S 12 KA 397/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 397/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Parallelverfahren zu S 12 KA 403/11
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Teilnahme an der erweiterten Honorarverteilung (EHV) auch für den Zeitraum 01.06. bis 30.11.2010.

Der 1943 geb. und jetzt 68-jährige Kläger ist als Facharzt für Allgemeinmedizin seit 1977 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Er beantragte unter Datum vom 11.11.2010, bei der Beklagten am 17.11.2010 eingegangen, die Teilnahme an der EHV ab 01.06.2010. Bereits mit Telefax vom 05.11.2010 hatte er erklärt, er beantrage die EHV rückwirkend ab 01.06.2010, obwohl er weiter arbeite. Eine schriftliche Benachrichtigung durch die Beklagte an ihn sei nicht erfolgt.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 21.12.2010 die Teilnahme an der EHV ab 01.12.2010 mit dem Anspruchshöchstsatz von 18%.

Hiergegen legte der Kläger am 21.01.2011 Widerspruch ein. Er trug vor, er habe nur durch Zufall von der aktuellen Änderung der Grundsätze der EHV erfahren. Das Rundschreiben "EHV Aktuell – Sonderausgabe 1/2010" vom 11.05.2010 habe er erst am 04.11.2010 von dritter Seite erhalten. Erstmals am 04.11.2010 habe er von der aktuellen Änderung Kenntnis erlangt. Er habe dann sofort einen Antrag auf Teilnahme an der EHV gestellt. Es sei ihm nicht nachvollziehbar, warum er das Rundschreiben nicht erhalten habe. Bei Kenntnis hätte er unverzüglich einen Antrag gestellt, so dass er dann auch ab dem 01.06.2010 in die EHV einbezogen worden wäre. Er sei auch nicht gesondert darauf hingewiesen worden, dass ein Antrag erforderlich sei.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2011 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, aufgrund der ab Mai 2010 gültigen Satzungsänderung könnten Ärzte, die das 65. Lebensjahr vollendet und damit Anspruch auf Teilnahme an der EHV hätten, nunmehr bereits an der EHV teilnehmen und dennoch weiterhin ihre vertragsärztliche Tätigkeit ausüben. Für den Kläger sei jedoch eine rückwirkende Teilnahme ab dem 01.06.2010 nicht möglich. Die Zahlungen würden erst ab dem Folgemonat nach Antragseingang laufen. An ihn sei am 11.05.2010 um 13:20 Uhr die Sonderausgabe von "EHV-Aktuell" per Telefax an die Fax-Nr. XXX erfolgreich versandt worden. Unabhängig davon sei am 11.05.2010 die Sonderausgabe "EHV-Aktuell" auf ihrer Homepage eingestellt worden, so dass sich alle Vertragsärzte zeitnah über die Satzungsänderung hätten informieren können.

Hiergegen hat der Kläger am 16.05.2011 die Klage erhoben. Ergänzend zu seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren trägt er vor, er bestreite, die Sonderausgabe von "EHV-Aktuell" per Telefax erhalten zu haben. Auch in der Vergangenheit habe die Beklagte keinerlei Faxschreiben an ihn versandt. Schriftstücke mit persönlichem Inhalt seien von der Beklagten an ihn stets per Post versandt worden, zumal das Fax-Gerät in der Praxis für dritte Personen zugänglich sei, wie auch in anderen Praxen. Er bestreite auch, dass die Sonderausgabe auf der Homepage eingestellt worden sei. Sie reiche auch nicht für eine rechtswirksame Bekanntgabe im Sinne des § 81 SGB V. Die Beklagte habe auch nicht den Vorgaben des § 14 ihrer Satzung mit der Bekanntmachung der Änderungen im Rundschreiben genügt. Er verfüge in seiner Praxis auch nicht über einen Internetanschluss, so dass er keine Möglichkeit habe, auf die Homepage der Beklagten zuzugreifen.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2010 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 01.06.2010 mit einem Anspruchshöchstsatz von 18,000% an der EHV der Beklagten zu beteiligen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, sie habe die Änderung der Grundsätze der EHV ordnungsgemäß bekannt gegeben. Gem. § 14 ihrer Satzung erfolgten die Bekanntmachungen im Hessischen Ärzteblatt oder in Rundschreiben. Mit der Bekanntmachung in dem Rundschreiben "EHV-Aktuell, Sonderausgabe 1/2010" sei sie dem nachgekommen. Dieses Rundschreiben sei dem Kläger per Fax übermittelt worden. Eine Regelung in § 81 SGB V über die Form der Bekanntmachung von Satzungen sei ihr nicht ersichtlich. Eine Fehlermeldung, dass das Fax nicht bei dem Kläger angekommen sei, habe sie nicht erhalten. Es sei irrelevant, wie sie vorherige Rundschreiben veröffentlicht habe. Eine Bekanntgabe des Rundschreibens per Fax sei grundsätzlich möglich. Das Rundschreiben sei allen an der EHV teilnehmenden Vertragsärzten per Fax übermittelt worden. Ob Rundschreiben per Post oder Fax an die betroffenen Ärzte versandt werde, obliege ihrer Selbstverwaltung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 21.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2010 ist rechtmäßig. Er war daher nicht abzuändern. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung der Teilnahme an der EHV auch für den Zeitraum vom 01.06.2010 bis 30.11.2010.

Die Beklagte hat nach den Grundsätzen der erweiterten Honorarverteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen in der geänderten Fassungen ab Mai 2010, veröffentlicht in EHV-aktuell, Sonderausgabe 1/2010 (im Folgenden: GEHV) den Anspruch des Klägers zutreffend verneint.

Jedes zugelassene ärztliche Mitglied der KV Hessen nimmt auch im Falle der Anerkennung seiner Berufsunfähigkeit und/oder nach Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung (inaktiver Vertragsarzt) weiterhin an der Honorarverteilung im Rahmen dieser Bestimmungen der EHV teil. Der Anspruch errechnet sich nach den nachfolgenden Bestimmungen (§ 1 Abs. 1 GEHV). Die Teilnahme an der EHV erfolgt ohne Antrag für den Vertragsarzt ab dem Monatsersten, der auf die Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres folgt (§ 1 Abs. 2 GEHV). Die Teilnahme an der EHV ist im Übrigen zu beantragen. Wird ein Antrag auf Teilnahme an der EHV später als drei Monate nach Eintritt des Versorgungsfalles gestellt, beginnen die Zahlungen vom Ersten des auf den Eingang des Antrages folgenden Monats. Zahlungen an Hinterbliebene werden bei verspäteter Antragstellung bis zu einem Jahr rückwirkend gewährt, soweit diese Verspätung auf einer Unkenntnis dieser Bestimmungen beruht. In besonderen Härtefällen können Zahlungen bis zu drei Jahren rückwirkend geleistet werden. Der Anspruch auf Teilnahme an der EHV besteht für den Vertragsarzt ab dem Monatsersten, der auf den Eintritt der Berufsunfähigkeit folgt, für den Vertragsarzt auf Antrag ab dem vollendeten 63. Lebensjahr, für Hinterbliebene ab dem auf den Todestag folgenden Monatsersten (§ 1 Abs. 3 GEHV).

Die Teilnahme an der EHV setzt voraus:
(1) vorausgegangene Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit in eigener Praxis, nach rechtskräftiger Zulassung im Bereich der KV Hessen,
(2) Rechtskraft des Verzichts auf die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit oder Tod des Vertragsarztes, wobei ein Verzicht auf die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht erforderlich ist, wenn weiterhin die Tätigkeit als Vertragsarzt oder angestellter Arzt eines vertragsärztlichen Leistungserbringers ausgeübt und eine Teilnahme an der EHV beantragt wird,
(3) vor der Vollendung des 65. Lebensjahres zusätzlich die Unfähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GEHV).

Nach diesen Regelungen ist ein Antrag auf Teilnahme an der EHV für den Fall entbehrlich, dass die Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres erfolgt. Der Kläger hat aber seine vertragsärztliche Tätigkeit über das 65. Lebensjahr hinaus fortgeführt und übt sie noch aus. Soweit durch die Änderung zum 01.06.2010 nunmehr auch bei Fortführung der vertragsärztlichen Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres eine Teilnahme an der EHV möglich ist, ist ebenfalls ein Antrag erforderlich. Einen solchen Antrag hat der Kläger wirksam erst im November 2010 gestellt. Die Beklagte hat ihn entsprechend beschieden und die Teilnahme an der EHV ab 01.12.2010, dem Folgemonat nach Antragstellung, beschieden.

Die Beklagte war aber nicht verpflichtet, allen Vertragsärzten nach Erreichen des 65. Lebensjahres die Teilnahme an der EHV zu bewilligen. Dem steht grundsätzlich die genannte Regelung in § 2 Satz 1 GEHV entgegen, wonach es bei Fortführung der vertragsärztlichen Tätigkeit immer eines Antrags bedarf. Zur Antragstellung gehört auch die Angabe des Zeitpunkts, soweit sie sich nicht aus den Umständen unmittelbar entnehmen lässt.

Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, den Kläger gezielt zu informieren, dass in seiner Person die Voraussetzungen zur Teilnahme an der EHV vorlagen. Die Beklagte ist ihren allgemeinen Informationspflichten durch die Versendung des Rundschreibens nachgekommen. Für eine gezielte Beratung fehlt es an einer entsprechenden Rechtsverpflichtung. Die Vorschriften des SGB I sind insofern nicht anwendbar, als sie sich ausschließlich auf Sozialleistungsansprüche beziehen. Auch nach der Rechtsprechung des LSG Hessen, der die Kammer hier folgt, sind die in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze zu den Hinweispflichten eines Rentenversicherungsträgers gegenüber einem Versicherten im Zusammenhang mit der Rentenantragstellung nicht auf das sozialrechtliche Schuldverhältnis zwischen Vertragsarzt und KV übertragbar (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 14.12.2005 - L 4 KA 41/05 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris; s.a. SG Marburg, Urt. v. 07.03.2007 - S 12 KA 36/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rn. 20). Insofern kommt es auch nicht darauf an, ob nachgewiesen werden kann, dass der Kläger tatsächlich das Rundschreiben erhalten hat.

Das LSG Hessen hat weiter entschieden, dass ein Anspruch auf Teilnahme an der EHV nach der Satzung der KV Hessen erst nach Antragseingang entsteht und die KV nicht verpflichtet ist, die Altersentwicklung ausgeschiedener Vertragsärzte zu überwachen und diese vor Vollendung des 65. Lebensjahres auf die Möglichkeit eines Anspruchs auf Teilnahme an der EHV hinzuweisen (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 14.12.2005 - L 4 KA 41/05 – a.a.O). Dies gilt insofern auch für den vorliegenden Fall, da die Beklagte nur bei Zulassungsverzicht bei Erreichen der 65-Jahresgrenze auf das Antragserfordernis verzichtet hat, nicht aber bei Fortführen der Praxis.

Bei dieser Rechtslage kann hier dahinstehen, ob die Beklagte die Änderung der GEHV wirksam veröffentlicht hat. Nach § 14 "Bekanntmachungen" der Satzung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, zuletzt geändert durch die Beschlüsse der Vertreterversammlung vom 28. August 2010, 06. November 2010 sowie 28. Mai 2011, veröffentlicht in info.doc August 2011 Nr. 4, Seite 29, insofern unverändert zur vorherigen Fassung, sind die Satzung der KVH sowie die sonstigen Bekanntmachungen, durch welche Pflichten der Mitglieder begründet werden (z.B. § 8 Abs. 2a), sowie sonstige Veröffentlichungen im Hessischen Ärzteblatt oder durch Rundschreiben zu veröffentlichen. Hierunter fallen Änderungen der GEHV. Grundsätzlich reicht es aus, dass die Betroffenen sich verlässlich Kenntnis von Rechtsnormen verschaffen können müssen, was auch durch Rundschreiben erfolgen kann (vgl. BSG, Urt. v. 23.03.2011 B 6 KA 9/10 R - juris Rdnr. 18 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Rundschreiben "EHV-aktuell Sonderausgabe 1/2010", mit der die Änderung bekanntgegeben wurde, da die geänderten Teile der GEHV im Wortlaut enthalten waren. Die Beklagte hat das Rundschreiben nach ihrem Vorbringen in erster Linie und an die weit überwiegende Zahl ihrer Mitglieder per E-Mail versandt, per Fax nur in den Fällen, in denen ihr keine E-Mail-Adresse bekannt war oder eine Fehlermeldung erfolgte. Soweit eine Versendung per E-Mail oder per Fax nicht möglich war oder scheiterte, erfolgte eine Versendung per Post. Fraglich ist allein, ob eine Bekanntgabe per E-Mail hierfür ausreichte. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn der Begriff "Rundschreiben" nach § 14 der Satzung zwingend die Bekanntgabe in schriftlicher Form, also der Versendung des Rundschreibens in gedruckter Fassung per Post, voraussetzen würde. Anders aber als z. B. das Schriftformerfordernis für Rechtsbehelfe wie Widerspruch und Klage, die nur unter besonderen Voraussetzungen durch eine digitale Form ersetzt werden können, legt weder die Satzung noch eine andere Rechtsnorm zwingend fest, dass eine Versendung nur in Druckform per Post zulässig wäre. Insofern könnte § 14 der Satzung, der bereits in einer Zeit verabschiedet wurde, in der die Bekanntgabe eines Rundschreibens per E-Mail noch unbekannt war, ohne förmliche Anpassung die erst durch technischen Wandel ermöglichten neuen Versendungsformen noch zulassen. Geht man von der Wirksamkeit der Bekanntmachung aus, dann ist die Satzung in Kraft getreten und hat der Kläger keinen Anspruch auf Teilnahme an der EHV für den strittigen Zeitraum, wie bereits ausgeführt. Geht man aber von der Unwirksamkeit der Bekanntmachung aus, dann ist die Satzung nicht in Kraft getreten und es fehlt bereits an einer Anspruchsgrundlage für die Teilnahme an der EHV für den strittigen Zeitraum.

Im Ergebnis war die Klage daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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