S 12 KA 831/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 831/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 37/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Soweit die (zahn)ärztliche Dokumentationspflicht in erster Linie therapeutischen Zwecken dient, wird sie im Rahmen des Sachleistungsprinzips innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung erweitert und dient auch zum Nachweis einer wirtschaftlichen und ordnungsgemäßen Leistungserbringung.
Fehlt es an einer ausreichenden Dokumentation zum Nachweis einer der Behandlungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses entsprechenden Parodontosebehandlung, so kann die gesamte Behandlung wegen Unwirtschaftlichkeit abgesetzt werden.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat dem Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten und trägt die Gerichtskosten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Sprungrevision zum Bundessozialgericht wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise in 46 Parodontose-Behandlungsfällen im Zeitraum Juni 2005 bis Juni 2006 in Höhe von insgesamt 21.111,61 EUR.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis. Im streitgegenständlichen Zeitraum bestand sie aus drei zur vertragszahnärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt seit Mai 2003 zugelassenen Zahnärzten. Zwischenzeitlich ist für Frau Dr. med. dent. C. Frau D. nachgefolgt.

Die DAK beantragte am 01.06.2006 die Prüfung der PAR-Behandlungen in 17 Behandlungsfällen im Zeitraum Mai 2005 bis März 2006, der BKK Landesverband am 11.07.2006 in 8 Behandlungsfällen im Zeitraum Juni bis Dezember 2005 und die AOK am 11.08.2006 in 24 Behandlungsfällen im Zeitraum Juli 2005 bis Juni 2006.

Der Prüfungsausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Hessen lud die Klägerin zu einer Prüfsitzung am 30.10.2007 unter Beifügung einer Liste mit 49 Behandlungsfällen (AOK: 24 Behandlungsfälle; DAK 17 Behandlungsfälle; BKK acht Behandlungsfälle). An der Prüfsitzung nahm Dr. E. teil.

Mit Bescheid vom 30.10.2007 setzte der Prüfungsausschuss eine Honorarberichtigung in Höhe von 8.237,24 EUR fest. In 16 von 17 Behandlungsfällen DAK-Versicherter setzte er die komplette PAR-Behandlung ab, in dem weiteren Behandlungsfall ergab die Überprüfung keine Beanstandung.

Mit weiterem Bescheid vom 30.10.2007 setzte der Prüfungsausschuss eine Honorarberichtigung in Höhe von 2.321,91 EUR fest. In fünf Behandlungsfällen BKK-Versicherter setzte er die komplette PAR-Behandlung ab, in zwei weiteren Behandlungsfällen nahm er Absetzungen einzelner Leistungen vor.

Mit weiterem Bescheid vom 30.10.2007 setzte der Prüfungsausschuss eine Honorarberichtigung in Höhe von 10.552,46 EUR fest. In allen 24 Behandlungsfällen AOK-Versicherter setzte er die komplette PAR-Behandlung ab.

Gegen alle drei Bescheide legte die Klägerin am 18.04.2008 Widerspruch ein. Sie trug vor, bei der Prüfung durch den Prüfungsausschuss sei es nicht darum gegangen, ob die von der GKV genehmigte und bezahlte Behandlung erfolgreich gewesen sei, sondern ob sich Angriffspunkte in Einzelpositionen ergeben habe, um die Behandlung als nichtvertragsgerecht abstempeln zu können. Die Prüfung könne sich nur auf vertragszahnärztliche Leistungen erstrecken. Im Gegensatz zu den bis Ende 2003 gültigen Richtlinien (Vorbehandlung sei pauschal in der P200 enthalten gewesen) habe man die Vorbehandlung aus dem vertragszahnärztlichen Leistungskatalog (aus Kostengründen) herausgenommen und ganz bewusst als Privatleistung eingeführt. Insofern könne eine Prüfung diesbezüglich nicht erfolgen. Die Forderung bezüglich der Angaben der Daten der Vorbehandlung oder Forderungen nach Erhebung verschiedener Indizes, die Aussagen zur gingivalen/parodontalen Gesundheit erlaubten (API / Quigley-Hein) seien nicht durch die Richtlinien gedeckt. Die Forderung des Prüfungsausschusses nach lehrbuchhaftem Ablauf einer jeden PA-Therapie widerspreche klinischer Realität. Beispielhaft zu nennen sei die Forderung nach "Fehlen von Zahnstein und sonstigen Reizfaktoren". Bei Patienten, denen eine professionelle Zahnreinigung aus ökonomischen Gründen nicht möglich sei, dürfte keine PA-Therapie durchgeführt werden. Den Patienten dürfe aber eine solche Therapie nicht verweigert werden. Allein unter diesem Aspekt seien die Entscheidungen des Prüfungsausschusses in den Fällen inakzeptabel, bei denen bestimmte Fristen und Daten der Vorbehandlung bemängelt würden. In keinem Abschnitt der Richtlinien seien bestimmte Fristen festgelegt. Die Richtlinien überließen den Behandlern die Entscheidung der zeitlichen Abfolge der einzelnen Behandlungsschritte im Rahmen der konservierend-chirurgischen und PA-Therapie. Extraktionen könnten auch in Sitzungen der PA-Therapie erfolgen, bei denen ohnehin anästhesiert werde. Auch spreche nichts dagegen, chirurgische oder konservierende Maßnahmen, die nicht mit der PA-Therapie interferierten (Zahnhalsfüllungen, approximale supragingivale Füllungen, Wurzelreste) im Verlauf der PA Behandlung durchzuführen (Anästhesie!). Der Prüfungsausschuss nehme eine einseitige Interpretation der Richtlinien zum Nachteil des Behandlers vor. Die Wirtschaftlichkeit einer PA-Therapie wäre nur durch eine Erfolgskontrolle durch Nachbegutachtung sinnvoll. Vor Genehmigung einer PA-Therapie bestehe für die gesetzliche Krankenversicherung die Möglichkeit der Vorbegutachtung, wobei die gutachterliche Überprüfung der Vorbehandlungen nach Aktenlage (PA-Status und Röntgenbild) sowie die nachträgliche Prüfung von Prüfungsausschüssen aufgrund von Statistiken, Behandlungsdaten und Röntgenbildern dem Charakter der Erkrankung und den daraus resultierenden Fragestellungen und individuellen Befunden nicht gerecht werde. Wenn die Möglichkeit der klinischen Untersuchung von den Krankenkassen nur spärlich in Anspruch genommen werde, könne dies nicht dem Behandler angelastet werden. Insgesamt widerspreche sie, bis auf wenige Einzelfälle, den Beschlüssen des Prüfungsausschusses. Bestätigt werde sie durch die Ausführung in dem Kommentar von Liebold/Raff/Wissing. Es treffe nicht zu, dass häufig erst am Tag der Planerstellung eine professionelle Zahnreinigung durchgeführt worden sei. Dies sei lediglich bei einem der 49 Patienten der Fall gewesen. Auch in der Kommentierung werde ausgeführt, dass nach supragingivaler Zahnsteinentfernung die Schwellung der Gingiva zurückgehe und vorher subgingivale Ablagerungen nunmehr supragingival lägen. Auch dies sei kein Zeichen einer unzureichenden Vorbehandlung. Sei dies klinisch der Fall, so würden diese Ablagerungen natürlich entfernt werden, unabhängig davon, ob zeitgleich ein PA-Antrag gestellt werde, denn diese supragingivalen Ablagerungen hätten keinen Einfluss auf den bereits pathologischen Taschenbefund. Selbst renommierte Kliniker stellten den grundsätzlichen Sinn einer (supragingivalen) Vorbehandlung in Frage, weil hier nur die gingivale und nicht die parodontale Situation verbessert werden könne. Bei einer vorliegenden Parodontitis seien jedoch nur subgingivale Maßnahmen erfolgreich. Der PSI sei ein Screening-Index, sei also zum Feststellen des Parondontalzustandes geeignet. Wenn der Wert 3 mehrfach erreicht werde und im entzündeten Gebiss dieser Index Schmerzen auslöse, so werde auf weitere, tiefere Sondierungsversuche verzichtet, da die Therapie ohnehin feststehe. Bekannt sei auch, dass in den ein bis zwei Monaten zwischen PSI-Index und Antragsstellung teilweise Verschlechterungen eintreten könnten. Zwischen den Differenzen zwischen dem PSI und Taschentiefen bei Antragstellung bestehe keine Relevanz in Bezug auf die Therapie. Soweit ihr vorgeworfen werde, in einigen Fällen sei es unmittelbar nach der Kürettage erneut zur Zahnsteinentfernung gekommen, sei der Begriff unmittelbar sehr dehnbar. Es dürfte bekannt sein, dass sich bei einigen Patienten mit entsprechendem Mineralgehalt im Speichel Zahnstein, unabhängig von Mundhygiene, innerhalb weniger Wochen bilden könne. Bei sämtlichen Patienten seien die notwendigen Füllungen vor der Antragstellung vorgenommen worden. Lägen allerdings Klasse V-Defekte, Füllungen ohne Einfluss auf die Mundhygiene (ohne Approximalflächen) oder ausgewaschene Füllungen vor, so seien diese aus Wirtschaftlichkeitsgründen während der PA-Therapie durchgeführt worden (teilweise auf Wunsch des Patienten, um eine Doppelanästhesie zu vermeiden und um die daraus resultierende körperliche Belastung zu reduzieren). Wenn eine insuffiziente Füllung den parodontalhygienischen Zustand des Gebisses nicht negativ beeinflusse, so sei eine Füllungstherapie bei PA-Therapie sinnvoll. Die Bezeichnung "kariöser Defekt" sei falsch, da gerade bei PA-Patienten oft Putzdefekte durch Rezessionen vorlägen, ohne jegliche Beteiligung von Karies. Ein nach dem OPG bestehender Verdacht erweise sich klinisch oft als falsch. Da die Vorbehandlung nicht Bestandteil des Kassenvertrages sei, könne nicht auf eine vertragsgerechte Vorbehandlung abgestellt werden. Wenn ein Patient die Entfernung eines Weißheitszahnes verweigere, könne die Konsequenz nicht sein, dass eine medizinisch notwendige PA-Therapie nicht durchgeführt werde. Damit würden größere Schäden schuldhaft provoziert werden. Faktisch bestehe zwar kein Unterschied zwischen Kronenzähnen und natürlichen Zähnen im Bezug auf funktionelle Störungen, der Absetzung der Position 108 in den betroffenen Fällen stimme sie aber zu. Ebenso stimme sie der Absetzung der Positionen 111 für die (wenigen) Nachbehandlungen zu, da die Abrechnung der PA-Pläne durch Mitarbeiterinnen erfolge, kämen hier auch Fehler vor. Ferner nahm sie zu den Einzelfällen Stellung.

Der beklagte Gemeinsame Beschwerdeausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen Hessen lud die Klägerin mit Schreiben vom 07.04.2010 für eine Prüfsitzung am 12.05.2010. Die Klägerin teilte am 23.04.2010 mit, die Frist zur Einreichung der Unterlagen könne sie nicht einhalten. Gleichzeitig bitte sie um Verlegung des Verhandlungstermins auf einen späteren Zeitpunkt. Erst 21 Monate nach Widerspruchseinlegung habe sie die Ladung erhalten. Die Verhandlung könne nicht plötzlich unter großem Zeitdruck stehen. Es stehe eine Gleichbehandlung in dieser Frage beiden Parteien zu.

Die Beklagte wies die Klägerin unter Datum vom 27.04.2010 darauf hin, dass ein ausreichender Grund für eine Verlegung bisher nicht vorgetragen worden sei und verlängerte die Frist zur Vorlage der Unterlagen bis 03.05.2010. An der Verhandlung vor dem Beklagten nahm die Klägerin dann nicht teil.

Mit drei Beschlüssen vom 12.05.2010, jeweils ausgefertigt am 29.09. und der Klägerin am 30.09.2010 zugestellt, gab der Beklagte dem Antrag auf Terminsverlegung nicht statt und wies die Widersprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, der Antrag auf Verlegung des Termins sei abzulehnen gewesen, da den Vertragszahnärzten ein mehr als großzügiger Ladungs- und Vorbereitungszeitraum von fünf Wochen zur Verfügung gestanden habe. Nach der Prüfvereinbarung betrage die Ladungsfrist lediglich zwei Wochen. Zusätzlich sei zu berücksichtigen gewesen, dass in der Praxis mehrere Behandler tätig seien. Die Klägerin habe die angeforderten Unterlagen nicht in einem ausreichenden Maße zur Verfügung gestellt. Ihm hätten lediglich pauschale Auflistungen zur Behandlungsdaten sowie kurze Behandlungsvermerke auf den Patientenlisten vorgelegen. Diese Aufzeichnungen umfassten nur pauschale Bezeichnungen wie "MHU = Mundhygieneunterweisung", "EK = Erfolgskontrolle", "TB = Therapieberatung", "PA-N" etc. Außer diesen Sammelbegriffen fänden sich in den Aufzeichnungen keinerlei Spezifizierungen, welche konkreten Verrichtungen an welchen Zähnen vorgenommen worden seien. Darüber hinaus sei in den zahnärztlichen Unterlagen die Position 4 vermerkt, die aufgrund fehlender weitergehender Dokumentation nicht habe nachvollzogen werden können. Der Vertragszahnarzt sei verpflichtet, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken. Aus den pauschalen Auflistungen der Behandlungsdaten und den Behandlungsvermerken auf den Patientenlisten hätten sich in keinem der geprüften Behandlungsfälle Röntgenbefunde sowie Einträge bezüglich der Therapieart entnehmen lassen. Auch die 01-Befunde seien nicht dokumentiert worden. Er habe die Dokumentation "PA-N" ohne genaue Angaben, welche konkreten Maßnahmen am einzelnen Patienten am jeweiligen Tag erfolgt seien, nicht nachvollziehen können. Die Aufzeichnungen müssten korrekt und lückenlos geführt werden. Im Ergebnis sei es ihm anhand der pauschalen Auflistungen zu den Behandlungsdaten und Behandlungsvermerken auf den Patientenlisten nicht möglich gewesen, von einer Einhaltung der Behandlungsrichtlinien auszugehen. Er habe in allen vorliegenden Behandlungsfällen die komplette PAR-Behandlung einschließlich Begleitleistungen absetzen müssen. Dabei sei zu berücksichtigen gewesen, dass in den Quartalen I/04 bis IV/05 bereits eine pauschale Kürzung im konservierend-chirurgischen Bereich vom Prüfungsausschuss vorgenommen worden sei, so dass er für die konservierend-chirurgischen Begleitleistungen keine Absetzungen mehr ausgesprochen habe. Von einer Komplettabsetzung sah der Beklagte lediglich im Hinblick auf den Grundsatz des Verböserungsverbots ab.

Hiergegen hat die Klägerin am 29.10.2010 die Klage erhoben. Sie hat mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 21.03.2011 vorgetragen, die angefochtenen Beschlüsse seien formell rechtswidrig, da eine ausreichende Anhörung nicht stattgefunden habe. Trotz entsprechenden Antrags habe der Prüfungsausschuss die Sitzung am 30.07.2007 und der Beklagte die Sitzung am 12.05.2010 nicht verlegt. Eine Verletzung der Anhörungspflicht liege vor allem deshalb vor, da der Beklagte nicht auf ihre Argumentation eingegangen sei, sondern neue Einwendungen vorgetragen habe. Es handele sich um einen Austausch der Begründung. In den Ausgangsbeschlüssen habe der behauptete nicht regelgerechte zeitliche Ablauf der Behandlungen im Vordergrund gestanden, während in den Widerspruchsbeschlüssen vor allem die Dokumentation gerügt worden sei. Sie habe sich zu den erstmalig in den Widerspruchsbeschlüssen vorgetragenen Vorwürfen nicht äußern können. Der Beklagte setze sich nicht mit ihrem Vortrag zu den Einzelfällen auseinander. Die Beschlüsse seien auch materiell rechtswidrig. Sie habe richtliniengerecht behandelt. Sie verweise diesbezüglich auf ihre Ausführungen zu den Einzelfällen im Widerspruchsverfahren. Ergänzend weise sie beispielhaft auf die Behandlung der Patienten F. (Fall 2) und G. (Fall 48) hin. Sie ist weiterhin der Auffassung, die Behandlungsrichtlinie gebe keine zwingende Vorgabe für den Zeitraum der Vorbehandlung vor. Auch sei es problematisch, auf die Vorbehandlung abzustellen, da diese eine privatärztliche Leistung sei. Lediglich bei einem Patienten sei am Tag der Planerstellung die professionelle Zahnreinigung durchgeführt worden. Bei mehrfachem Erreichen des PSI-Wertes von 3 könne auf weitere Sondierungsversuche verzichtet werden. Eine erneute Zahnsteinentfernung unmittelbar nach Kürettage treffe nicht zu. Die von ihr vorgelegte Dokumentation genüge den Anforderungen. Nachkontrollen erfolgten ein halbes Jahr nach der PA-Behandlung. Die Behandlungsrichtlinie gebe keine bestimmten zeitlichen Abläufe hinsichtlich der konservierend-chirurgischen Maßnahmen vor. Die Entfernung von Weisheitszähnen könne nur mit Einwilligung des Patienten erfolgen. Der Beklagte habe ihre Abkürzungen bei der Dokumentation verstanden, woraus ebenfalls folge, dass diese ausreichend sei. Der Beklagte verhalte sich widersprüchlich, wenn er einerseits die fehlende Angabe der Zähne bemängele, andererseits aber in der Lage sei, Behandlungsmaßnahmen bestimmten Zähnen zuzuordnen. Selbst bei Beanstandung einzelner Maßnahmen sei es unverhältnismäßig, die gesamte PAR-Behandlung abzusetzen. Der Beklagte lasse außer Acht, dass die Behandlung in fast allen Fällen erfolgreich gewesen sei. Es fehle an Ermessenswägungen hinsichtlich der Höhe des Regresses.

Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der drei Beschlüsse des Beklagten vom 12.05.2010 den Beklagten zu verurteilen, sie über ihre Widersprüche unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 2) bis 8) beantragen übereinstimmend,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, Verfahrensfehler des Prüfungsausschusses könnten nicht geltend gemacht werden, da Verfahrensgegenstand allein sein Beschluss sei. Die Ladung habe die Klägerin fünf Wochen vorher erhalten; die Prüfvereinbarung sehe eine Frist von zwei Wochen vor. Die Ausführungen der Klägerin zu den Einzelfällen im Widerspruchsverfahren erschöpften sich zum großen Teil in allgemeinen Ausführungen, verbunden mit der Zitierung von Kommentarliteratur. Soweit weitergehende Angaben gemacht würden, könnten diese nicht die erforderliche Dokumentation ersetzen.

Die Beigeladenen haben sich schriftsätzlich nicht geäußert.

Mit Beschluss vom 17.11.2010 hat die Kammer die Beiladung ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragszahnärzte und aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragszahnarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Kammer konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der zu 1) beigeladenen Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen verhandeln und entscheiden, weil diese ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 SGG).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Dir drei angefochtenen Beschlüsse des Beklagten vom 12.05.2010 sind rechtmäßig und waren daher nicht aufzuheben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neubescheidung ihrer Widersprüche gegen die Bescheide des Prüfungsausschusses vom 30.10.2007. Die Klage war daher abzuweisen.

Im System der gesetzlichen Krankenversicherung nimmt der an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung teilnehmende (Zahn)Arzt – Vertrags(zahn)arzt - die Stellung eines Leistungserbringers ein. Er versorgt die Mitglieder der Krankenkassen mit (zahn)ärztlichen Behandlungsleistungen, unterfällt damit auch und gerade dem Gebot, sämtliche Leistungen im Rahmen des Wirtschaftlichen zu erbringen. Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, darf er nach dem hier anzuwendenden Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung i. d. F. des GKV-SolG v. 19.12.1998, BGBl. I, 3853 - SGB V - nicht erbringen. Die Krankenkassen und die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung. Über die Frage, ob der Vertrags(zahn)arzt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind, entscheiden die Prüfgremien (§ 106 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 SGB V; vgl. hierzu Urteil des Bundessozialgerichts – BSG - vom 31.07.1991 - 6 RKa 20/90 - BSGE 69, 154 = SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr. 8 = USK 91179, hier zitiert nach juris, Rdnr. 11 ff.).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen die Kammer keine Veranlassung sieht, entfällt die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Parodontose-Behandlung nicht deshalb, weil die jeweilige Krankenkasse die Behandlung genehmigt hat. Soweit ein Verstoß gegen die Parodontose-Richtlinien vorliegt, verkürzt sich sowohl die Aufklärungs- und Beweispflicht des Beklagten als auch der Gerichte. Es braucht dann nicht in jedem Einzelfall bewiesen zu werden, dass die Behandlungsweise des Vertragszahnarztes unwirtschaftlich war. Die Prüfgremien sind dann insbesondere nicht verpflichtet, in jedem Einzelfall zahnärztliche Nachuntersuchungen durchzuführen. Gerade wegen der Schwierigkeit, im Nachhinein die Wirtschaftlichkeit der Parodontose-Behandlung festzustellen, haben die Vertragspartner die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens mit einer Vorabgenehmigung durch die Krankenkasse vereinbart. Die strikte Einhaltung dieses Verfahrens bietet die größte Sicherheit vor unwirtschaftlichen Behandlungen, die im Hinblick auf den hohen Kostenaufwand bei Parodontose-Behandlungen im besonderen Maße vermieden werden müssen. Der Arzt ist grundsätzlich an die Richtlinien gebunden. Das hindert ihn nicht einzuwenden, dass die Richtlinien ganz oder teilweise dem Gesetz widersprechen, dem gegenwärtigen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr entsprechen oder ein Ausnahmefall vorgelegen hat, der ein Abweichen von den Richtlinien rechtfertigt (so BSG, Urt. v. 16.06.1993 - 14a RKa 4/92 - SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr. 18 = SozSich 1994, 230 = USK 93122, hier zitiert nach juris, Rdnr. 19 und 25).

Der Bescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.

Durch die Ladung zur mündlichen Verhandlung des Beklagten hat - unabhängig von der Teilnahme der Klägerin an dieser - eine ausreichende Anhörung stattgefunden (§ 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch, Verwaltungsverfahren - SGB X). Einen zwingenden Vertagungsgrund hatte die Klägerin nicht vorgetragen. Der Beklagte hatte die Klägerin mit Schreiben vom 07.04.2010, bei der Klägerin am 08.04. eingegangen, für eine Prüfsitzung am 12.05.2010, also einen Monat vorher geladen. Erst am 23.04.2010 teilte die Klägerin mit, die Frist zur Einreichung der Unterlagen könne sie nicht einhalten. Gleichzeitig bitte sie um Verlegung des Verhandlungstermins auf einen späteren Zeitpunkt. Als Grund gab sie an, Herr Dr. H. sei wegen seines 60. Geburtstags bis dahin im Urlaub gewesen. Damit war nicht vorgetragen worden, dass Dr. H. oder die übrigen Mitglieder der Klägerin am Termin vor dem Beklagten verhindert wären. Sofern das Vertagungsgesuch mit einem großen Zeitdruck begründet wurde, verlängerte der Beklagte die zunächst bis zum 23.04.2010 gesetzte Frist zur Vorlage der Unterlagen bis zum 03.05.2010. Damit bestand ausreichend Zeit zur Vorlage der Unterlagen und auch zur Vorbereitung der Verhandlung vor dem Beklagten. Die Klägerin hatte auch nicht dargelegt, dass nur Herr Dr. H. allein in der Lage gewesen wäre, die Unterlagen vorzulegen. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, wäre ihm durch die Fristverlängerung hinreichend Zeit verblieben. Soweit die Klägerin die bis dahin lange Verfahrensdauer von 21 Monaten rügte, mag dies ihre Verärgerung begründen, ist dies aber kein Rechtsgrund, den Vorlauf von über einen Monat bis zur Verhandlung weiter zu verlängern. Von daher war die Auffassung des Beklagten, dass ein ausreichender Grund für eine Verlegung nicht vorgetragen worden war, nicht zu beanstanden.

Wegen der ausreichenden Anhörung der Klägerin durch den Beklagten durch das Ladungsschreiben und die Möglichkeit zur Teilnahme an der Verhandlung kommt es auf den weiteren Verlegungsantrag vor dem Prüfungsausschuss nicht an. Im Übrigen hatte Herr Dr. E. an der Prüfsitzung des Prüfungsausschusses teilgenommen.

Der Beklagte war auch nicht verpflichtet, der Klägerin einen Hinweis auf die Komplettabsetzung in allen Fällen wegen mangelnder Dokumentation zu erteilen. Der Beklagte ist im Ergebnis nicht über die Honorarkürzung des Prüfungsausschusses hinausgegangen. Bereits der Prüfungsausschuss hat in fast allen Fällen eine Komplettabsetzung vorgenommen und im Wesentlichen auf die nicht erkennbare vertragsgerechte Vorbehandlung hingewiesen. Damit hatte er hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass es insofern an einem Nachweis und/oder einer ausreichenden Dokumentation fehle. Der Klägerin war dies auch bewusst. So führte sie in ihrer Widerspruchsbegründung unter Datum vom 29.06.2008 bzgl. der DAK-Fälle auf Seite 2 aus, gleichlautend auch in den beiden weiteren Schreiben bzgl. der übrigen Fälle, es müsse festgestellt werden, dass die Forderung bezüglich der Angabe der Daten der Vorbehandlung oder Forderung nach Erhebung verschiedener Indizes, die Aussagen zur gingivalen/parodontalen Gesundheit erlaubten, nicht durch die Richtlinie gedeckt sei. In der mündlichen Verhandlung hat die Kammer auch beispielhaft auf die Ausführungen zum AOK-Fall 1, W. T., hingewiesen. Darin heißt es, da das Gremium nicht alle Vorbehandlungsdaten habe, sei ihr unklar, wie die Mitwirkung des Patienten nach Ansicht des Gremiums beurteilt werden könne. Die Klägerin zitierte weiter die Kommentierung von Liebold u. a. wie folgt: "In diesem Zusammenhang muss noch einmal betont werden, dass Forderungen bezüglich der Angaben von ‚Daten der Vorbehandlung’ oder Forderungen nach Erhebung verschiedener Indices, die Aussagen zur gingivalen/parodontalen Gesundheit erlauben, nicht durch Richtlinien gedeckt sind, gleich ob diese Forderungen von den Krankenkassen oder von Gutachtern erhoben werden". Damit hat die Klägerin bereits im Widerspruchsverfahren klar zum Ausdruck gebracht, sie halte eine vollständige Dokumentation für nicht erforderlich. Soweit sie der Aufforderung des Beklagten in dem Ladungsschreiben vom 07.04.2010, unabhängig von der Teilnahme an der Sitzung im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht sämtliche Aufzeichnungen (Kopie der Originalkartei, Röntgenaufnahmen und ggf. begleitende Dokumente) für den Zeitraum eines halben Jahres vor Erstellung der PAR-Staten bis einschl. eines halben Jahres nach Abschluss der Nachbehandlung zu den in der Anlage namentlich genannten Fälle – das sind die hier strittigen Fälle – nicht nachgekommen ist, so hat die Klägerin dies offenbar mit Inkaufnahme des Risikos getan, es werde nach Aktenlage über ihre Widersprüche entschieden. Eine weitergehende Hinweispflicht traf den Beklagten jedenfalls nicht.

Letztlich entscheidend ist der Umstand, dass der Beklagte der Klägerin die Möglichkeit der persönlichen Anhörung eingeräumt hat. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung im Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren ist nur der Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses (vgl. BSG, Beschl. v. 05.11.2003 - B 6 KA 58/03 B – juris Rdnr. 11 m. w. N.). Wenn der Beschwerdeausschuss seinerseits den betroffenen Ärzten hinreichend Gelegenheit gegeben hat, ihren Standpunkt vorzutragen, ist der Pflicht zur Anhörung hinreichend Genüge getan (vgl. BSG, Beschl. v. 05.11.2003, a.a.O., Rdnr. 112).

Die angefochtenen Beschlüsse sind auch ausreichend begründet. Der Beklagte hat jeweils auf annähernd drei Seiten die Rechtsgrundlagen dargelegt und im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die vorgelegte Dokumentation unzureichend gewesen sei. Von daher brauchte er nicht mehr zu den Einzelbeanstandungen, wie sie noch der Prüfungsausschuss teilweise vorgenommen hatte, und zu den Einwendungen der Klägerin Stellung zu nehmen. Die Auffassung des Beklagten war auch nicht vollständig neu im Verfahren. Bereits der Prüfungsausschuss hatte, wie bereits dargelegt, in seinen Beschlüssen zur Dokumentationspflicht ausgeführt. Im Übrigen kommt es hierauf nicht an, da die Klägerin, wie bereits weiter ausgeführt, Gelegenheit zur persönlichen Anhörung hatte, wovon sie aber keinen Gebrauch gemacht hat.

Der Beklagte hat die Absetzungsfrist für den Bescheid von fünf Monaten eingehalten.

Der Beschluss des Beklagten ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden.

Die Ausschlussfrist ist eingehalten worden.

Es gilt eine vierjährige Ausschlussfrist die dann gewahrt ist, wenn der Bescheid über die Honorarkürzung dem Vertragszahnarzt innerhalb von vier Jahren nach der vorläufigen Honorarabrechnung zugegangen ist (vgl. BSG (Bundessozialgericht), Urt. v. 16.06.1993 – 14a/6 RKa 37/91 - SozR 3-2500 § 106 Nr. 19 = BSGE 72, 271 = NZS 1994, 39 = NJW 1994, 3036 = USK 93121; BSG, Urt. v. 14.05.1997 - 6 Rka 63/95 – SozR 3-2500 § 106 Nr. 39 = USK 97111; BSG, Urt. v. 06.09.2006 – B 6 KA 40/05 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 15 = BSGE 97, 84 = GesR 2007, 174 = USK 2006-114). Die beanstandete Behandlung betrifft den Zeitraum Juni 2005 bis Juni 2006. Die die Ausschlussfrist unterbrechenden Prüfbescheide ergingen am 30.01.2007, also innerhalb weniger als vier Jahren nach der Behandlung und damit erst recht auch weniger als vier Jahren nach der Honorarabrechnung. Von daher kann hier dahinstehen, wann die Honorarabrechnung erfolgt ist. Die vierjährige Ausschlussfrist ist daher gewahrt worden.

Der Beklagte hat die Absetzungen im Wesentlichen damit begründet, dass die vorgelegten Dokumentationen unzureichend gewesen seien. Dies war von der Kammer nicht zu beanstanden. Die Durchsicht der von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen der insoweit fachkundig mit einem Vertragszahnarzt besetzten Kammer hat ergeben, dass eine auch nur annähernd aussagefähige Dokumentation nicht vorgelegt wurde. Die Unterlagen beschränken sich auf den Parodontalstatus, die Abrechnungsscheine mit den Abrechnungsdaten, eine kurze chronologische Auflistung des Behandlungsablaufs ohne nähere Angaben – es werden lediglich die Leistung und der Zahn bezeichnet - und z. T. der Kopie eines Orthopantomogramms. Damit kann auch für einen Zahnmediziner nicht ansatzweise der Behandlungsablauf nachvollzogen werden.

Der Beklagte konnte bei einer fehlenden Dokumentation auf die Unwirtschaftlichkeit schließen. Fehlt es bereits an der Dokumentation, so fehlt es damit bereits an einer Begründung, weshalb Kosten angefallen sind (so bereits SG Marburg, Urt. v. 05.12.2007 - S 12 KA 114/07 – juris Rdnr. 40; Urt. v. 25.11.2009 - S 12 KA 73/09 – juris Rdnr. 48, Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 2/10 -).

Grundsätzlich ist für die Erbringung einer zahnärztlichen Leistung der Vertragszahnarzt als Leistungserbringer nachweispflichtig. Im vertragszahnärztlichen Leistungssystem reicht hierfür im Regelfall der Nachweis durch die Angaben des Vertragszahnarztes auf dem Behandlungsausweis aus. Bestehen allerdings Zweifel an der ordnungsgemäßen und/oder vollständigen Erbringung der Leistung, so ist der Vertragszahnarzt wiederum nachweispflichtig. Ein Mittel für den Nachweis der Leistungserbringung sind seine Aufzeichnungen in der Karteikarte, die auch elektronisch geführt werden kann, oder die angefertigten technischen Aufzeichnungen wie z. B. Röntgenbilder.

Der Zahnarzt ist bereits nach berufsrechtlichen Regelungen grundsätzlich verpflichtet, Befunde und Behandlungsmaßnahmen chronologisch und für jeden Patienten getrennt zu dokumentieren (zahnärztliche Dokumentation) und mindestens zehn Jahre aufzubewahren, soweit nicht nach gesetzlichen Vorschriften andere Aufbewahrungspflichten bestehen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 Berufsordnung der Landeszahnärztekammer Hessen v. 04.06.2005, zit. nach www.lzkh.de/S002DABE8-0062292A.0/BO LZKH neu.pdf, im Folgenden: BO).

Die (zahn)ärztliche Dokumentationspflicht dient der Sicherstellung wesentlicher medizinischer Daten und Fakten für den Behandlungsverlauf. Eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, ist nach Haftungsgrundsätzen auch aus Rechtsgründen nicht geboten (vgl. BGH, Urt. v. 06.07.1999 - VI ZR 290/98 - NJW 1999, 3408 = VersR 1999, 1282, juris Rdnr. 13). Soweit die (zahn)ärztliche Dokumentation primär dem therapeutischen Interesse des Patienten und der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Behandlung bzw. Behandlungsfortführung hinsichtlich der Diagnose und Therapie dient, so bezweckt sie auch die Information sowohl des behandelnden (Zahn-)Arztes, als auch dessen Vertreters im Verhinderungsfall, ebenso sonstiger (Zahn-)Ärzte oder des Pflegepersonals. Für alle kann die Kenntnis vom Zustand des Patienten, der erstellten Diagnose, dem Verlauf der Behandlung und den durchgeführten oder anstehenden Maßnahmen und Medikation relevant sein, um eine fachgerechte Behandlung des Patienten sicherzustellen. Zu dokumentieren sind deshalb die Umstände, die für die Diagnose und Therapie nach medizinischem Standard wesentlich sind und deren Aufzeichnung und Aufbewahrung für die weitere Behandlung des Patienten medizinisch erforderlich sind (vgl. OLG München, Beschl. v. 17.03.2011 1 U 5245/10 - juris Rdnr. 31). In Arzthaftungsprozessen werden dabei an festgestellte Mängel oder Lücken der Behandlungsunterlagen auch beweisrechtliche Folgen geknüpft. Zum einen gilt eine nicht dokumentierte, aber dokumentationsbedürftige Maßnahme bis zum Beweis des Gegenteils durch den Behandler als nicht durchgeführt (vgl. BGH, Urt. v. 29.09.1998 - VI ZR 268/97NJW 1999, 863 = VersR 1999, 190, juris Rdnr. 14 m.w.N.). Zum anderen kann eine fehlende oder mangelhafte Dokumentation den Patienten in derartige Beweisnot bringen, dass eine Beweislastumkehr gerechtfertigt ist. Es gehört zu den Organisationsaufgaben des Behandlers, Unterlagen, die Auskunft über das Behandlungsgeschehen geben, zu sichern (vgl. BGH, Urt. v. 21.11.1995 - VI ZR 341/94 - NJW 1996, 779 = MedR 1996, 215 = VersR 1996, 330, juris Rdnr. 10). Zum dritten gilt auch im Arzthaftungsprozess das Verbot der schuldhaften Beweisvereitelung mit der Folge, dass der Beweis für die benachteiligte Partei als geführt anzusehen ist (vgl. OLG München, aaO., Rdnr. 32).

Soweit diese Dokumentationspflicht in erster Linie therapeutischen Zwecken dient, wird sie im Rahmen des Sachleistungsprinzips innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung erweitert und dient auch zum Nachweis einer wirtschaftlichen und ordnungsgemäßen Leistungserbringung. Die Dokumentationspflichten werden daher im SGB V, in den Bundesmantelverträgen und auch in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) festgelegt und erweitert.

Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und die übrigen Leistungserbringer sind verpflichtet, die für die Erfüllung der Aufgaben der Krankenkassen sowie der Kassenärztlichen Vereinigungen notwendigen Angaben, die aus der Erbringung, der Verordnung sowie der Abgabe von Versicherungsleistungen entstehen, aufzuzeichnen und gemäß den nachstehenden Vorschriften den Krankenkassen, den Kassenärztlichen Vereinigungen oder den mit der Datenverarbeitung beauftragten Stellen mitzuteilen (§ 294 SGB V). Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sind verpflichtet, u. a. in den Abrechnungsunterlagen für die vertragsärztlichen Leistungen die von ihnen erbrachten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung, bei ärztlicher Behandlung mit Diagnosen, bei zahnärztlicher Behandlung mit Zahnbezug und Befunden aufzuzeichnen und zu übermitteln (§ 295 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V).

Nach den Bundesmantelverträgen ist der Vertragszahnarzt verpflichtet, über jeden behandelten Kranken Aufzeichnungen zu machen, aus denen die einzelnen Leistungen, die behandelten Zähne und, soweit erforderlich, der Befund sowie die Behandlungsdaten ersichtlich sein müssen (§ 5 Abs. 1 BMV-Z). Der Vertragszahnarzt hat die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung mit Zahnbezug fortlaufend in geeigneter Weise zu dokumentieren. Die zahnärztlichen Aufzeichnungen und sonstigen Behandlungsunterlagen, Kiefermodelle, ggf. Fotografien, und bei kieferorthopädischen Maßnahmen HNO-Befund, dessen Einholung der Vertragszahnarzt bei Mundatmung veranlassen kann, sind vier Jahre nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren, soweit nicht andere Aufbewahrungsfristen vorgeschrieben sind (§ 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 EKV-Z).

Nach der zum 01.01.2004 in Kraft getretenen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie) vom 4. Juni 2003/24. September 2003, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2003, Seite 24966, in den hier maßgeblichen Teilen nicht geändert, zitiert nach http://www.g-ba.de, gehören zur vertragszahnärztlichen Versorgung die Befunderhebung und Diagnose sowie ihre Dokumentation. Inhalt und Umfang der diagnostischen Maßnahmen sind in zahnmedizinisch sinnvoller Weise zu beschränken (Abschn. B.I.1. Abs. 1 Behandlungsrichtlinie). Weitere Vorgaben werden z. B. hinsichtlich der Dokumentation des klinischen Befunds (Parodontalstatus) (B.V.2. Behandlungsrichtlinie) oder der Röntgenuntersuchungen gegeben; für Röntgenuntersuchungen findet die Röntgenverordnung Anwendung; das gilt auch für die Aufzeichnungspflicht (B.II.5 Behandlungsrichtlinie). Die Röntgenverordnung (Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen, neugefasst durch Bek. v. 30.04.2003, BGBl 2003 I, 604) regelt insb. in § 28 die Aufzeichnungspflichten.

So handelt es sich auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei der Dokumentationspflicht seit jeher um eine jeden Behandler treffende Verpflichtung, die bei der Behandlung eines Patienten gemachten Feststellungen und durchgeführten Behandlungsmaßnahmen zu dokumentieren (vgl. BSG, Urt. v. 07.02.2007 - B 6 KA 11/06 R - SozR 4-2500 § 95c Nr. 2 = GesR 2007, 260-264 = NZS 2007, 609-612 = USK 2007-20, juris Rdnr. 23).

Es obliegt insb. nicht dem einzelnen Vertragszahnarzt zu entscheiden, ob er eine Dokumentation unterlässt, weil es sich um eine vermeintliche Routinemaßnahme handelt. Die Dokumentation muss mindestens so umfassend sein, dass ein anderer Zahnarzt im Einzelnen die Behandlungsmaßnahme nachvollziehen kann (vgl. SG Marburg, Urt. v. 25.11.2009 - S 12 KA 73/09 – juris Rdnr. 49).

Die vollständige Leistungserbringung ist grundsätzlich bereits mit der Abrechnung nachzuweisen (vgl. SG Marburg, Urt. v. 03.06.2009 - S 12 KA 521/08 – juris Rdnr. 27, Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 50/09 -). Ein Vertragszahnarzt ist in zeitlicher Hinsicht darauf beschränkt, seiner Nachweispflicht bis zur Entscheidung der Widerspruchsbehörde nachzukommen. Dies beruht letztlich darauf, dass die Kenntnis solcher möglicherweise entscheidungserheblicher Tatsachen allein in der Sphäre des Vertragszahnarztes liegt, soweit sie nicht offenkundig sind und von Amts wegen erkannt werden können. Bei Zweifeln an der ordnungsgemäßen Leistungserbringung wird der Vertragszahnarzt wieder auf die ursprüngliche Position eines Leistungserbringers zurückgeworfen, auch die ordnungsgemäße Erbringung seiner Leistungen nachzuweisen. Es handelt sich hierbei um ein bloßes Tatsachenvorbringen. Wie im allgemeinen Wirtschaftsleben muss dann der Vertragszahnarzt nachweisen, dass er die Leistung erbracht hat (vgl. zur Wirtschaftlichkeitsprüfung SG Marburg, Urt. v. 25.11.2009 - S 12 KA 137/09 – juris Rdnr. 73, Berufung zurückgewiesen durch LSG Hessen, Urt. v. 07.07.2010 - L 4 KA 99/09 -, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. v. 17.11.2010 - B 6 KA 45/10 B - BeckRS 2010, 75832; zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung s. SG Marburg, Urt. v. 07.07.2010 - S 12 KA 325/09 – juris Rdnr. 46; zum verspäteten Vorbringen in einem Disziplinarverfahren s. SG Marburg, Urt. v. 25.11.2009 - S 12 KA 137/09 – AZR 2007, 108, juris Rdnr. 43).

Die Kammer hat auf dieser Grundlage bisher für den kieferorthopädischen Bereich entschieden, dass, soweit Bänder erneuert werden, in jedem Fall der Kieferbereich anzugeben ist; werden Brackets erneuert, ist der Zahn anzugeben; werden Reparaturen vorgenommen, ist anzugeben, welche Reparatur in welchem Kieferbereich bzw. welchen Zahn betreffend vorgenommen wurde (vgl. SG Marburg, Urt. v. 25.11.2009 - S 12 KA 73/09 -, juris Rdnr. 49). Ein Nachweis für eine ausreichende Vorbehandlung im Rahmen einer Parodontosebehandlung kann nur anhand der Dokumentation geführt werden. Die Dokumentation ist parallel zur Behandlung zu erstellen und beruht auf den eigenen Angaben des Vertragszahnarztes. Soweit keine Anzeichen für eine unwahre Dokumentation vorliegen, haben die Prüfgremien von der Richtigkeit der Dokumentation auszugehen. Damit beruht die Abrechnung, was fast für das gesamte Abrechnungswesen gilt, im Wesentlichen allein auf den Angaben des Vertragszahnarztes. Im Umkehrschluss muss sich dieser aber an seiner eigenen Dokumentation festhalten lassen und ist ihm der Einwand, er habe die Leistungen, zu deren Dokumentation er verpflichtet ist, zwar nicht dokumentiert, aber dennoch erbracht, abgeschnitten (vgl. SG Marburg, Urt. v. 05.12.2007 - S 12 KA 804/06 – juris Rdnr. 37). Wesentlich und eine Absetzung tragend ist auch der Umstand, dass ein Vertragszahnarzt

in allen Fällen einer Komplettabsetzung nicht die Therapieform angegeben hat (vgl. SG Marburg, Urt. v. 05.12.2007 - S 12 KA 804/06 – juris Rdnr. 40). Ebenso sind die Lockerungsgrade zu dokumentieren (vgl. SG Marburg, Urt. v. 05.12.2007 - S 12 KA 804/06 – juris Rdnr. 41).

Für die Dokumentation des klinischen Befunds (Parodontalstatus) wird in B.V.2. Behandlungsrichtlinie unter der Überschrift "Anamnese und Diagnostik im Hinblick auf den Parodontalzustand" Folgendes ausdrücklich geregelt: Grundlage für die Therapie sind die Anamnese, der klinische Befund (Parodontalstatus) und Röntgenaufnahmen. Die Krankenkasse kann vor der Kosten-Übernahmeentscheidung diese Unterlagen und den Patienten begutachten lassen. Die Anamnese umfasst:
- Allgemeine Anamnese (darunter Risikofaktoren für Parodontitis wie Diabetes mellitus, Tabakkonsum, HIV-Infektion im fortgeschrittenen Stadium, Behandlung mit immunsuppressiven Medikamenten, Osteoporose)
- Familienanamnese im Hinblick auf Parodontalerkrankungen
- Spezielle Anamnese (Schmerzen/Vorbehandlungen).
Die Dokumentation des klinischen Befunds (Parodontalstatus) umfasst:
- Taschentiefen und Blutung der Zahnfleischtaschen auf Sondieren
- parodontale Rezessionen, um einen Ausgangswert für die Beurteilung einer möglichen Progression der Parodontitis zu erheben; fakultativ und alternativ kann auch der klinische Attachmentverlust aufgezeichnet werden.
- Furkationsbefall:
Grad 1 = bis 3 mm in horizontaler Richtung
Grad 2 = mehr als 3 mm in horizontaler Richtung
Grad 3 = durchgängig
- Zahnlockerung:
Grad I = gering horizontal (0,2 mm – 1 mm)
Grad II = moderat horizontal (mehr als 1 mm)
Grad III = ausgeprägt horizontal (mehr als 2 mm) und in vertikaler Richtung
Der Röntgenbefund erfordert aktuelle (in der Regel nicht älter als sechs Monate), auswertbare Röntgenaufnahmen.
Die Diagnosen sind gemäß der jeweils gültigen Klassifikation der Parodontitiden der maßgeblichen parodontologischen wissenschaftlichen Fachgesellschaft anzugeben.

Die Klägerin hat dem Beklagten eine auch nur annähernd aussagefähige Dokumentation nicht vorgelegt. Hierzu war sie aber im Rahmen des Prüfverfahrens verpflichtet. Soweit es an einer Dokumentation fehlt, können die Prüfgremien von der Nichterbringung der Leistung ausgehen. Der Beklagte rügt zu Recht, dass die vorgelegten Aufzeichnungen nur pauschale Bezeichnungen wie "MHU = Mundhygieneunterweisung", "EK = Erfolgskontrolle", "TB = Therapieberatung", "PA-N" etc umfassten. Außer diesen Sammelbegriffen finden sich in den Aufzeichnungen keinerlei Spezifizierungen, welche konkreten Verrichtungen an welchen Zähnen vorgenommen worden sind. Es fehlen Röntgenbefunde sowie Einträge bezüglich der Therapieart. Auch die 01-Befunde sind nicht dokumentiert. Den weiteren Ausführungen des Beklagten, er habe die Dokumentation "PA-N" ohne genaue Angaben, welche konkreten Maßnahmen am einzelnen Patienten am jeweiligen Tag erfolgt seien, nicht nachvollziehen können, ist ebf. zuzustimmen. Von daher war auch die Schlussfolgerung des Beklagten, anhand der pauschalen Auflistungen zu den Behandlungsdaten und Behandlungsvermerken auf den Patientenlisten sei es nicht möglich gewesen, von einer Einhaltung der Behandlungsrichtlinie auszugehen, nicht zu beanstanden. Soweit es am Nachweis der Einhaltung der Behandlungsrichtlinie fehlt, konnte der Beklagte vom fehlenden Nachweis einer wirtschaftlichen Behandlung ausgehen.

Nach allem waren die angefochtenen Beschlüsse nicht aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Zulassung der Sprungrevision folgt aus § 161 Abs. 2 SGG i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die Kammer misst der Rechtssache im Hinblick auf die Dokumentationspflicht im Rahmen einer PAR-Behandlung grundsätzliche Bedeutung zu.
Rechtskraft
Aus
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