L 9 U 5598/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 6091/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 5598/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. November 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Feststellung von Folgen eines Arbeitsunfalles sowie die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der 1949 geborene Kläger erlitt am 03.06.2002 einen Arbeitsunfall, bei seiner Tätigkeit als Zimmermannsgehilfe auf dem Bau. Während er mit einer Schaufel grub, wurde er von einem Bagger am Kopf getroffen und stürzte infolgedessen in einen Kanal.

Bei der Untersuchung nach dem Unfall wurden die Diagnosen einer Schädelprellung und einer Commotio labyrinthi rechts gestellt. Der Kläger sei nach dem Unfall fraglich kurz bewusstlos gewesen; er habe nicht erbrochen. Die Röntgenuntersuchung des Schädels ergab keinen Befund (Durchgangsarztbericht vom 05.06.2002 und Begleitblatt für Schädel-Hirn-Verletzte vom 06.06.2002 von Dr. O., Kreiskrankenhaus B.).

Zur weiteren Abklärung wurde der Kläger an den HNO-Arzt Dr. S. überwiesen. Dieser berichtete unter dem 05.08.2002, er habe beim Kläger eine druckschmerzhafte Schwellung rechts tempoparietal und inframastoidal, aber keinen Anhalt für eine Fraktur festgestellt. Das Tonaudiogramm habe eine annähernd symmetrische mittelgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit ergeben. Der Kläger habe einen pfeifenden Tinnitus rechts mehr als links angegeben. Die neurootologischen Untersuchungen hätten keine pathologischen Befunde ergeben. Bei weiteren Untersuchungen am 06.06., 11.06., 25.06. und 31.07.2002 habe der Kläger einen ansteigenden Tinnitus beidseits angegeben. Die jeweils erhobenen Befunde seien im wesentlichen unverändert geblieben. Dr. S. hielt den vom Kläger angegebenen beidseitigen Tinnitus sowie die beidseits symmetrische, mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit für unfallunabhängig. Am 23.08. 2002 begab sich der Kläger in die Behandlung des HNO-Arztes Dr. O., der unter dem 02.09.2002 berichtete, beim Kläger liege ein peripherer vestibulärer Schwindel bei Zustand nach Commotio cerebri und ein Tinnitus aurium vor.

Die Weiterbehandlung des Klägers fand durch den Facharzt für Orthopädie Dr. A. statt. Dieser diagnostizierte eine nicht dislozierte Fraktur distaler Radius rechts (Bericht vom 11.06.2002), welche mit einer Unterarmgipsschiene versorgt wurde. Dr. A. teilte der Beklagten mit Schreiben vom November mit, der Kläger habe angegeben, am 10.06.2002 auch das rechte Handgelenk verletzt zu haben. Nach intensivem Befragen des Klägers und nach dem neurologischen Befund handele es sich jedoch eher um eine alte knöcherne Läsion aus dem Jahr 2000. Die augenärztliche Untersuchung am 14.06.2002 durch Dr. F. erbrachte den Befund eines z.A. Contusio bulbi rechts bei Contusio und Commotio cerebri (Bericht vom 17.06.2002). Im Zwischenbericht vom 15.07.2002 führte die Ärztin für Allgemeinmedizin Frau Dr. I. aus, der Kläger sei rechts schwerhörig, es bestünden ein Tinnitus aurium rechts nach dem Unfall, Schwindelanfälle und anhaltende Kopfschmerzen.

Die neurologisch-psychiatrische Abklärung der Beschwerden des Klägers erbrachte die Diagnosen eines diskreten Carpaltunnelsyndroms rechts, HWS-Syndroms, C6/C7-Syndrom rechts, eines vertebragenen Kopfschmerzes, eines Tinnitus, einer psycho-vegetativen Dystonie und den Ausschluss einer Vertebralis- und Carotisdissektion (Bericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. vom 19.08.2002). In der Folgezeit berichtete Dr. P. über eine beim Kläger aufgetretene Somatisierungsstörung (Schreiben vom Januar 2003).

Nach Beiziehung von Vorerkrankungsverzeichnissen veranlasste die Beklagte auf mehreren Fachgebieten Begutachtungen des Klägers.

Für das unfallchirurgische Fachgebiet führte Prof. Dr. W. von der Berufsgenossenschaftlichen (BG) Unfallklinik T. im Gutachten vom 16.04.2003 aus, der Unfall vom 03.06.2002 habe zu einer commotio cerebri und einer Handgelenksdistorsion rechts geführt. Auf unfallchirurgischem Gebiet lägen keine unfallbedingten Folgen mehr vor. Unfallunabhängig bestünden ein Carpaltunnelsyndrom (rechts) und endgradige Schmerzen bei Bewegung im Bereich der Halswirbelsäule (HWS). Dem Gutachter lagen u.a. ein in der Praxis Drs. K. und K. am 05.06.2002 durchgeführtes Schädel-CT (kein Nachweis einer intracerebralen Blutung, kein Nachweis einer ossären Läsion) und ein am 11.06.2002 durchgeführtes MRT des Schädels vor (kein intracerebraler Herdbefund, kein Hinweis auf Akustikus-Neurinom) vor.

Eine neurologische Begutachtung erfolgte durch Prof. Dr. S. (mit fachpsychologischer Begutachtung durch Dipl.-Psych. N.). Prof. Dr. S. führte in seinem Gutachten vom 10.07.2003 aus, die durch den Arbeitsunfall vom 03.06.2002 erlittene Schädelprellung mit Gehirnerschütterung sei in der Zwischenzeit ausgeheilt. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit auf neurologischem Fachgebiet sei mit einer Dauer von sechs Wochen anzunehmen. Eine messbare MdE liege auf neurologischem Fachgebiet nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit nicht mehr vor.

Auf HNO-ärztlichem Fachgebiet erstattete Prof. Dr. Z. von der Universitäts-HNO-Klinik T. das Gutachten vom 07.10.2003. Die vorliegende Schwerhörigkeit sei nicht auf das Unfallereignis vom 03.06.2002 zurückzuführen, da rechts kein stärkerer Hörverlust als links vorliege. Außerdem seien andere Ursachen, wie z.B. Lärm, als Ursache für die Schwerhörigkeit bzw. den Tinnitus nicht auszuschließen. Hinsichtlich der vom Kläger geäußerten Schwindelbeschwerden habe sich bei der Gleichgewichtsprüfung kein Hinweis auf das Vorliegen einer peripheren vestibulären Schädigung gefunden.

Prof. Dr. W. von der BG-Unfallklinik T. teilte am 25.11. 2003 mit, unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit habe ab dem Unfalltag für die Dauer von sechs Wochen bestanden.

Mit Bescheid vom 12.12.2003 lehnte die Beklagte hierauf die Gewährung von Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalles ab. Der Unfall habe zu einer Gehirnerschütterung und einer Handgelenksverstauchung rechts geführt. Über die sechste Woche nach dem Unfall hinaus seien Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit auf unfallfremde Erscheinungen zurückzuführen. Die bestehenden formverbildenden Veränderungen im Bereich der HWS, die Innenohrschwerhörigkeit und die Ohrgeräusche sowie das Carpaltunnelsyndrom rechts seien keine Unfallfolgen.

Seinen hiergegen erhobenen Widerspruch vom 22.12.2003 begründete der Kläger damit, seine behandelnde Ärztin Dr. I. habe festgestellt, nach dem Arbeitsunfall sei es zu einer plötzlichen Erhöhung des Blutdruckes und der Zuckerwerte gekommen. Außerdem bestünden seither Schwerhörigkeit, massives Ohrensausen, Schwindelanfälle, Angstzustände, Schaflosigkeit und Depressionen. Nach Ansicht der Ärztin seien diese Symptome auf den Arbeitsunfall zurückzuführen, da er zuvor insoweit beschwerdefrei gewesen sei. Außerdem halte Dr. O., welcher seine Muttersprache spreche, seine Beschwerden auf HNO-ärztlichem Gebiet für unfallbedingt. Da er sich vor dem Unfallereignis weder in HNO-ärztlicher Behandlung befunden noch Probleme mit Ohrgeräuschen oder Schwerhörigkeit gehabt habe, spreche dies für eine Verursachung durch den Unfall. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage mindestens 25 v.H. Der Kläger legte die Schreiben der Dr. I. vom 07.04.2004 und des Dr. O. vom 17.05.2004 der Beklagten vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 13.09.2004 Klage zum Sozialgericht Stuttgart, mit der er seinen Rentenanspruch weiterverfolgte. Unmittelbar nach dem Arbeitsunfall sei ärztlicherseits eine Verletzung des Gehörganges diagnostiziert worden und auch unmittelbar danach seien die Ohrgeräusche sowie die Schwerhörigkeit aufgetreten. Er habe bei der medizinischen Erstversorgung im Kreiskrankenhaus B. die Ohrgeräusche angegeben, weshalb eine Überweisung zum HNO-Arzt erfolgt sei. Sonstige traumatische Ereignisse, die den Tinnitus hervorgerufen haben könnten, hätten nicht stattgefunden. Die gutachterliche Beurteilung des Prof. Dr. Z., wonach bei einem Schlag gegen die rechte Seite des Kopfes die Schwerhörigkeit rechts stärker ausgeprägt sein müsste als links, werde nicht wissenschaftlich belegt. Im Übrigen sei der Hörverlust links nicht signifikant höher als rechts. Ferner werde nicht erörtert, ob eine Commotio labyrinthi folgenlos ausheile oder zu bleibenden Hörschäden führen könne. Der Gutachter habe den Kläger nicht nach Lärmbelastungen im beruflichen und privaten Bereich befragt. Das Gutachten sei daher unvollständig. Ferner fehlten Ausführungen zu der Frage, ob unter Berücksichtigung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr dafür als gegen die Beurteilung der Schwerhörigkeit und des Tinnitus als Unfallfolge spreche und inwiefern berufsbedingter Lärm Ursache für die Beschwerden sein könne. Soweit Prof. Dr. Z. die MdE mit 25 v.H. angebe, sei zu berücksichtigen, dass aufgrund der mangelnden Deutschkenntnisse beim Kläger ein Sprachaudiogramm nicht habe in verwertbarer Form erstellt werden können. Außerdem finde sich im "Internet Online-Dienst für Ärzte und Apotheker" unter dem Stichwort "Commotio labyrinthi" der Hinweis, dass diese zu Schwindel, Tinnitus, Schwerhörigkeit und Kopfschmerzen führen könne.

Mit Urteil vom 10.11.2005 wies das SG die Klage ab. Bei einer Gesamtwürdigung der Gutachtenslage, wobei die im Verwaltungsverfahren tätig gewordenen Gutachter dem Gericht aus jahrelanger Zusammenarbeit als erfahrene Fachgutachter bekannt seien, ergebe sich, dass der Gesundheitszustand des Klägers in erster Linie durch eine Reihe gesundheitlicher Beeinträchtigungen, wie z.B. Wirbelsäulenbeschwerden, beidseitige Schwerhörigkeit und Tinnitus geprägt sei, welche nicht in dem erforderlichen ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen vom 03.06.2002 stünden. Zwar sei von den behandelnden Ärzten verschiedentlich ein Ursachenzusammenhang angenommen worden. Demgegenüber seien jedoch die Fachgutachter nach Kenntnis der umfangreichen und komplexen Befundunterlagen zu fachlich fundierten anderen Ergebnissen gelangt.

Gegen das am 30.11.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.12.2005 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, da er erst seit dem Schlag der Baggerschaufel gegen seine rechte Kopfseite an Innenohrschwerhörigkeit und Tinnitus leide, sei hinreichend wahrscheinlich, dass dieser Schlag hierfür ursächlich sei. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte es insoweit nicht bedurft. Bei Dr. O. handle es sich um einen Arzt mit jahrzehntelanger Erfahrung, der als Chefarzt der Unfallchirurgie überregional für seine große Sorgfalt geschätzt sei. Die Diagnose Commotio labyrinthi rechts habe er auf dem Formblatt unter der Rubrik "schon einwandfrei zu stellen" vermerkt. Auch der Umstand, dass nach dem Unfall eine Contusio bulbi rechts festgestellt worden sei, stelle einen Hinweis auf die Wucht des Schlages gegen die rechte Kopfseite dar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. November 2005 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anerkennung einer Innenohrschwerhörigkeit und eines Tinnitus beidseits nach Commotio labyrinthi rechts als weitere Folgen des Arbeitsunfalles vom 03.06.2002 Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat den Kläger auf die Ausführungen von Dr. H. im Aufsatz "Neurologische und psychosomatische Aspekte bei der Begutachtung des Tinnitus" (Med Fach 100 (2004), S. 5) hingewiesen. Danach sei allein eine Commotio cerebri oder nur eine Schädelprellung und selbst eine unkomplizierte Kalottenfraktur ohne Beteiligung der Schädelbasis nicht als Ursache eines Tinnitus anzunehmen.

Am 21.07.2006 ist ein Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten durchgeführt worden.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten des Sozialgerichts Stuttgart und die Senatsakten.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da beim Kläger weder weitere Unfallfolgen anzuerkennen sind noch dieser die Gewährung einer Verletztenrente beanspruchen kann.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles - hier eines Arbeitsunfalles im Sinne des § 8 SGB VII - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.

Voraussetzung für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles ist u.a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der eingetretenen bzw. bestehenden Gesundheitsstörung. Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretenen Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem zum Unfall führenden Verhalten zwischen diesem und dem Unfallereignis sowie den geltend gemachten Gesundheitsstörungen ist ein Ursachenzusammenhang im Sinne der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung" Voraussetzung. Nach dieser Kausalitätslehre sind unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen als Ursache oder Mitursache anzusehen, die nach der Auffassung des praktischen Lebens im Verhältnis zu anderen Bedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Kommt einem dieser Umstände gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist er allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn. War hingegen ein Umstand nur eine von mehreren Bedingungen, hat er den Gesundheitsschaden jedoch nicht wesentlich mitbewirkt, ist er nicht Ursache im Rechtssinn, sondern lediglich eine rechtlich bedeutungslose (Gelegenheits)-Ursache (BSGE 54, 184, 185 und BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 13).

Für die Beurteilung des Grades der unfallbedingten MdE kommt es nicht auf den Umfang der nach einem Unfall verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten im erlernten Beruf oder in der vor einem Arbeitsunfall ausgeübten Tätigkeit an, vielmehr bemisst sich die MdE nach den auf dem Gebiet des Erwerbslebens verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten. Der Grad der MdE ist dabei zu schätzen. Bei dieser Schätzung ist nicht entscheidend, welche Diagnosen im Einzelnen zu stellen sind, sondern wie sich vorhandene unfallbedingte Krankheitszustände funktionell auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten auswirken. In diesem Zusammenhang sind im Rahmen der Beweiswürdigung schlüssige ärztliche Bewertungen im Gutachten zu berücksichtigen, ohne dass die Gerichte an sie gebunden wären. Daneben sind bei Festlegung der MdE die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem unfallrechtlichen bzw. unfallmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um in der täglichen Praxis eine gerechte und gleichmäßige Bewertung von parallel gelagerten Sachverhalten zu gewährleisten (BSG SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.).

Die Beklagte hat in den mit der Klage angefochtenen Bescheiden zutreffend ausgeführt, dass der streitgegenständliche Unfall zu einer Gehirnerschütterung und einer Handgelenksverstauchung rechts mit einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit für längstens sechs Wochen nach dem Unfall geführt hat und dass keine weiteren Unfallfolgen vorliegen, insbesondere die Innenohrschwerhörigkeit und die Ohrgeräusche nicht unfallbedingt sind. Dies ergibt sich auch zur Überzeugung des Senats aus den von der Beklagten eingeholten Gutachten auf neurologischem, HNO-ärztlichem und unfallchirurgischen Fachgebiet, welche im Wege des Urkundsbeweises auch im Verfahren vor dem LSG verwertet werden.

Der Nachweis einer unfallbedingten Commotio labyrinthi rechts - also eines stumpfen Innenohrtraumas ohne ohrnahe Fraktur (vgl. Schönberger/Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und berufskrankheit, 7. Auflage, S. 404) -, auf welche der Kläger die von ihm geltend gemachten Unfallfolgen zurückführt, kann nach den insgesamt vorliegenden Unterlagen nicht als erbracht gelten. Zwar wurde diese Diagnose von Dr. O. im Bericht vom 05.06.2002 und als Verdachtsdiagnose im Begleitblatt für Schädel- und Hirnverletzte vom 06.06.2002 neben der Verdachts-Diagnose Schädelprellung aufgeführt. Dieser Diagnosestellung gingen aber lediglich eine Ohrenspiegelung rechts, welche beim Kläger Schmerzen verursachte, nicht aber spezifische HNO-ärztliche Untersuchungen voraus. Diese wurden vielmehr von Dr. O. erst veranlasst, wie sich aus dem Durchgangsarztbericht ergibt. Dr. S., der die erforderlichen Untersuchungen am Unfalltag und jeweils am 06.06., 11.06., 25.06. und 31.07.2002 durchführte, konnte aber bei den Ohrspiegelungen und insbesondere bei den neurootologischen Untersuchungen keine pathologischen Befunde erheben. Es zeigte sich unter Frenzelbrille kein - sicherer - Spontan-, Lage- oder Lagerungsnystagmus und bei der kalorischen Prüfung zeigten die beiden Vestibularorgane eine seitengleiche Erregbarkeit (Bericht vom 05.08.2002). Dr. S. hielt den vom Kläger angegebenen ansteigenden beidseitigen Tinnitus sowie die vorhandene beidseits symmetrische, mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit für unfallunabhängig. Die Diagnose einer Commotio labyrinthi wurde weder von ihm noch von dem weiterbehandelnden Facharzt für HNO-Krankheiten Dr. O. gestellt.

Auch Prof. Dr. Z. stellte diese Diagnose nicht. Die Begutachtung durch ihn auf HNO-ärztlichem Fachgebiet bestätigte die Einschätzung von Dr. S., dass die beim Kläger vorliegende beidseitige Schwerhörigkeit nicht auf das Unfallereignis vom 03.06.2002 zurückgeführt werden kann. Wie Prof. Dr. Z. in Übereinstimmung mit der Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7.Auflage, S.404) ausführt, ist im Rahmen der Zusammenhangsbeurteilung die Symmetrie bzw. Asymmetrie des Hörbefundes zu berücksichtigen. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht insbesondere, dass bei einer temporalen bzw. temporo-parietalen Prellung rechts auf dieser Seite ein stärkerer Hörverlust als links bestehen müsste. Ein derartiges Ergebnis erbrachte die HNO-ärztliche Untersuchung des Klägers jedoch nicht. Im Sprachaudiogramm ermittelte sich aus dem einfachen Gesamtwortverstehen beidseits ein Hörverlust von 40%, während sich unter Zugrundelegung des Tonaudiogramms nach der Tabelle von Röser (1980) auf dem rechten Ohr ein Hörverlust von 20% und auf dem linken Ohr von 30% ergab. Hieraus wird deutlich, dass die Schwerhörigkeit des Klägers rechts keinesfalls ausgeprägter als links ist.

Der vom Kläger angegebene Tinnitus lässt sich ebenfalls nicht auf das Unfallereignis vom 03.06.2002 zurückführen. Übereinstimmend beurteilten Dr. S. und Prof. Dr. Z. den beidseitigen Tinnitus als unfallunabhängig. Dem schließt sich der Senat an. Dieses Ergebnis steht ferner in Einklang mit der medizinischen Einschätzung in der Fachliteratur, auf welche der Senat bereits mit Schreiben vom 13.03.2006 die Beteiligten hingewiesen hat. Nach den Ausführungen von Dr. H. im Aufsatz "Neurologische und psychosomatische Aspekte bei der Begutachtung des Tinnitus" (MedSach 100 (2004), S. 5) können allein eine commotio cerebri oder nur eine Schädelprellung und selbst eine unkomplizierte Kalottenfraktur ohne Beteiligung der Schädelbasis nicht als Ursache eines Tinnitus angenommen werden.

Auch auf dem neurologischen Fachgebiet konnte ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem beidseitigen Tinnitus bzw. der beidseitigen Schwerhörigkeit nicht hergestellt werden. Der objektivierbare neurologische Befund war regelrecht. Insbesondere ergaben sich keine Hinweise für Restfolgen der Gehirnerschütterung oder Hinweise für eine Schädigung des zentralen oder peripheren Gleichgewichtsorganes. Prof. Dr. S. gelangte zu dem Ergebnis, der Kläger habe infolge des Arbeitsunfalles vom 03.06.2002 eine Schädelprellung mit Gehirnerschütterung erlitten, welche lediglich zu einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit von einer Dauer von sechs Wochen geführt habe. Die Ursache der von dem Kläger genannten, angeblich seit dem Unfallereignis bestehenden Schwindelsymptomatik, ist nach den Darlegungen des neurologischen Fachgutachters unklar. Er weist insbesondere darauf hin, dass auch bei der HNO-ärztlichen konsiliarischen Untersuchung im März 2003 (im Rahmen der stationären Behandlung des Klägers in der BG-Unfallklinik Tübingen in der Zeit vom 27.03. bis 24.04.2003) keine Anhaltspunkte für eine Gleichgewichtsstörung festgestellt werden konnten.

Für das unfallchirurgische Fachgebiet hat Prof. Dr. W. im Gutachten vom 16.04.2003 das am 05.06.2002 angefertigte Schädel-CT und das MRT der Schädels vom 11.06.2002 nachbefundet und keinen Nachweis einer intracerebralen Blutung, einer ossären Läsion oder eines intracerebralen Herdbefundes gefunden. Er hat daraus und aus den anlässlich der Begutachtung erhobenen Befunden nachvollziehbar abgeleitet, dass der Kläger eine commotio cerebri erlitten hat, die auf unfallchirurgischen Fachgebiet keine Folgen hinterlassen hat. An der Halswirbelsäule zeigten die Röntgenaufnahmen vom Februar 2003 eine mäßige degenerative Veränderung. Prof. Dr. W. ordnete die vom Kläger geäußerten endgradigen Schmerzen bei Bewegung im Bereich der HWS diesem radiologischen Befund zu und beurteilte ihn als unfallunabhängig.

Das Vorbringen des Klägers, erst seit dem Schlag der Baggerschaufel gegen seine rechte Kopfseite leide er an Innenschwerhörigkeit und Tinnitus, daher sei hinreichend wahrscheinlich, dass der Schlag hierfür ursächlich sei, kann angesichts der genannten gutachterlichen Beurteilungen nicht überzeugen. Auch wenn Beschwerden erst nach einem Unfallereignis auftreten oder subjektiv wahrgenommen werden, besteht nur dann ein ursächlicher Zusammenhang dieser Beschwerden mit dem Unfallereignis, wenn dieses mit Wahrscheinlichkeit in wesentlicher Weise hierfür ursächlich war. Dies ist aber, wie dargelegt, zu verneinen.

Nachdem sämtliche Gutachter zu der auch für den Senat überzeugenden Beurteilung gelangten, dass keine weiteren Unfallfolgen beim Kläger anzuerkennen sind und seine Erwerbsfähigkeit ab dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht in messbarem Umfang durch die erlittene Gehirnerschütterung und die Handgelenksverstauchung rechts beeinträchtigt ist, steht dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 03.06.2002 keine Verletztenrente zu. Soweit nach der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit von sechs Wochen darüber hinaus Arbeitsunfähigkeitszeiten vorlagen bzw. weiterhin vorliegen, sind diese auf unfallfremde Erkrankungen zurückzuführen.

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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