S 11 KA 72/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 72/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 9/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Gerichtskosten. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Honorarbescheide für die Quartale III/03 bis I/05.

Die Klägerin ist Fachärztin für Augenheilkunde mit Praxissitz in A-Stadt. Mit Schreiben vom 11.05.2004, 10.11.2004, 13.01.2005, 02.05.2005, 31.05.2005 und 06.10.2005 legte sie jeweils Widerspruch gegen die Honorarbescheide für die Quartale III/03, I/04, II/04, III/04, IV/04 und I/05 ein. Das Abrechnungs- und Honorarergebnis der jeweiligen Quartale ist der folgenden Tabelle zu entnehmen:

Quartal
Punktzahlgrenze 2002 Primärkasse
Punktzahlgrenze 2002 Ersatzkasse
Punktzahlüberschreitung Primärkasse
Punktzahlüberschreitung Ersatzkasse
Klägerisches Nettohonorar
Durchschnittshonorar der Fachgruppe
anerkanntes Volumen in %"

III/03 604.385,50 620.544,70 298.289,50 310.185,30 48.283,62
46.907,78 rund 66,8
I/04 616.278,80 705.256,40 403.501,20 278.903,60 52.672,16 52.083,55 rund 65,9
II/04 679.548,90 714.403,10 214.781,10 151.886,90 57.379,87 51.642,87 rund 79,1
III/04 604.385,50 620.544,70 233.864,50 214.585,30 45.880,33 43.849,59 rund 73,2
IV/04 773.970,50 767.504,80 477.299,50 533.695,20 61.734,02 48.873,89 rund 60,3
I/05 616.278,80 705.256,40 217.916,20 110.243,60 49.143,46 46.694,44 rund 80,1

In den Quartalen I/97 bis einschließlich III/02 führte sie ihre Einzelpraxis in Praxisgemeinschaft mit Frau Dr. C ...

Zur Begründung ihrer Widersprüche trägt sie vor, dass während der Zeit der Praxisgemeinschaft mit Frau Dr. C. die abgerechnete Scheinzahl deutlich abgesunken sei. Die Fallzahl von Frau Dr. C. habe etwa dem Rückgang ihrer eigenen Fallzahl entsprochen. Nach Beendigung der Praxisgemeinschaft im Quartal III/02 hätte die Fallzahl dann wieder den ursprünglichen Wert erreicht. Dies führe im Ergebnis dazu, dass die Fallzahlen aus der Zeit der Praxisgemeinschaft keinen validen Maßstab für die Quartale III/03 ff. darstellen könnten. Vielmehr seien diese an den Fallzahlen vorangegangener Quartale zu orientieren. Darüber hinaus weise die Praxis Besonderheiten auf, wie beispielsweise die ambulanten Operationen mittels Laser (GO-Nr. 1364 und 1365 EBM ’96) sowie die Glaukomtherapien, die einen Vergleich mit den restlichen augenärztlichtätigen Kollegen nicht erlaubten. Diese Besonderheiten rechtfertigten eine Einzelbetrachtung der Praxis, die zwingend zu einer Nichtanwendbarkeit der Honorarbegrenzung nach Anlage 3 zu Leitzahl 702 HVM führen müsse. Vor diesem Hintergrund habe der Vorstand auf der Grundlage der allgemeinen Härteklausel des HVM eine Einzelfallregelung treffen müssen.

Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 19.09.2007 zurück. Die Maßnahme des sogenannten Individualbudgets sei korrekt gemäß der in Anlage 3 zur Leitzahl 702 HVM enthaltenen Vorgaben durchgeführt worden. Die geltend gemachten ambulanten Operationen mittels Laser würden wie auch die Glaukomtherapien von einer ausreichenden Anzahl der augenärztlichen Kollegen erbracht, so dass insoweit nicht von Praxisbesonderheiten ausgegangen werden könne. Außerdem lasse die geringe Anzahl der abgerechneten Leistungen nach den GO-Nr. 1364 und 1365 EBM ’96 nicht auf eine Besonderheit bzw. einen Praxisschwerpunkt schließen. Desweiteren sei festzustellen, dass neben der klägerischen 16 weitere Augenärzte (ohne Berücksichtigung der Gemeinschaftspraxen) in A-Stadt Innenstadt zugelassen seien, sodass die augenärztliche Versorgung hier sichergestellt sei. Da das klägerische Honorar in sämtlichen Quartalen oberhalb des Fachgruppendurchschnitts gelegen habe, könne auch eine Sonderregelung im Hinblick auf die Rechtssprechung des Bundessozialgerichts nicht in Anspruch genommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage vom 29.02.2008. Die Klägerin rügt zunächst einen Begründungsmangel des Widerspruchsbescheides. Inhaltlich trägt sie vor, dass die tatgegenständlichen Honorarbescheide gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstießen. Es sei für sie unzumutbar, an die Fallzahlen aus dem Jahre 2002 - zur Zeit der Praxisgemeinschaft - anzuknüpfen. Es hätten insoweit keine vergleichbaren Praxisstrukturen vorgelegen, so dass ein Vergleich mit der Zeit der Praxisgemeinschaft nicht hätte vorgenommen werden dürfen. Das Patientenklientel rechtfertige insoweit eine Sonderregelung, als vorwiegend chronisch erkrankte Personen, die einer intensiven und umfangreichen medizinischen Behandlung bedürften, versorgt würden. Das Patientenklientel bestehe zu 47% aus Rentnern und Pseudorentnern, was gegenüber den Vergleichspraxen eine Steigerung von 10% bedeute. Die Laserkoagulation der Ziffer 1364 würden ausschließlich von 106 der 311 Augenarztpraxen erbracht, die Ziffer 1365 EBM ’96 von 65 dieser Praxen. Auch die im Vergleich zur Fachgruppe gesteigerte Abrechnungshäufigkeit für die Ziffern 1241, 1220, 1227 und 1251 begründeten ein atypisches Leistungsspektrum. Die Klägerin trägt weiter vor, dass sie ca. 500 Schielkinder im Quartal behandele, die auch nach der Trennung von Frau Dr. C. geblieben seien. Diesen Kindern sei nicht zuzumuten gewesen, die Sehschule zu wechseln.

Die Klägerin beantragt,
die Honorarbescheide vom 23.03.2004, 23.08.2004, 08.11.2004, 23.03.2005, 28.04.2005 und 15.08.2005, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2007, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie über die Honorarforderung für die streitgegenständlichen Quartale unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, der HVM sehe keine Möglichkeit vor, Bezugsquartale außerhalb der Jahre 2002, bzw. ausnahmsweise 2001, der Abrechnung zugrunde zu legen. Ein Härtefall liege im Hinblick auf das anerkannte Honorar nicht vor. Inwieweit der Wegzug von Frau Dr. C. zu einem Fallzahl- und Honorarrückgang für die Klägerin geführt habe, sei unaufgeklärt. Es sei zunächst denkbar, dass Frau Dr. C. Patienten der Klägerin in deren Einvernehmen übernommen habe, so dass die Klägerin den Umfang ihrer eigenen Tätigkeit habe reduzieren können. Insoweit trage die Klägerin selbst die Verantwortung für die rückläufigen Fallzahlen. Darüber hinaus sei denkbar, dass Frau Dr. C. der Klägerin Patienten "abgezogen" habe. Insoweit stelle sich die Situation nicht anders dar, als auf dem freien Ärztemarkt. Die Klägerin müsse die wirtschaftlichen Konsequenzen der Konkurrenzsituation tragen. Ähnlich sei es zu beurteilen, wenn Frau Dr. C. dazu beigetragen hätte, dass Patienten ausblieben. Auch dies liege im eigenen Risiko der Klägerin. Darüber hinaus stellten sich die Fallzahlschwankungen nicht als derart gravierend dar. Diese ergeben sich aus der folgenden Tabelle:

Quartal Fallzahlen Klägerin (EK und PK)
I/95 2.246
II/95 2.268
III/95 1.921
IV/95 2.194
I/96 2.276
II/96 2.445
III/96 2.151
IV/96 2.074

Praxisgemeinschaft Frau Dr. C. Quartal Fallzahl Klägerin (EK und PK) I/00 2.138
I/01 2.185
I/02 2.197
II/02 2.346
III/02 2.146

Aufnahme der Tätigkeit in Einzelpraxis
IV/02 2.520
I/03 2.696
III/03 2.520
I/04 2.486
II/04 2.272
III/04 2.134
IV/04 3.289
I/05 2.230
I/06 2.149
I/07 1.954

Die Maßnahme der Individualbudgetierung setze darüber hinaus an zurückliegendem eigenen Abrechnungsverhalten an. Somit seien in den Abrechnungswerten des Jahres 2002 bereits die individuellen Besonderheiten enthalten und die Klägerin werde genau an diesen Verhältnissen gemessen. Eine Änderung des Leistungsspektrums im Vergleich zum Bezugsquartal sei jedenfalls nicht eingetreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten sowie des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Psychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Psychotherapeuten handelt (§ 12 Abs.3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Honorarbescheide für die Quartale III/03 und I/04 bis I/05, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.Januar 2008, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf eine Anhebung der Honorare.

Zur Begründung verweist das Gericht zunächst nach § 136 Abs. 3 SGG auf die Gründe des Widerspruchsbescheides, die weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht zu beanstanden sind, insbesondere im Hinblick auf die zugrunde liegenden Rechtsgrundlagen.

Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass der Widerspruchsbescheid nicht dem Begründungserfordernis des § 35 Abs. 1 SGB X hinreichend Rechnung trägt. Im Gegenteil wurden alle von der Klägerin ins Feld geführten Argumente gewürdigt und bewertet.

Die Klägerin erfüllt auch keinen Ausnahmetatbestand zur Maßnahme der Individualbudgetierung im HVM. Nach Ziffer 3 kann im begründeten Ausnahmefall (Urlaub, Krankheit etc.) eine Sonderregelung dahingehend erwirkt werden, dass anstelle des entsprechenden Vergleichsquartals aus dem Jahre 2002 als Referenzquartal das entsprechende Quartal des Jahres 2001 zugrunde gelegt wird. Diese Möglichkeit ist jedoch nicht im Sinne der Klägerin, da sie Bezugsquartale aus der Zeit vor Gründung der Praxisgemeinschaft heranziehen möchte. Dies sieht der HVM jedoch nicht vor. Auch kann die Rechtsprechung des BSG zur unterdurchschnittlich abrechenden Praxen vorliegend nicht zur Anwendung kommen, weil das Nettohonorar der Klägerin in allen streitgegenständlichen Quartalen jeweils über dem Durchschnittshonorar der Fachgruppe gelegen hat. Auch die darüber hinausgehende im HVM vorgesehene Möglichkeit, eine Sonderregelung im Sinne einer Härtefallregelung zu treffen, bestand vorliegend nicht, weil kein begründeter Ausnahmefall vorlag. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts zunächst aus der Fallzahlstatistik, die nur kurzfristig einen leichten Anstieg der Fallzahlen auf um die 2500 Fälle in den Quartalen III/03 und I/04 ausweist. Bereits in den Quartalen II/04, III/04 und I/05 hatte die Klägerin ihre Fallzahlen wieder durchschnittlich auf das Niveau aus dem Jahr 2002 abgesenkt. Die Fallzahl des Quartals IV/04 mit 3.289 Fällen stellt insoweit einen einmaligen Ausrutscher dar. Darüber hinaus kommt auch im Hinblick auf das Leistungsspektrum keine Sonderregelung in Betracht. Dies gilt sowohl für die ambulanten Operationsleistungen nach den Ziffern 1364 und 1365, als auch für die von der Klägerin ins Feld geführten Ziffern 1220, 1227, 1241 und 1251 EBM ’96. Insoweit hat die Beklagte völlig zutreffend darauf hingewiesen, dass die Maßnahme der Individualbudgetierung an zurückliegendem eigenen Abrechnungsverhalten anknüpft und damit in den Abrechnungswerten des Bezugsquartals bereits die individuellen Besonderheiten enthalten sind, an denen die Klägerin auch zu messen ist. Schließlich rechtfertigt auch die Behandlung von Schielkindern keine anderweitige Beurteilung, da es sich bei der Sehschule um sogenannte Igl-Leistungen handelt, die außerhalb des Individualbudgets vergütet werden.

Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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