Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 903/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 77/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Behörde hat, wenn das Vorbringen einer Widerspruchsführerin oder die sonstigen Umstände auf das Vorhandensein von Tatsachen hindeuten, die den Wiedereinsetzungsantrag begründet erscheinen lassen könnten, diese Tatsachen von Amts wegen aufzuklären (Anschluss an BSG, Urt. v. 24.10.1957 - 10 RV 285/55 - SozR Nr. 13 zu § 67 SGG = NJW 1957, 1944 = SGb 1958, 117, juris Rdnr.14). Dies gilt auch, wenn der Widerspruch zunächst verfristet eingeht. Eine Behörde ist dann verpflichtet, auf die Möglichkeit zur Wiedereinsetzung und deren Voraussetzungen hinzuweisen.
1. Unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 07.12.2009 wird die Beklagte verpflichtet, die Klägerin über ihren Widerspruch vom 08.06.2009 gegen den Bescheid vom 27.05.2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit eines Widerspruchs gegen den Bescheid zur Festsetzung des Regelleistungsvolumens für das Quartal III/09.
Die Klägerin ist als Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin mit den Zusatzbezeichnungen Allergologie und Psychotherapie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.
Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 27.05.2009 das Regelleistungsvolumen für das Quartal III/09 auf 32.837,68 EUR fest.
Hiergegen ging am 03.07.2009 mit Telefax des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Widerspruch ein, der sich zugleich auch auf die Bescheide über die Regelleistungsvolumina für die Quartale I und II/09 bezog bzw. auf die von der Klägerin bereits eingelegten Widersprüche. Eine ausführliche Widerspruchsbegründung liege bereits vor.
Die Beklagte wies den Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter Datum 17.07.2009 auf die Verfristung des Widerspruchs hin. Sie teilte mit, die Widerspruchsfrist habe am 01.07.2009 geendet.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin begründete die Widersprüche am 16.09.2009. Hinsichtlich der Verfristung führte er aus, die Klägerin habe unmittelbar nach Erhalt des Festsetzungsbescheides über das Regelleistungsvolumen mit Schreiben vom 04.06.2009 einen – zwar nur einzeiligen, aber dennoch rechtsverbindlichen – Widerspruch an die Beklagte übersandt. Es werde davon ausgegangen, dass dieser der Beklagten vorliege. Andernfalls müsse vom Verlust auf dem Postweg oder einem Abhandenkommen im internen Postlauf der Beklagten ausgegangen werden. Sie könne jedenfalls durch Dritte glaubhaft belegen, dass das Widerspruchsschreiben mit besagtem Datum einkuvertiert und zur Post gegeben worden sei. Hilfsweise und allein aus Gründen anwaltlicher Vorsicht werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 07.12.2009 den Widerspruch als unbegründet zurück und gab dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht statt. Zur Begründung führte sie aus, der Widerspruch sei verfristet. Der Bescheid sei am 29.05.2009 zur Post gegeben worden. Die Widerspruchsfrist habe damit am 01.07.2009 geendet. Aufgrund des Vortrages könne ein Verschulden für die Versäumung der Frist seitens der Klägerin nicht ausgeschlossen werden. Es sei ihr nicht gelungen, das Fristversäumnis glaubhaft zu entschuldigen. Die Klägerin habe keine stichhaltigen Gründe für eine verspätete Einlegung des Widerspruchs vorgetragen. Sie habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie die fristgemäße Einlegung des Widerspruchs gegen den Bescheid ohne ein Verschulden versäumt habe. Unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte jedoch über die rechtzeitige Formulierung des Widerspruchsschreibens hinaus dafür Sorge getragen werden müssen, dass der Widerspruch innerhalb der Monatsfrist auch zugehe. Die bloße Behauptung, den Widerspruch rechtzeitig abgesandt zu haben, reiche für den Nachweis der Einhaltung der Frist nicht aus. Die Klägerin hätte den Widerspruch ggf. per Einschreiben mit Rückschein senden müssen, um einen Nachweis für das rechtzeitige Einlegen zu haben.
Hiergegen hat die Klägerin am 17.12.2009 die Klage erhoben. Sie führt aus, sie habe mit Schreiben vom 08.06.2009 fristgerecht Widerspruch eingelegt. Soweit ihr Prozessbevollmächtigter im Verwaltungsverfahren auf ein Schreiben vom 04.06.2009 verwiesen habe, beruhe dies auf einem Versehen des Prozessbevollmächtigten. Das Widerspruchsschreiben sei seinerzeit durch die Praxismitarbeiterin der Klägerin ausgefertigt und zur Post gegeben worden. Es handele sich um ihre Auszubildende, die Zeugin CC. Diese habe das Schreiben einkuvertiert und zur Post gebracht. Verfasst habe es sie selbst mit ihrer Mitarbeiterin DD. Das Widerspruchsschreiben müsse auf dem Postweg oder bei der Beklagten abhanden gekommen sein. Hierauf habe sie keine Möglichkeit der Einflussnahme gehabt. Zwischenzeitlich habe die Beklagte eine Sonderregelung im Rahmen des Regelleistungsvolumens für die Quartale I und II/09 zugestimmt. Gleiches sei für das Quartal IV/09 zu erwarten. Es wäre nun unbillig, wenn ihrem Antrag für das Quartal III/09 allein aufgrund angeblicher formaler Versäumnisse nicht entsprochen werde. Die Klägerin hat eine eidesstattliche Versicherung zur Gerichtsakte gereicht.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 07.12.2009 die Beklagte zu verpflichten, sie über ihren Widerspruch vom 08.06.2009 gegen den Bescheid vom 27.05.2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, für eine Wiedereinsetzung fehle es an den Voraussetzungen. Nach § 67 Abs. 2 Satz 2 SGG müssten die zur Begründung erforderlichen Tatsachen glaubhaft gemacht werden. Sie habe ausschließlich vorgetragen, dass sie glaubhaft belegen könne, dass das Widerspruchsschreiben mit besagtem Datum einkuvertiert und zur Post gegeben worden sei. Sie habe damit lediglich eine Glaubhaftmachung angekündigt, nähere Ausführungen zum behaupteten Versand hätten gefehlt ebenso wie die Vorlage des angeblich fristgerecht versandten Widerspruchsschreibens. Sie habe ihren Vortrag auch nicht durch eine eidesstattliche Versicherung untermauert. Insbesondere sei auch der Antrag auf Wiedereinsetzung hinsichtlich der Widerspruchsfrist verfristet. Es fehle an einem fristgemäßen Antrag innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses. Der Klägerin sei bereits mit Schreiben vom 17.07.2009 mitgeteilt worden, dass der Widerspruch verfristet gewesen sei. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei aber erst mit Schreiben vom 16.09.2009 gestellt worden und sei damit ebenfalls verfristet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Psychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte handelt (§ 12 Abs. 3 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die zulässige Klage begründet. Der Widerspruchsbescheid der Beklagte vom 07.12.2009 ist rechtswidrig und die Beklagte war zu verpflichten, die Klägerin über ihren Widerspruch vom 08.06.2009 gegen den Bescheid vom 27.05.2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Widerspruchsbescheid der Beklagte vom 07.12.2009 ist rechtswidrig.
Der Widerspruch der Klägerin war zwar verfristet, die Klägerin hat aber einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Nach § 84 Abs. 1 S. 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides vom 27.05.2009 lässt sich hier nicht mehr feststellen, da er nicht zugestellt wurde. Insofern gilt der Verwaltungsakt am dritten Tag nach Aufgabe zur Post (29.05.2009) als bekannt gegeben (§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Zugunsten der Klägerin wird daher ein Zugang am 01.06.2009 fingiert. Einen späteren Zugang hat die Klägerin nicht behauptet, so dass nicht auf den tatsächlichen Zugangszeitpunkt abzustellen ist (§ 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X). Von daher lief die Monatsfrist vom 02.06. bis 01.07.2009 (Montag). Den fristgemäßen Zugang des Widerspruchsschreibens vom 08.06.2009 kann die Klägerin nicht nachweisen, so dass der am 03.07.2007 eingegangene Widerspruch der Klägerin verfristet war. Maßgeblich war auch die Monatsfrist, da der Bescheid des Prüfungsausschusses mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen war (vgl. § 66 Abs. 1 SGG).
Die Klägerin hat aber einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Grundsätzlich ist die Vorschrift des § 67 SGG auch im Widerspruchsverfahren anzuwenden, § 84 Abs. 2 S. 3 SGG. Hiernach ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs. 1 SGG). Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 67 Abs. 2 SGG).
Ein Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung liegt mit dem durch ihren Prozessbevollmächtigten am 03.07.2010 eingelegten Widerspruch vor. Ein Verschulden liegt nicht vor, da die Klägerin rechtzeitig innerhalb der Frist das Widerspruchsschreiben vom 08.06.2009 auf den Postweg gebracht hat. Sie durfte sich hierfür auch ihrer Mitarbeiter bedienen. Einer besonderen Kontrolle der Versendung bedurfte es darüber hinaus nicht. Hierbei ist zu beachten, dass keine überspannten Anforderungen an die Vorkehrungen zu stellen sind, die Betroffene gegen die Versäumnis von Fristen ergreifen müssen, weil § 67 die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und das rechtliche Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, sichert (BVerfGE 88, 118; 40, 46; NJW 2004, 2887, NJW 1998, 3703). Der Grund für die Verzögerung muss in der Sphäre des Betroffenen liegen (BVerfG NJW 1997, 1770; BVerfGE 41, 23 m.w.N.), wobei an rechtskundige und geschäftsgewandte Personen größere Anforderungen zu stellen sind (BSGE 38, 248; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer-Keller, SGG, 8. Aufl., § 67 Rn. 3d).
Darüber hinaus erfordert der Erfolg eines Wiedereinsetzungsantrags auch, dass nach § 67 Abs. 2 Satz 2 SGG die zur Begründung erforderlichen Tatsachen glaubhaft gemacht werden, hierbei genügt das Vorliegen überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG v. 11.11.03 - B 2 U 293/03 B - BGH NJW 2001, 2336).
Nach dem Amtsermittlungsgrundsatz nach § 20 SGB X hat die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Diese Pflicht bezieht sich nicht nur auf den Sachverhalt, der für den erhobenen Anspruch sachlich-rechtlich von Bedeutung ist, sondern auch auf den Sachverhalt, der verfahrensrechtlich für die Entscheidung erheblich ist. Bei der Entscheidung darüber, ob ein Rechtsbehelf rechtzeitig eingelegt ist und ob ein Sach- oder eine Verfahrensentscheidung zu ergehen hat, sind daher auch alle Umstände zu erforschen, die für die Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtserheblich sind. Diese allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts ist durch die Vorschriften über die Wiedereinsetzung (§ 67 SGG) nicht aufgehoben. Im Gegensatz zum Verfahren der Zivilprozessordnung, die im § 236 vorschreibt, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten muss, verlangt § 67 SGG nicht unbedingt die Angabe aller dieser Tatsachen. Wenn es im § 67 SGG heißt, dass die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht werden "sollen", so bedeutet dies, dass die Behörde nicht in jedem Falle einer Fristversäumnis von Amts wegen nach diesen Tatsachen zu forschen hat, sondern dass es in erster Linie Sache des Antragstellers ist, diese Tatsachen vorzubringen und glaubhaft zu machen. Das entbindet die Behörde aber nicht von ihrer allgemeinen Amtsermittlungspflicht. Sie hat dann, wenn das übrige Vorbringen einer Widerspruchsführerin oder die sonstigen Umstände auf das Vorhandensein von Tatsachen hindeuten, die den Wiedereinsetzungsantrag begründet erscheinen lassen könnten, diese Tatsachen aufzuklären (vgl. BSG, Urt. v. 24.10.1957 - 10 RV 285/55 - SozR Nr. 13 zu § 67 SGG = NJW 1957, 1944 = SGb 1958, 117, juris Rdnr.14; s. a. BSG, Urt. v. 30.08.1956 - 3 RJ 307/55 - SozR Nr. 9 zu § 67 SGG = NJW 1957, 440 = SGb 1958, 20, juris Rdnr. 15; Meyer-Ladewig/Keller, SGG, 9. Auflage 2008, § 67 Rdnr. 10b). Im Hinblick auf die unterschiedliche Rechtslage zu § 60 VwGO und § 27 SGB X und zu weiteren Vorschriften, nach den die Tatsachen glaubhaft zu machen "sind", kann auf die abweichende Rechtsprechung anderer Gerichte, die wesentlich strengere Voraussetzungen aufstellt und mit der insofern die Rechtsauffassung der Beklagten übereinstimmt, nicht abgestellt werden (vgl. z. B. BFH, Beschl. v. 28.01.2000 - VII B 281/99 – juris Rdnr. 5 f.; BVerwG, Beschl. v. 20.03.1986 - 3 C 61/85 – juris Rdnr. 14).
Ausgehend hiervon hat die Beklagte mit Schreiben vom 14.10.2009 der Klägerin lediglich mitgeteilt, dass der Widerspruch ihres Prozessbevollmächtigten vom 03.09.2009 verfristet sei. Einen Hinweis auf die Möglichkeit, Wiedereinsetzungsgründe vorzutragen, hat sie nicht gegeben. Solche waren aber zu diesem Zeitpunkt zwar nicht offensichtlich gegeben, waren aber ebenso wenig offensichtlich ausgeschlossen. Von daher war die Beklagte verpflichtet, auf die Möglichkeit zur Wiedereinsetzung und deren Voraussetzungen hinzuweisen. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 16.09.2009 hat die Klägerin dann die wesentlichen Grundlagen für eine Wiedereinsetzung vorgetragen, die die Beklagte zu weiteren Ermittlungen hätten veranlassen müssen und zum Verlangen, die Wiedereinsetzungsgründe glaubhaft zu machen. Von daher war die Klägerin berechtigt, die Glaubhaftmachung im Gerichtsverfahren nachzuholen, was sie mit Vorlage der eidesstattlichen Versicherung hinreichend getan hat.
Die Beklagte hat daher die Klägerin über ihren Widerspruch neu zu bescheiden und hat sich dabei inhaltlich mit dem Begehren der Klägerin auseinanderzusetzen.
Nach allem war der Klage daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit eines Widerspruchs gegen den Bescheid zur Festsetzung des Regelleistungsvolumens für das Quartal III/09.
Die Klägerin ist als Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin mit den Zusatzbezeichnungen Allergologie und Psychotherapie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.
Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 27.05.2009 das Regelleistungsvolumen für das Quartal III/09 auf 32.837,68 EUR fest.
Hiergegen ging am 03.07.2009 mit Telefax des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Widerspruch ein, der sich zugleich auch auf die Bescheide über die Regelleistungsvolumina für die Quartale I und II/09 bezog bzw. auf die von der Klägerin bereits eingelegten Widersprüche. Eine ausführliche Widerspruchsbegründung liege bereits vor.
Die Beklagte wies den Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter Datum 17.07.2009 auf die Verfristung des Widerspruchs hin. Sie teilte mit, die Widerspruchsfrist habe am 01.07.2009 geendet.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin begründete die Widersprüche am 16.09.2009. Hinsichtlich der Verfristung führte er aus, die Klägerin habe unmittelbar nach Erhalt des Festsetzungsbescheides über das Regelleistungsvolumen mit Schreiben vom 04.06.2009 einen – zwar nur einzeiligen, aber dennoch rechtsverbindlichen – Widerspruch an die Beklagte übersandt. Es werde davon ausgegangen, dass dieser der Beklagten vorliege. Andernfalls müsse vom Verlust auf dem Postweg oder einem Abhandenkommen im internen Postlauf der Beklagten ausgegangen werden. Sie könne jedenfalls durch Dritte glaubhaft belegen, dass das Widerspruchsschreiben mit besagtem Datum einkuvertiert und zur Post gegeben worden sei. Hilfsweise und allein aus Gründen anwaltlicher Vorsicht werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 07.12.2009 den Widerspruch als unbegründet zurück und gab dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht statt. Zur Begründung führte sie aus, der Widerspruch sei verfristet. Der Bescheid sei am 29.05.2009 zur Post gegeben worden. Die Widerspruchsfrist habe damit am 01.07.2009 geendet. Aufgrund des Vortrages könne ein Verschulden für die Versäumung der Frist seitens der Klägerin nicht ausgeschlossen werden. Es sei ihr nicht gelungen, das Fristversäumnis glaubhaft zu entschuldigen. Die Klägerin habe keine stichhaltigen Gründe für eine verspätete Einlegung des Widerspruchs vorgetragen. Sie habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie die fristgemäße Einlegung des Widerspruchs gegen den Bescheid ohne ein Verschulden versäumt habe. Unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte jedoch über die rechtzeitige Formulierung des Widerspruchsschreibens hinaus dafür Sorge getragen werden müssen, dass der Widerspruch innerhalb der Monatsfrist auch zugehe. Die bloße Behauptung, den Widerspruch rechtzeitig abgesandt zu haben, reiche für den Nachweis der Einhaltung der Frist nicht aus. Die Klägerin hätte den Widerspruch ggf. per Einschreiben mit Rückschein senden müssen, um einen Nachweis für das rechtzeitige Einlegen zu haben.
Hiergegen hat die Klägerin am 17.12.2009 die Klage erhoben. Sie führt aus, sie habe mit Schreiben vom 08.06.2009 fristgerecht Widerspruch eingelegt. Soweit ihr Prozessbevollmächtigter im Verwaltungsverfahren auf ein Schreiben vom 04.06.2009 verwiesen habe, beruhe dies auf einem Versehen des Prozessbevollmächtigten. Das Widerspruchsschreiben sei seinerzeit durch die Praxismitarbeiterin der Klägerin ausgefertigt und zur Post gegeben worden. Es handele sich um ihre Auszubildende, die Zeugin CC. Diese habe das Schreiben einkuvertiert und zur Post gebracht. Verfasst habe es sie selbst mit ihrer Mitarbeiterin DD. Das Widerspruchsschreiben müsse auf dem Postweg oder bei der Beklagten abhanden gekommen sein. Hierauf habe sie keine Möglichkeit der Einflussnahme gehabt. Zwischenzeitlich habe die Beklagte eine Sonderregelung im Rahmen des Regelleistungsvolumens für die Quartale I und II/09 zugestimmt. Gleiches sei für das Quartal IV/09 zu erwarten. Es wäre nun unbillig, wenn ihrem Antrag für das Quartal III/09 allein aufgrund angeblicher formaler Versäumnisse nicht entsprochen werde. Die Klägerin hat eine eidesstattliche Versicherung zur Gerichtsakte gereicht.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 07.12.2009 die Beklagte zu verpflichten, sie über ihren Widerspruch vom 08.06.2009 gegen den Bescheid vom 27.05.2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, für eine Wiedereinsetzung fehle es an den Voraussetzungen. Nach § 67 Abs. 2 Satz 2 SGG müssten die zur Begründung erforderlichen Tatsachen glaubhaft gemacht werden. Sie habe ausschließlich vorgetragen, dass sie glaubhaft belegen könne, dass das Widerspruchsschreiben mit besagtem Datum einkuvertiert und zur Post gegeben worden sei. Sie habe damit lediglich eine Glaubhaftmachung angekündigt, nähere Ausführungen zum behaupteten Versand hätten gefehlt ebenso wie die Vorlage des angeblich fristgerecht versandten Widerspruchsschreibens. Sie habe ihren Vortrag auch nicht durch eine eidesstattliche Versicherung untermauert. Insbesondere sei auch der Antrag auf Wiedereinsetzung hinsichtlich der Widerspruchsfrist verfristet. Es fehle an einem fristgemäßen Antrag innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses. Der Klägerin sei bereits mit Schreiben vom 17.07.2009 mitgeteilt worden, dass der Widerspruch verfristet gewesen sei. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei aber erst mit Schreiben vom 16.09.2009 gestellt worden und sei damit ebenfalls verfristet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Psychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte handelt (§ 12 Abs. 3 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die zulässige Klage begründet. Der Widerspruchsbescheid der Beklagte vom 07.12.2009 ist rechtswidrig und die Beklagte war zu verpflichten, die Klägerin über ihren Widerspruch vom 08.06.2009 gegen den Bescheid vom 27.05.2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Widerspruchsbescheid der Beklagte vom 07.12.2009 ist rechtswidrig.
Der Widerspruch der Klägerin war zwar verfristet, die Klägerin hat aber einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Nach § 84 Abs. 1 S. 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides vom 27.05.2009 lässt sich hier nicht mehr feststellen, da er nicht zugestellt wurde. Insofern gilt der Verwaltungsakt am dritten Tag nach Aufgabe zur Post (29.05.2009) als bekannt gegeben (§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Zugunsten der Klägerin wird daher ein Zugang am 01.06.2009 fingiert. Einen späteren Zugang hat die Klägerin nicht behauptet, so dass nicht auf den tatsächlichen Zugangszeitpunkt abzustellen ist (§ 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X). Von daher lief die Monatsfrist vom 02.06. bis 01.07.2009 (Montag). Den fristgemäßen Zugang des Widerspruchsschreibens vom 08.06.2009 kann die Klägerin nicht nachweisen, so dass der am 03.07.2007 eingegangene Widerspruch der Klägerin verfristet war. Maßgeblich war auch die Monatsfrist, da der Bescheid des Prüfungsausschusses mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen war (vgl. § 66 Abs. 1 SGG).
Die Klägerin hat aber einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Grundsätzlich ist die Vorschrift des § 67 SGG auch im Widerspruchsverfahren anzuwenden, § 84 Abs. 2 S. 3 SGG. Hiernach ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs. 1 SGG). Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 67 Abs. 2 SGG).
Ein Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung liegt mit dem durch ihren Prozessbevollmächtigten am 03.07.2010 eingelegten Widerspruch vor. Ein Verschulden liegt nicht vor, da die Klägerin rechtzeitig innerhalb der Frist das Widerspruchsschreiben vom 08.06.2009 auf den Postweg gebracht hat. Sie durfte sich hierfür auch ihrer Mitarbeiter bedienen. Einer besonderen Kontrolle der Versendung bedurfte es darüber hinaus nicht. Hierbei ist zu beachten, dass keine überspannten Anforderungen an die Vorkehrungen zu stellen sind, die Betroffene gegen die Versäumnis von Fristen ergreifen müssen, weil § 67 die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und das rechtliche Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, sichert (BVerfGE 88, 118; 40, 46; NJW 2004, 2887, NJW 1998, 3703). Der Grund für die Verzögerung muss in der Sphäre des Betroffenen liegen (BVerfG NJW 1997, 1770; BVerfGE 41, 23 m.w.N.), wobei an rechtskundige und geschäftsgewandte Personen größere Anforderungen zu stellen sind (BSGE 38, 248; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer-Keller, SGG, 8. Aufl., § 67 Rn. 3d).
Darüber hinaus erfordert der Erfolg eines Wiedereinsetzungsantrags auch, dass nach § 67 Abs. 2 Satz 2 SGG die zur Begründung erforderlichen Tatsachen glaubhaft gemacht werden, hierbei genügt das Vorliegen überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG v. 11.11.03 - B 2 U 293/03 B - BGH NJW 2001, 2336).
Nach dem Amtsermittlungsgrundsatz nach § 20 SGB X hat die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Diese Pflicht bezieht sich nicht nur auf den Sachverhalt, der für den erhobenen Anspruch sachlich-rechtlich von Bedeutung ist, sondern auch auf den Sachverhalt, der verfahrensrechtlich für die Entscheidung erheblich ist. Bei der Entscheidung darüber, ob ein Rechtsbehelf rechtzeitig eingelegt ist und ob ein Sach- oder eine Verfahrensentscheidung zu ergehen hat, sind daher auch alle Umstände zu erforschen, die für die Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtserheblich sind. Diese allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts ist durch die Vorschriften über die Wiedereinsetzung (§ 67 SGG) nicht aufgehoben. Im Gegensatz zum Verfahren der Zivilprozessordnung, die im § 236 vorschreibt, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten muss, verlangt § 67 SGG nicht unbedingt die Angabe aller dieser Tatsachen. Wenn es im § 67 SGG heißt, dass die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht werden "sollen", so bedeutet dies, dass die Behörde nicht in jedem Falle einer Fristversäumnis von Amts wegen nach diesen Tatsachen zu forschen hat, sondern dass es in erster Linie Sache des Antragstellers ist, diese Tatsachen vorzubringen und glaubhaft zu machen. Das entbindet die Behörde aber nicht von ihrer allgemeinen Amtsermittlungspflicht. Sie hat dann, wenn das übrige Vorbringen einer Widerspruchsführerin oder die sonstigen Umstände auf das Vorhandensein von Tatsachen hindeuten, die den Wiedereinsetzungsantrag begründet erscheinen lassen könnten, diese Tatsachen aufzuklären (vgl. BSG, Urt. v. 24.10.1957 - 10 RV 285/55 - SozR Nr. 13 zu § 67 SGG = NJW 1957, 1944 = SGb 1958, 117, juris Rdnr.14; s. a. BSG, Urt. v. 30.08.1956 - 3 RJ 307/55 - SozR Nr. 9 zu § 67 SGG = NJW 1957, 440 = SGb 1958, 20, juris Rdnr. 15; Meyer-Ladewig/Keller, SGG, 9. Auflage 2008, § 67 Rdnr. 10b). Im Hinblick auf die unterschiedliche Rechtslage zu § 60 VwGO und § 27 SGB X und zu weiteren Vorschriften, nach den die Tatsachen glaubhaft zu machen "sind", kann auf die abweichende Rechtsprechung anderer Gerichte, die wesentlich strengere Voraussetzungen aufstellt und mit der insofern die Rechtsauffassung der Beklagten übereinstimmt, nicht abgestellt werden (vgl. z. B. BFH, Beschl. v. 28.01.2000 - VII B 281/99 – juris Rdnr. 5 f.; BVerwG, Beschl. v. 20.03.1986 - 3 C 61/85 – juris Rdnr. 14).
Ausgehend hiervon hat die Beklagte mit Schreiben vom 14.10.2009 der Klägerin lediglich mitgeteilt, dass der Widerspruch ihres Prozessbevollmächtigten vom 03.09.2009 verfristet sei. Einen Hinweis auf die Möglichkeit, Wiedereinsetzungsgründe vorzutragen, hat sie nicht gegeben. Solche waren aber zu diesem Zeitpunkt zwar nicht offensichtlich gegeben, waren aber ebenso wenig offensichtlich ausgeschlossen. Von daher war die Beklagte verpflichtet, auf die Möglichkeit zur Wiedereinsetzung und deren Voraussetzungen hinzuweisen. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 16.09.2009 hat die Klägerin dann die wesentlichen Grundlagen für eine Wiedereinsetzung vorgetragen, die die Beklagte zu weiteren Ermittlungen hätten veranlassen müssen und zum Verlangen, die Wiedereinsetzungsgründe glaubhaft zu machen. Von daher war die Klägerin berechtigt, die Glaubhaftmachung im Gerichtsverfahren nachzuholen, was sie mit Vorlage der eidesstattlichen Versicherung hinreichend getan hat.
Die Beklagte hat daher die Klägerin über ihren Widerspruch neu zu bescheiden und hat sich dabei inhaltlich mit dem Begehren der Klägerin auseinanderzusetzen.
Nach allem war der Klage daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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