten optimaler Weise koordiniert aufeinander abgestimmt durchgeführt werden über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten. Zwar habe der Kläger die geforderte Ernährungstherapie über den Mindestzeitraum von sechs Monaten durchgeführt. Nach eigenem Bekunden führe der Kläger derzeit aber aufgrund beruflicher Inanspruchnahme keinerlei körperliche Aktivitäten durch. Gerade die Bewegungstherapie stelle aber einen maßgeblichen Baustein der multimodalen Therapie dar, auf die nicht verzichtet werden könne. Lediglich auf die Durchführung einer Verhaltenstherapie zur Verhaltensmodifikation könne im Einzelfall verzichtet werden. Aufgrund dessen könne die Durchführung der Operation nicht empfohlen werden.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.05.2013 die Kostenübernahme für eine Magenbypass-Operation ab.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 04.06.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er an, dass das Gutachten des MDK lediglich nach Aktenlage erstellt worden sei und in keinster Weise die bereits vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen berücksichtige.
Daraufhin holte die Beklagte ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten des MDK ein. In seinem Gutachten vom 26.06.2013 kommt Dr. M. W. ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht erfüllt seien. Zwar sei festzustellen, dass der Kläger hinsichtlich seines BMI und der langjährig bestehenden Adipositas die in der S3-Leitlinie geforderten Einschlusskriterien für den Eingriff erfülle. Kontraindikationen, insbesondere von Seiten des psychiatrischen Fachgebietes sowie auch internistischerseits im Sinne einer sekundären Adipositas würden gemäß dem Bericht des Universitätsklinikums Aachen auch nicht vorliegen. Die Voraussetzungen eines multimodalen Behandlungskonzeptes seien jedoch nicht erfüllt, da der Kläger aus beruflichen Gründen derzeit keine körperliche Aktivität ausübe. Solange dies nicht zeitgleich mit einer entsprechenden Ernährungstherapie erfolgt ist, sei kein multimodales Behandlungskonzept erfolgt und es könne somit letztlich gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und der S3-Leitlinie nicht von einer Ausschöpfung der konservativen Behandlungsmöglichkeiten gesprochen werden. Aufgrund dessen sei auch die Notwendigkeit einer körperlichen Untersuchung nicht gegeben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers unter Verweis auf die Begründung des MDK zurück.
Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Ergänzend trägt er vor, dass die Darstellung der Beklagten, dass er nicht alle konventionellen Maßnahmen zu Gewichtsreduktion ausgeschöpft habe, aufgrund ungenauer Recherche basiere. In der Zeit vom 15.06.2009 bis zum 06.07.2009 sei er in der Klinik Hellbachtal in M. zur Rehabilitation gewesen. Bei der Abschlussuntersuchung habe ihm der leitende Arzt für die Anschlussbehandlung Physiotherapie sowie Sport- und Bewegungstherapie bewilligt. Der Rentenversicherungsträger habe die Kosten für 24 × 90 bis 120 Minuten im Rahmen des "Irena"-Programms bewilligt. Die Rehabilitationsnachsorge sei im Therapie-Center in M. durchgeführt worden. Schließlich habe er sich in einem Fitnessstudio angemeldet, in dem auch Reha Sport angeboten werde. Die Mitgliedschaft habe vom 01.04.2010 bis zum 31.03.2012 gedauert. Die gewünschte Gewichtsreduktion habe nicht erreicht werden können. Da alle Versuche zur dauerhaften Gewichtsabnahme gescheitert seien, erscheine ihm die Magenbypass-Operation als Ultima Ratio unverzichtbar.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 17.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine Magenbypass-Operation zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verbleibt ebenfalls bei ihrer Auffassung.
Ergänzend trägt sie vor, dass weder die Bewilligung von Leistungen zur intensivierten Rehabilitationsnachsorge (IRENA) noch die Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio die tatsächliche Durchführung einer Bewegungstherapie implizieren würden. Im Übrigen habe der Kläger angegeben, dass körperliche Aktivitäten aus beruflichen Gründen nicht durchgeführt würden.
Das Gericht hat zunächst einen Befundbericht von dem den Kläger behandelnden Arzt eingeholt.
Dr. P., Arzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren hat in seinem Schreiben vom 03.04.2014 unter anderem berichtet, dass durch Walken und Schwimmen keine wesentliche Gewichtsreduktion erfolgt sei, jedoch insbesondere durch das Laufen die orthopädischen Leiden zugenommen hätten. Es seien häufiger Lumbago und Lumboischialgien eingetreten sowie die Gonarthrose aktiviert worden. Gewichtbedingt und schmerzbedingt habe der Kläger nur eine geringe Ausdauer und Leistungsspanne. Er erreiche erst gar nicht die erforderliche Zeit, um eine Fettverbrennung zu ermöglichen. Weitere konservative Maßnahmen der Gewichtsreduktion halte er nicht für Erfolg versprechend. Die Durchführung der begehrten Magenbypass-Operation halte er für indiziert.
Sodann hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Die Sachverständige Dr. J. G.-L., Ärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin und Ernährungsmedizin kommt in ihrem Gutachten vom 27.08.2014 im Wesentlichen zu dem folgenden Ergebnis.
Der Kläger leide an folgenden Erkrankungen:
1. fortgeschrittenes degeneratives Kniegelenksleiden beidseits 2. degeneratives Lendenwirbelsäulenleiden 3. arterielle Hypertonie 4. Harnsäure- und Fettstoffwechselstörung.
Mit großer Wahrscheinlichkeit sei die arterielle Hypertonie auf die Adipositas permagna des Klägers zurückzuführen, da er berichtet habe, bereits seit seiner Kindheit übergewichtig zu sein und die Erkrankung erst Mitte der neunziger Jahre aufgetreten sei. Gegebenenfalls bestehe auch ein dementsprechender ursächlicher Zusammenhang im Hinblick auf die Stoffwechselstörungen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei darüber hinaus das fortgeschrittene degenerative Kniegelenksleiden ebenfalls auf das jahrzehntelang bestehende erhebliche Übergewicht des Klägers zurückzuführen. Das aktuelle körperliche Gewicht liege unbekleidet bei 158 kg, bei einer Größe von 176 cm. Der BMI betrage 51. Weder das degenerative Kniegelenksleiden noch das degenerative Wirbelsäulenleiden würden derzeit therapiert. Der Kläger habe berichtet, dass die behandelnden Orthopäden im Jahr 2012 darauf hingewiesen haben, dass aufgrund des erheblichen Übergewichtes keine Erfolg versprechende Therapie mehr möglich sei. Es sei bereits zu diesem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden, dass mit großer Wahrscheinlichkeit ein künstlicher Gelenksersatz notwendig sein werde, dass aus diesem Grunde aber zunächst eine nachhaltige Gewichtsreduktion stattfinden müsse, damit die Operation auch Aussicht auf Erfolg zeige. Im Jahre 2012 habe er 6 Monate lang an einer Ernährungsberatung bei einer Diplom-Ökotrophologin teilgenommen. Er habe 4 kg bis 5 kg Gewicht abgenommen, obwohl er gleichzeitig 2 Jahre lang Mitglied eines Fitnessstudios gewesen sei, was er dreimal wöchentlich besucht habe. Bewegen tue er sich wenig, dies insbesondere aufgrund seins Kniegelenksleidens. Unter Berücksichtigung des Verlaufes des Übergewichtes sowie der konservativen Therapiemaßnahmen würden aus Sicht der Sachverständigen weitere konservative Maßnahmen keine Aussicht auf Erfolg bieten. Dabei komme insbesondere hinzu, dass unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Kniegelenksleidens auch nicht genügend Zeit für solche Maßnahmen bestünden. Es sei darauf hinzuweisen, dass das Kniegelenksleiden derart ausgeprägt sei, dass bereits eine endgradige Streckhemmung in beiden Kniegelenken bestehe. Unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Funktionsstörungen der Kniegelenke sei im vorliegenden Fall eine adäquate Bewegungstherapie als wesentlicher Baustein eines multimodalen Therapieprogramms zur nachhaltigen Gewichtsreduktion nicht mehr möglich, so dass auch aus diesem Grunde unter Berücksichtigung der dringend erforderlichen Gewichtsreduktion konservative Maßnahmen zur nachhaltigen Gewichtsreduktion keine Aussicht auf Erfolg bieten würden. Eine psychotherapeutische Behandlung zur Steuerung des Essverhaltens halte sie für nicht Erfolg versprechend, da nach ihrer Auffassung keine nennenswerte Essstörung vorliege. Eine Änderung des Verhaltens des Klägers nach dem Eingriff sei anzunehmen, da allein die veränderten anatomischen Verhältnisse nach einer Magenverkleinerung die Betroffenen zu einem anderen Essverhalten nahezu zwingen würden. Im vorliegenden Fall liege eine Indikation zur Durchführung eines bariatrischen Eingriffs vor. Kontraindikationen würden nicht vorliegen. Unter Berücksichtigung des Zeitdruckes zur nachhaltigen Gewichtsreduktion im Hinblick auf das fortgeschrittene degenerative Kniegelenksleiden liege im vorliegenden Fall aus ihrer Sicht eine Ultima Ratio im Hinblick auf den bariatrischen Eingriff vor. Ansonsten drohte eine weitere Mobilitätseinschränkung des Klägers mit dramatischen Folgen insbesondere im Hinblick auf seine Erwerbstätigkeit.
Die Beklagte hat die Kostenübernahme weiterhin abgelehnt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass die beschriebene Kniegelenksarthrose keinen grundsätzlichen Hinderungsgrund darstelle, da es ja nicht um Sport im eigentlichen Sinne, sondern um Bewegung gehe. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass Bewegung und Maßnahmen der physikalischen Therapie auch Grundpfeiler in der konservativen Arthrosebehandlung seien. So komme beispielsweise Aquajogging, Fahrradfahren (Kniebewegung ohne Belastung) oder auch Gymnastikmaßnahmen in Betracht. Dass der Kläger der Sachverständigen mitgeteilt habe, zeitgleich zur Ernährungsberatung dreimal wöchentlich im Fitnessstudio gewesen zu sein, müsse bis zum Beweis des Gegenteils in Abrede gestellt werden. Im Übrigen sei zwar eine primäre OP-Indikation in den S3-Leitlinien "Chirurgie der Adipositas" und "Prävention und Therapie der Adipositas" enthalten. Sie beruhe aber nicht auf einem konsentierten Votum. Zudem verweise die Beklagte auf das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 01.03.2011 (L 11 KR 3560/09).
Der Kläger hat hierauf vorgetragen, dass er im Hinblick auf den Umfang des Trainings im Fitness-Studio keine Unterlagen beibringen könne, da nach Rücksprache mit diesem durch eine Computerumstellung alle alten Daten gelöscht worden seien.
Des Weiteren hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er aktuell 156,8 kg wiege. Er habe in diesem Jahr noch eine kombinierte Bewegungs- und Ernährungstherapie durchgeführt. Er sei auch weiterhin im Fitnessstudio angemeldet und nehme dort am Zirkeltraining teil. Zudem trainiere er auf dem Ergo-Trainer, was trotz der Knieprobleme gut funktioniere. Es sei aber kein großer Erfolg gewesen. Das Problem sei, dass er aufgrund seiner Hypertonie ein Medikament einnehme, das den Puls senke. Dies führe dazu, dass er vom Puls her gar nicht in den Bereich komme, um Fett zu verbrennen. Sein Arzt habe ihm jedoch gesagt, dass das Medikament nicht abgesetzt werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG – ist zulässig und begründet. Der Kläger ist beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, da der Bescheid der Beklagten vom 17.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2013 rechtswidrig ist. Der Bescheid war somit aufzuheben und die Beklagte zur Übernahme der Kosten für die Magenbypass-Operation zu verurteilen.
Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Übernahme der Kosten für die begehrte Magenbypass-Operation.
Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V – haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V umfasst die Krankenbehandlung unter anderem die ärztliche Behandlung (Nr. 1) sowie die Krankenhausbehandlung (Nr. 5). Nach § 39 Abs. 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R - juris). Ein Anspruch auf Krankenhausbehandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 1, § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V hängt mithin davon ab, dass die Krankenhausbehandlung allein aus medizinischen Gründen erforderlich ist (vgl. BSG, Beschluss des Großen Senats vom 25.09.2007 - GS 1/06 - SozR 4-2500 § 39 Nr. 10). Die Erforderlichkeit richtet sich allein nach den medizinischen Erfordernissen (vgl. Großer Senat, aaO). Dabei kommt es auf die individuelle Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung im Einzelfall an (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 1/07 KR R - juris).
Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt somit nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V zunächst eine "Krankheit" voraus. Damit wird in der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu; die Rechtsprechung hat diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 3/03 – mwN - juris).
Der Kläger leidet an einer Adipositas Grad III. Hierbei handelt es sich um eine Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Erfordert die Adipositas eine ärztliche Behandlung, so belegt das zugleich die Regelwidrigkeit des bestehenden Zustandes und damit das Vorliegen einer Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne (BSG, Urteil vom 19.02.2003 – B 1 KR 1/02 R - juris). Die Adipositas des Klägers erfordert eine ärztliche Behandlung. Dies haben sowohl die den Kläger behandelnden Ärzte als auch der MDK bestätigt.
Die Magenbypass-Operation ist im Falle des Klägers auch individuell medizinisch erforderlich.
In der Rechtsprechung wird im Allgemeinen angenommen, dass Behandlungs- maßnahmen, die in ein an sich gesundes Organ eingreifen, in der Regel ausgeschlossen sind. Für chirurgische Maßnahmen, mit denen in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert wird, wie das bei bariatrischen Operationen der Fall ist, bedarf die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (BSG, Urteil vom 19.02.2003 – B 1 KR 1/02 R, aaO). Da das Behandlungsziel einer Gewichtsreduktion auf verschiedenen Wegen erreicht werden kann, kommt somit eine solche chirurgische Maßnahme unter Berücksichtigung der Leitlinien der Fachgesellschaften nur als Ultima Ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen (BMI )=40 oder )=35 mit erheblichen Begleiterkrankungen; Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten; tolerables Operationsrisiko; ausreichende Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung; Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung ua; BSG, Urteil vom 19.02.2003, aaO).
Ausgehend von diesen Kriterien steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der Umstände der Adipositaserkrankung des Klägers fest, dass diese Voraussetzungen für die Verschaffung der Magenbypass-Operation durch die Beklagte erfüllt sind.
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hatte der Kläger ein Gewicht von 156,8 kg, bei einer Größe von 176 cm (laut Sachverständigengutachten). Unter Anwendung der Formel BMI = Körpermasse in Kilogramm./. Körpergröße in Metern zum Quadrat (Quelle: Wikipedia), ergibt dies einen BMI von 50. Unter Zugrundelegung der in Abschnitt 3.2 Indikation der S3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" (Stand Juni 2010) - auf die das Bundessozialgericht zurückgreift und auf welche auch die Beklagte abstellt – genannten Voraussetzungen, ist zunächst festzustellen, dass der BMI des Klägers deutlich über den genannten Werten von 35 und 40 liegt. Hinzu kommen mehrere, erhebliche Folge- und Begleiterkrankungen, an denen der Kläger leidet. Insofern hat die Sachverständige festgestellt, dass der Kläger an einem fortgeschrittenen degenerativen Kniegelenksleiden beidseits, einem degenerativen Lendenwirbelsäulenleiden, arterieller Hypertonie sowie einer Harnsäure- und Fettstoffwechselstörung leide. Mit großer Wahrscheinlichkeit sei die arterielle Hypertonie auf die Adipositas permagna des Klägers zurückzuführen. Gegebenenfalls bestehe auch ein dementsprechender ursächlicher Zusammenhang im Hinblick auf die Stoffwechselstörungen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei darüber hinaus das fortgeschrittene degenerative Kniegelenksleiden ebenfalls auf das jahrzehntelang bestehende erhebliche Übergewicht des Klägers zurückzuführen.
Ein tolerables Operationsrisiko liegt vor, da von Seiten aller Ärzte (auch des MDK) keine Kontraindikationen vorliegen. Eine manifeste psychiatrische Behandlung liegt bei dem Kläger nicht vor. Die Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung ist von den Ärzten der Universitätsklinik Aachen bestätigt worden, ebenso eine ausreichende Motivation. Das Vorliegen dieser Erfordernisse ist von der Beklagten auch nicht bestritten worden.
Soweit die Beklage die Übernahme der Kosten für die Magenbypass-Operation ausschließlich mit der Begründung ablehnt, dass der Kläger nicht zeitgleich eine Ernährungs- und Bewegungstherapie durchgeführt und damit die konservativen Therapien nicht ausgeschöpft habe, so kann dem nicht gefolgt werden.
Zum einen hat der Kläger noch während des laufenden Klageverfahrens im Jahre 2015 eine sechsmonatige Ernährungs- und Bewegungstherapie durchgeführt. Dies ist von der Beklagten in keinster Weise berücksichtigt worden.
Darüber hinaus ist aber nach Überzeugung der Kammer im Falle des Klägers ein Ausschöpfen der konservativen Therapie im Sinne einer Ernährungs- und Bewegungstherapie auch nicht erforderlich, da die chirurgische Therapie nicht aufgeschoben werden kann und konservative Therapien keine Aussicht auf Erfolg haben.
In Abschnitt 3.2 Unterpunkt 4 Primäre Indikation der S3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" heißt es wie folgt:
"Lassen Art und/oder Schwere der Krankheit bzw. psychosoziale Gegebenheiten bei Erwachsenen annehmen, dass eine chirurgische Therapie nicht aufgeschoben werden kann oder die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist, kann in Ausnahmefällen auch primär eine chirurgische Therapie durchgeführt werden; die Indikation hierzu ist durch einen in der Adipositastherapie qualifizierten Arzt und einen bariatrischen Chirurgen gemeinsam zu stellen. Damit hat die Leitlinienkommission ein weiteres Beurteilungskriterium nach eingehender Diskussion präzisierend in die neuen Leitlinien aufgenommen, nämlich den Begriff der geringen Erfolgsaussicht der konservativen Therapie."
Des Weiteren ist in der S3-Leitlinie "Prävention und Therapie der Adipositas" (Stand 2014) in Abschnitt 5.4.7 Chirurgische Therapie unter 5.45 die folgende Empfehlung enthalten:
"Eine chirurgische Therapie kann auch primär ohne eine präoperative konservative Therapie durchgeführt werden, wenn die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist oder der Gesundheitszustand des Patienten keinen Aufschub eines operativen Eingriffs zur Besserung durch Gewichtsreduktion erlaube. Dies ist unter folgenden Umständen gegeben: - Besondere Schwere von Begleit- und Folgekrankheiten der Adipositas - BMI ) 50 kg/m - Persönliche psychosoziale Umstände, die keinen Erfolg einer Lebensstiländerung in Aussicht stellen."
Unter Zugrundelegung dieser Empfehlungen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass im Falle des Klägers eine chirurgische Therapie primär indiziert ist.
Der Kläger hat einen BMI von 50. Eine besondere Schwere von Begleit- und Folgekrankheiten der Adipositas des Klägers ist ebenfalls gegeben, da bei dem Kläger nach den Feststellungen der Sachverständigen insbesondere auch ein fortgeschrittenes Kniegelenksleiden besteht, welches derart ausgeprägt ist, dass bereits eine endgradige Streckhemmung in beiden Kniegelenken besteht. Hinzu kommen die arterielle Hypertonie sowie eine Harnsäure- und Fettstoffwechselstörung, die ebenfalls sehr wahrscheinlich auf die Adipositas des Klägers zurückzuführen sind. Nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen haben im Falle des Klägers konservative Maßnahmen zur nachhaltigen Gewichtsreduktion keine Aussicht auf Erfolg. Insofern hat die Sachverständige ausgeführt, dass aufgrund des Ausmaßes der Funktionsstörungen der Kniegelenke eine adäquate Bewegungstherapie als wesentlicher Baustein eines multimodalen Therapieprogramms zur nachhaltigen Gewichtsreduktion nicht mehr möglich sei. Im Übrigen bestünde unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Kniegelenksleidens auch nicht genügend Zeit für solche Maßnahmen. Eine Gewichtsreduktion sei dringend erforderlich. Unter Berücksichtigung des Zeitdruckes zur nachhaltigen Gewichtsreduktion im Hinblick auf das fortgeschrittene degenerative Kniegelenksleiden liege im vorliegenden Fall aus Sicht der Sachverständigen eine Ultima Ratio im Hinblick auf den bariatrischen Eingriff vor. Eine Notwendigkeit der begehrten Magenbypass-Operation haben schließlich sowohl Dr. P. als auch die Chirurgen der Universitätsklinik Aachen bestätigt.
Aufgrund dieser Beurteilungen steht somit für die Kammer fest, dass im Falle des Klägers die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist und sein Gesundheitszustand keinen Aufschub eines operativen Eingriffs erlaubt.
Einwendungen, dass die Voraussetzungen der Empfehlungen der S3-Leitlinien für eine primäre chirurgische Therapie im Falle des Klägers nicht vorliegen, sind von der Beklagten nicht vorgebracht worden. Die Beklagte hat eine entsprechende umfassende Einzelfallprüfung im Hinblick auf den Kläger, trotz Anregung des Gerichts, nicht vorgenommen.
Der alleinige, konkret auf den Kläger bezogene Einwand der Beklagten, dass der Kläger im Hinblick auf das Kniegelenksleiden Aquajogging, Aquagymnastik oder knieschonendes Fahrradfahren machen könne, führt zu keinem anderen Ergebnis, da bereits allein die Dringlichkeit der chirurgischen Therapie, welche die Sachverständige festgestellt hat, für die Annahme einer primären Indikation ausreicht.
Im Übrigen steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen fest, dass auch eine etwaige knieschonende Bewegungstherapie im Falle des Klägers keine Aussicht auf Erfolg hat. Insofern ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits seit der Kindheit an Adipositas leidet. Er hat verschiedene Diäten in Eigenregie durchgeführt. Im Jahre 2012 hat er unstreitig an einer Ernährungstherapie teilgenommen. Darüber hinaus hat er nachgewiesen, dass er in der Zeit von 2010 bis 2012 Mitglied in einem Fitnessstudio gewesen ist. Des Weiteren hat er in diesem Jahr an einer weiteren Ernährungstherapie teilgenommen und sich erneut in einem Fitnessstudio angemeldet. Aufgrund des persönlichen Eindrucks der Kammer in der mündlichen Verhandlung bestehen auch keine Anhaltspunkte dem Kläger nicht zu glauben, dass er in den Fitness-Studios trainiert hat bzw. trainiert und sich – wenn auch erfolglos – um eine Gewichtsreduktion bemüht hat. Auch der den Kläger behandelnde Arzt Dr. P. hat in seinem Befundbericht ausgeführt, dass durch Walken und Schwimmen keine wesentliche Gewichtsreduktion bei dem Kläger erfolgt sei, jedoch insbesondere durch das Laufen die orthopädischen Leiden zugenommen hätten. Es seien häufiger Lumbago und Lumboischialgien eingetreten sowie die Gonarthrose aktiviert worden. Gewichtbedingt und schmerzbedingt habe der Kläger nur eine geringe Ausdauer und Leistungsspanne. Er erreiche erst gar nicht die erforderliche Zeit, um eine Fettverbrennung zu ermöglichen. Weitere konservative Maßnahmen der Gewichtsreduktion halte er somit nicht für Erfolg versprechend. Ferner ergibt sich aus dem Schreiben des Universitätsklinikums Aachen, Klinik für Allgemein-, Visceral- und Transplantationschirurgie vom 28.01.2013, dass der Kläger auch an einem Schlafapnoesyndrom leide, das seine Leistungsfähigkeit einschränke. Schließlich hat der Kläger unbestritten vorgetragen, dass er aufgrund seiner Hypertonie ein Medikament einnehme, das den Puls senke. Dies führe dazu, dass er vom Puls her gar nicht in den Bereich komme, um Fett zu verbrennen. Sein Arzt habe ihm zudem gesagt, dass das Medikament nicht abgesetzt werden könne.
In diesem Zusammenhang ist zudem zu berücksichtigen, dass die Erfolgsaussichten einer rein konservativen Therapie mit dem Ausmaß der Adipositas in einer Wechselbeziehung stehen. Somit sind daher bei einer vergleichsweise geringen Adipositas an die Durchführung einer vorherigen konservativen Therapie strenge Anforderungen zu stellen. Je höher aber der BMI ist, desto schwieriger wird es erfahrungsgemäß, alleine durch eine Umstellung der Ernährung, Bewegungs- und Psychotherapie sowie sonstige konservative Maßnahmen eine ausreichende Gewichtsreduktion in angemessener Zeit zu bewerkstelligen. Daher ist es angemessen, wenigstens in den Sonderfällen, in denen der BMI im oberen Bereich liegt und den Wert von 40 deutlich überschreitet, eine Magenverkleinerungsoperation krankenversicherungsrechtlich auch dann zu bewilligen, wenn die hinreichend glaubhaften und ernsthaften eigeninitiativen Bemühungen des Versicherten zur Gewichtsreduktion nicht den strengen Vorgaben zu einem sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen und ärztlich geleiteten bzw. überwachten Therapiekonzept entsprechen (vgl. LSG Hessen, Urteil vom 20.06.2013 – L 8 KR 91/10 - juris; SG Mannheim, Urteil vom 17.01.2013 – S 9 KR 491/12 - juris).
Gestützt wird dies insbesondere auch durch die Ausführungen in der S3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" in Abschnitt 3.2 Indikation unter Bezugnahme auf die durchgeführten Studien.
So heißt es dort:
"Insbesondere schwer adipöse Patienten weisen häufiger gewichtsbedingte körperliche Einschränkungen auf, welche ihnen nur eine eingeschränkte oder gar keine Teilnahme an Bewegungsprogrammen erlauben. Gehsportarten sind bei vorbestehenden degenerativen Schäden an den tragenden Gelenken häufig kontraindiziert, und Radfahren ist wegen hohen Satteldrucks, Balanceproblemen und Sturzgefahr nur eingeschränkt praktizierbar. Schwimmen ist aus Schamgefühl nicht immer durchführbar" (Seite 13 f.).
"Die Entscheidung für einen bariatrischen Eingriff gründet sich auf dem individuellen Risiko-Nutzen-Verhältnis (.). Deshalb wurde in der Vergangenheit insbesondere von den Kostenträgern gefordert, vor einer Entscheidung zur Operation intensive, ärztlich begleitete Gewichtsreduktionsversuche zu unternehmen. Dieses Vorgehen ist bei hochgradiger Adipositas – zumindest für nicht strukturierte und nicht dauerhaft konzipierte Gewichtsreduktionsversuche – aus klinisch-wissenschaftlicher Sicht nicht gerechtfertigt wegen der geringen Erfolgsaussichten. Zudem ist die Akzeptanz z. B. einer Bewegungstherapie aufgrund der Sekundärkomplikationen (hier Gonarthrose) häufig eingeschränkt, und gelegentlich ist wegen eines hohen Risikoprofils ein schneller Therapieerfolg das prioritäre Ziel" (Seite 13).
Der Einwand der Beklagten, dass die Frage einer primären OP-Indikation inhaltlich kontrovers diskutiert werde und, wenn auch in der Leitlinie enthalten, nicht auf einem konsentierten Votum beruhe, führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Tatsache ist, dass die Empfehlung einer primären chirurgischen Indikation in die S3-Leitlinien "Chirurgie der Adipositas" und "Prävention und Therapie der Adipositas" aufgenommen wurden. Auch wenn es sich bei dieser Empfehlung nur um eine "Kann-Empfehlung" handelt, so bedeutet dies nach Auffassung der Kammer nicht, dass diese im Einzelfall nicht zu berücksichtigen wäre. Die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften stellen eine systematisch entwickelte Hilfe für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen dar (siehe: www.awmf.org/leitlinien.html, Stand 04.11.2015; vgl. LSG Hessen, aaO). Auch wenn diese rechtlich nicht bindend sind, geben sie doch wichtige Entscheidungshilfen, zumal sie auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und auf in der Praxis bewährten Verfahren beruhen. Die Klassifizierung als "S3-Leitlinie" bringt zum Ausdruck, dass diese auf der Grundlage einer formellen oder systematischen Evidenzrecherche erstellt wurde und alle Elemente einer systematischen Entwicklung (Logik-, Entscheidungs- und Outcome-analyse, Bewertung klinischer Relevanz wissenschaftlicher Studien und regelmäßige Überprüfung) beinhaltet (siehe: AWMF-Regelwerk Leitlinien unter www.awmf.org; vgl. LSG Hessen, aaO). Auch das Bundessozialgericht stellt im Hinblick auf die medizinischen Grundlagen auf die Leitlinie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft ab (vgl. Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KR 2/08 R – juris; Urteil vom 19.02.2003, aaO). Dass es sich in den konkreten Fällen nicht mit der Empfehlung zur primären chirurgischen Indikation beschäftigen musste, heißt nicht, dass diese nicht auch anwendbar ist.
Schließlich greift auch der Verweis der Beklagten auf das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 01.03.2011 (L 11 KR 3560/09 - juris) nicht, weil sich das Gericht im dortigen Fall mit der primären Indikation als Ausnahmefall gar nicht beschäftigt hat.
Anhaltspunkte, dass die Magenbypass-Operation nicht zweckmäßig und wirtschaftlich sei und ihre Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht entspreche (§§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V), sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht vorgetragen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine Magenbypass-Operation.
Der am 24.02.19xx geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er ist als Organisationsleiter im Außendienst bei der Beklagten tätig.
Mit Schreiben vom 26.02.2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Magenbypass-Operation. Zur Begründung führte er an, dass er seit seiner Kindheit stark übergewichtig sei und bisher alles versucht habe, um das Gewicht zu reduzieren. Die Fachärzte des Adipositas-Zentrums der Universitätsklinik Aachen seien nunmehr übereinstimmend der Meinung, dass nur eine Operation eine dauerhafte Gewichtsreduktion bewirken könne. Er habe bereits erhebliche gesundheitliche Einschränkungen. Um einem möglichen Diabetes vorzubeugen und seine Lebensqualität zu verbessern, bitte er um eine entsprechende Kostenzusage. Seinem Antrag fügte der Kläger ein Schreiben des Universitätsklinikums Aachen, Klinik für Allgemein-, Visceral- und Transplantationschirurgie vom 28.01.2013 bei, mit dem ebenfalls die Kostenübernahme für eine Magenbypass-Operation bei dem Kläger beantragt wird. Der Kläger leide an einer morbiden Adipositas Grad III. Das aktuelle Gewicht betrage 151,8 kg bei einer Körpergröße von 181 cm. Der BMI sei 47,5. Bei dem Kläger bestehe bereits seit der Kindheit ein erhebliches Übergewicht. Er habe bereits mit 14 Jahren ca. 100 kg gewogen. In seiner Familie würden der Vater und die Schwester des Klägers ebenfalls unter starkem Übergewicht leiden. Der Kläger sei aufgrund des Übergewichtes in seinem Alltag und seiner Lebensqualität stark eingeschränkt. Besonders die Kniegelenksarthrose belaste ihn aufgrund der eingeschränkten Mobilität sehr. Eine Gewichtsreduktion würde die Beschwerden lindern und einem Fortschreiten der degenerativen Veränderungen vorbeugen. Zusätzlich leide der Kläger unter einer arteriellen Hypertonie und einem obstruktiven Schlafapnoesyndrom. Die arterielle Hypertonie und die Adipositas würden im Rahmen des metabolischen Syndroms ernst zu nehmende Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse darstellen. Zur Primärprophylaxe kardialer Ereignisse und zur Behandlung der arteriellen Hypertonie sei daher eine Gewichtsabnahme zwingend erforderlich. Das Schlafapnoesyndrom sei dabei ein zusätzlicher Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und schränke die Leistungsfähigkeit des Patienten zusätzlich weiter ein. Der Kläger habe verschiedene Diäten in Eigenregie durchgeführt. In der Sprechstunde habe er eine besondere Motivation zur langfristigen Lebensänderung gezeigt. Schon jetzt betreibe er regelmäßig Sport in einem Fitnessstudio und setze die Vorgaben der Ernährungsberatung um. Zusätzlich habe er von März 2012 bis September 2012 eine strukturierte Ernährungsberatung durchgeführt. Auch nach dem Abschluss der Ernährungsberatung habe der Kläger die erlernten Maßnahmen weiterhin umgesetzt. Leider hätte auch diese Lebensstiländerung nicht zu einem signifikanten Gewichtsverlust geführt. Nach Überprüfung der erhobenen Befunde werde entsprechend den europäischen Leitlinien für die interdisziplinäre Behandlung der Adipositas durch chirurgische Maßnahmen und die aktuelle S3- Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" bei dem Kläger eine Indikation für die bariatrische Magenbypass-Operation gestellt. Wie in mehreren Langzeitstudien belegt, könne es nur noch mit einem Adipositas-chirurgischen Eingriff zu einer nennenswerten und vor allem dauerhaften Gewichtsreduktion kommen. Der Kläger kenne die postoperativen Anforderungen und sei hoch motiviert, die geänderten Lebens- und Ernährungsgewohnheiten beizubehalten. Kontraindikationen würden nicht vorliegen.
Die Beklagte übersandte dem Kläger sodann einen Fragebogen. In diesem gab der Kläger unter anderem an, dass er als Bewegungstherapien bisher Reha-Sport durchgeführt habe und im Fitnessstudio gewesen sei. Derzeit würde er aus beruflichen Gründen keine körperliche Aktivität ausüben. In psychiatrischer/psychotherapeutischer Behandlung befinde sich der Kläger nicht.
Des Weiteren holte die Beklagte eine sozialmedizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. In ihrem sozialmedizinischen Gutachten vom 07.05.2013 kommt Frau U. Sch. zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht erfüllt seien. Der Kläger leider unbestritten an einer dringend behandlungsbedürftigen Adipositas Grad III. Es sei auch bereits zur Manifestation von adipositasassoziierten Begleiterkrankungen, wozu die arterielle Hypertonie und das Schlafapnoesyndrom zu zählen seien, gekommen. Bei der beantragten Operation sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Vorfeld zu überprüfen, ob sämtliche konservativen Therapiemöglichkeiten zur Gewichtsreduktion bereits erfolglos ausgeschöpft worden sind. Auch den aktuellen S3-Leitlinien der Fachgesellschaften zufolge bestehe die primäre Behandlung der Adipositas in einem multimodalen, konservativen Therapieprogramm. Diese setzen sich zusammen aus den Bausteinen Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie. Diese Maßnahmen sollten optimaler Weise koordiniert aufeinander abgestimmt durchgeführt werden über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten. Zwar habe der Kläger die geforderte Ernährungstherapie über den Mindestzeitraum von sechs Monaten durchgeführt. Nach eigenem Bekunden führe der Kläger derzeit aber aufgrund beruflicher Inanspruchnahme keinerlei körperliche Aktivitäten durch. Gerade die Bewegungstherapie stelle aber einen maßgeblichen Baustein der multimodalen Therapie dar, auf die nicht verzichtet werden könne. Lediglich auf die Durchführung einer Verhaltenstherapie zur Verhaltensmodifikation könne im Einzelfall verzichtet werden. Aufgrund dessen könne die Durchführung der Operation nicht empfohlen werden.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.05.2013 die Kostenübernahme für eine Magenbypass-Operation ab.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 04.06.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er an, dass das Gutachten des MDK lediglich nach Aktenlage erstellt worden sei und in keinster Weise die bereits vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen berücksichtige.
Daraufhin holte die Beklagte ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten des MDK ein. In seinem Gutachten vom 26.06.2013 kommt Dr. M. W. ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht erfüllt seien. Zwar sei festzustellen, dass der Kläger hinsichtlich seines BMI und der langjährig bestehenden Adipositas die in der S3-Leitlinie geforderten Einschlusskriterien für den Eingriff erfülle. Kontraindikationen, insbesondere von Seiten des psychiatrischen Fachgebietes sowie auch internistischerseits im Sinne einer sekundären Adipositas würden gemäß dem Bericht des Universitätsklinikums Aachen auch nicht vorliegen. Die Voraussetzungen eines multimodalen Behandlungskonzeptes seien jedoch nicht erfüllt, da der Kläger aus beruflichen Gründen derzeit keine körperliche Aktivität ausübe. Solange dies nicht zeitgleich mit einer entsprechenden Ernährungstherapie erfolgt ist, sei kein multimodales Behandlungskonzept erfolgt und es könne somit letztlich gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und der S3-Leitlinie nicht von einer Ausschöpfung der konservativen Behandlungsmöglichkeiten gesprochen werden. Aufgrund dessen sei auch die Notwendigkeit einer körperlichen Untersuchung nicht gegeben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers unter Verweis auf die Begründung des MDK zurück.
Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Ergänzend trägt er vor, dass die Darstellung der Beklagten, dass er nicht alle konventionellen Maßnahmen zu Gewichtsreduktion ausgeschöpft habe, aufgrund ungenauer Recherche basiere. In der Zeit vom 15.06.2009 bis zum 06.07.2009 sei er in der Klinik Hellbachtal in M. zur Rehabilitation gewesen. Bei der Abschlussuntersuchung habe ihm der leitende Arzt für die Anschlussbehandlung Physiotherapie sowie Sport- und Bewegungstherapie bewilligt. Der Rentenversicherungsträger habe die Kosten für 24 × 90 bis 120 Minuten im Rahmen des "Irena"-Programms bewilligt. Die Rehabilitationsnachsorge sei im Therapie-Center in M. durchgeführt worden. Schließlich habe er sich in einem Fitnessstudio angemeldet, in dem auch Reha Sport angeboten werde. Die Mitgliedschaft habe vom 01.04.2010 bis zum 31.03.2012 gedauert. Die gewünschte Gewichtsreduktion habe nicht erreicht werden können. Da alle Versuche zur dauerhaften Gewichtsabnahme gescheitert seien, erscheine ihm die Magenbypass-Operation als Ultima Ratio unverzichtbar.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 17.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine Magenbypass-Operation zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verbleibt ebenfalls bei ihrer Auffassung.
Ergänzend trägt sie vor, dass weder die Bewilligung von Leistungen zur intensivierten Rehabilitationsnachsorge (IRENA) noch die Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio die tatsächliche Durchführung einer Bewegungstherapie implizieren würden. Im Übrigen habe der Kläger angegeben, dass körperliche Aktivitäten aus beruflichen Gründen nicht durchgeführt würden.
Das Gericht hat zunächst einen Befundbericht von dem den Kläger behandelnden Arzt eingeholt.
Dr. P., Arzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren hat in seinem Schreiben vom 03.04.2014 unter anderem berichtet, dass durch Walken und Schwimmen keine wesentliche Gewichtsreduktion erfolgt sei, jedoch insbesondere durch das Laufen die orthopädischen Leiden zugenommen hätten. Es seien häufiger Lumbago und Lumboischialgien eingetreten sowie die Gonarthrose aktiviert worden. Gewichtbedingt und schmerzbedingt habe der Kläger nur eine geringe Ausdauer und Leistungsspanne. Er erreiche erst gar nicht die erforderliche Zeit, um eine Fettverbrennung zu ermöglichen. Weitere konservative Maßnahmen der Gewichtsreduktion halte er nicht für Erfolg versprechend. Die Durchführung der begehrten Magenbypass-Operation halte er für indiziert.
Sodann hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Die Sachverständige Dr. J. G.-L., Ärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin und Ernährungsmedizin kommt in ihrem Gutachten vom 27.08.2014 im Wesentlichen zu dem folgenden Ergebnis.
Der Kläger leide an folgenden Erkrankungen:
1. fortgeschrittenes degeneratives Kniegelenksleiden beidseits 2. degeneratives Lendenwirbelsäulenleiden 3. arterielle Hypertonie 4. Harnsäure- und Fettstoffwechselstörung.
Mit großer Wahrscheinlichkeit sei die arterielle Hypertonie auf die Adipositas permagna des Klägers zurückzuführen, da er berichtet habe, bereits seit seiner Kindheit übergewichtig zu sein und die Erkrankung erst Mitte der neunziger Jahre aufgetreten sei. Gegebenenfalls bestehe auch ein dementsprechender ursächlicher Zusammenhang im Hinblick auf die Stoffwechselstörungen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei darüber hinaus das fortgeschrittene degenerative Kniegelenksleiden ebenfalls auf das jahrzehntelang bestehende erhebliche Übergewicht des Klägers zurückzuführen. Das aktuelle körperliche Gewicht liege unbekleidet bei 158 kg, bei einer Größe von 176 cm. Der BMI betrage 51. Weder das degenerative Kniegelenksleiden noch das degenerative Wirbelsäulenleiden würden derzeit therapiert. Der Kläger habe berichtet, dass die behandelnden Orthopäden im Jahr 2012 darauf hingewiesen haben, dass aufgrund des erheblichen Übergewichtes keine Erfolg versprechende Therapie mehr möglich sei. Es sei bereits zu diesem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden, dass mit großer Wahrscheinlichkeit ein künstlicher Gelenksersatz notwendig sein werde, dass aus diesem Grunde aber zunächst eine nachhaltige Gewichtsreduktion stattfinden müsse, damit die Operation auch Aussicht auf Erfolg zeige. Im Jahre 2012 habe er 6 Monate lang an einer Ernährungsberatung bei einer Diplom-Ökotrophologin teilgenommen. Er habe 4 kg bis 5 kg Gewicht abgenommen, obwohl er gleichzeitig 2 Jahre lang Mitglied eines Fitnessstudios gewesen sei, was er dreimal wöchentlich besucht habe. Bewegen tue er sich wenig, dies insbesondere aufgrund seins Kniegelenksleidens. Unter Berücksichtigung des Verlaufes des Übergewichtes sowie der konservativen Therapiemaßnahmen würden aus Sicht der Sachverständigen weitere konservative Maßnahmen keine Aussicht auf Erfolg bieten. Dabei komme insbesondere hinzu, dass unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Kniegelenksleidens auch nicht genügend Zeit für solche Maßnahmen bestünden. Es sei darauf hinzuweisen, dass das Kniegelenksleiden derart ausgeprägt sei, dass bereits eine endgradige Streckhemmung in beiden Kniegelenken bestehe. Unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Funktionsstörungen der Kniegelenke sei im vorliegenden Fall eine adäquate Bewegungstherapie als wesentlicher Baustein eines multimodalen Therapieprogramms zur nachhaltigen Gewichtsreduktion nicht mehr möglich, so dass auch aus diesem Grunde unter Berücksichtigung der dringend erforderlichen Gewichtsreduktion konservative Maßnahmen zur nachhaltigen Gewichtsreduktion keine Aussicht auf Erfolg bieten würden. Eine psychotherapeutische Behandlung zur Steuerung des Essverhaltens halte sie für nicht Erfolg versprechend, da nach ihrer Auffassung keine nennenswerte Essstörung vorliege. Eine Änderung des Verhaltens des Klägers nach dem Eingriff sei anzunehmen, da allein die veränderten anatomischen Verhältnisse nach einer Magenverkleinerung die Betroffenen zu einem anderen Essverhalten nahezu zwingen würden. Im vorliegenden Fall liege eine Indikation zur Durchführung eines bariatrischen Eingriffs vor. Kontraindikationen würden nicht vorliegen. Unter Berücksichtigung des Zeitdruckes zur nachhaltigen Gewichtsreduktion im Hinblick auf das fortgeschrittene degenerative Kniegelenksleiden liege im vorliegenden Fall aus ihrer Sicht eine Ultima Ratio im Hinblick auf den bariatrischen Eingriff vor. Ansonsten drohte eine weitere Mobilitätseinschränkung des Klägers mit dramatischen Folgen insbesondere im Hinblick auf seine Erwerbstätigkeit.
Die Beklagte hat die Kostenübernahme weiterhin abgelehnt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass die beschriebene Kniegelenksarthrose keinen grundsätzlichen Hinderungsgrund darstelle, da es ja nicht um Sport im eigentlichen Sinne, sondern um Bewegung gehe. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass Bewegung und Maßnahmen der physikalischen Therapie auch Grundpfeiler in der konservativen Arthrosebehandlung seien. So komme beispielsweise Aquajogging, Fahrradfahren (Kniebewegung ohne Belastung) oder auch Gymnastikmaßnahmen in Betracht. Dass der Kläger der Sachverständigen mitgeteilt habe, zeitgleich zur Ernährungsberatung dreimal wöchentlich im Fitnessstudio gewesen zu sein, müsse bis zum Beweis des Gegenteils in Abrede gestellt werden. Im Übrigen sei zwar eine primäre OP-Indikation in den S3-Leitlinien "Chirurgie der Adipositas" und "Prävention und Therapie der Adipositas" enthalten. Sie beruhe aber nicht auf einem konsentierten Votum. Zudem verweise die Beklagte auf das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 01.03.2011 (L 11 KR 3560/09).
Der Kläger hat hierauf vorgetragen, dass er im Hinblick auf den Umfang des Trainings im Fitness-Studio keine Unterlagen beibringen könne, da nach Rücksprache mit diesem durch eine Computerumstellung alle alten Daten gelöscht worden seien.
Des Weiteren hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er aktuell 156,8 kg wiege. Er habe in diesem Jahr noch eine kombinierte Bewegungs- und Ernährungstherapie durchgeführt. Er sei auch weiterhin im Fitnessstudio angemeldet und nehme dort am Zirkeltraining teil. Zudem trainiere er auf dem Ergo-Trainer, was trotz der Knieprobleme gut funktioniere. Es sei aber kein großer Erfolg gewesen. Das Problem sei, dass er aufgrund seiner Hypertonie ein Medikament einnehme, das den Puls senke. Dies führe dazu, dass er vom Puls her gar nicht in den Bereich komme, um Fett zu verbrennen. Sein Arzt habe ihm jedoch gesagt, dass das Medikament nicht abgesetzt werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG – ist zulässig und begründet. Der Kläger ist beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, da der Bescheid der Beklagten vom 17.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2013 rechtswidrig ist. Der Bescheid war somit aufzuheben und die Beklagte zur Übernahme der Kosten für die Magenbypass-Operation zu verurteilen.
Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Übernahme der Kosten für die begehrte Magenbypass-Operation.
Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V – haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V umfasst die Krankenbehandlung unter anderem die ärztliche Behandlung (Nr. 1) sowie die Krankenhausbehandlung (Nr. 5). Nach § 39 Abs. 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R - juris). Ein Anspruch auf Krankenhausbehandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 1, § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V hängt mithin davon ab, dass die Krankenhausbehandlung allein aus medizinischen Gründen erforderlich ist (vgl. BSG, Beschluss des Großen Senats vom 25.09.2007 - GS 1/06 - SozR 4-2500 § 39 Nr. 10). Die Erforderlichkeit richtet sich allein nach den medizinischen Erfordernissen (vgl. Großer Senat, aaO). Dabei kommt es auf die individuelle Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung im Einzelfall an (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 1/07 KR R - juris).
Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt somit nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V zunächst eine "Krankheit" voraus. Damit wird in der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu; die Rechtsprechung hat diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 3/03 – mwN - juris).
Der Kläger leidet an einer Adipositas Grad III. Hierbei handelt es sich um eine Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Erfordert die Adipositas eine ärztliche Behandlung, so belegt das zugleich die Regelwidrigkeit des bestehenden Zustandes und damit das Vorliegen einer Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne (BSG, Urteil vom 19.02.2003 – B 1 KR 1/02 R - juris). Die Adipositas des Klägers erfordert eine ärztliche Behandlung. Dies haben sowohl die den Kläger behandelnden Ärzte als auch der MDK bestätigt.
Die Magenbypass-Operation ist im Falle des Klägers auch individuell medizinisch erforderlich.
In der Rechtsprechung wird im Allgemeinen angenommen, dass Behandlungs- maßnahmen, die in ein an sich gesundes Organ eingreifen, in der Regel ausgeschlossen sind. Für chirurgische Maßnahmen, mit denen in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert wird, wie das bei bariatrischen Operationen der Fall ist, bedarf die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (BSG, Urteil vom 19.02.2003 – B 1 KR 1/02 R, aaO). Da das Behandlungsziel einer Gewichtsreduktion auf verschiedenen Wegen erreicht werden kann, kommt somit eine solche chirurgische Maßnahme unter Berücksichtigung der Leitlinien der Fachgesellschaften nur als Ultima Ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen (BMI )=40 oder )=35 mit erheblichen Begleiterkrankungen; Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten; tolerables Operationsrisiko; ausreichende Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung; Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung ua; BSG, Urteil vom 19.02.2003, aaO).
Ausgehend von diesen Kriterien steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der Umstände der Adipositaserkrankung des Klägers fest, dass diese Voraussetzungen für die Verschaffung der Magenbypass-Operation durch die Beklagte erfüllt sind.
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hatte der Kläger ein Gewicht von 156,8 kg, bei einer Größe von 176 cm (laut Sachverständigengutachten). Unter Anwendung der Formel BMI = Körpermasse in Kilogramm./. Körpergröße in Metern zum Quadrat (Quelle: Wikipedia), ergibt dies einen BMI von 50. Unter Zugrundelegung der in Abschnitt 3.2 Indikation der S3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" (Stand Juni 2010) - auf die das Bundessozialgericht zurückgreift und auf welche auch die Beklagte abstellt – genannten Voraussetzungen, ist zunächst festzustellen, dass der BMI des Klägers deutlich über den genannten Werten von 35 und 40 liegt. Hinzu kommen mehrere, erhebliche Folge- und Begleiterkrankungen, an denen der Kläger leidet. Insofern hat die Sachverständige festgestellt, dass der Kläger an einem fortgeschrittenen degenerativen Kniegelenksleiden beidseits, einem degenerativen Lendenwirbelsäulenleiden, arterieller Hypertonie sowie einer Harnsäure- und Fettstoffwechselstörung leide. Mit großer Wahrscheinlichkeit sei die arterielle Hypertonie auf die Adipositas permagna des Klägers zurückzuführen. Gegebenenfalls bestehe auch ein dementsprechender ursächlicher Zusammenhang im Hinblick auf die Stoffwechselstörungen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei darüber hinaus das fortgeschrittene degenerative Kniegelenksleiden ebenfalls auf das jahrzehntelang bestehende erhebliche Übergewicht des Klägers zurückzuführen.
Ein tolerables Operationsrisiko liegt vor, da von Seiten aller Ärzte (auch des MDK) keine Kontraindikationen vorliegen. Eine manifeste psychiatrische Behandlung liegt bei dem Kläger nicht vor. Die Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung ist von den Ärzten der Universitätsklinik Aachen bestätigt worden, ebenso eine ausreichende Motivation. Das Vorliegen dieser Erfordernisse ist von der Beklagten auch nicht bestritten worden.
Soweit die Beklage die Übernahme der Kosten für die Magenbypass-Operation ausschließlich mit der Begründung ablehnt, dass der Kläger nicht zeitgleich eine Ernährungs- und Bewegungstherapie durchgeführt und damit die konservativen Therapien nicht ausgeschöpft habe, so kann dem nicht gefolgt werden.
Zum einen hat der Kläger noch während des laufenden Klageverfahrens im Jahre 2015 eine sechsmonatige Ernährungs- und Bewegungstherapie durchgeführt. Dies ist von der Beklagten in keinster Weise berücksichtigt worden.
Darüber hinaus ist aber nach Überzeugung der Kammer im Falle des Klägers ein Ausschöpfen der konservativen Therapie im Sinne einer Ernährungs- und Bewegungstherapie auch nicht erforderlich, da die chirurgische Therapie nicht aufgeschoben werden kann und konservative Therapien keine Aussicht auf Erfolg haben.
In Abschnitt 3.2 Unterpunkt 4 Primäre Indikation der S3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" heißt es wie folgt:
"Lassen Art und/oder Schwere der Krankheit bzw. psychosoziale Gegebenheiten bei Erwachsenen annehmen, dass eine chirurgische Therapie nicht aufgeschoben werden kann oder die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist, kann in Ausnahmefällen auch primär eine chirurgische Therapie durchgeführt werden; die Indikation hierzu ist durch einen in der Adipositastherapie qualifizierten Arzt und einen bariatrischen Chirurgen gemeinsam zu stellen. Damit hat die Leitlinienkommission ein weiteres Beurteilungskriterium nach eingehender Diskussion präzisierend in die neuen Leitlinien aufgenommen, nämlich den Begriff der geringen Erfolgsaussicht der konservativen Therapie."
Des Weiteren ist in der S3-Leitlinie "Prävention und Therapie der Adipositas" (Stand 2014) in Abschnitt 5.4.7 Chirurgische Therapie unter 5.45 die folgende Empfehlung enthalten:
"Eine chirurgische Therapie kann auch primär ohne eine präoperative konservative Therapie durchgeführt werden, wenn die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist oder der Gesundheitszustand des Patienten keinen Aufschub eines operativen Eingriffs zur Besserung durch Gewichtsreduktion erlaube. Dies ist unter folgenden Umständen gegeben: - Besondere Schwere von Begleit- und Folgekrankheiten der Adipositas - BMI ) 50 kg/m - Persönliche psychosoziale Umstände, die keinen Erfolg einer Lebensstiländerung in Aussicht stellen."
Unter Zugrundelegung dieser Empfehlungen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass im Falle des Klägers eine chirurgische Therapie primär indiziert ist.
Der Kläger hat einen BMI von 50. Eine besondere Schwere von Begleit- und Folgekrankheiten der Adipositas des Klägers ist ebenfalls gegeben, da bei dem Kläger nach den Feststellungen der Sachverständigen insbesondere auch ein fortgeschrittenes Kniegelenksleiden besteht, welches derart ausgeprägt ist, dass bereits eine endgradige Streckhemmung in beiden Kniegelenken besteht. Hinzu kommen die arterielle Hypertonie sowie eine Harnsäure- und Fettstoffwechselstörung, die ebenfalls sehr wahrscheinlich auf die Adipositas des Klägers zurückzuführen sind. Nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen haben im Falle des Klägers konservative Maßnahmen zur nachhaltigen Gewichtsreduktion keine Aussicht auf Erfolg. Insofern hat die Sachverständige ausgeführt, dass aufgrund des Ausmaßes der Funktionsstörungen der Kniegelenke eine adäquate Bewegungstherapie als wesentlicher Baustein eines multimodalen Therapieprogramms zur nachhaltigen Gewichtsreduktion nicht mehr möglich sei. Im Übrigen bestünde unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Kniegelenksleidens auch nicht genügend Zeit für solche Maßnahmen. Eine Gewichtsreduktion sei dringend erforderlich. Unter Berücksichtigung des Zeitdruckes zur nachhaltigen Gewichtsreduktion im Hinblick auf das fortgeschrittene degenerative Kniegelenksleiden liege im vorliegenden Fall aus Sicht der Sachverständigen eine Ultima Ratio im Hinblick auf den bariatrischen Eingriff vor. Eine Notwendigkeit der begehrten Magenbypass-Operation haben schließlich sowohl Dr. P. als auch die Chirurgen der Universitätsklinik Aachen bestätigt.
Aufgrund dieser Beurteilungen steht somit für die Kammer fest, dass im Falle des Klägers die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist und sein Gesundheitszustand keinen Aufschub eines operativen Eingriffs erlaubt.
Einwendungen, dass die Voraussetzungen der Empfehlungen der S3-Leitlinien für eine primäre chirurgische Therapie im Falle des Klägers nicht vorliegen, sind von der Beklagten nicht vorgebracht worden. Die Beklagte hat eine entsprechende umfassende Einzelfallprüfung im Hinblick auf den Kläger, trotz Anregung des Gerichts, nicht vorgenommen.
Der alleinige, konkret auf den Kläger bezogene Einwand der Beklagten, dass der Kläger im Hinblick auf das Kniegelenksleiden Aquajogging, Aquagymnastik oder knieschonendes Fahrradfahren machen könne, führt zu keinem anderen Ergebnis, da bereits allein die Dringlichkeit der chirurgischen Therapie, welche die Sachverständige festgestellt hat, für die Annahme einer primären Indikation ausreicht.
Im Übrigen steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen fest, dass auch eine etwaige knieschonende Bewegungstherapie im Falle des Klägers keine Aussicht auf Erfolg hat. Insofern ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits seit der Kindheit an Adipositas leidet. Er hat verschiedene Diäten in Eigenregie durchgeführt. Im Jahre 2012 hat er unstreitig an einer Ernährungstherapie teilgenommen. Darüber hinaus hat er nachgewiesen, dass er in der Zeit von 2010 bis 2012 Mitglied in einem Fitnessstudio gewesen ist. Des Weiteren hat er in diesem Jahr an einer weiteren Ernährungstherapie teilgenommen und sich erneut in einem Fitnessstudio angemeldet. Aufgrund des persönlichen Eindrucks der Kammer in der mündlichen Verhandlung bestehen auch keine Anhaltspunkte dem Kläger nicht zu glauben, dass er in den Fitness-Studios trainiert hat bzw. trainiert und sich – wenn auch erfolglos – um eine Gewichtsreduktion bemüht hat. Auch der den Kläger behandelnde Arzt Dr. P. hat in seinem Befundbericht ausgeführt, dass durch Walken und Schwimmen keine wesentliche Gewichtsreduktion bei dem Kläger erfolgt sei, jedoch insbesondere durch das Laufen die orthopädischen Leiden zugenommen hätten. Es seien häufiger Lumbago und Lumboischialgien eingetreten sowie die Gonarthrose aktiviert worden. Gewichtbedingt und schmerzbedingt habe der Kläger nur eine geringe Ausdauer und Leistungsspanne. Er erreiche erst gar nicht die erforderliche Zeit, um eine Fettverbrennung zu ermöglichen. Weitere konservative Maßnahmen der Gewichtsreduktion halte er somit nicht für Erfolg versprechend. Ferner ergibt sich aus dem Schreiben des Universitätsklinikums Aachen, Klinik für Allgemein-, Visceral- und Transplantationschirurgie vom 28.01.2013, dass der Kläger auch an einem Schlafapnoesyndrom leide, das seine Leistungsfähigkeit einschränke. Schließlich hat der Kläger unbestritten vorgetragen, dass er aufgrund seiner Hypertonie ein Medikament einnehme, das den Puls senke. Dies führe dazu, dass er vom Puls her gar nicht in den Bereich komme, um Fett zu verbrennen. Sein Arzt habe ihm zudem gesagt, dass das Medikament nicht abgesetzt werden könne.
In diesem Zusammenhang ist zudem zu berücksichtigen, dass die Erfolgsaussichten einer rein konservativen Therapie mit dem Ausmaß der Adipositas in einer Wechselbeziehung stehen. Somit sind daher bei einer vergleichsweise geringen Adipositas an die Durchführung einer vorherigen konservativen Therapie strenge Anforderungen zu stellen. Je höher aber der BMI ist, desto schwieriger wird es erfahrungsgemäß, alleine durch eine Umstellung der Ernährung, Bewegungs- und Psychotherapie sowie sonstige konservative Maßnahmen eine ausreichende Gewichtsreduktion in angemessener Zeit zu bewerkstelligen. Daher ist es angemessen, wenigstens in den Sonderfällen, in denen der BMI im oberen Bereich liegt und den Wert von 40 deutlich überschreitet, eine Magenverkleinerungsoperation krankenversicherungsrechtlich auch dann zu bewilligen, wenn die hinreichend glaubhaften und ernsthaften eigeninitiativen Bemühungen des Versicherten zur Gewichtsreduktion nicht den strengen Vorgaben zu einem sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen und ärztlich geleiteten bzw. überwachten Therapiekonzept entsprechen (vgl. LSG Hessen, Urteil vom 20.06.2013 – L 8 KR 91/10 - juris; SG Mannheim, Urteil vom 17.01.2013 – S 9 KR 491/12 - juris).
Gestützt wird dies insbesondere auch durch die Ausführungen in der S3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" in Abschnitt 3.2 Indikation unter Bezugnahme auf die durchgeführten Studien.
So heißt es dort:
"Insbesondere schwer adipöse Patienten weisen häufiger gewichtsbedingte körperliche Einschränkungen auf, welche ihnen nur eine eingeschränkte oder gar keine Teilnahme an Bewegungsprogrammen erlauben. Gehsportarten sind bei vorbestehenden degenerativen Schäden an den tragenden Gelenken häufig kontraindiziert, und Radfahren ist wegen hohen Satteldrucks, Balanceproblemen und Sturzgefahr nur eingeschränkt praktizierbar. Schwimmen ist aus Schamgefühl nicht immer durchführbar" (Seite 13 f.).
"Die Entscheidung für einen bariatrischen Eingriff gründet sich auf dem individuellen Risiko-Nutzen-Verhältnis (.). Deshalb wurde in der Vergangenheit insbesondere von den Kostenträgern gefordert, vor einer Entscheidung zur Operation intensive, ärztlich begleitete Gewichtsreduktionsversuche zu unternehmen. Dieses Vorgehen ist bei hochgradiger Adipositas – zumindest für nicht strukturierte und nicht dauerhaft konzipierte Gewichtsreduktionsversuche – aus klinisch-wissenschaftlicher Sicht nicht gerechtfertigt wegen der geringen Erfolgsaussichten. Zudem ist die Akzeptanz z. B. einer Bewegungstherapie aufgrund der Sekundärkomplikationen (hier Gonarthrose) häufig eingeschränkt, und gelegentlich ist wegen eines hohen Risikoprofils ein schneller Therapieerfolg das prioritäre Ziel" (Seite 13).
Der Einwand der Beklagten, dass die Frage einer primären OP-Indikation inhaltlich kontrovers diskutiert werde und, wenn auch in der Leitlinie enthalten, nicht auf einem konsentierten Votum beruhe, führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Tatsache ist, dass die Empfehlung einer primären chirurgischen Indikation in die S3-Leitlinien "Chirurgie der Adipositas" und "Prävention und Therapie der Adipositas" aufgenommen wurden. Auch wenn es sich bei dieser Empfehlung nur um eine "Kann-Empfehlung" handelt, so bedeutet dies nach Auffassung der Kammer nicht, dass diese im Einzelfall nicht zu berücksichtigen wäre. Die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften stellen eine systematisch entwickelte Hilfe für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen dar (siehe: www.awmf.org/leitlinien.html, Stand 04.11.2015; vgl. LSG Hessen, aaO). Auch wenn diese rechtlich nicht bindend sind, geben sie doch wichtige Entscheidungshilfen, zumal sie auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und auf in der Praxis bewährten Verfahren beruhen. Die Klassifizierung als "S3-Leitlinie" bringt zum Ausdruck, dass diese auf der Grundlage einer formellen oder systematischen Evidenzrecherche erstellt wurde und alle Elemente einer systematischen Entwicklung (Logik-, Entscheidungs- und Outcome-analyse, Bewertung klinischer Relevanz wissenschaftlicher Studien und regelmäßige Überprüfung) beinhaltet (siehe: AWMF-Regelwerk Leitlinien unter www.awmf.org; vgl. LSG Hessen, aaO). Auch das Bundessozialgericht stellt im Hinblick auf die medizinischen Grundlagen auf die Leitlinie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft ab (vgl. Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KR 2/08 R – juris; Urteil vom 19.02.2003, aaO). Dass es sich in den konkreten Fällen nicht mit der Empfehlung zur primären chirurgischen Indikation beschäftigen musste, heißt nicht, dass diese nicht auch anwendbar ist.
Schließlich greift auch der Verweis der Beklagten auf das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 01.03.2011 (L 11 KR 3560/09 - juris) nicht, weil sich das Gericht im dortigen Fall mit der primären Indikation als Ausnahmefall gar nicht beschäftigt hat.
Anhaltspunkte, dass die Magenbypass-Operation nicht zweckmäßig und wirtschaftlich sei und ihre Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht entspreche (§§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V), sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht vorgetragen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
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