L 6 SB 5428/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 1814/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 5428/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 15. November 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht der Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin.

Die 1951 geborene Klägerin beantragte am 2. April 2002 die Feststellung ihres GdB. Das Versorgungsamt R. (VA) holte die ärztlichen Befundscheine des Arztes für Innere Medizin Dr. St. vom 10. Juni 2002, des Arztes für Neurochirurgie M. vom 8. August 2002, des Facharztes für Orthopädie Dr. K. vom 6. Februar 2003 und des Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. M. vom 11. Februar 2003 ein. Dr. J. brachte in der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 30. März 2003 eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und ein Fibromyalgiesyndrom als Behinderungen in Ansatz und bewertete den Gesamt-GdB mit 20. Hierauf gestützt stellte das VA mit Bescheid vom 29. April 2003 den GdB mit 20 ab 22. April 2002 fest.

Hiergegen erhob die Klägerin am 16. Mai 2003 Widerspruch. Es lägen erhebliche Schäden an sämtlichen drei Segmenten der Wirbelsäule vor, welche mit einem GdB von 40 in Ansatz zu bringen seien. Unberücksichtigt seien chronische Sinu-Bronchitiden, die mit einem GdB von 20 zu bewerten seien. Dr. Mutschler-Kehl führte in der vä Stellungnahme vom 25. August 2003 aus, an der bisherigen vä Stellungnahme sei festzuhalten. Daher wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4. September 2003 zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 9. September 2003 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG). Ergänzend wurde vorgetragen, das Fibromyalgiesyndrom sei als eigenständiger Befund zu berücksichtigen. Das SG holte die sachverständigen Zeugenauskünfte von Dr. K. vom 28. Oktober 2003, Dr. St. vom 19. Januar 2004 und des Neurochirurgen M. vom 17. April 2004 ein. Daraufhin brachte Dr. G. in der vä Stellungnahme vom 19. Juli 2004 eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und ein Fibromyalgiesyndrom (Teil-GdB 30), eine Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks (Teil-GdB 10), eine chronische Nebenhöhlenentzündung und eine chronische Bronchitis (Teil-GdB 10) sowie einen Bluthochdruck (Teil-GdB 10) als Behinderungen in Ansatz, bewertete den Gesamt-GdB mit 30 ab 22. April 2002 und bejahte eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit. Das hierauf gestützte Vergleichsangebot nahm die Klägerin nicht an. Mit Gerichtsbescheid vom 15. November 2004 änderte das SG den Bescheid vom 29. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2003 ab und verpflichtete den Beklagten, den GdB der Klägerin mit 30 ab 22. April 2002 festzustellen.

Hiergegen hat die Klägerin am 30. November 2004 Berufung eingelegt. Sie hat ausgeführt, das Fibromyalgiesyndrom sei GdB-erhöhend zu berücksichtigen und ihr Kniegelenksleiden sowie die bronchio-pulmonalen und Nebenhöhlenstörungen seien nicht ausreichend bewertet.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Konstanz vom 15. November 2004 und den Bescheid vom 29. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2003 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihren GdB mit 50 festzustellen, hilfsweise gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Dr. E., Leiter der Abteilung Biologische Psychiatrie, Neurologie und Gerontopsychiatrie an der Klinik für Akutmedizin in B. S./H. , ein Gutachten einzuholen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk sei allenfalls geringgradig. Ausgeprägte Knorpelschäden mit anhaltenden Reizerscheinungen und Organbeteiligungen infolge des Bluthochdrucks seien nicht belegt worden. Dem Fibromyalgiesyndrom sei in vollem Umfang Rechnung getragen worden.

Zunächst hat der Senat das lungenärztliche Gutachten von Dr. N., Chefarzt der Medizinischen Klinik für Atemwegserkrankungen und Allergien der W.-Z. Kliniken in W., vom 1. Juni 2005 eingeholt. Der Sachverständige ist zu der Einschätzung gelangt, auf lungenfachärztlichem Gebiet lägen keine über das altersübliche Ausmaß hinausgehenden regelwidrigen körperlichen Störungen vor, sodass eine Behinderung auf lungenfachärztlichem Gebiet nicht festzustellen sei.

Sodann hat der Senat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das orthopädische Gutachten des Dr. R. vom 28. September 2005 eingeholt. Der Sachverständige hat ein chronisch statisch-degeneratives und dysfunktionelles Hohlkreuz-Lendenwirbelsäulen (LWS)-ISG-Syndrom linksbetont als tendomyotischischialgiform geprägtes Bild links ohne Wurzelkompressionszeichen, einen teilfixierten Rundrücken mit degenerativen/dysfunktionellen Dorsalgien, ein degeneratives und dysfunktionelles oberes/unteres Halswirbelsäulen(HWS)-Syndrom mit Brachialgie, eine mäßiggradige medialbetonte Gonarthrose links mit wiederholten Reizzuständen, eine diese Probleme überlagernde, aber als diagnostische Entität abgrenzbare, leicht- bis mäßiggradig ausgeprägte Fibromyalgie und ein mäßiggradiges lokales Schmerzsyndrom im Bereich der LWS-/Beckenregion, Senkspreizfüße mit leichtergradigem Hallux-Rigidus rechts, eine beginnende Rückfußkontraktur und statische Sprunggelenksbeschwerden links sowie eine initiale Fingerpolyarthrose, welche ebenso wie die brachialgisch bedingte Schwellneigung und die tendinotische Komponente der Schultersymptomatik in den behindernden Komplex der Cervicobrachialgie eingehe, diagnostiziert. Dr. R. hat ausgeführt, der Behinderungsgrad für die drei betroffenen Wirbelsäulenabschnitte einschließlich der Brachialgie und der Pseudoischiagie sei durchschnittlich als mäßig- bis mittelgradig einzustufen und mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Sofern die aktuell vorliegende lumbale ausgeprägtere Problematik bestehen bliebe, wäre der Teil-GdB für die Wirbelsäulenstörung mit 40 einzuschätzen. Die Gonarthrose links mit wiederholten Reizzuständen sei mit einem Teil-GdB von 20 einzustufen, da sich die Behinderung eines Kniegelenks nicht nur durch Bewegungseinschränkung, sondern durch verminderte Steh-/Gehbelastbarkeit wegen drohender Reizzustände bei zweifellos vorliegenden arthrotischen/chondromalazischen Veränderungen definiere. Trenne man den behindernden Anteil der Fibromyalgie, der nicht funktionell in den Wirbelsäulenkomplex eingehe, ab, also die raschere Ermüdbarkeit, die Tenderpoints-Symptomatik - insbesondere der Arme und Hände -, so wäre hierfür im Rahmen der Beidseitigkeit ein Teil-GdB von 10 angemessen. Die Veränderungen an den Füßen bedingten keinen eigenständigen GdB. Zusammengefasst und unter vorläufiger Nichteinbeziehung der zurzeit weitergehenden lumboischialgieformen Beschwerden sei von einem Gesamt-GdB von 40 auszugehen. Sofern die Lumboischialgie auf dem aktuellen Stand resistent bleibe, würde der Gesamt-GdB auf 50 anzuheben sein.

Dr. F. hat in der vä Stellungnahme vom 29. Dezember 2005 an der bisherigen GdB-Einschätzung festgehalten.

Daraufhin hat der Senat die sachverständigen Zeugenauskünfte von Dr. K. vom 31. März 2006 und Dr. E., Chefarzt der Orthopädischen Abteilung der B.-Klinik Ü., vom 4. Mai 2006 eingeholt. Dr. K. hat ausgeführt, der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sei ein höherer GdB zuzuordnen. Zwischenzeitlich seien schwere funktionelle Auswirkungen im LWS-Abschnitt festzustellen. Außerdem bestehe ein chronifiziertes Schmerzsyndrom. Das außergewöhnliche Schmerzsyndrom solle in die Bewertung miteinbezogen werden, sodass der Teil-GdB mit 40 einzuschätzen sei. Der Funktionsbehinderung des Kniegelenks werde einem Teil-GdB von 20 zugeordnet. Dr. E. hat über die im Rahmen der stationären Maßnahme vom 21. Februar bis zum 21. März 2006 durchgeführte Operation des Bandscheibensegments L3/4 und L4/5 mit Sequestrektomie und Nukleotomie berichtet und den diesbezüglichen ärztlichen Entlassungsbericht vom 3. April 2006 beigefügt. Den GdB auf orthopädischem Fachgebiet hat er mit 30 eingeschätzt. Bei der Klägerin bestehe eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, die derzeit als adäquat einzustufen sei. Weder habe die Klägerin über ein Fibromyalgiesyndrom geklagt, noch seien irgendwelche klinischen Hinweise für ein solches Syndrom nachzuweisen. Auch sei eine Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks nicht festzustellen gewesen. Im Übrigen habe die Klägerin nicht über Kniegelenksbeschwerden geklagt. Psychische Begleiterscheinungen hätten bei der Klägerin nicht bestanden.

Schließlich hat der Senat das orthopädische Gutachten von Dr. H., Orthopädisches Forschungsinstitut S., vom 6. August 2006 eingeholt. Der Sachverständige hat eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Bereich der LWS bei mäßiggradig bis fortgeschrittenen Bandscheibenverschleißerscheinungen in den unteren drei lumbalen Etagen und mäßiggradiger Seitverbiegung der LWS nach links sowie zahlreichen funktionellen Störungen in dieser Region (Blockierungen und Muskelverspannungen), schmerzhafte Bewegungsstörungen im Bereich der HWS bei mäßiggradigen Verschleißerscheinungen in der unteren HWS-Hälfte und umfangreichen funktionellen Störungen in der Region (Blockierungen und Muskelverspannungen), schmerzhafte Funktionsstörungen beider Kniegelenke bei beginnender Kniearthrose und eine endgradig schmerzhafte Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks ohne Hinweis auf eine schwerwiegende strukturelle oder funktionelle Gelenkerkrankung diagnostiziert. Dr. H. hat die schmerzhafte Funktionsstörung der Wirbelsäule in zwei Abschnitten mit einem Teil-GdB von 30 und die schmerzhafte Funktionsstörung beider Kniegelenke mit einem Teil-GdB von 10 beurteilt. Über Beschwerden von Seiten der Nebenhöhlen habe die Klägerin nicht geklagt. Auch hätten sich keine Hinweise auf eine funktionell bedeutsame chronische Entzündung der Nebenhöhlen ergeben. Des Weiteren habe die Klägerin angegeben, der Blutdruck sei in der Vergangenheit nur gelegentlich erhöht gewesen. Den Gesamt-GdB hat Dr. H. auf 30 eingeschätzt. Er ist davon ausgegangen, dass das subjektive Beschwerdebild und die daraus resultierenden Funktionsstörungen durch kompetente Behandlung der funktionellen Schmerzkomponente spürbar gebessert werden könnten. Im Idealfall sei ein Gesamt-GdB von 20 oder 10 vorstellbar. Ergänzend hat der Sachverständige ausgeführt, in den Knien hätten sich weder Reizzustände noch eine spürbare Bewegungsstörung oder eine erkennbare Muskelverschmächtigung als Hinweis auf eine lang bestehende Arthrose gezeigt. Eine Fibromyalgie bestehe nicht, da keine typischen Fibromyalgiebeschwerden angegeben worden seien. Das Schlafverhalten scheine altersüblich zu sein. Die typischen Tenderpoints hätten sich nicht gefunden. Die Klägerin habe lediglich eine relativ diffuse Druck- und Berührungsempfindlichkeit im Bereich der Schulter-Nacken-Region angegeben. Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom habe nicht nachvollzogen werden können.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf einen höheren GdB als 30.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des GdB sind seit 1. Juli 2001 die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63 und 68 SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046).

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.

Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind daher im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB. Die AP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AP, 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AP, 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AP, 19 Abs. 4, S. 26).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf einen höheren GdB als 30.

Auf orthopädischem Fachgebiet liegt bei der Klägerin eine schmerzhafte Funktionsbehinderung der HWS und LWS und eine schmerzhafte Funktionsstörung beider Kniegelenke vor.

Nach den AP sind Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem Teil-GdB von 30 bis 40 zu bewerten (AP, 26.18, S. 116). Dr. H. hat in seinem schlüssigen und für den Senat gut nachvollziehbaren Gutachten die Funktionsstörungen in der LWS mit mittelschwer und in der HWS mit leicht beurteilt. Danach kann der Teil-GdB von Seiten der Wirbelsäule jedenfalls nicht höher als mit 30 bewertet werden. Damit hat sich auch die von Dr. R. in seinem Gutachten vom 28. September 2005 getroffene Einschätzung bestätigt. Soweit Dr. R. ausgeführt hat, die damals aktuell ausgeprägtere Problematik bedinge einen GdB um 40, hat sich durch die weiteren Ermittlungen ergeben, dass es sich dabei lediglich um einen nur vorübergehenden und damit den GdB nicht dauerhaft beeinflussenden Zustand gehandelt hat.

Nach den AP ist für eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 0-0-90 Grad) einseitig mit einem Teil-GdB von 0 bis 10, beidseitig mit einem Teil-GdB von 10 bis 20, mittleren Grades (z.B. Streckung/Beugung 0-10-90 Grad) einseitig mit einem Teil-GdB von 20, beidseitig mit einem Teil-GdB von 40 und stärkeren Grades (z.B. Streckung/Beugung 0-30-90 Grad) einseitig mit einem Teil-GdB von 30, beidseitig mit einem Teil-GdB von 50 zu bewerten (AP 26.18, S. 126). Die Beweglichkeitsprüfung der Kniegelenke hat bei der Klägerin bei der Streckung/Beugung ein Bewegungsmaß von 0-0-130 Grad beidseitig ergeben. Mithin liegt bei der Klägerin nicht einmal eine Bewegungseinschränkung geringen Grades vor. Da bei der Klägerin ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke nicht vorliegen, hat Dr. H. die in den Kniegelenken der Klägerin allein diagnostizierte diskrete innenseitig betonte Kniearthrose zu Recht nur mit einem Teil-GdB von 10 bewertet. Dies auch deshalb zutreffend, da sich bei der körperlichen Untersuchung ein normales Gangbild gezeigt hat, der Bewegungsumfang beider Kniegelenke nicht gravierend beeinträchtigt gewesen ist, der Bandapparat beidseits stabil gewesen ist und die Meniskuszeichen beidseits negativ gewesen sind. Die Ansicht von Dr. R. in seinem Gutachten vom 28. September 2005, wegen einer verminderten Geh- und Stehbelastbarkeit betrage der diesbezügliche GdB 20, hat sich somit nicht bestätigt. Im Übrigen hat auch Dr. E. in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 4. Mai 2006 ausgeführt, weder habe die Klägerin über Kniegelenksbeschwerden geklagt, noch habe eine Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks festgestellt werden können.

Eine Fibromyalgie liegt bei der Klägerin nicht vor. Auch insoweit stützt sich der Senat auf das ausführliche Gutachten von Dr. H ... Der Sachverständige hat ausgeführt, typische Fibromyalgiebeschwerden seien von der Klägerin nicht angegeben worden. Auch hätten sich die typischen Tenderpoints mit negativen Kontrollpunkten nicht finden lassen.

Auf lungenärztlichem Fachgebiet liegt kein GdB relevanten Grades vor. Insoweit stützt sich der Senat auf das Gutachten von Dr. N., in welchem dieser ausgeführt hat, auf seinem Fachgebiet lägen keine über das altersübliche Ausmaß hinausgehenden regelwidrigen körperlichen Störungen vor.

Dasselbe ergibt sich auf dem internistischen Fachgebiet. Insbesondere, was den Bluthochdruck betrifft, hat Dr. H. ausgeführt, die Klägerin habe angegeben, der Blutdruck sei in der Vergangenheit nur gelegentlich erhöht gewesen.

Unter Berücksichtigung dieser Einzel-GdB-Werte (30 für die Funktionsstörungen der Wirbelsäule und 10 für die Kniearthrose) kommt nach Überzeugung des Senats kein höherer Gesamt-GdB als 30 in Betracht.

Dem Antrag der Klägerin, nach § 109 SGG ein Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet einzuholen, war nicht zu folgen. Denn es sind keinerlei Störungen oder Funktionsbehinderungen auf diesem Fachgebiet aktenkundig. Was den Vortrag anbelangt, das außergewöhnliche Schmerzsyndrom sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, weist der Senat darauf hin, dass die üblichen Schmerzen in den Teil-GdB-Bewertungen mit enthalten sind und ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom aufgrund dessen, dass eine neurologisch-psychiatrische Facharztbehandlung bislang nicht in Anspruch genommen worden ist, nicht anzunehmen ist.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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