Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 98/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 27/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die KV Hessen muss nach den Vorgaben des HVV im Einzelfall überprüfen, ob eine Praxis von der Teilnahme an der Ausgleichsregelung nach § 5 Abs. 4 HVV ausgeschlossen werden kann, weil die Praxisstrukturen in Bezug zum Basisquartal nicht mehr vergleichbar sind.
2. Ein Vorstandsbeschluss, der davon abweichend, nach pauschalen Kriterien Praxen von der Teilnahme an der Ausgleichsregelung ausschließt, ist rechtswidrig.
2. Ein Vorstandsbeschluss, der davon abweichend, nach pauschalen Kriterien Praxen von der Teilnahme an der Ausgleichsregelung ausschließt, ist rechtswidrig.
Der Bescheid vom 28.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2009 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin für die Quartale 2/2007 und 3/2007 über ihren Antrag auf Sonderregelung im Rahmen der Ausgleichsregelung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Sonderregelung im Rahmen der Ausgleichsregelung nach § 5 Abs. 4 HVV für die Quartale II/07 und III/07.
Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis bestehend aus zwei Kollegen, Herrn Dr. A ... und Herrn Dr. C. Herr Dr. A. ist seit dem 11.12.1990 als Facharzt für Innere Medizin zugelassen, seit dem 01.01.1991 niedergelassen und nimmt an der fachärztlichen Versorgung teil. Herr Dr. A. ist seit dem 26.06.1996 als Facharzt für Innere Medizin zugelassen, seit dem 01.07.1996 niedergelassen und nimmt an der hausärztlichen Versorgung teil. Die Gemeinschaftspraxis hat ihren Praxissitz in A-Stadt und ist in den streitgegenständlichen Quartalen abrechnungstechnisch den hausärztlich tätigen Internisten zugeordnet.
Die Honorarentwicklung im Zeitraum 2005-2007 stellte sich bei der Klägerin wie folgt dar:
Quartal Fall-zahl Brutto-Honorar pro Fall in EUR Fallwert vor § 7.5 HVV in EUR Fallwert-verände-rung im Vgl. zu Quartal aus 2004 in EUR Aus-gleichs-zahlung § 7.5 HVV in EUR Honorar vor Ausgleichszahlung § 7.5 HVV in EUR Brutto-Honorar in EUR
II/05 1165 106,71 105,35 -5,42% 1.580,17 122.733,41 124.313,58
III/05 1017 100,11 89,96 -20,81% 11.333,48 90.477,36 101.810,84
IV/05 1077 92,75 79,55 -32,30% 14.215,93 85.677,83 99.893,76
I/06 1179 95,94 77,47 -29,63% 21.775,49 91.341,90 113.117,39
II/06 1142 92,45 84,87 -23,81% 8.662,30 96.919,77 105.582,07
III/06 1055 90,91 81,00 -28,69% 10.459,65 85.449,88 95.909,53
IV/06 1136 92,50 -21,28% 105.084,76
I/07 1224 83,22 -24,41% 101.858,57
II/07 1174 83,58 -24,97% 98.125,41
III/07 1198 78,82 -30,62% 94.430,85
Mit Schreiben vom 11.12.2007 beantragte sie die Gewährung einer Ausgleichszahlung für das Quartal II/07, die sie in den Vorquartalen jeweils erhalten hatte. Zur Begründung führte sie aus, dass durch die Anwendung des HVV 2007 ihr Honorarverlust noch größer geworden sei, da jegliche Ausgleichszahlung ausgeblieben sei. Es seien erstmals rein fachärztliche genehmigungspflichtige qualitätsgesicherte Leistungen (kurative Koloskopie) extrabudgetär vergütet worden, was offenbar ursächlich für den Wegfall der Ausgleichszahlungen gewesen sei. Damit werde die Härtefallregelung nach Ziffer 7.5 HVV konterkariert, weil sie trotz großem EBM-bedingten Verlustes keine Unstützung mehr erhielte. Eine Änderung des Leistungsspektrums sei nicht erfolgt. Mit Schreiben vom 26.02.2008 erweiterte die Klägerin ihren Antrag auch auf das Quartal III/07. Die Beklagte lehnte die Anträge mit Bescheid vom 28.05.2008 ab. Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Klägerin vom 05.06.2008. Zur Begründung des Widerspruchs führte die Klägerin weiter aus, dass einzig die von der Beklagten durchgeführte Umfirmierung der kurativen Koloskopie zu einer ambulanten operativen Leistung und damit zu einer extrabudgetären Leistung zu einer Honorarminderung von 21,5% für das Quartal II/07 und 26% für das Quartal III/07 geführt habe. Es ergäben sich Gesamtverluste in Höhe von 25.423,01 Euro im Quartal II/07 und 31.573,14 Euro im Quartal III/07.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2009 zurück. Eine Teilnahme an der Ausgleichsregelung sei nach einem Beschluss des Vorstandes ausgeschlossen, wenn der jeweilige Arzt mehr als 1.000EUR im Bereich des ambulanten Operierens nach § 115 b SGB V abrechne und mehr extrabudgetäres Honorar als seine Fachgruppe erwirtschafte. Nach diesen Kriterien komme eine Berücksichtigung der Klägerin im Rahmen der Ausgleichsregelung nicht in Betracht.
Die Auswertung der Abrechnungsunteralgen für die Quartale II/07 und II/05 habe folgendes ergeben: Das praxisbezogene Regelleistungsvolumen sei im Quartal II/07 im Vergleich zum Quartal II/05 bei fast unveränderter Fallzahl annähernd gleich geblieben. Dennoch seien im Quartal II/07 im Vergleich zum Referenzquartal II/05 ca. 220.000 Punkte weniger angefordert worden. Der Honoraranspruch für die Berechnung der Ausgleichsregelung im Quartal II/07 sei im Vergleich zum Quartal II/05 um 24.574,26 Euro gesunken. Trotzdem sei im Quartal II/07 ein Anstieg der herauszurechnenden Leistungen zu verzeichnen (plus 1.442,68 Euro). Im Quartal II/05 sei die Ziffer 13421 EBM 2000plus bei einer Fallzahl von 1.154 Fällen 36 mal, im Quartal II/07 bei einer Fallzahl von 1164 Fällen (lt. Frequenzstatistik) 37 mal abgerechnet worden. Die Ziffer 01741 EBM 2000plus sei im Referenzquartal (II/05) 64 mal und im aktuellen Quartal (II/07) 48 mal abgerechnet worden. Demnach hätten im Quartal II/07 im Hinblick auf die Anzahl der Erbringung von Leistungen nach den Ziffern 13421 und 01741 EBM 2000plus gegenüber dem Referenzquartal II/05 keine signifikante Änderung stattgefunden. Leistungen der Leistungsgruppe (LG) 1, 2, 3, 4, 6 und 8 seien im Quartal II/07 je Fall seltener erbracht worden als im Quartal II/05. Es sei im Quartal II/07 im Bereich ambulantes Operieren ein Honorar in Höhe von 9.088,02 Euro erwirtschaftet worden.
Die Auswertung der Abrechnungsunterlagen für die Quartale III/07 und III/05 habe folgendes ergeben: Das praxisbezogene Regelleistungsvolumen sei im Quartal III/07 im Vergleich zum Quartal III/05 um ca. 142.200 Punkte angestiegen, es seien aber auch 157 Fälle mehr behandelt worden. Im Quartal III/07 seien auch knapp 300.000 Punkte mehr angefordert worden. Der Honoraranspruch für die Berechnung der Ausgleichsregelung sei im Quartal III/07 im Vergleich zum Quartal III/05 nur um 3.171,76 Euro angestiegen. Dennoch sei im Quartal III/07 ein deutlicher Anstieg der herauszurechnenden Leistungen zu verzeichnen (plus 13.141,48 Euro = 47,5%) gewesen. Eine Analyse des Abrechnungsverhaltens habe ergeben, dass im Quartal III/05 die Ziffer 13421 EBM 2000plus bei einer Fallzahl von 1006 Fällen (lt. Frequenzstatistik) 39 mal; im Quartal III/07 bei einer Fallzahl von 1184 Fällen 45 mal abgerechnet worden sei. Die Ziffer 01741 EBM2000 plus sei im Referenzquartal (III/05) 44 mal und im aktuellen Quartal (III/07) 42 mal abgerechnet worden. Demnach habe im Quartal III/07 im Hinblick auf die Anzahl der Erbringung von Leistungen nach den Ziffern 13421 und 01741 EBM 2000plus gegenüber dem Referenzquartal II/05 ebenfalls keine signifikante Änderung stattgefunden. Leistungen der LG 1, 2, 6 und 8 seien im Quartal III/07 je Fall seltener erbracht worden als im Quartal III/05, Leistungen der LG 3 dagegen annähernd so oft. Allerdings sei bei der Erbringung von Leistungen in der LG 4 im Quartal III/07 im Vergleich zum Quartal III/05 ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen (plus 86%). Im Quartal III/07 sei im Bereich ambulantes Operieren ein Honorar in Höhe von 12.468,79 Euro erwirtschaftet worden.
Insgesamt sei festzustellen, dass in Bezug auf einzelne Leistungen bzw. Leistungsbereiche keine wesentlichen Veränderungen eingetreten seien. Allerdings habe in den Quartalen II/07 und III/07 aufgrund der Änderung der Bestimmungen eine Verlagerung von intrabudgetären Leistungen in den Bereich der extrabudgetären ambulanten Operationen stattgefunden.
Hintergrund dieser Verschiebung sei die ab dem Quartal I/07 wirkende Schiedsamtsentscheidung, von der die Beklagte aufgrund ihrer rechtlichen Bindungswirkung nicht einseitig abweichen könne. Infolge der honorartechnischen Verschiebung würden nun vermehrt Leistungen außerhalb der Ausgleichsregelung honoriert und demnach flössen entsprechend weniger Leistungen in die Ausgleichsregelung (allgemeine Leistungen HG 2). Damit würde nun im Falle einer Teilnahme der Praxis an der Ausgleichsregelung neben der extrabudgetären Vergütung der Leistungen zusätzlich eine entsprechende Auffüllung im Rahmen der Ausgleichsregelung erfolgen; denn ehemals seien Leistungen erbracht worden, die im Ausgangsquartal im Fallwert enthalten waren, im aktuellen Quartal jedoch herausgerechnet wurden. Dies sei jedoch gerade nicht die Zielrichtung der Ausgleichsregelung, die EBM-bedingte Fallwertverluste ausgleichen solle, so dass die Nichtteilnahme an der Ausgleichsregelung aufgrund der honorartechnischen Verlagerung vom intrabudgetären in den extrabudgetären Bereich gerade sachgerecht erscheine.
Soweit die Klägerin die Auffassung vertrete, die Teilnahme an der Ausgleichsregelung sei erforderlich, da die in ihrer Praxis eingetretenen Honorarverwerfungen auf die Einführung des EBM 2000 plus beruhten, könne dies deshalb nicht nachvollzogen werden, da die Klägerin selber vorgetragen habe, die Honorarverwerfungen seien einzig auf die Verlagerung von budgetären Leistungen in den extrabudgetären Bereich zurückzuführen. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob die Vergütung einer Leistung aus dem budgetierten Teil der Gesamtvergütung oder extrabudgetär erfolge, gerade keine Thematik des EBM darstelle, sondern der Vergütungssystematik (HVV). Honorarverwerfungen, die aufgrund der Änderungen honorartechnischer Vorgaben erfolgen, sollten im Gegensatz zu solchen, die in der Einführung des EBM 2000 plus ihre Ursache haben, von der Ausgleichsregelung nicht ausgeglichen werden.
Die Teilnahme am Anpassungsindex könne, wie dargelegt, nur unter der Voraussetzung gleicher Rahmenbedingungen beim Vergleich des jeweils aktuellen mit dem jeweiligen Referenzquartal erfolgen. Die Verlagerung ambulanter Operationsleistungen vom intra- in den extrabudgetären Bereich führe dazu, dass diese Rahmenbedingungen nicht vergleichbar seien, da die Ausschüttung von Auffüllbeträgen anhand von Fallwerten berechnet werde, die unter Berücksichtigung unterschiedlicher von der Ärzteschaft abgerechneter Gesamtleistungsvolumina (bis zum Quartal IV/06 inklusive der ambulanten Operationsleistungen und ab dem Quartal I/07 ohne diese) berechnet würden. Hätte der Schiedsamtsspruch nicht zu der Verschiebung der ambulanten Operationsleistungen geführt, wäre eine Vergleichbarkeit der Rahmenbedingungen bezogen auf die ambulanten Operationsleistungen bei sonst ebenfalls unveränderten Bedingungen möglich gewesen. Insofern sei der Ausschluss von der Teilnahme an der Ausgleichsregelung wegen der ambulanten Operationsleistungen durchaus gerechtfertigt.
Sofern die Klägerin schließlich darauf hinweise, dass ihre relevanten Honorarforderungen mit 17,89% unter dem Schwellenwert von 20% der Gesamthonorarforderung der fachärztlichen tätigen Internisten lägen, sei auszuführen, dass die Gemeinschaftspraxis abrechnungstechnisch den hausärztlich tätigen Internisten zugeordnet sei. Deshalb sei für die Praxis der Fachgruppendurchschnitt der Hausärzte (15%) hinsichtlich des erwirtschafteten extrabudgetären Honorars maßgeblich. Da die Klägerin mit ihrem extrabudgetären Honorar über diesem Fachgruppendurchschnitt liege, sei eine Teilnahme an der Ausgleichsregelung nicht möglich.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid richtet sich die vorliegende Klage vom 26.02.2009.
Die Klägerin trägt vor, dass nach den Vorgaben des HVV ihr eine Ausgleichszahlung zustünde, da sie verglichen mit dem Bezugsquartal II/05 bzw. III/05 ein Honorarverlust von mehr als 5% erlitten habe. Der davon abweichende Beschluss des Vorstandes sei rechtswidrig. Die Kompetenz des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung beschränke sich auf Einzelfallentscheidungen in besonders gelagerten Ausnahmefällen. Darüber hinaus hätten Regelungen im HVV selbst zu erfolgen und bedürften diese entsprechend der vertraglichen Vereinbarung mit den Krankenkassenverbänden. Der Vorstandsbeschluss genüge darüber hinaus auch nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Betrag von 1.000,00 Euro sei deutlich zu niedrig gewählt. Die komplette Nichtanwendung der Stützungsregelung komme nur und allenfalls in Betracht, wenn Leistungen in einem Umfang betroffen seien, die die Annahme rechtfertigten, dass durch die extrabudgetäre Vergütung etwaige Honorarverwerfungen nach Einführungen des EBM 2000plus zumindest weithin aufgewogen würden. Dies sei bei einem Betrag von 1.000,00 Euro sicher nicht der Fall. Darüber hinaus erweise sich die ohne weitere Differenzierung vorgenommene Einbeziehung fachverschiedener Gemeinschaftspraxen als verfehlt. Gerade bei Praxen wie der der Klägerin, bei der ein Teil nur sehr wenig Leistungen nach § 115 SGB V erbringe, sei kein überproportionaler Anteil extrabudgetärer Leistungen zu vermuten. An § 115b SGB V Leistungen würden ausschließlich in der Person von Dr. BL. kurative Koloskopien erbracht. Diese seien seit dem Quartal I/07 extrabugetär vergütet worden, während die präventiven Koloskopien bereits seit dem Quartal II/05 extrabudgetär vergütet würden. Durch die Einbeziehung der kurativen Koloskopien in die extrabudgetären Leistungen hätte sich in der klägerischen Praxis im extrabudgetären Bereich eine Vergütungsvermehrung von 1.442,68 Euro ergeben. Ein Fallwertvergleich setze die Vergleichbarkeit der eingezogenen Leistungen voraus. Leistungen, die im Quartal II/05 innerhalb des Budgets vergütet worden seien, im Quartal II/07 jedoch extrabudgetär, seien nicht vergleichstauglich und bei der Ermittlung des Fallwertes im Quartal II/05 damit auch nicht berücksichtigungsfähig. Wäre dies von der Beklagten berücksichtigt worden, wäre immer noch ein Fallwertverlust von mehr als 5% dokumentiert worden und ein Anspruch auf entsprechender Honorarstützung nach dem HVV entstanden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 28.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für die Quartale II/07 und III/07 eine Honorarstützung nach § 5 Abs. 4 des maßgeblichen Honorarverteilungsvertrages zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf die Gründe des Widerspruchsbescheides. Das Honorarvolumen für ambulantes Operieren habe im Quartal II/07 9.088,02 Euro und im Quartal III/07 12.468,79 Euro betragen, so dass die Grenze von 1.000,00 Euro bei weitem überschritten worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie das Vorbringen der Beteiligten wird ergänzend Bezug genommen auf die Verwaltungsakten sowie die Prozessakten, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Vertragsärzte und Psychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Psychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die zulässige Klage ist auch insoweit begründet, als die Klägerin einen Anspruch auf Neubescheidung über ihren Antrag auf Sonderregelung im Rahmen der Ausgleichsregelung für die Quartale II/07 und III/07 hat. Einen Anspruch auf positive Teilnahme an der Ausgleichsregelung konnte das Gericht mangels entsprechender Berechnungsmöglichkeiten nicht endgültig feststellen.
Der Bescheid vom 28.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.
Der Bescheid versagt der Klägerin die Teilnahme an der Honorarstützungsregelung nach § 5 Abs. 4 HVV (Honorarverteilungsvertrag gemäß § 85 Abs. 4 Satz 1 SGB V für den Zeitraum vom 01.04.2007 bis 31.12.2007 in der Fassung der Entscheidung des Landesschiedsamts für die vertragsärztliche Versorgung in Hessen vom 1. November 2007) aufgrund eines Vorstandsbeschlusses der Beklagten vom 20.8.2007. Dieser Beschluss ist rechtswidrig, was auch die Rechtswidrigkeit des darauf gestützten Bescheides zur Folge hat.
Im Einzelnen bestimmt § 5 Abs. 4 HVV:
a) Zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2000plus erfolgt nach Feststellung der Punktwerte und Quoten gemäß § 4 ein Vergleich des für das aktuelle Abrechnungsquartal berechneten fallbezogenen Honoraranspruches (Fallwert in EUR) der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen Honorarzahlung in EUR im entsprechenden Abrechnungsquartal des Jahres 2005 ausschließlich beschränkt auf Leistungen der Honorargruppe 2 mit Ausnahme der zeitbezogenen genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen.
b) Zeigt der Fallwertvergleich einen Fallwertverlust von mehr als 5%, so erfolgt eine Stützung auf den maximalen Veränderungsrahmen von 5%. Die für eine Stützung bei Fallwertminderungen notwendigen gehen zu Lasten der jeweiligen Honorar(unter)gruppe, der die Praxis im aktuellen Quartal zugeordnet ist, und sind gegebenenfalls durch weitergehende Quotierung der Punktwerte zu generieren. Sollte durch eine solche Quotierung die Fallwertminderung (wieder) auf einen Wert oberhalb von 5% steigen, führt dies zu keinem weitergehenden Ausgleich.
c) Ein Ausgleich von Fallwertminderungen bis zur Grenze von 5% erfolgt grundsätzlich auf der Basis vergleichbarer Praxisstrukturen und maximal bis zu der Fallzahl, die im entsprechenden Quartal des Jahres 2005 abgerechnet worden ist. Ein Ausgleich ist in diesem Sinne u. a. dann ausgeschlossen, wenn im aktuellen Quartal im Vergleich zum Basisquartal erkennbar ausgewählte Leistungsbereiche nicht mehr erbracht wurden oder sich das Leistungsspektrum der Praxis, u. a. als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung der Praxis, verändert hat. Er ist des Weiteren ausgeschlossen, wenn sich die Kooperationsform der Praxis im Vergleich zum entsprechenden Basisquartal geändert hat.
d) Beträgt der Fallwertverlust mehr als 15%, wird geprüft, ob dieser Verlust ausschließlich auf die Einführung des EBM 2000plus zurückzuführen ist. Sofern die Prüfung ergibt, dass dies nicht der Fall ist, wird ggf. eine Honorarberichtigung durchgeführt. Diese Regelung steht unter dem Vorbehalt, dass auf Basis der Zahlungen der Verbände der Krankenkassen eine dem Basisquartal vergleichbare budgetierte Gesamtvergütung zur Verfügung steht.
e) Diese Regelung gilt nicht für ermächtigte Ärzte und ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen.
Nach der Rechtsprechung des LSG Hessen zur Vorgängerregelung Ziffer 7.5 HVV, von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung sieht, ist § 5 Abs. 4 HVV grundsätzlich rechtmäßig, soweit er im Sinne einer Härtefallregelung zur Begünstigung eines Vertragsarztes führt (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 04.11.2009 – L 4 KA 99/08 –; LSG Hessen, Urt. v. 11.02.2009 – L 4 KA 82/07 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris). Lediglich soweit die sog. Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV bei Überschreiten des Fallwerts des Vorjahresquartals von mehr als 5 % u. U. zu einer Honorarkürzung führt, ist die Regelung zu beanstanden (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 29.04.2009 – L 4 KA 80/08 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision anhängig: BSG - B 6 KA 16/09 R –; LSG Hessen, Urt. v. 24.06.2009 – L 4 KA 110/08 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision anhängig: BSG - B 6 KA 26/09 R -; LSG Hessen, Urt. v. 24.06.2009 – L 4 KA 85 u. 86/08 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision anhängig: BSG - B 6 KA 27/09 R bzw. B 6 KA 28/09 R -). Ziffer 7.5 HVV ist ferner rechtswidrig, soweit er junge Praxen, die erst mit oder nach Inkrafttreten des EBM 2005 gegründet wurden, mangels Referenzquartal nicht an der Ausgleichsregelung hat teilnehmen lassen (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 26.11.2008 – L 4 KA 14/08 – Revision zurückgewiesen durch BSG, Urt. v. 03.02.2010 - B 6 KA 1/09 R -, zitiert nach Terminbericht Nr. 5/10 v. 04.02.2010; LSG Hessen, Urt. v. 29.04.2009– L 4 KA 76/08 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision anhängig: BSG - B 6 KA 17/09 R -).
Sofern für die Klägerin im vorliegenden Fall eine begünstigende Auswirkung dieser Regelung im Raum steht, bestehen gegen ihre Anwendung zunächst grundsätzlich keine Bedenken. Die Beklagte hat es jedoch unterlassen, in die von § 5 Abs. 4 HVV gebotene Einzelfallprüfung einzutreten. Nach § 5 Abs. 4 c) HVV ist hat die Klägerin – einen Fallwertverlust von mehr als 5% unterstellt – einen Anspruch auf Teilnahme an der Ausgleichsregelung. Dieser ist nach den Vorgaben des HVV nur dann ausgeschlossen, wenn die Praxisstrukturen nicht mehr vergleichbar sind. Davon ist nach § 5 Abs. 4 c) HVV dann auszugehen, wenn eine Einzelfallprüfung ergibt, dass (ausgewählter) Leistungsbereiche nicht mehr oder nunmehr erbracht werden oder Veränderung des Leistungsspektrums der Praxis, u. a. als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung der Praxis sowie der Kooperationsform der Praxis eingetreten sind.
Die Kammer hält diese Regelung, soweit bisher die Vorgängerregelung nach Ziff. 7.5 HVV als zulässig angesehen wurde, ebf. für zulässig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen tragen dafür Sorge, dass nur EBM-bedingte, nicht aber solche Honorarverluste, für die der Vertragsarzt die Verantwortung selbst zu tragen hat, ausgeglichen werden. Der aktuelle Fallwert und der Fallwert des Basisquartals müssen miteinander vergleichbar sein. Bei verändertem Leistungsspektrum der Praxis ist dies nicht mehr der Fall. Ebenso können veränderte Kooperationsformen eine Vergleichbarkeit ausschließen. Gleiches gilt für veränderte Berechnung des Honorars durch Einschließung oder Ausschließung von Vergütungsanteilen, insbesondere sog. extrabudgetären Leistungen, im Vergleich zum Vorjahresquartal. Die Regelung zur Beschränkung der Ausgleichsregelung ist selbst unmittelbarer Teil der Ausgleichsregelung im Sinne einer Härteregelung. Ihr Inhalt ist aus den genannten Gründen nicht zu beanstanden und ist vom Gestaltungsspielraum der Vertragsparteien des HVV gedeckt.
Die Beklagte hat jedoch auf dieser Grundlage diese einzelfallbezogene Härtefallregelung durch ihren Vorstandsbeschluss vom 20.08.2007 unterlaufen, indem sie eine pauschalierende Regelung getroffen hat, die dem Sinn und Zweck des § 5 Abs. 4 HVV widerspricht. Der Vorstandsbeschluss ist deshalb rechtswidrig. In diesem Beschluss hat die Beklagte festgelegt, dass die Ausgleichsregelung keine Anwendung findet bei Praxen,
- die EUR 1.000,00 und mehr im Bereich der Leistungen gemäß § 115 b SGB V sowie
- im Verhältnis zu Ihrer Fachgruppe mehr extrabudgetäres Honorar vergütet bekommen. Zwar darf der Vorstand einer Kassenärztlichen Vereinigung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung sieht und was nach Auffassung der Kammer auch unter Geltung eines Honorarverteilungsvertrags gilt, außer zu konkretisierenden Bestimmungen, die nicht im voraus für mehrere Quartale gleichbleibend festgelegt werden können, auch dazu ermächtigt werden, Ausnahmen für sog. atypische Fälle vorzusehen. Es ist eine typische Aufgabe des Vorstandes, zu beurteilen, ob sog. atypische Fälle die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Freistellung von Obergrenzen erfüllen. Dabei beschränkt sich die Kompetenz des Vorstandes nicht auf die Statuierung von Ausnahmen für "echte Härten", vielmehr müssen sie generell für atypische Versorgungssituationen möglich sein (vgl. BSG, Urt. v. 03.03.1999 - B 6 KA 15/98 R – SozR 3-2500 § 85 Nr. 31 = MedR 2000, 153, juris Rn. 36; BSG, Urt. v. 21.10.1998 - B 6 KA 65/97 R - SozR 3-2500 § 85 Nr. 27, juris Rn. 23). Der Beklagte mag zuzugeben sein, dass in einem hohen Prozentsatz der Fälle, in denen die im Vorstandsbeschluss genannten Kriterien vorliegen, auch bei Einzelfallbetrachtung eine Veränderung im Leistungsspektrum der jeweiligen Praxis und somit ein im übertragenen Sinn "atypischer Fall" vorliegen mag. Sofern Verlagerungen von Honoraranteilen der Honorargruppe 2 im Basisquartal in den extrabudgetären Bereich erfolgt sind, erscheint es konsequent, mit diesen Verlagerungen auch eine Veränderung des Leistungsgeschehens anzunehmen. Diese Feststellung entbindet die Beklagte jedoch nicht von der durch den HVV vorgegebenen einzelfallbezogenen Prüfung und rechtfertigt keine Grundsatzregelung dergestalt, dass bei Vorliegen der aufgestellten Voraussetzungen immer und zwangsläufig die Teilnahme an der Ausgleichsregelung ausscheidet. Die Beklagte hat zu erforschen, wo ggf. die Ursachen für Fallwert- und Honorarverluste liegen. Nur wenn diese Analyse zu dem Ergebnis führt, dass diese Verluste allein darauf beruhen, dass die Praxisstruktur nicht mehr vergleichbar ist, darf nach den Vorgaben des HVV ein Ausschluss von der Teilnahme an der Ausgleichsregelung erfolgen.
Darüber hinaus erscheint die Festlegung der 1.000-EUR-Grenze willkürlich und schon deshalb rechtswidrig. Schließlich erscheint auch das im Vorstandbeschluss niedergelegte Kriterium eines Vergleichs mit der Fachgruppe als mit der Intention von § 5 Abs. 4 HVV unvereinbar. Eine Einzelfallprüfung verbietet grundsätzlich den Vergleich mit anderen Praxen.
Eine Einzelfallprüfung wäre gerade im vorliegenden Fall besonders angezeigt gewesen, weil die Beklagte in ihren Berechnungen zum Leistungsspektrum der Klägerin selber immer wieder dargelegt hat, dass gerade keine Veränderung des Leistungsspektrums eingetreten ist. Insoweit nimmt das Gericht Bezug auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid sowie in der Klageerwiderung vom 04.09.2009.
Nach alldem war der Klage stattzugeben und die Beklagte zur Neubescheidung zu verurteilen.
Bei ihrer Neubescheidung wird die Beklagte eine einzelfallbezogene Prüfung der Klägerin vorzunehmen haben. Dabei wird sie das Leistungsspektrum der Klägerin im Basisquartal mit dem Leistungsspektrum in den Quartalen II/07 und III/07 zu vergleichen haben. Da die einzige Veränderung, auf die die Beklagte rekurriert, die Verlagerung der Vergütung kurativer Koloskopien in den extrabudgetären Bereich ist, bietet sich an, einen Fallwertvergleich der Basisquartale mit den streitgegenständlichen Quartalen unter Herausrechnungen der kurativen Koloskopieleistungen im Basisquartal anzustellen. Prognostisch wird dabei zur Überzeugung des Gerichts gleichwohl ein erheblicher Fallwertverlust bestehen bleiben, den das Gericht jedoch der Höhe nach nicht zu beziffern vermag. Die Honorarverluste scheinen nach Durchsicht der Honorarbescheide zumindest auch andere Ursachen, als die Verlagerung der Vergütung kurativer Koloskopien in den extrabudgetären Bereich zu haben. Dem Honorarbescheid der Klägerin für das Quartal II/07 im Vergleich zu II/05 ist exemplarisch zu entnehmen, dass die Honorareinbußen wesentlich auf den Verfall des unteren Punktwertes im Primärkassenbereich im Rahmen des Regelleistungsvolumens beruhen. Dieser ist im Quartal II/07 auf 1,197 Cent (PK) gegenüber 3,175 Cent (PK) im Basisquartal II/05 gesunken. Insoweit handelt es sich offensichtlich um Veränderungen im Rahmen der Gesamtvergütung, die nicht durch eine Veränderung des Leistungsspektrums bedingt sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Eine Quotelung kam zur Überzeugung des Gerichts nicht in Betracht, da die Klägerin nahezu vollständig obsiegt hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Sonderregelung im Rahmen der Ausgleichsregelung nach § 5 Abs. 4 HVV für die Quartale II/07 und III/07.
Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis bestehend aus zwei Kollegen, Herrn Dr. A ... und Herrn Dr. C. Herr Dr. A. ist seit dem 11.12.1990 als Facharzt für Innere Medizin zugelassen, seit dem 01.01.1991 niedergelassen und nimmt an der fachärztlichen Versorgung teil. Herr Dr. A. ist seit dem 26.06.1996 als Facharzt für Innere Medizin zugelassen, seit dem 01.07.1996 niedergelassen und nimmt an der hausärztlichen Versorgung teil. Die Gemeinschaftspraxis hat ihren Praxissitz in A-Stadt und ist in den streitgegenständlichen Quartalen abrechnungstechnisch den hausärztlich tätigen Internisten zugeordnet.
Die Honorarentwicklung im Zeitraum 2005-2007 stellte sich bei der Klägerin wie folgt dar:
Quartal Fall-zahl Brutto-Honorar pro Fall in EUR Fallwert vor § 7.5 HVV in EUR Fallwert-verände-rung im Vgl. zu Quartal aus 2004 in EUR Aus-gleichs-zahlung § 7.5 HVV in EUR Honorar vor Ausgleichszahlung § 7.5 HVV in EUR Brutto-Honorar in EUR
II/05 1165 106,71 105,35 -5,42% 1.580,17 122.733,41 124.313,58
III/05 1017 100,11 89,96 -20,81% 11.333,48 90.477,36 101.810,84
IV/05 1077 92,75 79,55 -32,30% 14.215,93 85.677,83 99.893,76
I/06 1179 95,94 77,47 -29,63% 21.775,49 91.341,90 113.117,39
II/06 1142 92,45 84,87 -23,81% 8.662,30 96.919,77 105.582,07
III/06 1055 90,91 81,00 -28,69% 10.459,65 85.449,88 95.909,53
IV/06 1136 92,50 -21,28% 105.084,76
I/07 1224 83,22 -24,41% 101.858,57
II/07 1174 83,58 -24,97% 98.125,41
III/07 1198 78,82 -30,62% 94.430,85
Mit Schreiben vom 11.12.2007 beantragte sie die Gewährung einer Ausgleichszahlung für das Quartal II/07, die sie in den Vorquartalen jeweils erhalten hatte. Zur Begründung führte sie aus, dass durch die Anwendung des HVV 2007 ihr Honorarverlust noch größer geworden sei, da jegliche Ausgleichszahlung ausgeblieben sei. Es seien erstmals rein fachärztliche genehmigungspflichtige qualitätsgesicherte Leistungen (kurative Koloskopie) extrabudgetär vergütet worden, was offenbar ursächlich für den Wegfall der Ausgleichszahlungen gewesen sei. Damit werde die Härtefallregelung nach Ziffer 7.5 HVV konterkariert, weil sie trotz großem EBM-bedingten Verlustes keine Unstützung mehr erhielte. Eine Änderung des Leistungsspektrums sei nicht erfolgt. Mit Schreiben vom 26.02.2008 erweiterte die Klägerin ihren Antrag auch auf das Quartal III/07. Die Beklagte lehnte die Anträge mit Bescheid vom 28.05.2008 ab. Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Klägerin vom 05.06.2008. Zur Begründung des Widerspruchs führte die Klägerin weiter aus, dass einzig die von der Beklagten durchgeführte Umfirmierung der kurativen Koloskopie zu einer ambulanten operativen Leistung und damit zu einer extrabudgetären Leistung zu einer Honorarminderung von 21,5% für das Quartal II/07 und 26% für das Quartal III/07 geführt habe. Es ergäben sich Gesamtverluste in Höhe von 25.423,01 Euro im Quartal II/07 und 31.573,14 Euro im Quartal III/07.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2009 zurück. Eine Teilnahme an der Ausgleichsregelung sei nach einem Beschluss des Vorstandes ausgeschlossen, wenn der jeweilige Arzt mehr als 1.000EUR im Bereich des ambulanten Operierens nach § 115 b SGB V abrechne und mehr extrabudgetäres Honorar als seine Fachgruppe erwirtschafte. Nach diesen Kriterien komme eine Berücksichtigung der Klägerin im Rahmen der Ausgleichsregelung nicht in Betracht.
Die Auswertung der Abrechnungsunteralgen für die Quartale II/07 und II/05 habe folgendes ergeben: Das praxisbezogene Regelleistungsvolumen sei im Quartal II/07 im Vergleich zum Quartal II/05 bei fast unveränderter Fallzahl annähernd gleich geblieben. Dennoch seien im Quartal II/07 im Vergleich zum Referenzquartal II/05 ca. 220.000 Punkte weniger angefordert worden. Der Honoraranspruch für die Berechnung der Ausgleichsregelung im Quartal II/07 sei im Vergleich zum Quartal II/05 um 24.574,26 Euro gesunken. Trotzdem sei im Quartal II/07 ein Anstieg der herauszurechnenden Leistungen zu verzeichnen (plus 1.442,68 Euro). Im Quartal II/05 sei die Ziffer 13421 EBM 2000plus bei einer Fallzahl von 1.154 Fällen 36 mal, im Quartal II/07 bei einer Fallzahl von 1164 Fällen (lt. Frequenzstatistik) 37 mal abgerechnet worden. Die Ziffer 01741 EBM 2000plus sei im Referenzquartal (II/05) 64 mal und im aktuellen Quartal (II/07) 48 mal abgerechnet worden. Demnach hätten im Quartal II/07 im Hinblick auf die Anzahl der Erbringung von Leistungen nach den Ziffern 13421 und 01741 EBM 2000plus gegenüber dem Referenzquartal II/05 keine signifikante Änderung stattgefunden. Leistungen der Leistungsgruppe (LG) 1, 2, 3, 4, 6 und 8 seien im Quartal II/07 je Fall seltener erbracht worden als im Quartal II/05. Es sei im Quartal II/07 im Bereich ambulantes Operieren ein Honorar in Höhe von 9.088,02 Euro erwirtschaftet worden.
Die Auswertung der Abrechnungsunterlagen für die Quartale III/07 und III/05 habe folgendes ergeben: Das praxisbezogene Regelleistungsvolumen sei im Quartal III/07 im Vergleich zum Quartal III/05 um ca. 142.200 Punkte angestiegen, es seien aber auch 157 Fälle mehr behandelt worden. Im Quartal III/07 seien auch knapp 300.000 Punkte mehr angefordert worden. Der Honoraranspruch für die Berechnung der Ausgleichsregelung sei im Quartal III/07 im Vergleich zum Quartal III/05 nur um 3.171,76 Euro angestiegen. Dennoch sei im Quartal III/07 ein deutlicher Anstieg der herauszurechnenden Leistungen zu verzeichnen (plus 13.141,48 Euro = 47,5%) gewesen. Eine Analyse des Abrechnungsverhaltens habe ergeben, dass im Quartal III/05 die Ziffer 13421 EBM 2000plus bei einer Fallzahl von 1006 Fällen (lt. Frequenzstatistik) 39 mal; im Quartal III/07 bei einer Fallzahl von 1184 Fällen 45 mal abgerechnet worden sei. Die Ziffer 01741 EBM2000 plus sei im Referenzquartal (III/05) 44 mal und im aktuellen Quartal (III/07) 42 mal abgerechnet worden. Demnach habe im Quartal III/07 im Hinblick auf die Anzahl der Erbringung von Leistungen nach den Ziffern 13421 und 01741 EBM 2000plus gegenüber dem Referenzquartal II/05 ebenfalls keine signifikante Änderung stattgefunden. Leistungen der LG 1, 2, 6 und 8 seien im Quartal III/07 je Fall seltener erbracht worden als im Quartal III/05, Leistungen der LG 3 dagegen annähernd so oft. Allerdings sei bei der Erbringung von Leistungen in der LG 4 im Quartal III/07 im Vergleich zum Quartal III/05 ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen (plus 86%). Im Quartal III/07 sei im Bereich ambulantes Operieren ein Honorar in Höhe von 12.468,79 Euro erwirtschaftet worden.
Insgesamt sei festzustellen, dass in Bezug auf einzelne Leistungen bzw. Leistungsbereiche keine wesentlichen Veränderungen eingetreten seien. Allerdings habe in den Quartalen II/07 und III/07 aufgrund der Änderung der Bestimmungen eine Verlagerung von intrabudgetären Leistungen in den Bereich der extrabudgetären ambulanten Operationen stattgefunden.
Hintergrund dieser Verschiebung sei die ab dem Quartal I/07 wirkende Schiedsamtsentscheidung, von der die Beklagte aufgrund ihrer rechtlichen Bindungswirkung nicht einseitig abweichen könne. Infolge der honorartechnischen Verschiebung würden nun vermehrt Leistungen außerhalb der Ausgleichsregelung honoriert und demnach flössen entsprechend weniger Leistungen in die Ausgleichsregelung (allgemeine Leistungen HG 2). Damit würde nun im Falle einer Teilnahme der Praxis an der Ausgleichsregelung neben der extrabudgetären Vergütung der Leistungen zusätzlich eine entsprechende Auffüllung im Rahmen der Ausgleichsregelung erfolgen; denn ehemals seien Leistungen erbracht worden, die im Ausgangsquartal im Fallwert enthalten waren, im aktuellen Quartal jedoch herausgerechnet wurden. Dies sei jedoch gerade nicht die Zielrichtung der Ausgleichsregelung, die EBM-bedingte Fallwertverluste ausgleichen solle, so dass die Nichtteilnahme an der Ausgleichsregelung aufgrund der honorartechnischen Verlagerung vom intrabudgetären in den extrabudgetären Bereich gerade sachgerecht erscheine.
Soweit die Klägerin die Auffassung vertrete, die Teilnahme an der Ausgleichsregelung sei erforderlich, da die in ihrer Praxis eingetretenen Honorarverwerfungen auf die Einführung des EBM 2000 plus beruhten, könne dies deshalb nicht nachvollzogen werden, da die Klägerin selber vorgetragen habe, die Honorarverwerfungen seien einzig auf die Verlagerung von budgetären Leistungen in den extrabudgetären Bereich zurückzuführen. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob die Vergütung einer Leistung aus dem budgetierten Teil der Gesamtvergütung oder extrabudgetär erfolge, gerade keine Thematik des EBM darstelle, sondern der Vergütungssystematik (HVV). Honorarverwerfungen, die aufgrund der Änderungen honorartechnischer Vorgaben erfolgen, sollten im Gegensatz zu solchen, die in der Einführung des EBM 2000 plus ihre Ursache haben, von der Ausgleichsregelung nicht ausgeglichen werden.
Die Teilnahme am Anpassungsindex könne, wie dargelegt, nur unter der Voraussetzung gleicher Rahmenbedingungen beim Vergleich des jeweils aktuellen mit dem jeweiligen Referenzquartal erfolgen. Die Verlagerung ambulanter Operationsleistungen vom intra- in den extrabudgetären Bereich führe dazu, dass diese Rahmenbedingungen nicht vergleichbar seien, da die Ausschüttung von Auffüllbeträgen anhand von Fallwerten berechnet werde, die unter Berücksichtigung unterschiedlicher von der Ärzteschaft abgerechneter Gesamtleistungsvolumina (bis zum Quartal IV/06 inklusive der ambulanten Operationsleistungen und ab dem Quartal I/07 ohne diese) berechnet würden. Hätte der Schiedsamtsspruch nicht zu der Verschiebung der ambulanten Operationsleistungen geführt, wäre eine Vergleichbarkeit der Rahmenbedingungen bezogen auf die ambulanten Operationsleistungen bei sonst ebenfalls unveränderten Bedingungen möglich gewesen. Insofern sei der Ausschluss von der Teilnahme an der Ausgleichsregelung wegen der ambulanten Operationsleistungen durchaus gerechtfertigt.
Sofern die Klägerin schließlich darauf hinweise, dass ihre relevanten Honorarforderungen mit 17,89% unter dem Schwellenwert von 20% der Gesamthonorarforderung der fachärztlichen tätigen Internisten lägen, sei auszuführen, dass die Gemeinschaftspraxis abrechnungstechnisch den hausärztlich tätigen Internisten zugeordnet sei. Deshalb sei für die Praxis der Fachgruppendurchschnitt der Hausärzte (15%) hinsichtlich des erwirtschafteten extrabudgetären Honorars maßgeblich. Da die Klägerin mit ihrem extrabudgetären Honorar über diesem Fachgruppendurchschnitt liege, sei eine Teilnahme an der Ausgleichsregelung nicht möglich.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid richtet sich die vorliegende Klage vom 26.02.2009.
Die Klägerin trägt vor, dass nach den Vorgaben des HVV ihr eine Ausgleichszahlung zustünde, da sie verglichen mit dem Bezugsquartal II/05 bzw. III/05 ein Honorarverlust von mehr als 5% erlitten habe. Der davon abweichende Beschluss des Vorstandes sei rechtswidrig. Die Kompetenz des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung beschränke sich auf Einzelfallentscheidungen in besonders gelagerten Ausnahmefällen. Darüber hinaus hätten Regelungen im HVV selbst zu erfolgen und bedürften diese entsprechend der vertraglichen Vereinbarung mit den Krankenkassenverbänden. Der Vorstandsbeschluss genüge darüber hinaus auch nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Betrag von 1.000,00 Euro sei deutlich zu niedrig gewählt. Die komplette Nichtanwendung der Stützungsregelung komme nur und allenfalls in Betracht, wenn Leistungen in einem Umfang betroffen seien, die die Annahme rechtfertigten, dass durch die extrabudgetäre Vergütung etwaige Honorarverwerfungen nach Einführungen des EBM 2000plus zumindest weithin aufgewogen würden. Dies sei bei einem Betrag von 1.000,00 Euro sicher nicht der Fall. Darüber hinaus erweise sich die ohne weitere Differenzierung vorgenommene Einbeziehung fachverschiedener Gemeinschaftspraxen als verfehlt. Gerade bei Praxen wie der der Klägerin, bei der ein Teil nur sehr wenig Leistungen nach § 115 SGB V erbringe, sei kein überproportionaler Anteil extrabudgetärer Leistungen zu vermuten. An § 115b SGB V Leistungen würden ausschließlich in der Person von Dr. BL. kurative Koloskopien erbracht. Diese seien seit dem Quartal I/07 extrabugetär vergütet worden, während die präventiven Koloskopien bereits seit dem Quartal II/05 extrabudgetär vergütet würden. Durch die Einbeziehung der kurativen Koloskopien in die extrabudgetären Leistungen hätte sich in der klägerischen Praxis im extrabudgetären Bereich eine Vergütungsvermehrung von 1.442,68 Euro ergeben. Ein Fallwertvergleich setze die Vergleichbarkeit der eingezogenen Leistungen voraus. Leistungen, die im Quartal II/05 innerhalb des Budgets vergütet worden seien, im Quartal II/07 jedoch extrabudgetär, seien nicht vergleichstauglich und bei der Ermittlung des Fallwertes im Quartal II/05 damit auch nicht berücksichtigungsfähig. Wäre dies von der Beklagten berücksichtigt worden, wäre immer noch ein Fallwertverlust von mehr als 5% dokumentiert worden und ein Anspruch auf entsprechender Honorarstützung nach dem HVV entstanden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 28.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für die Quartale II/07 und III/07 eine Honorarstützung nach § 5 Abs. 4 des maßgeblichen Honorarverteilungsvertrages zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf die Gründe des Widerspruchsbescheides. Das Honorarvolumen für ambulantes Operieren habe im Quartal II/07 9.088,02 Euro und im Quartal III/07 12.468,79 Euro betragen, so dass die Grenze von 1.000,00 Euro bei weitem überschritten worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie das Vorbringen der Beteiligten wird ergänzend Bezug genommen auf die Verwaltungsakten sowie die Prozessakten, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Vertragsärzte und Psychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Psychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die zulässige Klage ist auch insoweit begründet, als die Klägerin einen Anspruch auf Neubescheidung über ihren Antrag auf Sonderregelung im Rahmen der Ausgleichsregelung für die Quartale II/07 und III/07 hat. Einen Anspruch auf positive Teilnahme an der Ausgleichsregelung konnte das Gericht mangels entsprechender Berechnungsmöglichkeiten nicht endgültig feststellen.
Der Bescheid vom 28.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.
Der Bescheid versagt der Klägerin die Teilnahme an der Honorarstützungsregelung nach § 5 Abs. 4 HVV (Honorarverteilungsvertrag gemäß § 85 Abs. 4 Satz 1 SGB V für den Zeitraum vom 01.04.2007 bis 31.12.2007 in der Fassung der Entscheidung des Landesschiedsamts für die vertragsärztliche Versorgung in Hessen vom 1. November 2007) aufgrund eines Vorstandsbeschlusses der Beklagten vom 20.8.2007. Dieser Beschluss ist rechtswidrig, was auch die Rechtswidrigkeit des darauf gestützten Bescheides zur Folge hat.
Im Einzelnen bestimmt § 5 Abs. 4 HVV:
a) Zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2000plus erfolgt nach Feststellung der Punktwerte und Quoten gemäß § 4 ein Vergleich des für das aktuelle Abrechnungsquartal berechneten fallbezogenen Honoraranspruches (Fallwert in EUR) der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen Honorarzahlung in EUR im entsprechenden Abrechnungsquartal des Jahres 2005 ausschließlich beschränkt auf Leistungen der Honorargruppe 2 mit Ausnahme der zeitbezogenen genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen.
b) Zeigt der Fallwertvergleich einen Fallwertverlust von mehr als 5%, so erfolgt eine Stützung auf den maximalen Veränderungsrahmen von 5%. Die für eine Stützung bei Fallwertminderungen notwendigen gehen zu Lasten der jeweiligen Honorar(unter)gruppe, der die Praxis im aktuellen Quartal zugeordnet ist, und sind gegebenenfalls durch weitergehende Quotierung der Punktwerte zu generieren. Sollte durch eine solche Quotierung die Fallwertminderung (wieder) auf einen Wert oberhalb von 5% steigen, führt dies zu keinem weitergehenden Ausgleich.
c) Ein Ausgleich von Fallwertminderungen bis zur Grenze von 5% erfolgt grundsätzlich auf der Basis vergleichbarer Praxisstrukturen und maximal bis zu der Fallzahl, die im entsprechenden Quartal des Jahres 2005 abgerechnet worden ist. Ein Ausgleich ist in diesem Sinne u. a. dann ausgeschlossen, wenn im aktuellen Quartal im Vergleich zum Basisquartal erkennbar ausgewählte Leistungsbereiche nicht mehr erbracht wurden oder sich das Leistungsspektrum der Praxis, u. a. als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung der Praxis, verändert hat. Er ist des Weiteren ausgeschlossen, wenn sich die Kooperationsform der Praxis im Vergleich zum entsprechenden Basisquartal geändert hat.
d) Beträgt der Fallwertverlust mehr als 15%, wird geprüft, ob dieser Verlust ausschließlich auf die Einführung des EBM 2000plus zurückzuführen ist. Sofern die Prüfung ergibt, dass dies nicht der Fall ist, wird ggf. eine Honorarberichtigung durchgeführt. Diese Regelung steht unter dem Vorbehalt, dass auf Basis der Zahlungen der Verbände der Krankenkassen eine dem Basisquartal vergleichbare budgetierte Gesamtvergütung zur Verfügung steht.
e) Diese Regelung gilt nicht für ermächtigte Ärzte und ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen.
Nach der Rechtsprechung des LSG Hessen zur Vorgängerregelung Ziffer 7.5 HVV, von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung sieht, ist § 5 Abs. 4 HVV grundsätzlich rechtmäßig, soweit er im Sinne einer Härtefallregelung zur Begünstigung eines Vertragsarztes führt (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 04.11.2009 – L 4 KA 99/08 –; LSG Hessen, Urt. v. 11.02.2009 – L 4 KA 82/07 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris). Lediglich soweit die sog. Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV bei Überschreiten des Fallwerts des Vorjahresquartals von mehr als 5 % u. U. zu einer Honorarkürzung führt, ist die Regelung zu beanstanden (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 29.04.2009 – L 4 KA 80/08 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision anhängig: BSG - B 6 KA 16/09 R –; LSG Hessen, Urt. v. 24.06.2009 – L 4 KA 110/08 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision anhängig: BSG - B 6 KA 26/09 R -; LSG Hessen, Urt. v. 24.06.2009 – L 4 KA 85 u. 86/08 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision anhängig: BSG - B 6 KA 27/09 R bzw. B 6 KA 28/09 R -). Ziffer 7.5 HVV ist ferner rechtswidrig, soweit er junge Praxen, die erst mit oder nach Inkrafttreten des EBM 2005 gegründet wurden, mangels Referenzquartal nicht an der Ausgleichsregelung hat teilnehmen lassen (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 26.11.2008 – L 4 KA 14/08 – Revision zurückgewiesen durch BSG, Urt. v. 03.02.2010 - B 6 KA 1/09 R -, zitiert nach Terminbericht Nr. 5/10 v. 04.02.2010; LSG Hessen, Urt. v. 29.04.2009– L 4 KA 76/08 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision anhängig: BSG - B 6 KA 17/09 R -).
Sofern für die Klägerin im vorliegenden Fall eine begünstigende Auswirkung dieser Regelung im Raum steht, bestehen gegen ihre Anwendung zunächst grundsätzlich keine Bedenken. Die Beklagte hat es jedoch unterlassen, in die von § 5 Abs. 4 HVV gebotene Einzelfallprüfung einzutreten. Nach § 5 Abs. 4 c) HVV ist hat die Klägerin – einen Fallwertverlust von mehr als 5% unterstellt – einen Anspruch auf Teilnahme an der Ausgleichsregelung. Dieser ist nach den Vorgaben des HVV nur dann ausgeschlossen, wenn die Praxisstrukturen nicht mehr vergleichbar sind. Davon ist nach § 5 Abs. 4 c) HVV dann auszugehen, wenn eine Einzelfallprüfung ergibt, dass (ausgewählter) Leistungsbereiche nicht mehr oder nunmehr erbracht werden oder Veränderung des Leistungsspektrums der Praxis, u. a. als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung der Praxis sowie der Kooperationsform der Praxis eingetreten sind.
Die Kammer hält diese Regelung, soweit bisher die Vorgängerregelung nach Ziff. 7.5 HVV als zulässig angesehen wurde, ebf. für zulässig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen tragen dafür Sorge, dass nur EBM-bedingte, nicht aber solche Honorarverluste, für die der Vertragsarzt die Verantwortung selbst zu tragen hat, ausgeglichen werden. Der aktuelle Fallwert und der Fallwert des Basisquartals müssen miteinander vergleichbar sein. Bei verändertem Leistungsspektrum der Praxis ist dies nicht mehr der Fall. Ebenso können veränderte Kooperationsformen eine Vergleichbarkeit ausschließen. Gleiches gilt für veränderte Berechnung des Honorars durch Einschließung oder Ausschließung von Vergütungsanteilen, insbesondere sog. extrabudgetären Leistungen, im Vergleich zum Vorjahresquartal. Die Regelung zur Beschränkung der Ausgleichsregelung ist selbst unmittelbarer Teil der Ausgleichsregelung im Sinne einer Härteregelung. Ihr Inhalt ist aus den genannten Gründen nicht zu beanstanden und ist vom Gestaltungsspielraum der Vertragsparteien des HVV gedeckt.
Die Beklagte hat jedoch auf dieser Grundlage diese einzelfallbezogene Härtefallregelung durch ihren Vorstandsbeschluss vom 20.08.2007 unterlaufen, indem sie eine pauschalierende Regelung getroffen hat, die dem Sinn und Zweck des § 5 Abs. 4 HVV widerspricht. Der Vorstandsbeschluss ist deshalb rechtswidrig. In diesem Beschluss hat die Beklagte festgelegt, dass die Ausgleichsregelung keine Anwendung findet bei Praxen,
- die EUR 1.000,00 und mehr im Bereich der Leistungen gemäß § 115 b SGB V sowie
- im Verhältnis zu Ihrer Fachgruppe mehr extrabudgetäres Honorar vergütet bekommen. Zwar darf der Vorstand einer Kassenärztlichen Vereinigung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung sieht und was nach Auffassung der Kammer auch unter Geltung eines Honorarverteilungsvertrags gilt, außer zu konkretisierenden Bestimmungen, die nicht im voraus für mehrere Quartale gleichbleibend festgelegt werden können, auch dazu ermächtigt werden, Ausnahmen für sog. atypische Fälle vorzusehen. Es ist eine typische Aufgabe des Vorstandes, zu beurteilen, ob sog. atypische Fälle die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Freistellung von Obergrenzen erfüllen. Dabei beschränkt sich die Kompetenz des Vorstandes nicht auf die Statuierung von Ausnahmen für "echte Härten", vielmehr müssen sie generell für atypische Versorgungssituationen möglich sein (vgl. BSG, Urt. v. 03.03.1999 - B 6 KA 15/98 R – SozR 3-2500 § 85 Nr. 31 = MedR 2000, 153, juris Rn. 36; BSG, Urt. v. 21.10.1998 - B 6 KA 65/97 R - SozR 3-2500 § 85 Nr. 27, juris Rn. 23). Der Beklagte mag zuzugeben sein, dass in einem hohen Prozentsatz der Fälle, in denen die im Vorstandsbeschluss genannten Kriterien vorliegen, auch bei Einzelfallbetrachtung eine Veränderung im Leistungsspektrum der jeweiligen Praxis und somit ein im übertragenen Sinn "atypischer Fall" vorliegen mag. Sofern Verlagerungen von Honoraranteilen der Honorargruppe 2 im Basisquartal in den extrabudgetären Bereich erfolgt sind, erscheint es konsequent, mit diesen Verlagerungen auch eine Veränderung des Leistungsgeschehens anzunehmen. Diese Feststellung entbindet die Beklagte jedoch nicht von der durch den HVV vorgegebenen einzelfallbezogenen Prüfung und rechtfertigt keine Grundsatzregelung dergestalt, dass bei Vorliegen der aufgestellten Voraussetzungen immer und zwangsläufig die Teilnahme an der Ausgleichsregelung ausscheidet. Die Beklagte hat zu erforschen, wo ggf. die Ursachen für Fallwert- und Honorarverluste liegen. Nur wenn diese Analyse zu dem Ergebnis führt, dass diese Verluste allein darauf beruhen, dass die Praxisstruktur nicht mehr vergleichbar ist, darf nach den Vorgaben des HVV ein Ausschluss von der Teilnahme an der Ausgleichsregelung erfolgen.
Darüber hinaus erscheint die Festlegung der 1.000-EUR-Grenze willkürlich und schon deshalb rechtswidrig. Schließlich erscheint auch das im Vorstandbeschluss niedergelegte Kriterium eines Vergleichs mit der Fachgruppe als mit der Intention von § 5 Abs. 4 HVV unvereinbar. Eine Einzelfallprüfung verbietet grundsätzlich den Vergleich mit anderen Praxen.
Eine Einzelfallprüfung wäre gerade im vorliegenden Fall besonders angezeigt gewesen, weil die Beklagte in ihren Berechnungen zum Leistungsspektrum der Klägerin selber immer wieder dargelegt hat, dass gerade keine Veränderung des Leistungsspektrums eingetreten ist. Insoweit nimmt das Gericht Bezug auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid sowie in der Klageerwiderung vom 04.09.2009.
Nach alldem war der Klage stattzugeben und die Beklagte zur Neubescheidung zu verurteilen.
Bei ihrer Neubescheidung wird die Beklagte eine einzelfallbezogene Prüfung der Klägerin vorzunehmen haben. Dabei wird sie das Leistungsspektrum der Klägerin im Basisquartal mit dem Leistungsspektrum in den Quartalen II/07 und III/07 zu vergleichen haben. Da die einzige Veränderung, auf die die Beklagte rekurriert, die Verlagerung der Vergütung kurativer Koloskopien in den extrabudgetären Bereich ist, bietet sich an, einen Fallwertvergleich der Basisquartale mit den streitgegenständlichen Quartalen unter Herausrechnungen der kurativen Koloskopieleistungen im Basisquartal anzustellen. Prognostisch wird dabei zur Überzeugung des Gerichts gleichwohl ein erheblicher Fallwertverlust bestehen bleiben, den das Gericht jedoch der Höhe nach nicht zu beziffern vermag. Die Honorarverluste scheinen nach Durchsicht der Honorarbescheide zumindest auch andere Ursachen, als die Verlagerung der Vergütung kurativer Koloskopien in den extrabudgetären Bereich zu haben. Dem Honorarbescheid der Klägerin für das Quartal II/07 im Vergleich zu II/05 ist exemplarisch zu entnehmen, dass die Honorareinbußen wesentlich auf den Verfall des unteren Punktwertes im Primärkassenbereich im Rahmen des Regelleistungsvolumens beruhen. Dieser ist im Quartal II/07 auf 1,197 Cent (PK) gegenüber 3,175 Cent (PK) im Basisquartal II/05 gesunken. Insoweit handelt es sich offensichtlich um Veränderungen im Rahmen der Gesamtvergütung, die nicht durch eine Veränderung des Leistungsspektrums bedingt sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Eine Quotelung kam zur Überzeugung des Gerichts nicht in Betracht, da die Klägerin nahezu vollständig obsiegt hat.
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