S 12 KA 251/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 251/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 75/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Abrechnungsregelungen einer KV können auch in einer Satzung jedenfalls dann geregelt werden, soweit der Honorarverteilungsvertrag keine abweichende Regelung trifft.
Die Erhebung einer Abrechnungsgebühr in Höhe von 50,00 € für jeden verspäteten Tag ist auch nicht unverhältnismäßig.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Die Berufung wird zugelassen.

4. Der Streitwert wird auf 700,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Honorarabzug in Höhe von 700,00 EUR wegen verspäteter Einreichung der Abrechnung für das Quartal I/09.

Der Kläger ist als Facharzt für Anästhesiologie mit Praxissitz in C-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 22.06.2009 einen Honorarabzug in Höhe von 700,00 EUR für das Quartal I/09 fest. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe seine Abrechnung für das Quartal I/09 erst am 28.04.2009 eingereicht, ohne dass ihm eine Genehmigung für eine Fristverlängerung vorgelegen habe. Abgabe sei bekanntermaßen der 10. des jeweils ersten Quartalsmonats. Durch die Osterfeiertage hätte die Abrechnung bis zum 14.04.2009 ohne Fristverlängerung eingereicht werden können. Gemäß § 3 der Abrechnungsrichtlinien erhebe sie für Abrechnungen, die ohne hinreichende Begründung verspätet oder unvollständig eingereicht würden, für jeden Tag der Fristüberschreitung einen Betrag in Höhe von 50,00 EUR zur Deckung der zusätzlichen Verwaltungskosten. Die Überschreitung betrage 14 Tage.

Hiergegen legte der Kläger am 10.07.2009 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, § 3 der Abrechnungsrichtlinien habe keine Rechtsgrundlage bzw. der einbehaltene Betrag von 700,00 EUR sei unangemessen.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2010 den Widerspruch als unbegründet zurück. Darin führte sie aus, ihre Vertreterversammlung habe am 25.10.2008 mit Wirkung zum Quartal IV/08 die Abrechnungsrichtlinien beschlossen. Nach § 3 Ziffer 1 und 2 der Abrechnungsrichtlinien seien die Abrechnungsunterlagen vollständig und spätestens nach 10 Tagen nach Ende des Abrechnungsquartals bei ihr einzureichen. Für Abrechnungen, die ohne hinreichende Begründung verspätet oder unvollständig eingereicht worden seien, werde zur Deckung der hiermit verbundenen zusätzlichen Verwaltungskosten über den allgemeinen Verwaltungskostensatz hinaus für jeden Tag der Fristüberschreitung 50,00 EUR erhoben. Dieser Abzug werde jedoch auf maximal 2.500,00 EUR bzw. höchstens 10 % des gesamten abgerechneten Nettohonorars begrenzt. Hierüber habe sie im info.doc 2008 Nr. 6 (Dezember 2008) informiert, ebenso auf ihrer Homepage. Der Kläger habe einen Antrag auf Fristverlängerung nicht gestellt. Er habe die festgesetzte Frist um 14 Tage überschritten. Die Verwaltungskostenbeiträge stellten eine pauschale Vergütung für die finanziellen Aufwendungen zur Durchführung der der KV gesetzlich zugewiesenen Aufgaben dar. Die Art und Höhe der Beiträge und Gebühren beschließe die Vertreterversammlung. Die vorgeschriebenen 50,00 EUR pro Tag der Fristüberschreitung deckten die Aufwendungen an zusätzlichem Personal- und Sachkosten ab, die über die regulär anfallenden Verwaltungskosten hinausgingen und durch die Überschreitung der Frist zur Einreichung der Abrechnungsunterlagen entstanden seien. Es bestehe kein Anspruch auf Bearbeitung im laufenden Abrechnungsverfahren. Würden die verspäteten Unterlagen ungeachtet dessen in der aktuellen Abrechnung bearbeitet werden, so entstehe ein vermehrter Verwaltungsaufwand, etwa weil in bereits laufende Computerprogramme eingegriffen werden müsse oder weil Teile der Unterlagen manuell bearbeitet werden müssten. Es handele sich um eine Pauschale, da eine Berechnung des Aufwands im Einzelnen wiederum einen hohen Verwaltungsaufwand bedeuten würde. Die Höchstgrenze sei eingehalten worden. Das Nettohonorar des Klägers habe 30.099,80 EUR betragen. Ein verschuldensunabhängiges Versäumnis habe der Kläger nicht dargelegt.

Hiergegen hat der Kläger am 31.03.2010 die Klage erhoben. Er verweist auf seine Widerspruchsbegründung in der er ausgeführt habe, die Abrechnungsrichtlinie habe keine ausreichende Rechtsgrundlage und die Beklagte habe bei Festsetzung der Höhe ihren Beurteilungsspielraum überschritten.

Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids vom 22.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2010 die Beklagte zu verpflichten, an ihn 700,00 EUR zu zahlen,
hilfsweise
ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über seinen Widerspruch neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, als juristische Person des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltungsaufgaben könne sie ihre Aufgaben selbst regeln. Dabei sei in § 81 SGB V ausdrücklich vorgesehen, dass sie hierbei auf Satzungen zurückgreifen könne (SG Düsseldorf, Urteil vom 10.10.2001 – S 25 KA 16/00 –). Insbesondere sei sie berechtigt, Verwaltungskosten zu erheben. Bei den Abzügen wegen verspäteter Abrechnungsabgabe handele es sich um zusätzliche Verwaltungskosten, so dass deren Höhe durch die Vertreterversammlung festgelegt werden könne. Die gesetzliche Ermächtigung werde dem Gesetzesvorbehalt gerecht. Die Festsetzung von Verwaltungsgebühren in Höhe von 50,00 EUR pro Tag stelle keinen derart schwerwiegenden Eingriff dar, dass eine über § 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V hinausgehende Ermächtigung erforderlich wäre. Die Höhe der Verwaltungskosten sei verhältnismäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der Beratungen gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Sie konnte dies ohne mündliche Verhandlung tun, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17.03.2010 ist rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Auszahlung der einbehaltenen Verwaltungsgebühr in Höhe von 700,00 EUR. Die Klage war abzuweisen.

Der Bescheid der Beklagten vom 22.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17.03.2010 ist rechtmäßig.

In den Abrechnungsrichtlinien der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, gültig ab 01.10.2008 mit Wirkung ab dem 4. Quartal 2008 in der von der Vertreterversammlung am 25. Oktober 2008 beschlossenen Fassung (im Folgenden: ARL), werden die Einzelheiten der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen geregelt. Sie sind für alle im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen zugelassenen Vertragsärzte, psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Medizinischen Versorgungszentren, angestellten Ärzte sowie die ermächtigten Ärzte, psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, die ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtungen und die in Notfällen in Anspruch genommenen Ärzte, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, sowie die Laborgemeinschaften verbindlich (Präambel Satz 2 ARL). Im Übrigen folgt die Verbindlichkeit bereits aus dem Rechtscharakter der ARL als Satzung der Beklagten.

Nach § 3 Nr. 2 ARL besteht für verspätet eingereichte Abrechnungen kein Anspruch auf Bearbeitung in der laufenden Abrechnung. Wird die Abrechnung quartalsversetzt bearbeitet, werden die Regelungen des ursprünglichen Abrechnungsquartals angewandt. Für Abrechnungen, die ohne hinreichende Begründung verspätet oder unvollständig eingereicht werden, werden zur Deckung der hiermit verbundenen zusätzlichen Verwaltungskosten über den allgemeinen Verwaltungskostensatz hinaus für jeden Tag der Fristüberschreitung 50,00 Euro erhoben. Dieser Abzug wird auf max. 2.500,00 Euro bzw. höchstens 10 % des gesamten abgerechneten Nettohonorars begrenzt.

Diese Regelungen hat die Beklagte zutreffend angewandt, was im Übrigen auch zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist.

Diese Regelungen sind auch rechtmäßig.

Das Bundessozialgericht hat bereits wiederholt entschieden, dass Abrechnungsfristen grundsätzlich und die Sanktionierung von Fristüberschreitungen durch Honorarabzüge rechtmäßig sind. Die Aufnahme solcher Bestimmungen in den HVM sind von der Rechtsgrundlage des § 85 Abs 4 Satz 2 SGB V gedeckt. Solche Regelungen sind deshalb gerechtfertigt, weil die Honorierung der in einem Quartal erbrachten Leistungen möglichst aus dem für dieses Quartal zur Verfügung stehenden Gesamtvergütungsvolumen zu erfolgen hat, nachträgliche Honorierungen dem Ziel zügiger und zeitgerechter Honorierung zuwiderlaufen sowie zusätzlichen Verwaltungsaufwand erfordern. Durch diese Ziele ist der mit dem Abrechnungsausschluss verbundene Eingriff grundsätzlich verhältnismäßig und stellt eine rechtmäßige Berufsausübungsregelung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 29.08.2007 - B 6 KA 29/06 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 37 = GesR 2008, 197 = USK 2007-72 = MedR 2008, 391 = Breith 2008, 652 = NZS 2008, 554, juris Rdnr. 11m.w.N.).

Nur wenn die Abrechnungen rechtzeitig eingehen, ist gewährleistet, dass alle in einem bestimmten Quartal angefallenen Leistungen auch tatsächlich in der Quartalsabrechnung erfasst werden. Gerade für die Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist es von großer Bedeutung, dass die von den Vertragsärzten erbrachten und abgerechneten Leistungen sämtlich im jeweiligen Quartal korrekt erfasst werden und nicht ein Teil der Leistungen aus technischen Gründen erst in den Folgequartalen verbucht werden kann. Erfordert mithin die Struktur der Honorarverteilung eine rechtzeitige Vorlage der Quartalsabrechnung, so stellt dies grundsätzlich eine ausreichende Grundlage für die Beklagte dar, Regelungen zu beschließen, die dazu dienen, eine Abrechnungsverzögerung zu verhindern. Es ist rechtlich grundsätzlich zulässig, wenn die KV durch die Erhebung einer Säumnisgebühr auf die Vertragsärzte Druck ausübt, um eine pünktliche Einreichung der Abrechnungsunterlagen zu gewährleisten (vgl. SG Düsseldorf, Urt. v. 10.10.2001 – S 25 KA 16/00 – juris Rdnr. 14).

Abrechnungsregelungen können aber auch in einer Satzung jedenfalls dann geregelt werden, soweit der Honorarverteilungsvertrag wie hier keine abweichende Regelung trifft.

Die Beklagte, insbesondere ihre Vertreterversammlung ist nach § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB V zum Erlass der ARL als Satzung berechtigt. Mit der Zuständigkeit für die sonstige autonome Rechtsetzung steht der Vertreterversammlung neben dem Erlass der Satzung im formellen Sinn auch die Befugnis zur autonomen Rechtsetzung mit Verbindlichkeit für ihre Mitglieder zu (vgl. Steinmann-Munzinger, jurisPK-SGB V, 1. Auflage 2007, Stand: 01.08.2007, § 79 SGB V, Rdnr. 11). Die ARL regelt die Modalitäten der Abrechnung, die in das Aufgabengebiet der Beklagten gehört (§ 85 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V). Die Satzung einer KV muss auch Bestimmungen über die Aufbringung und Verwaltung von Mitteln enthalten (§ 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V).

Die Erhebung einer Abrechnungsgebühr in Höhe von 50,00 EUR für jeden verspäteten Tag ist auch nicht unverhältnismäßig. Die strittige Regelung sieht eine Höchstgrenze bei 10 % des Nettohonorars vor, so dass eine übermäßige Belastung in jedem Fall vermieden wird. Die Gebühr dient zum einen zur Deckung des erhöhten Verwaltungsaufwandes, der durch eine verspätete Abrechnung entsteht. Die Beklagte ist dabei berechtigt, eine solche Gebühr zu pauschalieren. Es ist nicht ersichtlich, dass die Gebühr erhöht ist. Zum anderen darf die Gebühr auch im Hinblick auf die Bedeutung einer möglichst zügigen Honorarverteilung, die aufgrund verschiedener Budgetierungsmaßnahmen auch voraussetzt, dass alle Leistungen in einem Abrechnungsvorgang berücksichtigt werden können, eine Sanktionierung verspäteter Abrechnungen treffen, um die Vertragsärzte zur Einhaltung der Abrechnungsfristen anzuhalten. Im Übrigen hat der Kläger nicht dargelegt, dass ihn ein Verschulden für die Verspätung nicht treffen würde. Er hätte daher ohne Weiteres die Festsetzung der Gebühr vermeiden können, wenn er sich an die Abrechnungsfristen gehalten hätte.

Nach allem war die Klage im Haupt- und Hilfsantrag abzuweisen.

Die Berufung war nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Kammer hat sich wiederholt mit der Frage beschäftigen müssen, ob die Abrechnungsrichtlinie, die Regelungen trifft, die vormals im Honorarverteilungsmaßstab bzw. Honorarverteilungsvertrag geregelt worden waren, rechtmäßig ist. Eine Entscheidung des LSG oder BSG zur insofern von der Kammer angenommenen Satzungskompetenz einer KV nach Änderung des § 85 Abs. 4 SGB V im Jahr 2004 ist nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung in § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende Teil hat die Verfahrenskosten zu tragen.

Die Streitwertfestsetzung erfolgte durch Beschluss des Vorsitzenden.

Für das Klageverfahren gilt das Gerichtskostengesetz i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG) vom 05.05.2004, BGBl. I S. 718, da der Antrag nach dem 30.06.2004 anhängig wurde (vgl. § 72 Nr. 1 GKG). Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, was hier der Fall ist, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt (§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG).

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG). Der wirtschaftliche Wert folgt aus der Höhe der strittigen Gebühr. Dies ergab den festgesetzten Wert.
Rechtskraft
Aus
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