L 6 U 2609/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 256/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 2609/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 23.06.2004 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 22.02.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.02.2002 und des Bescheids vom 17.10.2002 verurteilt, dem Kläger über den 31.07.2000 hinaus Rente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu gewähren.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 02.02.2000 in der Zeit ab 01.08.2000 strittig.

Der 1942 geborene Kläger rutschte am 02.02.2000 auf einem nassen Dach ab und stürzte aus einer Höhe von ca. 3 Metern zu Boden. Im Durchgangsarztbericht (DAB) vom Unfalltag stellte der Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses L., Dr. K., nach röntgenologischer Untersuchung folgende Diagnosen: Lendenwirbelkörper (LWK) 1-Fraktur, Verdacht auf LWK 2-Fraktur, Brustwirbelkörper (BWK) 10/11-Fraktur, Verdacht auf BWK 7-Fraktur, Deckplatteneinbruch LWK 2, kleine Risswunde linke Hand. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bestand bis 02.05.2000. Im Ersten Rentengutachten vom 31.07.2000 beschrieb Prof. Dr. H. von der Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des K.hospitals S. eine stabile LWK-1-Fraktur mit keilwirbelförmiger Deformierung. Die unfallbedingte MdE schätzte er für die Zeit vom 03.05. bis 31.07.2000 mit 20 vom Hundert (v.H.) und danach mit 10 v.H. ein. Im neurologischen Zusatzgutachten vom 29.08.2000 führte PD Dr. R. von der Neurologischen Universitätsklinik U. aus, es ergäben sich weder Hinweise auf eine akute abnorme Erlebnisreaktion noch auf eine vorbestehende oder in Gang gekommene neurotische Fehlentwicklung. Von Seiten seines Fachgebiets lägen keine Traumafolgen vor. An dieser Beurteilung hielt er auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24.01.2001 unter Berücksichtigung des Befundberichts des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 20.10.2000 fest. Gestützt auf die weitere Stellungnahme von Prof. Dr. H. vom 26.09.2000 (unfallbedingte Gesamt-MdE ab 01.08.2000 10 v.H.) und die hiermit übereinstimmende Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. K. vom 07.02.2001 anerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 22.02.2001 als Unfallfolgen "Unter Höhenminderung und keilwirbelförmiger Deformierung stabil verheilte LWK 1-Fraktur. Belastungsabhängige Schmerzhaftigkeit im Lendenwirbelbereich sowie Klopfschmerzhaftigkeit im Bereich des LWK 1". Sie bewilligte dem Kläger Rente als vorläufige Entschädigung für die Zeit vom 03.05. bis 31.07.2000 nach einer MdE um 20 v.H. und - im Hinblick auf die Folgen des Arbeitsunfalls vom 23.03.1988 als Stütztatbestand - nach einer MdE um 10 v.H. für die Zeit vom 01.08.2000 bis auf weiteres. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers, den dieser u. a. mit dem Vorliegen einer Höhenangst begründete, wies die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid ihrer Widerspruchsstelle vom 01.02.2002 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 11.02.2002 Klage bei dem Sozialgericht Konstanz (SG). Zur Begründung trug er vor, seit der Begutachtung vom Juli 2000 sei eine Verschlimmerung eingetreten. Er habe ständig Schmerzen und Einschränkungen in der Beweglichkeit, so dass von einem Wirbelsäulenschaden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen auszugehen sei. Außerdem liege bei ihm eine sekundäre Fehlverarbeitung des Unfalls vom Februar 2000 vor.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG hörte zunächst Dr. S. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Unter dem 04.06.2002 berichtete er, der Kläger habe 1987 über spontan nach einer Nasenoperation aufgetretene Höhenängste mit vegetativen Entgleisungen berichtet. Die Verletzung im Jahr 2000 habe neben Knochenbrüchen zu einem Innenohrschwindel geführt, der über längere Zeit lageabhängige Drehschwindelzustände zur Folge gehabt habe. In nachvollziehbarer Weise habe der Kläger am 26.04.2000 über nach der Arbeitsaufnahme auftretende Ängste bei Arbeiten in der Höhe berichtet. Sodann holte das SG von dem Chefarzt der Abteilung für Unfallchirurgie, Wiederherstellungschirurgie und operative Orthopädie der O.klinik R., PD Dr. M., das aufgrund ambulanter Untersuchung erstattete Gutachten vom 07.08.2002 ein. Dieser beschrieb darin einen knöchern unter Deformierung des betroffenen LWK 1 ausgeheilten Bruch mit angedeuteter Knickbildung in diesem Wirbelsäulenbereich sowie eine Versteifung des Segmentes LWK 1/BWK 12 mit entsprechender Bewegungseinschränkung. Aufgrund der Deformierung des Wirbelkörpers sei es zu einer Störung der Wirbelsäulenstatik gekommen, wobei jedoch durch die reparativen Vorgänge jetzt wieder stabile Verhältnisse vorlägen. Die unfallbedingte MdE schätzte er ab Wiedereintritt in die Arbeitsfähigkeit für ein halbes Jahr mit 20 v.H. und danach bis auf weiteres mit 10 v.H. ein.

Mit Bescheid vom 17.10.2002 stellte die Beklagte die bisher als vorläufige Entschädigung geleistete Rente in Höhe von 10 v.H. der Vollrente als Rente auf unbestimmte Zeit fest.

Auf den Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG von dem Ärztlichen Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T., Prof. Dr. W., das Gutachten vom 24.09.2003 ein. Der Sachverständige beschrieb als Unfallfolgen neben der mit deutlicher Keilwirbelbildung und ventraler Höhenminderung von 16 mm knöchern vollständig konsolidierten, im Sinne einer Blockwirbelbildung zum BWK 12 verheilten Kompressionsfraktur des LWK 1 ohne Hinterkantenbeteiligung auch knöchern vollständig konsolidierte Deckplattenimpressionsfrakturen von BWK 7, 10 und 11 sowie von LWK 2 mit ventralen osteophytären Randkantenausziehungen im Sinne von Abstützreaktionen und Verschmälerungen der Bandscheibenfächer. Die unfallbedingte MdE schätzte er für die Zeit vom 03.05.2000 bis 01.02.2003 mit 30 v.H. und danach bis auf weiteres mit 20 v.H. ein.

Die Beklagte legte hierzu die gutachterliche Stellungnahme des sie beratenden Chirurgen Dr. S. vom 05.12.2003 vor, der beanstandete, Prof. Dr. W. sei zu Unrecht von einer abgelaufenen Frakturierung der Wirbel BWK 7, 10 und 11 sowie LWK 2 ausgegangen. Hiergegen spreche nämlich die fehlende Dynamik in diesem Bereich, während es am LWK 1 zu einer deutlichen Befundänderung, nämlich zur Bildung einer osteophytären Spange zwischen LWK-1 und BWK 12 gekommen sei.

Zuletzt holte das SG von dem Orthopäden Dr. B. das ebenfalls aufgrund einer ambulanten Untersuchung erstellte Gutachten vom 29.04.2004 ein. Auch er gelangte zu der Auffassung, gegen weitere Frakturen abgesehen von LWK-1 spreche die durch Verlaufskontrollen belegte Befundentwicklung, welche keine Dynamik erkennen lasse. Mit seiner Bewertung der unfallbedingten MdE habe sich Prof. Dr. W. völlig außerhalb der gängigen Beurteilungsgrundlagen begeben. Hier liege lediglich ein unkomplizierter Bruch der vorderen Säule des ersten LWK ohne Hinterkantenbeteiligung und ohne Einengung des Spinalkanals vor, der mit geringfügiger statischer Deformität ausgeheilt sei. Auch nach dem neueren Bewertungsschema von Weber und Wimmer lasse sich im vorliegenden Fall keine dauerhafte MdE um 20 v.H. ermitteln.

Mit Gerichtsbescheid vom 23.06.2004 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen stützte es sich wesentlich auf die Gutachten von Prof. Dr. H., PD Dr. M.und Dr. B. sowie auf die Stellungnahme von Dr. S. vom 05.12.2003. Für Unfallfolgen auf psychiatrischem Gebiet bestehe nach dem Gutachten von PD Dr. R. vom 29.08.2000 mit der Ergänzung vom 24.01.2001 und den Ausführungen von Dr. S. vom 04.06.2002 kein Anhaltspunkt.

Mit seiner am 02.07.2004 bei dem Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Ziel weiter. Er trägt vor, entgegen der Ansicht von Dr. B. habe der Facharzt für Radiologie und Nuklearmedizin Dr. L. am 09.06.2004 einen Zustand nach alten Frakturen des zehnten BWK sowie des ersten und zweiten LWK festgestellt, die durch den Unfall vom 02.02.2000 hervorgerufen worden seien. Er hat die an ihn gerichteten Schreiben von Dr. L. vom 25.03. und 09.06.2004 und den an die O. Klinik gerichteten Arztbrief von Dr. L. vom 12.03.2004 mit dem Befund einer Ganzkörper-Skelett-Szintigraphie vorgelegt. Außerdem hat er unter Vorlage des HNO-ärztlichen Gutachtens von Prof. Dr. Dr. L. vom 15.07.2005, dass dieser im Auftrag des Landgerichts Ravensburg erstattet hat, vorgetragen, auch auf HNO-ärztlichem Gebiet liege eine Unfallfolge vor.

Der Kläger beantrag sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 23.06.2004 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 22.02.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.02.2002 und des Bescheids vom 17.10.2002 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 31.07.2000 hinaus Rente nach einer MdE um wenigstens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, außer dem Bruch des ersten LWK seien nach den eingeholten Gutachten keine weiteren bei dem Unfall vom 02.02.2000 erlittenen Körperschädigungen nachgewiesen. Im Übrigen habe Prof. Dr. Dr. L. verkannt, dass der Kläger schon vor seinem Arbeitsunfall am 02.02.2000 über Schwindelbeschwerden geklagt habe. Dies ergebe sich aus den in einer Berufskrankheitensache des Klägers erstatteten - vorgelegten - Gutachten von Prof. Dr. P. vom 07.10.1991 und von Dr. L. vom 18.10.1995.

Der Senat hat zunächst von dem Ärztlichen Direktor des Radiologischen Instituts des K.hospitals S., Prof. Dr. A., das Gutachten vom 29.12.2004 eingeholt. Dieser kommt darin zu dem Ergebnis, (nur) die ventrale Kompressionsfraktur des ersten LWK und die Impression der Deckplatte des BWK 9 seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 02.02.2000 zurückzuführen. Dr. B. hat in seiner im Auftrag des Senats hierzu abgegebenen gutachtlichen Stellungnahme vom 22.02.2005 ausgeführt, in Anbetracht der fehlenden klinischen Relevanz einer leichten Imprimierung der Deckplatte des BWK 9 ändere sich an seiner Beurteilung nichts.

Auf den Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG hat der Senat von Prof. Dr. W. das unter Mitwirkung von Oberarzt Dr. R. erstattete Gutachten vom 01.02.2006 eingeholt. Der Sachverständige führt darin aus, im Lichte der fachradiologischen Begutachtung halte er seine im früheren Gutachten vom 24.09.2003 vertretene Annahme nicht mehr aufrecht, es sei zu weitergehenden Wirbelverletzungen gekommen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe der Kläger nur eine Deckplattenimpressionsfraktur/-kompressionsfraktur des ersten LWK erlitten, möglicherweise zusätzlich eine geringe Impression der Deckplatte des BWK 9, die jedoch keine Funktionseinschränkung bedinge. Nach den gängigen Einschätzungskriterien werde für einen Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung bei stabiler Ausheilung unter statisch wirksamem Achsenknick eine MdE zwischen 10 und 20 v.H. vorgeschlagen. Hier bestehe ein 15 Grad messender und damit soeben als statisch wirksam anzusehender Achsenknick im Sinne der Kyphose. Die unfallbedingte MdE werde deshalb für die Zeit vom 03.05.2000 bis 28.02.2002 mit 20 vom Hundert und für die Zeit ab 01.03.2002 mit 10 vom Hundert eingeschätzt. Für die ersten beiden Jahre werde die MdE höher eingeschätzt, weil in diesem Zeitraum erfahrungsgemäß noch keine stabile knöcherne Überbrückung zu erwarten sei. Nach dem von Weber und Wimmer entwickelten Segment-Prinzip komme man ebenfalls zu einer MdE von 10 vom Hundert, sofern man das Prinzip richtig anwende. Hierbei sei davon auszugehen, dass lediglich das Segment TH12/L1 betroffen sei und dass der Segmentwert von 3,6 % wegen der Versteifung in kyphotischer Fehlstellung zu verdreifachen sei (3 x 3,6 % = 10,8 %, abgerundet 10 %). Eine Beteiligung des Segments L1/L2 an den Unfallfolgen sei nicht erkennbar.

Nachdem der Kläger das im Auftrag des Landgericht Ravensburg im Rechtsstreit 1 O 326/02 erstattete Gutachten Prof. Dr. W. vom 02.05.2003 vorgelegt hatte, in dem dieser Arzt in Anwendung des Segments-Prinzip zu einer MdE von 17,4 v.H., aufgerundet 20 v.H. gelangt war, hat ihn auch der Senat zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und von ihm das ergänzende Gutachten vom 02.06.2006 eingeholt zu der Frage, wie er die MdE nach den Maßstäben der gesetzlichen Unfallversicherung unter Beachtung der Vorgutachten einschätze. Darin wird ausgeführt, infolge des Bruches des LWK 1 sei es zu einer knöchernen Ankylose im Bewegungssegment Th12/L1 gekommen. Hiermit sei eine gewisse Befundverbesserung in Folge der knöchernen Stabilisierung der Fraktur im Zeitraum 2002 und 2003 verbunden gewesen. Die Änderung in den Befunden sei jedoch nicht wesentlich. Nach der allerdings nicht sehr zuverlässigen Befundbeschreibung im Ersten Rentengutachten aus dem K.hospital S. vom 31.07.2000 sei ein höherer MdE Satz als 20 v.H nicht vertretbar. Da die Befundentwicklung zwischen 31.07.2000 und August 2002 aktenmäßig nicht dokumentiert sei, könne man eigentlich nur nach der orthopädisch- unfallchirurgischen Erfahrung einstufen. Er schlage deshalb vor, bis zum Ablauf des ersten Unfalljahres einen MdE-Satz von 30 v.H anzunehmen und von da an einen MdE-Satz von 20 v.H. Hiermit stimme seine Beurteilung im Gutachten vom 02.05.2003 überein. Die Einstufung der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit im Bereich der Wirbelsäule stimme lediglich im Wesentlichen mit den Grundsätzen überein, die für die Einstufung der MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung gelten. Soweit Prof. Dr. W. in seinem zweiten Gutachten vom 01.02.2006 davon ausgegangen sei, die unfallbedingte MdE sei auf Dauer lediglich mit 10 v.H einzuschätzen, könne er dem nicht beipflichten. Dies liege daran, dass normalerweise die Wirbelsäule am thorakolumbalen Übergang gestreckt verlaufe, also keinen Knick aufweise. Ein Knick an dieser Stelle sei bio- bzw. pathomechanisch gesehen immer ungünstig und erfordere eine permanente Kompensation in einem oder mehreren benachbarten Bewegungssegmenten, wie sie auch im Fall des Klägers radiologisch nachgewiesen sei. Auch habe er das von ihm entwickelte Segment-Prinzip falsch angewandt. Die posttraumatische Wirbelsäulendeformität im Sinne der angesprochenen Kyphosierung des thorakolumbalen Übergangs mit klaffendem Bandscheibenraum im Segment L1/L2 sei übersehen worden. Der Segmentwert L1/2, der 3,3 betrage, müsse wegen der Fehlform mit 2 multipliziert werden, was einen Wert von 6,6 ergebe, der addiert mit dem Wert 10,8 den Endwert von 17,4 ergebe, der auf 20 v.H. aufzurunden sei.

Die Beklagte hat hierzu die in ihrem Auftrag abgegebene gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. W./Dr. R. vom 18.07.2006 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, auf die Einwände von Prof. Dr. W. hin sei die lumbale Lordose auf dem seitlichen LWS-Röntgenbild vom 29.11.2005 messtechnisch bestimmt worden. Dabei habe sich ein Wert von 52 Grad (Normbereich 50-60 Grad) ergeben. Die ebenfalls messtechnisch bestimmte thorakale Kyphose habe einen Winkel von 40 Grad ergeben und sei damit normwertig. Die von Prof. Dr. W. behauptete "permanente Kompensation in einem oder mehreren benachbarten Bandscheibensegmenten" sei deshalb nicht nachweisbar. Ebenso wenig sei der von Prof. Dr. W. behauptete "klaffende Bandscheibenraum" im Segment L1/2 nachweisbar. Damit verbleibe es bei der von ihnen ermittelten MdE von 10 v.H. für das Bewegungssegment Th12/L1.

Hierauf hat Prof. Dr. W. in seiner im Auftrag des Senats abgegebenen Stellungnahme vom 25.09.2006 erwidert, die Argumentation von Prof. Dr. W. gehe am Kern der Sache vorbei, weil es nicht auf die Krümmungswinkel und Krümmungsradien der Brust und Lendenwirbelsäule ankomme, sondern auf die Fehlform der Wirbelsäule am thorakolumbalen Übergang.

Zur Abklärung des nach wie vor strittigen "klaffenden Bandscheibenraumes" im Segment L1/2 hat der Senat von Prof. Dr. A. das weitere, aufgrund einer magnetresonanztomographischen Untersuchung vom 30.01.2007 erstattete Gutachten vom 14.02.2007 eingeholt. Darin heißt es, im Segment L1/2 lasse sich zwar lediglich ein grenzwertiges ventrales Klaffen des Bandscheibenraumes verifizieren, doch korreliere der Befund einerseits mit einem geringen segmentalen Versatz und anderseits mit einer mäßigen Signalabweichung der Bandscheibe L1. Dieser Befund weise auf eine geringgradige Schädigung der Banddscheibe bzw. des Halteapparats im Segment L1/2 als Folge des Unfalls vom 02.02.2000 hin.

Prof. Dr. W. sieht sich darin in seiner bisherigen Auffassung bestätigt (Stellungnahme vom 18.06.2007).

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Senats, des SG und auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig und begründet.

Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Denn die angefochtenen Bescheide verletzen den Kläger in seinen Rechten.

Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung von Verletztenrente und für die Anerkennung von Unfallfolgen wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des SG auf S. 7 und 8 des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug genommen.

Für die Bewertung der unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urt. vom 26. Juni 1985 - 2 RU 60/84 -, in: SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urt. vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 49/99 R -, in: HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22. August 1989, - 2 BU 101/89 -, in: HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.

Danach erweist sich die Berufung als begründet. Der Kläger hat auch für die Zeit ab 01.08.2000 Anspruch auf Rente nach einer MdE um 20 v. H. Hierbei geht der Senat in Übereinstimmung mit inzwischen sämtlichen gehörten Ärzten einschließlich Prof. Dr. W., der in seinem zweiten Gutachten vom 01.02.2006 seine insoweit abweichende Auffassung im Gutachten vom 24.09.2003 aufgegeben hat, davon aus, dass der Kläger bei seinem Unfall vom 02.02.2000 keine Frakturen am siebten und zehnten BWK sowie am zweiten LWK erlitten hat. Hiergegen spricht insbesondere die fehlende Entwicklungsdynamik in der Zeit nach dem Unfall, auf die Dr. B. und Dr. S. zutreffend hingewiesen haben. Prof. Dr. A. hat im Gutachten vom 29.12.2004 im Einzelnen dargelegt, dass die Veränderungen im Bereich der BWS nach der Röntgenmorphologie und dem Verlauf eindeutig als degenerativ zu beurteilen sind. Lediglich die Impression der Deckplatte des BWK 9 ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Folge des Unfalls vom 02.02.2000 anzusehen. Sie ist jedoch, worüber sich sämtliche gehörten Ärzte einschließlich Prof. Dr. W. und Prof. Dr. W. einig sind, ohne klinische Relevanz. Eine diskrete Deckplattenirregularität des sechsten BWK ist ätiologisch nicht sicher zu klassifizieren. Die Fraktur des elften BWK, auf die zuerst Dr. L. in seinem Schreiben vom 09.06.2004 hingewiesen hat, kann nicht auf den streitgegenständlichen Unfall zurückgeführt werden, da sie nach dem 29.01.2004 entstanden sein muss.

Die Folgen der für die Bemessung der MdE allein maßgeblichen Fraktur des ersten LWK bedingen über den 31.07.2000 hinaus eine MdE um 20 v.H. Hinsichtlich der zu berücksichtigenden Befunde stützt sich der Senat in vollem Umfang auf die ihn überzeugenden Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen von Prof. Dr. W. und Prof. Dr. A ... Wie Prof. Dr. W. im Einzelnen dargelegt hat, ist es in den Jahren 2002 und 2003 zu einer knöchernen Stabilisierung der Fraktur mit einer Versteifung des Bewegungssegmentes Th12/L1 gekommen. Auf den Röntgenaufnahmen der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 03.09.2003 erkennt man nämlich eine weitgehende knöcherne Überbrückung des Bandscheibenraumes zwischen dem zwölften BWK und dem ersten LWK. Röntgenologisch hat sich ein kräftiger spangenbildender Ostheophyt an der Vorderkante von LWK 1 gebildet, der bis zur Vorderunterkante von BWK 12 reicht. Auch an den Wirbelsäulenkanten sind überbrückende Osteophyten entstanden. Außerdem ist es zu einer Kyphosierung des thorakolumbalen Überganges gekommen mit einer Knickbildung im Segment Th12/L1 und zu einem klaffenden Bandscheibenraum im Segment L1/2 zum Ausgleich der Knickbildung. Den Achsenknick im Segment Th12/L1 hat auch Prof. Dr. W. nicht verkannt, der ihn mit 15 Grad bemessen, allerdings als "damit soeben als statisch wirksam anzusehend" bezeichnet hat. Soweit Prof. Dr. W. mit seinen Ausführungen, der kyphotische Achsenknick liege an der Untergrenze der statischen Relevanz, zum Ausdruck bringen wollte, die posttraumatische Wirbelsäulendeformität des Klägers sei nur von geringer Bedeutung, ist dem mit Prof. Dr. W. zu widersprechen. Dieser hat schlüssig dargelegt, dass die Wirbelsäule am thorakolumbalen Übergang normalerweise gestreckt verläuft, also keinen Knick aufweist. Ein Knick an dieser Stelle ist deshalb bio- bzw. pathomechanisch gesehen immer ungünstig und erfordert eine permanente Kompensation in einem oder in mehreren benachbarten Bewegungssegmenten. Eine solche Kompensation ist im Falle des Klägers auch radiologisch nachgewiesen worden. Die von Prof. Dr. A. durchgeführte magnetresonanzthomographische Untersuchung hat zwar trotz der ventralen Kompression des ersten LWK intakte Ligamente ergeben. Der Vergleich der lumbalen, intervertebralen Segmentwinkel sowie die Korrelation mit den Normalwerten zeigt im Segment L1/2 jedoch eine minimale, allerdings am Rande der Messgenauigkeit liegende Erhöhung des Intervertebralwinkels von 9 Grad bei einem Normalwert von 8 Grad. Bedeutsamer erscheint, dass sich bei der im Liegen durchgeführten MRT-Untersuchung im Segment L1/2 ein Versatz von 2 mm zeigt, der mit dem Versatz von 4 mm korreliert, den die LWS-Röntgenaufnahme vom 14.04.2003 demonstriert, die im Stehen angefertigt worden ist. Ferner zeigt die Bandscheide L1/2 eine Strukturirregularität und ein vermindertes Signal im T2-gewichteten Bild. Wie Prof. Dr. W. im Einzelnen dargelegt hat, bedeutet der "Versatz", dass die beiden Wirbel gegeneinander verschoben sind. Dies stellt einen Hinweis auf eine Instabilität im Bewegungssegment L1/2 als Ausdruck einer Fehlbelastung dieses Wirbelsäulenabschnitts dar, die sich aufgrund der Fehlstatik des thorakolumbalen Übergangs unter Verformung des ersten LWK entwickelt hat. Entgegen der von der Beklagten im Schreiben vom 02.08.2007 vertretenen Auffassung ist der Senat deshalb überzeugt, dass ein Schaden im Segment L1/2 nicht nur möglich, sondern nachgewiesen ist. Mit Prof. Dr. W. und entgegen Prof. Dr. W. ist der Senat deshalb auch überzeugt davon, dass bei der Anwendung des von Prof. Dr. W. mitentwickelten Segmentprinzips, das auch Dr. B. und Prof. Dr. W. als wertvolles Konzept zur Beurteilung von Wirbelsäulenschäden ansehen und das ausweislich der Ausführungen in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003, Seite 536 f. auch Eingang in die versicherungsmedizinische Standardliteratur gefunden hat, nicht nur regelwidrige Befunde im Segment Th12/L1, sondern auch im Segment L1/2 zu berücksichtigen sind. Durch das Segmentprinzip werden die bislang gültigen MdE-Sätze nicht verändert, jedoch feiner abgestuft. Einigkeit besteht zwischen Prof. Dr. W. und Prof. Dr. W. darüber, dass im Falle des Klägers ein Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung und einem statisch wirksamen Achsenknick anzunehmen ist, der mit einer MdE von 10 bis 20 zu bewerten ist. Wegen der Versteifung im Segment Th12/L1 ist der entsprechende Segmentwert von 3,6 mit 3 zu multiplizieren, was 10,8 ergibt. Der Segmentwert L1/2, der 3,3 beträgt, muss wegen der Fehlform mit 2 multipliziert werden, was den Wert von 6,6 ergibt. Die Addition der beiden Produkte ergibt den Wert von 17,4 v.H., der auf 20 v.H. aufzurunden ist.

Die hiergegen von Prof. Dr. W. erhobenen Einwände vermögen nicht zu überzeugen. Zunächst trifft es nicht zu, dass Prof. Dr. W. sein Segmentprinzip im vorliegenden Fall unrichtig angewandt hat, da er keineswegs den Wert von 3,6 % für das Segment Th12/L1 verdoppelt und verdreifacht und anschließend addiert hat, sondern in korrekter Weise 2 Segmente angemessen berücksichtigt hat. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.09.2006 hat Prof. Dr. W. ferner dargelegt, dass die von Prof. Dr. W. angegebenen Krümmungswinkel den von ihm angenommenen klaffenden Bandscheibenraum im Segment L1/2 als Ausdruck einer Überbeanspruchung dieses Bewegungssegmentes nicht widerlegen.

Die durch den Bruch des LWK 1 bedingte MdE ist mithin jedenfalls ab September 2003, als die knöcherne Versteifung des Bewegungssegments Th12/L1 eingetreten war, mit 20 v.H. zu bewerten. Für die Zeit vom 01.08.2000 bis September 2003 kann die unfallbedingte MdE - auch für einen Teilzeitraum - entgegen der Auffassung von Prof. Dr. W. im Gutachten vom 02.06.2006 nicht höher eingeschätzt werden. Wie er selbst ausgeführt hat, ist nicht nachvollziehbar, wie sich die Wirbelsäulenbefunde ab Februar 2000 radiologisch entwickelt haben, da sich der Kläger bei den Begutachtungen im K.hospital S. und im St. E. Krankenhaus R. nicht hat röntgen lassen. Auch bei der ersten Begutachtung in T. im Jahr 2003 wurden offensichtlich keine Röntgenaufnahmen angefertigt. Wie Prof. Dr. W. auf Seite 9 seines Gutachtens selbst ausführt, war nach der - allerdings nicht sehr zuverlässigen - Befundbeschreibung im ersten Rentengutachten vom 31.07.2000 ein höherer MdE-Satz als 20 v. H. nicht vertretbar. Unter diesen Umständen hält es der Senat nicht für zulässig, unter Rückgriff auf die "orthopädisch-unfallchirurgische Erfahrung" ohne befundmäßige Absicherung bis zum Ablauf des ersten Unfalljahres einen MdE-Satz von 30 v.H. zu bejahen.

Unfallfolgen von Seiten des HNO-ärztlichen Gebiets sind nicht anzuerkennen und bei der MdE nicht zu berücksichtigen. Zutreffend hat die Beklagte unter Hinweis auf die Gutachten von Prof. Dr. P. vom 07.10.1991 und von Dr. L. vom 18.10.1995 darauf hingewiesen, dass der Kläger schon damals über Schwindelerscheinungen geklagt hat. Damit steht fest, dass evtl. heute noch vorhandene Schwindelbeschwerden in keinem Ursachenzusammenhang mit dem Arbeitsunfall vom 02.02.2000 stehen. Ebenso wenig wie das SG sieht der Senat im Übrigen im Hinblick auf das Gutachten von PD Dr. R. vom 29.08.2000 mit der Ergänzung vom 24.01.2001 und im Hinblick auf die Ausführungen von Dr. S. vom 04.06.2002 einen Anhaltspunkt dafür, dass Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet vorliegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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