S 12 KA 288/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 288/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 62/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Aufteilung des Leistungsumfang zwischen den Ärzten innerhalb einer Gemeinschaftspraxis, von der der Zulassungsausschuss bei Festsetzung der Punktzahlobergrenze für ein Job-Sharing-Verhältnis ausgegangen ist, gilt auch für die Berechnung der Honoraranforderung in den aktuellen Job-Sharing-Quartalen; es kann keine neue Quotelung vorgenommen werden, da nach dem Regelwerk der BedarfsplRL-Ä der kein Job-Sharing-Verhältnis eingehende Partner einer Gemeinschaftspraxis von dem Job-Sharing-Verhältnis unberührt bleiben soll.
1. Der Bescheid vom 03.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2010 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten der Klägerin zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine sachlich-rechnerische Honorarberichtigung wegen Überschreitung des Praxisumfangs im Rahmen eines sog. Job-Sharings in Höhe von 71.217,51 EUR netto für die vier Quartale III/07 bis II/08 (1. Leistungsjahr).

Die Klägerin ist eine hausärztliche Gemeinschaftspraxis mit drei Ärzten. Frau Dr. med. AA, Fachärztin für Allgemeinmedizin, und Herr AB, Facharzt für Allgemeinmedizin, sind seit 1989 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen und gemeinsam tätig. Frau Dr. med. AC wurde mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 24.04.2007 als praktische Ärztin zur gemeinsamen vertragsärztlichen Tätigkeit mit Herrn AB gem. § 101 Abs. 1 Nr. 4 SGB V i. V. m. Abschnitt 5 § 23a Bedarfsplanungs-Richtlinie-Ärzte zugelassen. In einem weiteren Beschluss des Zulassungsausschusses vom 24.04.2007 wurde die gemeinsame vertragsärztliche Tätigkeit genehmigt und der Praxisumfang der Vertragsarztpraxis auf der Grundlage des Gesamtpunktzahlvolumens in den vier vorausgegangenen Quartalen (III/05 bis II/06) für Herrn AB und Frau Dr. med. AC wie folgt festgelegt.

Jahresquartal Gesamtpunktzahlvolumen für das 1. Leistungsjahr
I 1.724.538,2
II 1.479.659,5
III 1.454.348,6
IV 1.605.545,1

Ab dem 2. Leistungsjahr werde das quartalsbezogene Gesamtpunktzahlvolumen entsprechend den Richtlinien angepasst. Der Beschluss wurde bestandskräftig.

Die Beschränkung der Zulassung und die Leistungsbegrenzung endeten durch Feststellung des Zulassungsausschusses mit Beschluss vom 10.06.2008 mit der Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen zum 01.06.2008.

Der Zulassungsausschuss setzte mit Beschluss vom 27.01.2009 auf Antrag der Klägerin aufgrund der Neueinführung des EBM 2008 die Leistungsgrenzen wie folgt neu fest:

Jahresquartal Gesamtpunktzahlvolumen für das 1. Leistungsjahr
I 1.825.596,2
II 1.566.367,5
III 1.454.348,6
IV 1.605.545,1

Die Beklagte setzte das Honorar der klägerischen Gemeinschaftspraxis in den streitbefangenen Quartalen wie folgt fest:

III/07 IV/07 I/08 II/08
Honorarbescheid vom 17.01.2008 09.05.2008 03.09.2008 10.07.2008 27.10.2008
Nettohonorar gesamt in EUR 147.496,42 163.966,17 2.664,63 166.011,51 167.839,13
Bruttohonorar PK + EK in EUR 149.477,68 165.594,81 2.747,05 167.096,17 169.812,62
Fallzahl PK + EK 2.071 2.192 33 2.263 2.219

Regelleistungsvolumen § 5 Abs. 3 HVV
Praxisbezogenes RLV in Punkten 1.741.905,0 1.820.766,0 3.011.676,0 2.969.440,0
Überschreitung in Punkten 130.540,0 230.996,5 64.779,0 0,0

Ausgleichsregelung § 5 Abs. 4 HVV
Auffüllbetrag je Fall EUR - - - -
Auffüllbetrag gesamt in EUR - - - -

Für alle streitbefangenen Quartale wies die Beklagte die Klägerin (unter Datum vom 15.02., 16.06., 25.08. und 01.12.2008) darauf hin, dass die Prüfung, ob die maximalen Punktzahlobergrenzen eingehalten worden seien, jeweils bezogen auf ein Leistungsjahr erfolge; Überschreitungen könnten sich mit möglichen Unterschreitungen innerhalb eines (Jahres-)Blocks von vier aufeinander folgenden Quartalen ausgleichen.

Mit Bescheid vom 03.08.2009 nahm die Beklagte eine sachlich-rechnerische Honorarberichtigung für die Quartale III/07 bis II/08 - 1. Leistungsjahr - wegen Überschreitung des Praxisumfangs vor und forderte Honorar in Höhe von 71.217,51 EUR netto zurück.

Hiergegen legte die Klägerin am 21.08.2009 Widerspruch ein. Zur Begründung ihres Widerspruchs führte sie aus, bereits aus dem angefochtenen Bescheid ergebe sich der Berechnungsfehler der Beklagten, wenn diese davon ausgehe, die Berufsausübungsgemeinschaft sei zur gemeinsamen vertragsärztlichen Tätigkeit genehmigt worden. Vor Eintritt von Frau Dr. med. AC hätten die beiden anderen Gesellschafter jeweils 50% an der Praxis gehalten. Mit Eintritt von Frau Dr. AC habe Herr AB seine höchstpersönliche Vertragsarztzulassung sowie seinen hälftigen Anteil am Honorarbudget der Gemeinschaftspraxis mit Frau Dr. AC geteilt. Frau Dr. AA habe ihren Anteil behalten. Lediglich Herr AB habe seinen Tätigkeitsumfang reduzieren wollen. Die Beklagte gehe zu Unrecht von einem Job-Sharing der Berufsausübungsgemeinschaft im Ganzen aus. Der Rückforderungsbescheid habe keine erläuternden Angaben hinsichtlich des tatsächlich von den einzelnen Ärzten erbrachten Leistungsumfangs enthalten. Frau Dr. med. AA habe im Zeitraum 01.01. bis 30.06.2008 eine Gesamtpunktzahl von 1.185.513,37 Punkten erwirtschaftet. Herr Dr. AB habe in diesen Zeitraum 546.689,07 Punkte und Frau Dr. AC 280.024,83 Punkte, zusammen 754.713,9 Punkte erwirtschaftet. Damit seien die Job-Sharing-Partner im Rahmen des für sie festgesetzten Gesamtpunktzahlvolumens geblieben.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2010 den Widerspruch als unbegründet zurück. Darin führte sie aus, die Leistungsbegrenzung im Punktzahlvolumen folge aus den bindenden Beschlüssen des Zulassungsausschusses vom 24.04.2007 und 27.01.2009. Die festgelegten Punktzahlvolumina seien von der Klägerin schriftlich anerkannt worden. Diese Beschlüsse seien bestandskräftig. Bei der Überprüfung der Leistungsjahre werde nicht danach differenziert, wer innerhalb der Gemeinschaftspraxis welche Punkte abgerechnet habe. Vielmehr werde für die Ermittlung, wie viele Punkte das Job-Sharing-Paar abgerechnet habe, die EHV-Aufteilung herangezogen. Die Ermittlung des Rückforderungsbetrages anhand der EHV-Aufteilung stelle ein sachgerechtes Kriterium dar. Sie sei daher zutreffend davon ausgegangen, dass Herr AB und Frau Dr. med. AC zusammen 66,6666 % des Punktzahlvolumens der Gemeinschaftspraxis erbrächten. Frau Dr. med. AA sei zwar grundsätzlich nicht an die Begrenzung im Leistungsvolumen gebunden. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass sich ihre Leistungsausweitung auch zu Lasten des Job-Sharing-Paares auswirke. Nach § 3 Abs. 4 Grundsätze der EHV werde in einer Gemeinschaftspraxis von einer EHV-Aufteilung zu gleichen Teilen ausgegangen, es sei denn, es werde ein gegenteiliger Nachweis erbracht. Einen solchen Nachweis habe die Klägerin nicht erbracht.

Hiergegen hat die Klägerin am 22.04.2010 die Klage erhoben. Sie ist weiterhin der Auffassung, Job-Sharing-Partner sei nicht die Gemeinschaftspraxis gewesen. Die EHV-Aufteilung könne nicht zur Ermittlung der Einhaltung der Punktzahlvolumina herangezogen werden. Im Berechnungsbogen sei enthalten, dass der EHV-Anteil des Herrn AB 50% betrage. Dementsprechend sei bei einer Gesamtpunktzahl für das Ausgangsquartal I/06 von 3.412.877,2 Punkten eine Punktzahlobergrenze von 1.724.538,2 Punkten festgelegt worden. Die Aufteilung im Berechnungsbogen sei maßgeblich. Die Regelungen in den Grundsätzen der Erweiterten Honorarverteilung passe nicht für den Fall eines Job-Sharings, unter welchem der Job-Sharing-Nehmer gerade den Zulassungsinhaber entlasten solle. Eine Überprüfung des tatsächlichen prozentualen Anteils habe ergeben, dass Frau Dr. AA stets 85,7% bis 89,17% der Punktzahlvolumina erbracht habe. Sie mache keine fehlerhafte Berechnung der Punktzahlobergrenzen geltend. Sie rüge vielmehr die fehlerhafte Anwendung des Bescheides des Zulassungsausschusses vom 24.04.2007 sowie 21.01.2009. Der Bescheid sei auch unzureichend begründet. Es werde nicht erläutert, wie sich der Berichtigungsbetrag zusammensetze. Es werde keine sachlich-rechnerische Honorarberichtigung vorgenommen, sondern die Beklagte habe ohne jegliche Darlegung der zugrunde gelegten Zahlen einen Rückforderungsbescheid erlassen.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 03.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie weist erneut auf die Bestandskraft und Bindungswirkung der Beschlüsse des Zulassungsausschusses bzgl. der Punktzahlvolumina hin. Sie habe die Klägerin nochmals über die Grundsätze der EHV-Aufteilung durch Schreiben vom 29.07.2007 unterrichtet. Hierauf habe die Klägerin jedoch nicht reagiert. Die Klägerin behaupte lediglich pauschal, dass ein solches Schreiben bei ihr nie eingegangen sei. Das Schreiben sei per Einschreiben versandt worden und zudem an die richtige Adresse der Gemeinschaftspraxis. Der Bescheid sei ausreichend begründet, ihm sei ein Berechnungsbogen beigefügt gewesen. Bei der Transcodierung des EBM 2005 zum EBM 2008 sollten die im Rahmen der RLV-Erhöhung ermittelten Steigerungsprozentsätze herangezogen werden. Für die Anhebung der festgelegten Punktzahlobergrenze könne auf den prozentualen Steigerungsfaktor der Altersstufe für die Anpassung der Regelleistungsvolumina zurückgegriffen werden, in denen der echte Leistungsbedarf im Regelleistungsvolumen der Quartale III/05 bis II/06 den transcodierten Leistungsbedarf auf Basis des EBM 2008 gegenüber gestellt worden sei. Danach habe die Fachgruppe der Klägerin nach Einführung des EBM 2008 die durchschnittliche Punktzahl um 5,86% gesteigert. Mit der Durchführung der Transcodierung habe sie den auftretenden strukturellen Veränderungen und damit ggf. einhergehenden Höherbewertungen von Leistungen ausgleichen bzw. abfangen wollen. Daher habe ein Vergleich zwischen der Berechnung der Rückforderung mit den durch die Transcodierung ermittelten Werten und der Berechnung der Rückforderung aufgrund der Neuberechnung der Anpassungsfaktoren stattzufinden. Sodann erfolge für das erste Leistungsjahr eine Vergleichsberechnung im Hinblick auf die dann entstehende Honorarrückforderung. Danach habe sich der Rückforderungsbetrag von 73.420,11 EUR (brutto) auf 64.766,70 EUR (brutto) reduziert. Die Punktzahlobergrenze für die Quartale I und II/06 sei um 5,86% gesteigert worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 03.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2010 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben.

Die Beklagte war grundsätzlich zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragsärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Die Kassenärztliche Vereinigung stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die Arzt bezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V). Es obliegt deshalb nach § 45 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34 des Ersatzkassenvertrages-Ärzte (EKV-Ä) der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen.

Nach den hier maßgeblichen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinie) in der Neufassung vom 15. Februar 2007, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2007, S. 3491, in Kraft getreten am 1. April 2007, zuletzt geändert am 18. Februar 2010, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2010, S. 1641, in Kraft getreten am 8. Mai 2010) (im Folgenden: BedarfsplRL-Ä) legt der Zulassungsausschuss vor der Zulassung des Antragstellers in einer verbindlichen Feststellung zur Beschränkung des Praxisumfangs auf der Grundlage der gegenüber dem Vertragsarzt (den Vertragsärzten) in den vorausgegangenen mindestens vier Quartalen ergangenen Abrechnungsbescheiden quartalsbezogene Gesamtpunktzahlvolumina fest, welche bei der Abrechnung der ärztlichen Leistungen im Rahmen der Gemeinschaftspraxis von dem Vertragsarzt sowie dem Antragsteller nach seiner Zulassung gemeinsam als Leistungsbeschränkung maßgeblich sind (Obergrenze). Diese Gesamtpunktzahlvolumina sind so festzulegen, dass die in einem entsprechenden Vorjahresquartal gegenüber dem erstzugelassenen Vertragsarzt anerkannten Punktzahlanforderungen um nicht mehr als 3 v. H. überschritten werden. Das Überschreitungsvolumen von 3 v. H. wird jeweils auf den Fachgruppendurchschnitt des Vorjahresquartals bezogen. Das quartalsbezogene Gesamtpunktzahlvolumen (Punktzahlvolumen zuzüglich Überschreitungsvolumen) wird nach § 23f BedarfsplRL-Ä durch die Kassenärztliche Vereinigung angepasst. Bei Internisten ist zur Ermittlung des Fachgruppendurchschnittes auf die Entscheidung des bereits zugelassenen Vertragsarztes zur hausärztlichen oder fachärztlichen Versorgung abzustellen. Im Übrigen gilt für Anpassungen § 23e. Außergewöhnliche Entwicklungen im Vorjahr, wie z. B. Krankheit eines Arztes, bleiben außer Betracht; eine Saldierung von Punktzahlen innerhalb des Jahresbezugs der Gesamtpunktzahlen im Vergleich zum Vorjahresvolumen ist zulässig. Der Zulassungsausschuss trifft seine Festlegungen auf der Grundlage der ihm durch die Kassenärztliche Vereinigung übermittelten Angaben (§ 23c BedarfsplRL-Ä).

Sowohl für die Berechnung des Ausgangspunktzahlvolumens als auch des Vergleichspunktzahlvolumens nach § 23c BedarfsplRL-Ä ist das im Zeitpunkt der Abrechnung jeweils geltende Berechnungssystem für die vertragsärztlichen Leistungen maßgeblich. Auf Antrag des Vertragsarztes sind die Gesamtpunktzahlvolumina neu zu bestimmen, wenn Änderungen des EBM oder vertragliche Vereinbarungen, die für das Gebiet der Arztgruppe maßgeblich sind, spürbare Auswirkungen auf die Berechnungsgrundlagen haben. Die Kassenärztlichen Vereinigungen oder die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können eine Neuberechnung beantragen, wenn Änderungen der Berechnung der für die Obergrenzen maßgeblichen Faktoren eine spürbare Veränderung bewirken und die Beibehaltung der durch den Zulassungsausschuss festgestellten Gesamtpunktzahlvolumina im Verhältnis zu den Ärzten der Fachgruppe eine nicht gerechtfertigte Bevorzugung/Benachteiligung darstellen würde (§ 23e BedarfsplRL-Ä).

Die Gesamtpunktzahlvolumina zur Beschränkung des Praxisumfangs folgen der Entwicklung des Fachgruppendurchschnitts durch Festlegung eines quartalsbezogenen Prozentwertes (Anpassungsfaktor). Die Anpassungsfaktoren werden im ersten Leistungsjahr von der Kassenärztlichen Vereinigung errechnet. Die dafür maßgebliche Rechenformel lautet: PzVol (Quartalsbezogenes Gesamtpunktzahlvolumen der Praxis)./. PzFg (Quartalsbezogener Punktzahlvolumendurchschnitt der jeweiligen Fachgruppe ) = Fakt (Quartalsbezogener Anpassungsfaktor). Sie stellen die Grundlage zur Ermittlung der Gesamtpunktzahlvolumina für die Folgejahre dar. Der jeweilige Anpassungsfaktor wird ab dem zweiten Leistungsjahr mit dem Punktzahlvolumendurchschnitt der Fachgruppe multipliziert und ergibt die quartalsbezogene Obergrenze für die Praxis (die Saldierungsregelung nach Nr. 23c Satz 6 bzw. § 23c Satz 6 BedarfsplRL-Ä bleibt hiervon unberührt). Die Kassenärztliche Vereinigung teilt dem Vertragsarzt die für ihn verbindlichen Anpassungsfaktoren mit (§ 23f BedarfsplRL-Ä).

Damit können die ab dem zweiten Leistungsjahr maßgeblichen Gesamtpunktzahlvolumina erst nach Abschluss der Honorarverteilung für das letzte Quartal des jeweiligen Leistungsjahrs errechnet werden.

Die Berechnung des Anpassungsfaktors setzt aber voraus, dass das quartalsbezogene Gesamtpunktzahlvolumen der Praxis und der quartalsbezogene Punktzahlvolumendurchschnitt der jeweiligen Fachgruppe jedenfalls dann gleichen Zeiträumen entnommen werden müssen, wenn wesentliche Umstrukturierungen im EBM vorgenommen werden. Fehlt es an solchen Veränderungen, so trägt einem allgemeinen Wachstum im Regelfall der Zuschlag von 3 % Rechnung. Die Einführung des EBM 2008 ab dem Quartal I/08 hat aber zu erheblichen Änderungen geführt, die alle Mitglieder einer Fachgruppe und alle Fachgruppen betreffen. Die Kammer hat mit Urteil vom 10.11.2010 S 12 KA 841/09 - bei einer "Ungleichzeitigkeit" auch eine Anpassung für das erste Leistungsjahr für erforderlich gehalten. Dies betrifft im vorliegenden Fall insofern die Quartale I und II/08, da in diesen Quartalen der EBM 2008 erstmals galt. Es kann hier dahinstehen, ob die Beklagte bzw. der Zulassungsausschuss mit der sog. Transcodierung diesen Vorgaben ausreichend Rechnung getragen haben, da der angefochtene Bescheid bereits aus anderen Gründen rechtswidrig ist.

Zutreffend geht die Beklagte zunächst davon aus, dass die Festsetzung mit Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte vom 27.01.2008, der bestandskräftig geworden ist, für alle Beteiligten und das Gericht bindend erfolgt (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 12.12.2007 L 4 KA 62/06 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. vom 28.01.2009 – B 6 KA 17/08 B – BeckRS). Mit der bestandskräftigen Festsetzung durch den Zulassungsausschuss ist die Punktzahlenobergrenze festgelegt. Die Beklagte ist aber bei der Berechnung der Honoraranforderung nicht nur an die Festsetzung der Punktzahlvolumina gebunden, sondern ist auch an die der Festsetzung zugrunde liegende Berechnung gebunden.

Der Zulassungsausschuss ist davon ausgegangen, dass auf die Partner der ursprünglichen, aus zwei Vertragsärzten bestehenden Gemeinschaftspraxis, jeweils entsprechend der EHV-Quote ein gleicher Anteil von 50 % des Leistungsumfangs entfällt. Auf dieser Grundlage hat er die Punktzahlobergrenze festgesetzt. Das ist, auch unabhängig von der Bestandskraft, nicht zu beanstanden.

Nach § 23d Satz 1 BedarfsplRL-Ä hat die Leistungsbeschränkung arztbezogen bei Festsetzung der Obergrenze zu erfolgen. § 23d Satz 3 BedarfsplRL-Ä bestimmt, dass der Zulassungsausschuss, wenn der Antragsteller in eine bereits bestehende Gemeinschaftspraxis aufgenommen werden soll, die Berechnungen nach § 23c entsprechend der Zahl der bereits tätigen Vertragsärzte in der Gemeinschaftspraxis zu mindern ist; handelt es sich um eine fachverschiedene Gemeinschaftspraxis, so ist für die Leistungsbeschränkung Bezugsgröße das Leistungsvolumen des fachidentischen Vertragsarztes. Daraus folgt, dass die Berechnung des maßgeblichen aktuellen Punktzahlvolumens seitens der Beklagten in gleicher Weise zu erfolgen hat. Ansonsten wären Punktzahlobergrenze und aktuelles Punktzahlvolumen nicht vereinbar. § 23d Satz 3 BedarfsplRL-Ä geht insofern von einer gleichmäßigen Leistungserbringung in einer fachidentischen Gemeinschaftspraxis aus. Im Übrigen kann sich die Beklagte auch auf die sog. EHV-Quote stützen, die das tatsächliche Leistungsgeschehen widerspiegeln soll und von der Klägerin in der Vergangenheit nicht beanstandet wurde. Diese Vorgehensweise ist bereits im "Berechnungsbogen/Erklärung zum Job Sharing – gemäß § 101 Abs. 1 Sätze 4 und 5 SGB V" mitgeteilt worden, der von beiden Gesellschafter der Klägerin unterschrieben worden ist.

Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 der ab 01.07.2006 geltenden Grundsätze der Erweiterten Honorarverteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (GEHV), der im Wesentlichen inhaltsgleich in den GEHV i.d.F. v. 02.12.2000 und i.d.F. v. 26.06.2004 enthalten war, gilt: Rechnen mehrere Vertragsärzte im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis gegenüber der KV Hessen gemeinsam ab, so wird für jeden Vertragsarzt (dieser Gemeinschaftspraxis) ein getrenntes Konto geführt und das anerkannte Gesamthonorar der an der Gemeinschaftspraxis beteiligten Vertragsärzte zu gleichen Teilen aufgeteilt. Weisen die an der Gemeinschaftspraxis beteiligten Vertragsärzte nach oder stellt die KV Hessen bei einer Überprüfung von Amts wegen fest, dass diese Aufteilung von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht, so kann der Geschäftsausschuss der zuständigen Bezirksstelle eine anderweitige Aufteilung beschließen. Damit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die EHV-Aufteilung das tatsächliche Leistungsgeschehen widerspiegelt.

Ausgehend von diesen Grundsätzen (vgl. bereits SG Marburg, Urt. v. 10.11.2010 - S 12 KA 559/09 -) folgt aber für die Berechnung der Honoraranforderung in den aktuellen Job-Sharing-Quartalen, dass die vormalige Aufteilung der Leistungserbringung bzw. EHV-Quote auch weiterhin maßgebend ist und keine neue Quotelung vorgenommen werden kann, da nach dem genannten Regelwerk der kein Job-Sharing-Verhältnis eingehende Partner einer Gemeinschaftspraxis im Grundsatz von dem Job-Sharing-Verhältnis unberührt bleiben soll.

Bei der Berechnung des maßgeblichen Punktzahlvolumens in einer Gemeinschaftspraxis, in der ein Job-Sharing-Partner tätig ist, ist zunächst für die übrigen Praxispartner, die kein Job-Sharing-Verhältnis eingegangen sind, das ihnen zuzurechnende Punktzahlvolumen abzuziehen. Bei dieser Aufteilung ist die Aufteilung heranzuziehen, die Grundlage der Festsetzung des Zulassungsausschusses war.

Soweit im vorliegenden Fall die Klägerin zwar vorträgt, Frau Dr. med. AA erbringe einen Leistungsanteil von über 80%, so reklamiert die Klägerin für sie nur ihren EHV-Anteil von 50%, von dem auch die Beklagte bzw. der Zulassungsausschuss bei der Berechnung der Punktzahlobergrenze ausgegangen sind. Die Klägerin macht nicht geltend, für Frau Dr. med. AA sei entsprechend ihrem tatsächlichen Leistungsanteil bereits 80% der Gesamthonoraranforderung zuzubilligen.

Soweit nunmehr aber die Beklagte bei der Berechnung der Überschreitungsvolumina von einer gleichberechtigten Teilnahme ausgeht bei einer nunmehr vergrößerten Vertragsarztpraxis, so wird der Frau Dr. med. AA nur noch ein Leistungsanteil von 33% zugeordnet. Damit reduziert sich ihr Leistungsanteil aufgrund des Job-Sharing-Verhältnisses, obwohl sie ein solches nicht eingegangen ist. Hierauf weist die Klägerin zutreffend hin. Insofern trifft auch der weitere Hinweis der Klägerin zu, der vorliegende Fall sei unterschiedlich zum bereits genannten Urteil der Kammer. In jenem dem Urteil v. 10.11.2010 - S 12 KA 559/09 – zugrundeliegenden Verfahren ist die Beklagte auch davon ausgegangen, dass auf den Job-Sharing-Partner lediglich ein Leistungsanteil von 50% entfalle. In jenem Fall war der hinzu gekommene Job-Sharing-Partner als angestellter Arzt tätig. Aufgrund der insoweit gleichlautenden Regelungen kann aber nach Auffassung der Kammer nicht zwischen Job-Sharing-Partnern, die als Vertragsärzte tätig sind, und solchen Partnern, die als angestellte Ärzte tätig sind, unterschieden werden. Soweit die Beklagte zutreffend von der EHV-Quote ausgeht, die vor Beginn des Job-Sharing-Verhältnisses vorlag, so ist diese Quote auch maßgeblich für die Berechnung der Überschreitung des Punktzahlvolumens. Bei der Berechnung der Überschreitung des Punktzahlvolumens kann nicht auf die aktuelle EHV-Quote zurückgegriffen werden. Die Regelungen in den Grundsätzen der Honorarverteilung berücksichtigen im Übrigen nicht das Bestehen eines Job-Sharing-Verhältnisses, sondern gehen grundsätzlich von gleichberechtigter Leistungserbringung aus, was aber, worauf die Klägerin zutreffend hinweist, gerade nicht gegeben ist, da das Job-Sharing-Verhältnis immer nur mit einem einzelnen Vertragsarzt begründet wird und dieser mit dem Eingehen eines Job-Sharing-Verhältnisses gerade zum Ausdruck bringt, seinen persönlichen Leistungsumfang zu reduzieren. Insofern fehlt es auch an einer Anpassung der Grundsätze der Erweiterten Honorarverteilung an die Möglichkeit, ein Job-Sharing-Verhältnis einzugehen.

Die Beklagte hat auf Aufforderung der Kammer mit Schriftsatz vom 23.09.2011 eine Vergleichsberechnung auf der Grundlage einer hälftigen Honoraranforderung – den Job-Sharing-Partnern wird lediglich 50% anstatt 2/3 der Honoraranforderung der Praxis zugerechnet – vorgelegt. Danach ergibt sich eine für das erste Leistungsjahr zu berücksichtigende Honoraranforderung, die insgesamt für das ganze Jahr im Umfang von 213.546,3 Punkten unterhalb der Punktzahlobergrenze liegt. Von daher war die Beklagte nicht berechtigt, die Honoraranforderung zu berichtigen.

Nach allem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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