L 4 P 1982/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 P 2672/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 1982/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. März 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im Zugunstenverfahren, ihm auch für die Zeit vom 20. November 2003 bis 31. Mai 2005 Pflegegeld nach der Pflegestufe II anstelle der Pflegestufe I zu zahlen.

Der 1923 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegepflichtversichert. Bei ihm bestehen als Grunderkrankung ein Camurati-Engelmann-Syndrom sowie auch degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule mit Claudicatio spinalis. Er ist als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 anerkannt mit den Merkzeichen "G", "RF", zusätzlich seit 04. September 2001 mit dem Merkzeichen "B", seit 06. Juni 2005 mit dem Merkzeichen "H" und seit 21. August 2007 mit dem Merkzeichen "Bl".

Auf den Antrag vom 10. Mai 1996 bewilligte die Beklagte ab 01. Mai 1996 Pflegegeld nach der Pflegestufe I in Höhe von DM 400,00 monatlich (Bescheid vom 17. Juni 1996). Dem zu Grunde lag das Gutachten der Ärztin für Anästhesiologie Dr. K., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), vom 04. Juni 1996, das als pflegebegründende Diagnosen ein degenerativ-dysplastisches Syndrom der Wirbelsäule und der Extremitäten, ein chronisches Schmerzsyndrom sowie eine chronisch-asthmoide Emphysembronchitis nannte sowie einen täglichen Pflegeaufwand in der Grundpflege von 65 Minuten (Körperpflege 40 Minuten, Ernährung fünf Minuten, Mobilität 20 Minuten) und eine vollständige hauswirtschaftliche Versorgung annahm. Der Kläger beantragte am 10. Juli 1997 die Einstufung in die Pflegestufe II. Aufgrund des daraufhin veranlassten Gutachtens der Dr. S., MDK, vom 11. September 1997 stellte die Beklagte zunächst die Leistungen ein, weil keine erhebliche Pflegebedürftigkeit mehr vorliege (Bescheid vom 29. Oktober 1997), half aber nach Erhebung eines weiteren Gutachtens der Dr. K., MDK, vom 29. Januar 1998 (Zeitaufwand für die Verrichtung der Grundpflege 59 Minuten - Körperpflege 32 Minuten, Ernährung drei Minuten, Mobilität 24 Minuten) dem Widerspruch des Klägers ab und zahlte weiterhin Pflegegeld nach der Pflegestufe I (Bescheid vom 02. Februar 1998).

Am 27. September 2001 beantragte der Kläger telefonisch erneut eine Höherstufung und verwies auf den Bescheid des damaligen Versorgungsamts Rottweil vom 11. Oktober 2001 mit der Feststellung des Merkzeichens "B". Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Pflegefachkraft M. aufgrund eines Hausbesuchs am 02. November 2001 das Gutachten vom 13. November 2001. Sie nannte als pflegebegründende Diagnosen eine Fastblindheit des linken Auges (nach Netzhautablösung im August 2001), ein Camurati-Engelmann-Syndrom, eine Osteochondrose und ein chronisches Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule, eine Coxarthrose, eine Schwerhörigkeit, eine koronare Herzkreislauferkrankung sowie eine chronische Bronchitis. Sie nahm einen Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege von 62 Minuten (Körperpflege 33 Minuten, Ernährung zehn Minuten, Mobilität 19 Minuten) und für die Hauswirtschaft 60 Minuten an. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit, er erhalte weiter Pflegegeld entsprechend der Pflegestufe I und diese Leistung stehe ihm bis 31. Oktober 2005 zu (Bescheid vom 19. November 2001). Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Er legte eine Zusammenstellung der Zeitwerte hinsichtlich der erforderlichen Pflege vor, wonach für die Verrichtungen der Grundpflege ein Zeitaufwand von 198 Minuten anfalle, und führte weiter aus, die Auswirkungen seiner Erkrankungen und auch die in letzter Zeit hinzugekommenen Behinderungen seien nicht berücksichtigt. In dem weiteren von der Beklagten veranlassten Gutachten vom 21. Februar 2002 nannte Dr. B., der das Gutachten aufgrund eines Hausbesuches am 08. Februar 2002 erstattete, als pflegebegründende Diagnosen eine generalisierte degenerative Skeletterkrankung mit einer Einschränkung insbesondere der Rumpfbeugung und der Schulterbeweglichkeit, eine Blindheit des linken Auges sowie eine Sehminderung des rechten Auges. Er bezifferte den Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege mit täglich 49 Minuten (Körperpflege 23 Minuten, Ernährung neun Minuten, Mobilität 17 Minuten). Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit, dass er weiterhin Pflegegeld entsprechend der Pflegestufe 1 erhalte und diese Leistung ihm bis 31. Januar 2007 zustehe (Bescheid vom 22. Februar 2002). Auch hiergegen wandte der Kläger erneut ein, die zeitlichen Wertungen des letzten Gutachtens seien nicht zutreffend. Er legte auch weitere Unterlagen vor. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 26. November "2001", richtig 2002). Sie verwies zur Begründung im Wesentlichen auf die MDK-Gutachten der Pflegefachkraft M. und des Dr. B., wonach der Zeitaufwand für die Grundpflege täglich 62 bzw. 49 Minuten betrage.

Hiergegen erhob der Kläger am 12. Dezember 2002 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage (S 3 P 3235/02) mit dem Begehren, in Pflegestufe II eingestuft zu werden. Er legte erneut dar, dass der in den Gutachten genannte Zeitaufwand für die Pflege unzureichend sei und auf die Körperpflege, Ernährung und Mobilität im Dezember 2001 151 Minuten und im Oktober 2002 195 Minuten entfielen. Auch legte er Befundberichte der ihn behandelnden Ärzte vor.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erstattete Pflegewissenschaftlerin R., Leiterin des W. Instituts für angewandte Pflegewissenschaft, das Gutachten vom 20. November 2003 aufgrund einer Untersuchung des Klägers in seiner Wohnung am 15. November 2003. Sie gelangte zu einem täglichen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege von "96" (richtig 95) Minuten (Körperpflege 37 Minuten, Ernährung 18 Minuten, Mobilität 40 Minuten). Der Kläger wandte ein, dass ein zusätzlicher Mehraufwand von 58 Minuten pro Tag bestehe und der von der Gutachterin festgestellte Pflegeaufwand sich damit auf 154 Minuten pro Tag erhöhe.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 16. Februar 2004 ab. Gestützt auf die vom MDK im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten könne kein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von mindestens 120 Minuten festgestellt werden. Auch der von Frau R. ermittelte Hilfebedarf liege noch deutlich unter dieser Schwelle. Entgegen der Auffassung des Klägers sei bei einzelnen Verrichtungen kein höherer Hilfebedarf anzunehmen.

Gegen das ihm am 25. Februar 2004 zugestellte Urteil legte der Kläger am 11. März 2004 Berufung ein (L 4 P 1015/04) und machte wiederum geltend, dass dem erforderlichen Pflegezeitaufwand nicht Rechnung getragen werde. Das SG habe die von ihm vorgelegten medizinischen Nachweise und Unterlagen und die sich aus seinen chronischen Erkrankungen ergebenden Einschränkungen, insbesondere seine Standunsicherheit und seine Sprachstörungen, nicht berücksichtigt. Er hat im Einzelnen dargelegt, bei welchen weiteren Verrichtungen ein höherer Zeitaufwand anfalle, sowie erneut zahlreiche seine gesundheitlichen Verhältnisse betreffende ärztliche Bescheinigungen und medizinische Unterlagen vorgelegt.

Der Senat holte das Gutachten der Dipl.-Gerontologin Ri. vom 06. März 2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 13. März 2005 zum Einwand des Klägers, die Gesamtzeit der täglichen Pflege betrage 138 Minuten, aufgrund einer am Vortag in der Zeit von 08:05 Uhr bis 10:30 Uhr in häuslicher Umgebung beim Kläger durchgeführten Untersuchung ein. Sie kam zu einem Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege von 117 Minuten täglich und führte aus, aus einer Gegenüberstellung der jeweiligen Beschreibungen des Hilfe- und Pflegebedarfs der Gutachten werde deutlich, dass der Zustand des Klägers sich bei einem progredienten Krankheitsverlauf kontinuierlich verschlechtert habe.

Mit Urteil vom 22. April 2005 wies der erkennende Senat die Berufung des Klägers zurück. Er nahm zur Begründung Bezug auf das angefochtene Urteil des SG vom 16. Februar 2004 und führte weiter aus, auch die im Berufungsverfahren von Amts wegen veranlasste weitere Begutachtung habe zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis geführt. Zwar stehe nunmehr aufgrund des in sich schlüssigen, widerspruchsfreien und überzeugenden Gutachtens der Sachverständigen Ri. für den erkennenden Senats fest, dass sich der Hilfebedarf des Klägers, der bei der hier zu treffenden Entscheidung zugrunde zu legen sei, tatsächlich weiter erheblich erhöht habe, wie sich vor allem aus der von der Sachverständigen vorgenommenen Gegenüberstellung ergebe. Diese Erhöhung ergebe aber einen weiterhin unterhalb der maßgeblichen Grenze von 120 Minuten am Tag liegenden Hilfebedarf, wobei die Sachverständige mit Recht nur solche Hilfeleistungen in die Bewertung einbezogen habe, die nach der auch ihr bekannten und maßgebenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in die Bewertung mit einbezogen werden dürften. Dabei sei von besonderer Bedeutung, dass entgegen der Auffassung des Klägers nicht alle tatsächlich erbrachten Hilfeleistungen in die Bewertung einbezogen werden dürften, sondern nur die wirklich erforderlichen und auch die nur in dem jeweils notwendigen Umfang. Auch unter Berücksichtigung der verschiedenen Einwände, die der Kläger gegen die Feststellung seines Hilfebedarfs durch die Sachverständige Ri. vorgebracht und mit denen sich diese von sich aus auseinandergesetzt habe, seien von dem tatsächlich für den Kläger erbrachten Zeitaufwand für die Grundpflege nur 117 Minuten am Tag berücksichtigungsfähig.

Die hiergegen vom Kläger erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision verwarf das BSG als unzulässig (Beschluss vom 09. August 2005 - B 3 P 11/05 B).

Bereits am 06. Februar 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut die Einstufung in die Pflegestufe II. Auf Veranlassung der Beklagten erstattete die Pflegefachkraft M., MDK, das weitere Gutachten vom 26. Mai 2003 aufgrund eines Hausbesuchs am 23. Mai 2003 und kam zu einem Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege von 68 Minuten täglich (Körperpflege 39 Minuten, Ernährung zehn Minuten, Mobilität 19 Minuten). Die Beklagte teilte dem Kläger mit, bis auf weiteres komme sie mit monatlich EUR 205,00 für die Kosten der Pflege entsprechend der Pflegestufe I auf (Bescheid vom 05. Juni 2003). Auch gegen diesen Bescheid erhob der Kläger erneut Widerspruch. Am 13. Juni 2005 beantragte der Kläger wiederum eine Einstufung in die Pflegestufe II. Pflegefachkraft M., MDK, kam in dem daraufhin veranlassten weiteren Gutachten vom 01. August 2005 aufgrund eines Hausbesuchs am 22. Juli 2005 zu einem Zeitaufwand der Grundpflege von 123 Minuten täglich und verwies auf eine deutliche Verschlechterung des Zustand des Klägers im Vergleich zum Vorgutachten vom Mai 2003. Der Hilfebedarf der Körperpflege habe sich erhöht. Auch müsse regelmäßige Hilfe in der Nacht geleistet werden. Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab 01. Juni 2005 Pflegegeld der Pflegestufe II in Höhe von EUR 410,00 (Bescheid vom 04. August 2005).

Am 16. September 2005 beantragte der Kläger einen Zugunstenbescheid, weil die Voraussetzungen der Pflegestufe II bereits zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens der Frau R. am 20. November 2003 vorgelegen hätten. Der Zeitaufwand für die Hilfe beim Überwinden von Treppen sowie beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung liege höher. Zu berücksichtigen sei auch die Wartezeit der Pflegekraft in Arztpraxen. Die Beklagte teilte dem Kläger mit, die Verwaltungsakte vom 26. November 2002 und 05. Juni 2003 würden nicht zurückgenommen, da sich an der Sach- und Rechtslage nichts geändert habe (Bescheid vom 15. Dezember 2005). Den vom Kläger erhobenen Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten zurück, weil im Verwaltungsverfahren wie auch im Sozialgerichtsverfahren kein rechtswidriges Handeln festgestellt worden sei (Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2006).

Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 24. Juli 2006 Klage beim SG erhoben. Die Gutachterin R. sei bei ihrer Begutachtung im Bereich Mobilität von den für sie verbindlichen Pflegeversicherungs-Richtlinien abgewichen. Auch im Sozialgerichtsverfahren sei eine Korrektur nicht erfolgt. Weiter sei auch der Zeitaufwand der Pflegekraft für das Verabreichen der erforderlichen Augenmedikamente zu berücksichtigen.

Die Beklagte ist der Klage unter Bezugnahme auf ihren Widerspruchsbescheid entgegengetreten.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. März 2007). Zur Begründung hat es auf sein Urteil vom 16. Februar 2004 sowie das Urteil des erkennenden Senats vom 22. April 2005 Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, die bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Bewilligung von Pflegegeld von den Gutachtern schon gesehene Verschlimmerungstendenz habe sich durch sämtliche eingeholten Gutachten bestätigt, die bis auf wenige Ausnahmen davon gekennzeichnet seien, dass sich der Hilfebedarf immer weiter erhöht habe. Ein Hilfebedarf bei der Verabreichung von Augentropfen könne nicht berücksichtigt werden, weil er im abschließenden Verrichtungskatalog des § 14 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) nicht auftauche. Zu Recht habe das Landesozialgericht eine Berücksichtigung eines Hilfebedarfs zum Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung und auch zum Treppensteigen gänzlich nicht angenommen.

Gegen das ihm am 28. März 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. April 2007 Berufung eingelegt. Er verweist erneut darauf, dass die Begutachtung der Frau R. im Bereich Mobilität unvollständig gewesen sei und die verbindlichen Pflegebedürftigkeits- und Begutachtungs-Richtlinien nicht eingehalten worden seien. Ein Zeitaufwand werde nur für das Aufsuchen der Praxen von Ärzten oder Therapeuten anerkannt, unterbleibe aber völlig bei anderer Veranlassung, was nach den Pflegeversicherungs-Richtlinien nicht zu rechtfertigen sei. Der Zeitaufwand werde auch durch die Verabreichung der Augenmedikamente erhöht. Im Zusammenhang mit deren Verordnung sei ein Aufsuchen der Apotheke seinerseits wegen seiner Allergie zwingend erforderlich. Die 27 Arztbesuche, von denen das SG ausgehe, bezögen sich nicht auf ein Jahr, sondern auf ein halbes Jahr, sodass sich der Nachweis eines wöchentlichen Aufsuchen der Arztpraxis ergebe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. März 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihren Bescheid vom 19. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. November 2002 zurückzunehmen und ihm Pflegegeld nach der Pflegestufe II anstelle der Pflegestufe I auch vom 20. November 2003 bis 31. Mai 2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides der Beklagten vom 19. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. November 2002 und auf Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe II für die Zeit vom 20. November 2003 bis 31. Mai 2005.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 19. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. November 2002 war rechtmäßig. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass vor dem 01. Juni 2005 Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II bestand.

Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt demnach ein Hilfebedarf beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung (Körperpflege), beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung (Ernährung) sowie beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (Mobilität).

Für den streitigen Zeitraum vom 20. November 2003 bis 31. Mai 2005 lag ein Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege von mindestens 120 Minuten nicht vor. Der Senat verweist insoweit auf sein Urteil vom 22. April 2005. Aus den im Verwaltungsverfahren und vorangegangenen gerichtlichen Verfahren erhobenen Gutachten ergibt sich das übereinstimmende Bild - worauf das SG im angefochtenen Urteil auch zutreffend hingewiesen hat -, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers im Laufe der Zeit verschlechterte und damit ein Anstieg des Hilfebedarfs bei den Verrichtungen der Grundpflege verbunden war. Danach lässt sich jedenfalls für die Zeit vor dem 01. Juni 2005 keine Zeitaufwand von mindestens 120 Minuten bei den Verrichtungen der Grundpflege feststellen. Die vom Kläger vorgebrachten Einwendungen führen zu keiner anderen Beurteilung. Sie beziehen sich im Wesentlichen auf den Bereich der Mobilität, indem er weitere Verrichtungen im Zusammenhang mit den Verrichtungen des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung berücksichtigt sehen möchte.

Für die Verrichtungen des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung sind nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R - = SozR 3-3300 § 14 Nr. 19, mit weiteren Nachweisen) - im Anschluss an Abschnitt D 5.V. Teil 5.3 Ziff. 15 der Begutachtungsrichtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 21. März 1997 - außerhalb der Wohnung nur solche Wege beachtlich, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind und bei denen das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig ist. Darunter fallen Wege zum Arzt oder Krankengymnasten, nicht aber zur Rehabilitation, zur Behindertenwerkstatt, zum - auch integrativen - Kindergarten, zur Schule, zur Arbeitsstätte, zu Gottesdiensten oder Begleitungen im Rahmen von Spaziergängen als Teil der Behandlungspflege. Arztbesuche berücksichtigte die Sachverständige R., sodass der Kläger mit seinem Einwand, deren Begutachtung sei unvollständig, nicht durchzudringen vermag. Insoweit ging die Sachverständige in ihrem Gutachten vom 20. November 2003 bezüglich der Erforderlichkeit der Besuche von Ärzten bzw. Therapeuten von den Angaben des Klägers und seiner Ehefrau anlässlich der Untersuchung aus. Sie gab im Gutachten ausdrücklich an, sie könne die gemachten Angaben nicht überprüfen, weshalb sie den Schilderungen der Ehefrau des Klägers folge und dementsprechend von einem Durchschnittswert von 24 Minuten wöchentlich = drei Minuten täglich ausgehe. Da die Sachverständige einen Zeitaufwand für den Weg zu den Ärzten und Therapeuten berücksichtigte, ist in diesem auch das Überwinden der Treppen außerhalb der Wohnung enthalten. Richtig ist zwar, dass die Sachverständige nicht ausdrücklich auch eine Wartezeit der Pflegeperson anlässlich der Arztbesuche, die der Kläger mit 30 bis 45 Minuten ansetzt, berücksichtigte. Selbst wenn dieser Zeitaufwand zusätzlich eingesetzt wird, ergibt sich bei einem einmaligen wöchentlichen Arztbesuch ein weiterer täglicher Zeitaufwand von 4,3 bis 6,4 Minuten, zuzüglich zu dem von der Sachverständigen ermittelten Zeitaufwand von 95 Minuten (nicht 96 Minuten wie im Gutachten angegeben), damit von 99,3 bis 101,4 Minuten, mithin immer noch weniger als 120 Minuten.

Der Senat geht zu Gunsten des Klägers davon aus, dass Besuche von Ärzten und Therapeuten im streitigen Zeitraum tatsächlich einmal wöchentlich erfolgten. Insoweit erhob die Sachverständige Ri. Bedenken, weil sie anlässlich ihrer Untersuchung keine Anhaltspunkte dafür hatte, dass wöchentlich über das gesamte Jahr ein Arztbesuch erfolgte. Unterstützt wird dies durch das Schreiben der Ehefrau des Klägers vom 06. März 2005 an die Sachverständige Ri., wonach in diesem Jahr sieben Arztbesuche und drei Hörakustikerbesuche angefallen seien.

Aus der zuvor genannten Rechtsprechung des BSG ergibt sich auch, dass ein weiterer Zeitaufwand für Hilfen, die der Kläger beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung benötigte, nicht berücksichtigt werden kann. Gerade im Bereich der Mobilität machte der Kläger im Laufe des Verfahrens zahlreiche Tätigkeiten geltend, deren Zeitaufwand weiter zu berücksichtigen sei. Deshalb hat das SG zutreffend den Besuch eines Friseurs oder die Hilfe einer Begleitung zur Apotheke nicht in die Berechnung mit einbezogen.

Auch den vom Kläger geltend gemachten Hilfebedarf bei der Gabe der Medikamente für die Augen hat das SG zu Recht außer Acht gelassen, weil sie als so genannte Behandlungspflege nicht Gegenstand der gesetzlichen Pflegeversicherung ist. Zur Leistungspflicht der Pflegeversicherung zählt die Behandlungspflege nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 30. Oktober 2001 - B 3 KR 2/01 R - = SozR 3-2500 § 37 Nr. 3, mit weiteren Nachweisen) dann, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, die untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI ist oder jedenfalls mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht, z.B. Pflegebad anstelle eines normalen Bades und anschließende Hautbehandlung bei einem Neurodermitis-Patienten. Einer der in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen lässt sich die Gabe der Medikamente nicht zuordnen.

Der Kläger verkennt mit seinem Vorbringen, dass die Pflegeversicherung keine Vollversicherung darstellt, die jegliche Aktivität innerhalb und/oder außerhalb des häuslichen Bereichs ermöglichen soll.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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