S 12 KA 790/11 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 790/11 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Berufungsausschuss bei der Prüfung eines lokalen Sonderbedarfs im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie auf in noch höherem Maße wohnortnahe Angebote und bei der Prüfung der Aussagen niedergelassener Psychotherapeuten auf sein Erfahrungswissen abstellt, dass nicht alle Psychotherapeuten den Versorgungsauftrag vollständig ausführen. Es besteht eine besondere Sachkunde bzgl. der Versorgungssituation, wenn eine Beisitzerin des Berufungsausschusses die Genehmigungspraxis bzgl. der Anträge auf Kostenerstattung kennt.
1. Es wir die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners bis zu einer Entscheidung der Kammer im Hauptsacheverfahren mit Aktenzeichen: S 12 KA 642/11 angeordnet.

2. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

3. Die Beigeladene zu 1) hat der Antragstellerin ¾ der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten und ¾ der Gerichtskosten zu tragen. ¼ der Gerichtskosten hat die Antragstellerin zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

4. Der Streitwert wird auf 16.375,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens um eine Sonderbedarfszulassung der Antragstellerin als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in A-Stadt, UG.Kreis.

Die 1974 geborene und jetzt 37-jährige Antragstellerin wurde im Jahr 2009 als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin approbiert. Sie ist berechtigt, die Richtlinienverfahren tiefenpsychologisch fundierte und analytische Therapie auszuüben.

Sie beantragte mit Schreiben vom 11.06.2009 die Sonderbedarfszulassung in A-Stadt (UG.Kreis) zur vertragsärztlichen Versorgung als Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin. Sie wies auf ihre Approbation vom 14.05.2009 und die Eintragung in das Psychotherapeutenregister hin. Weiter führte sie aus, es bestehe eine Unterversorgung in A-Stadt und im gesamten UG.Kreis.

Die zu 1) beigeladene Kassenärztliche Vereinigung Hessen führte unter Datum vom 05.10.2009 aus, der Planungsbereich UG.Kreis sei für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gesperrt. Der Versorgungsgrad betrage 103,88 %. Der Planungsbereich habe 407.815 Einwohner und es seien zwölf Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten tätig. Ein Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut mit der Genehmigung tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psychotherapie für Kinder- und Jugendliche in A-Stadt verfüge über 28 freie Therapieplätze. Die Wartezeiten bis zum Erstgespräch betrügen maximal eine Woche und bis zum Beginn der Therapie zwei Wochen. Eine weitere Psychotherapeutin mit gleicher Qualifikation verfüge über fünf freie Therapieplätze (nachmittags). Für das Erstgespräch gebe es keine Wartezeiten. Die Wartezeiten bis zum Therapiebeginn würden vier Wochen betragen. Eine Psychotherapeutin mit der Genehmigung tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie für Kinder und Jugendliche in A-Stadt verfüge über zwei Therapieplätze. Das Erstgespräch könne kurzfristig durchgeführt werden. Die Wartezeiten bis zum Therapiebeginn seien unterschiedlich. Demnach bestehe kein lokaler und besonderer Versorgungsbedarf. Sie empfehle die Antragsablehnung.

Die Antragstellerin nahm hierzu unter Datum vom 04.11.2009 ausführlich Stellung und wies darauf hin, aufgrund ihrer langjährigen beruflichen Erfahrung und Ausbildung wisse sie, dass es im gesamten Planungsbereich keine niedergelassenen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten gebe, an die überwiesen werden könne. Betrachte man die von ihr erstellte Tabelle mit den sechs größten Städten des Planungsbereiches, so werde deutlich, dass gerade A-Stadt am schlechtesten versorgt sei. Dies gelte auch für einen Vergleich mit anderen hessischen Städten. Auch sei der gesamte Planungsbereich wesentlich schlechter als andere Planungsbereiche versorgt.

Der Zulassungsausschuss/Psychotherapie bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen lehnte mit Beschluss vom 03.12.2009 den Antrag auf Zulassung ab. Er schloss sich im Wesentlichen dem Ergebnis der Bedarfsanalyse der Beigeladenen zu 1) an.

Hiergegen legte die Antragstellerin am 14.05.2010 Widerspruch ein. Eine Befragung der niedergelassenen Psychotherapeuten reiche wegen des Konkurrenzverhältnisses nicht aus. Soweit ein Psychotherapeut 28 freie Therapieplätze angegeben habe, dürfte angesichts der Therapiekapazitäten davon ausgegangen werden, dass dieser überhaupt keine Patienten habe. Bei einer Psychotherapeutin mit Doppelzulassung sei nicht klar, mit welchem Anteil ihrer Arbeitszeit sie an der psychotherapeutischen Versorgung im Kinder- und Jugendlichenbereich teilnehme.

Die Beigeladene zu 1) gab unter Datum vom 10.09.2010 eine weitere Stellungnahme ab. Sie trug vor, auch nach den aktuellen Beschlüssen des Landesausschlusses der Ärzte und Krankenkassen in Hessen betrage der prozentuale Versorgungsgrad noch 199,30 %. Im Planungsbereich seien sechs Ärzte/Therapeuten mit der Genehmigung zur tiefenpsychologisch fundierten und/oder analytischen Psychotherapie auch bzw. nur bei Kindern und Jugendlichen niedergelassen. Davon hätten drei Therapeuten ihren Sitz in A-Stadt, ein psychotherapeutisch tätiger Arzt in C-Stadt (Entfernung 40 km), ein psychologischer Psychotherapeut in D-Stadt (Entfernung 30 km), ein Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in E-Stadt (Entfernung 29 km) und letztlich ein Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in F-Stadt (Entfernung 11,5 km). Daneben befände sich ein Facharzt für Nervenheilkunde mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie in G-Stadt (Entfernung 60 km) und ein Kinderarzt mit der genannten Zusatzbezeichnung in H-Stadt, hier sei jedoch angegeben worden, dass keine Therapien durchgeführt würden. Die Therapeuten in C-Stadt, D-Stadt, E-Stadt und G-Stadt sowie der Arzt in H-Stadt könnten wegen der Entfernung bzw. wegen des fehlenden Angebots nicht berücksichtigt werden. Die Stadt A-Stadt habe 88.358 Einwohner. Allein anhand abstrakter statistischer Daten lasse sich aber die Versorgungssituation nicht beurteilen. Der Therapeut mit 28 freien Behandlungsplätzen habe die Tätigkeit erst am 01.04.2009 aufgenommen, weshalb die Angaben plausibel seien. Eine aktuelle Analyse der Abrechnungsdaten zeige, dass weiterhin freie Kapazitäten vorhanden seien. Eine der Therapeuten behandle Kinder und Jugendliche im Umfang von 20% seiner Patienten. Ausgehend von zeitbezogenen Kapazitätsgrenzen in Minuten hätten alle drei Therapeuten noch freie Kapazitäten.

Die Antragstellerin erwiderte mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 27.09.2010, die vorgelegten Kapazitäten würden maximal 15-20 Behandlungsfälle für eine Stadt von knapp 90.000 Einwohnern entsprechen. Sie verweise ferner auf ein Schreiben der XX-Klinik in J-Stadt mit Datum vom 30.06.2010.

Die Beigeladene zu 1) ergänzte ihre Ausführungen unter Datum vom 12.11.2010. Die zeitbezogene Kapazitätsgrenze in Minuten werde je Honorargruppe in Minuten festgelegt. Das Regelleistungsvolumen Psychotherapie setzte sich aus antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen Psychotherapie sowie aus den restlichen Leistungen der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung zusammen. Die von ihr dargestellten Leistungen in Minuten stellten nicht ausschließlich genehmigungspflichtige Psychotherapien dar. Sie liste daher die Leistungen nochmals auf, jetzt unterteilt nach antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen Psychotherapie und nach dem arztgruppenspezifischen Anteil der restlichen Leistungen der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung. Die Aufstellung zeige, dass hinsichtlich der antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen Psychotherapie noch Kapazitäten vorhanden seien.

Die Antragstellerin legte weitere Schreiben verschiedener Institutionen, so einer Praxis für Logopädie, einer Schule und eines Vereins für Jugend- und Familienhilfe vor.

Auf Anfrage des Antragsgegners teilte die Beigeladene zu 1) unter Datum vom 18.05.2011 mit, sie habe die Therapeuten nach den Vorgaben des Antraggegners erneut befragt. Sie habe drei Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, davon zwei aus A Stadt und einer aus F-Stadt, befragt. Den seit 01.04.2009 niedergelassenen Therapeuten habe sie nicht nochmals befragt, da dieser klar zum Ausdruck gebracht habe, dass eine Ausweitung der Tätigkeit bzw. einer Verlagerung der Tätigkeit zu mehr antragspflichtigen Leistungen beabsichtigt sei. Von den befragten Therapeuten hätten zwei eine Stellungnahme abgegeben. Einmal werde erklärt, dass durchaus eine Bereitschaft bestehe, den Versorgungsauftrag voll auszuschöpfen und mehr Leistungskapazitäten zur Verfügung zu stellen. Da bisher lediglich die Honorarbescheide bis zum Quartal III/10 vorlägen, lasse sich anhand der Abrechnungsdaten noch kein Rückschluss auf eine Anpassung des Leistungsverhaltens ziehen. Die zweite Therapeutin aus F-Stadt habe angegeben, dass sie im September 2011 einen hälftigen Versorgungsauftrag an einen Kollegen abgeben werde, die dann ihre Prüfung als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin abgelegt habe. Ein dauerhafter Versorgungsbedarf lasse sich demnach nicht konstatieren. Die Antragstellerin sei seit 01.01.2011 mit einem hälftigen Versorgungsauftrag in I-Stadt als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin niedergelassen. Sie solle erklären, in welchem Umfang sie eine Sonderbedarfszulassung in A-Stadt begehre und welche Sprechstundenzeiten beabsichtigt seien.

Der Antragsgegner gab mit Beschluss vom 15.06.2011 dem Widerspruch statt und hob den Beschluss des Zulassungsausschusses auf. Er lies die Antragstellerin zur vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit gem. § 24b der Bedarfsplanungsrichtlinie als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin für den Praxissitz A-Stadt, A-Straße, UG.Kreis zum 01.10.2011 zu. Die Zulassung erteilte er unter der Bedingung, dass die hälftige vertragspsychotherapeutische Zulassung der Antragstellerin im Planungsbereich B-Stadt spätestens zum 30.09.2011 beendet werde bzw. – falls zum 30.09.2011 keine Bestandskraft der Sonderbedarfszulassung eingetreten sei – zum Zeitpunkt der Bestandskraft dieser Entscheidung. Zur Begründung führte er aus, für den speziellen Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie sei im Unterschied zur psychotherapeutischen Versorgung von Erwachsen oder zum Bereich der vertragsärztlichen Versorgung darauf zu achten, dass in noch höherem Maß wohnortnahe Angebote vorhanden seien. Dies sei darauf zurückzuführen, dass bei Kindern und Jugendlichen im Gegensatz zu Erwachsen nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie größere Wegstrecken ohne Begleitung zurücklegen könnten, aber andererseits nicht immer gewährleistet sei, dass diese Kinder immer von ihren Eltern oder sonstigen erwachsenen Personen begleitet werden könnten, zumal hier auch zu beachten sei, das mitunter auch aus therapeutischen Gründen eine ständige Begleitung durch die Eltern nicht angezeigt sein könne. Kinder- und Jugendliche aus der Stadt A-Stadt könnten deshalb nicht ohne weiteres auf psychotherapeutische Angebote in anderen Teilen des Landkreises UG.Kreis verwiesen werden. Bereits aus den der Entscheidung des Zulassungsausschusses zugrunde liegenden Zahlen ergebe sich, dass gemessen an Einwohnerzahl und Größe die Versorgung der Stadt A-Stadt im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie verglichen mit anderen Städten des Landkreises signifikant unterdurchschnittlich sei. Auch gemessen an der Relation Einwohner/Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sei die Versorgung im Bereich der Stadt A-Stadt verglichen mit anderen Städten im Lande Hessen weit unterdurchschnittlich. Darüber hinaus habe die Antragstellerin auch durch die Vorlage entsprechender Belege eine nicht hinreichende Versorgung im Bereich A-Stadt dargelegt. Diese Aussage werde durch die Erfahrungen des MDK bestätigt. Die Vertreterin des MDK, die dem Berufungsausschuss angehöre, habe diesem gegenüber in der Verhandlung bestätigt, dass in den letzten Jahren in nicht unbeträchtlichem Umfang Kostenerstattungsanträge aus dem Bereich A-Stadt dort vorgelegen hätten. Soweit die Beigeladene zu 1) darauf hingewiesen habe, dass bisher weniger Leistungen der niedergelassenen Psychotherapeuten abgerechnet würden als nach dem jeweiligen zeitbezogenen Kapazitätsgrenzen möglich sei, vermöge dies die Argumentation der Antragstellerin nicht zu entkräften. Freie Behandlungskapazitäten seien ohne Bedeutung, wenn es sich lediglich um potenzielle, nicht aber um reale Versorgungsangebote handele. Die bloße Absichtsbekundung, künftig mehr Patienten zu behandeln, stelle noch kein reales Versorgungsangebot dar. Auch habe nicht erklärt werden können, weshalb in der Vergangenheit die niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, die bislang ihren Versorgungsauftrag nicht voll ausgeschöpft hätten, nur unterdurchschnittlich vertragspsychotherapeutisch tätig gewesen seien. Insgesamt sei damit festzustellen, dass für den Bereich A-Stadt eine unterdurchschnittliche psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen vorliege und dieser Versorgungsengpass durch die Antragstellerin mit den vorgelegten Unterlagen auch belegt worden sei. Die Antragstellerin habe auch in der mündlichen Verhandlung erklärte, dass sie auf ihre zwischenzeitlich erworbene hälftige Zulassung in I-Stadt verzichten werde.

Hiergegen erhob die Beigeladene zu 1) am 03.08.2011 zum Aktenzeichen S 12 KA 642/11 die Klage. Sie hat bisher vorgetragen, der Antragsgegner habe die tatsächlich bestehende Bedarfssituation nicht berücksichtigt. Es bestehe kein lokaler Versorgungsbedarf. Es sei gerade der Antragsgegner gewesen, der sie aufgefordert habe, die Therapeuten nach ihrer Bereitschaft zur vollen Ausschöpfung des Versorgungsauftrages zu befragen. Dennoch gebe der Antragsgegner in seiner Begründung nunmehr an, dass diese Befragung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht als ausreichend anzusehen sei. Was er darüber hinaus verlange, gebe er seinerseits nicht an. Wenn dem Antragsgegner die Angaben als nicht ausreichend erschienen seien, hätten ggf. weitere Erkundungen zur Klärung des Sachverhalts erfolgen müssen. Die Schlussfolgerung des Antragsgegners, eine Erhöhung sei nicht gewollt, bedeute im Ergebnis eine von Anfang an feststehende Folgenlosigkeit der Befragung der Therapeuten. Sie habe bereits damals angegeben, ihr hätten nur die Honorarbescheide bis zum Quartal III/10 vorgelegen, weshalb sich eine Ausweitung der Kapazitätsgrenzen nicht in Zahlen habe objektivieren lassen. Sie habe auch die Anzahlstatistiken der niedergelassenen Therapeuten beigezogen. Hilfsweise weise sie darauf hin, dass einer der niedergelassenen Therapeuten vorgetragen habe, im September 2011 eine hälftige Zulassung an eine weitere Therapeutin abgeben zu wollen. Im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten bestehe naturgemäß die Besonderheit, dass Therapiestunden lediglich vorwiegend nachmittags angeboten werden könnten, also nach der Schule. Dies führe dazu, dass Therapeuten, die Schulkinder behandelten, nicht im gleichen Umfang Therapiestunden abhalten könnten, wie Therapeuten die noch schulpflichtige Kinder oder zudem Erwachsene behandelten. Durch die Abgabe einer hälftigen Zulassung an eine andere Therapeutin werde das Therapieangebot evtl. annähernd verdoppelt, da zu kinderspezifischen Zeiten weitere Therapien angeboten werden könnten. Eine Sonderbedarfszulassung setze aber gerade einen dauerhaften Versorgungsbedarf voraus. Selbst wenn ein solcher bestehen sollte, wäre davon auszugehen, dass dieser jedenfalls nicht dauerhaft sei.

Die Beigeladene zu 1) hat bisher beantragt, den Beschluss des Antragsgegners vom 15.06.2011 aufzuheben und ferner festzustellen, dass der Beschluss des Antragsgegners rechtswidrig sei.

Der Antragsgegner hat bisher beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat nochmals darauf hingewiesen, dass insbesondere bei Kindern und Jugendlichen darauf geachtet werden müsse, dass die jeweiligen Therapeuten im Nachbereich der Patienten niedergelassen seien, und auf die geringe Versorgungsdichte in der Stadt A-Stadt. Die von der Antragstellerin vorgelegten Bescheinigungen wiesen auch konkret eine mangelhafte Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten nach. Es bestünden teilweise Wartezeiten von mehr als sechs Monaten, was nicht tolerabel sei. Eine Analyse der vorgelegten Statistiken zeige, dass die niedergelassenen Therapeuten die ihnen zustehenden Zeitkontingente nicht ausschöpften. Gerade im Bereich der Psychotherapie handelt es sich um ein immer wieder auffallendes Phänomen. Lediglich ein Teil der befragten Psychotherapeuten habe diesbezüglich geantwortet. Aus den vorgelegten Antworten ergebe sich nicht, dass künftig in zuverlässiger Weise eine volle Ausschöpfung des erteilten Versorgungsauftrags stattfinde und damit der offenkundigen Bedarfssituation Rechnung getragen werde. Maßgeblich sei allein das reale Versorgungsangebot.

Die zum Verfahren beigeladene Antragstellerin hat ebenfalls bisher beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit für unzulässig, da dies bereits im Antrag auf Aufhebung des Beschlusses enthalten sei. Ferner verweist sie auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses und trägt ergänzend vor, schon deshalb, weil die niedergelassenen Psychotherapeuten nur 50% des Behandlungskontingents ausschöpften, bestehe ein erheblicher Sonderbedarf. Es bestehe ein offensichtlicher und eklatanter Mangel der Versorgung, der nicht nur vom MDK, sondern auch von allen anderen Stellen bestätigt werde, die Patienten in ambulante psychotherapeutische Behandlung zu vermitteln versuchten. Der Versorgungsgrad müsse auch arztgruppenspezifisch ermittelt werden.

Am 26.10.2011 hat die Antragstellerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie trägt vor, die Klage der Beigeladenen zu 1) habe aufschiebende Wirkung. Die sofortige Vollziehung sei geboten, weil sich die Entscheidung des Antragsgegners als voraussichtlich rechtmäßig darstelle. Es gehe auch um die Vermeidung schwerwiegender Nachteile für sie. Die in A-Stadt niedergelassenen Psychotherapeuten schöpften ihre Behandlungskontingente nur teilweise aus. Die vier Behandler entsprächen faktisch nur zwei in Vollzeit tätigen Psychotherapeuten. Dies erkläre zumindest teilweise die eklatante Mangelsituation im Stadtgebiet A-Stadt. Der Antragsgegner habe das Verfahren bereits um ein halbes Jahr vertagt gehabt, weil er davon ausgegangen sei, dass dann weitere Abrechnungsdaten vorliegen würden. Die Beigeladene zu 1) habe ihren Vortrag nicht mit Abrechnungsdaten belegt. Das Abstellen auf die Auskünfte laufe auf die Frage hinaus, ob die niedergelassenen Psychotherapeuten eine mit ihnen konkurrierende Praxis für erforderlich hielten. Sie sei darauf angewiesen, bei einem sich möglicherweise über die Instanzen und mehrere Jahre hinziehenden Verfahren, ihre Tätigkeit aufnehmen zu können. Sie habe die Verzichtserklärung für den hälftigen Versorgungsauftrag in Q. abgegeben und dort keinen neuen Patienten angenommen, um die sie nicht durch einen Therapeutenwechsel zu belasten. Auch seien jetzt schon Anfragen wegen eines Therapieplatzes gestellt worden.

Die Antragstellerin beantragt,
die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antraggegners anzuordnen.

Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.

Er verweist auf seine Beschlussbegründung und sein Vorbringen im Hauptsacheverfahren. Ergänzend trägt er vor, einen rechtlich relevanten Anordnungsgrund habe die Antragstellerin nicht vorgetragen. Allerdings könne auch im überwiegenden Interesse eines Beteiligten eine Vollziehungsanordnung getroffen werden, insbesondere wenn dieser von der ihm zugebilligten Rechtsposition überhaupt nur Gebrauch machen kann, wenn er kein Hauptsacheverfahren abwarten muss. Da diese Rechtsgrundsätze von Amts wegen zu beachten seien, erscheine eine tragfähige eigene Begründung der Antragstellerin hinsichtlich des Anordnungsgrundes entbehrlich. Im Ergebnis komme es entscheidend auf die Frage der Erfolgsaussicht der Klage im Hauptsacheverfahren an.

Die Beigeladene zu 1) beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, es sei weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Der Beschluss des Antragsgegners sei rechtswidrig. Sie verweist hierzu auf ihre Ausführungen im Hauptsacheverfahren. Die Antragstellerin habe keine Umstände dargelegt, die über jene hinausgingen, die schon die Sonderbedarfszulassung als solche rechtfertigten. Es sei nicht zu erkennen, weshalb der Antragstellerin ein weiteres Abwarten bis zu einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren nicht zugemutet werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Klage der Beigeladenen zu 1) gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 15.06.2011 hat aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 SGG).

Bei der Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Klage anzuordnen ist, sind in einem ersten Prüfungsschritt die Erfolgsaussichten der Klage einer summarischen Prüfung zu unterziehen. Je größer die Erfolgsaussichten der Klage sind, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse zu stellen. Je geringer umgekehrt die Erfolgsaussichten der Klage zu bewerten sind, umso schwerwiegender muss das Interesse des Adressaten des Verwaltungsakts an der aufschiebenden Wirkung sein, um eine Aussetzung rechtfertigen zu können. Offensichtlich rechtmäßige Verwaltungsakte können in der Regel sofort vollzogen werden, während an der Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte grundsätzlich kein legitimes Interesse besteht. Kann eine endgültige Prognose bezüglich der Erfolgsaussichten (noch) nicht gestellt werden, müssen die für und wieder die sofortige Vollziehung sprechenden Interessen gegeneinander abgewogen werden (vgl. LSG Bayern, Beschl. v. 30.07.2009 – L 12 B 1074/08 KA ER - juris Rdnr. 16). Zu berücksichtigen sind außerdem sondergesetzlich geregelte Prüfungsmaßstäbe, wie z. B. das Erfordernis ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bei der Anforderungen von Beiträgen und sonstigen öffentlichen Abgaben (§ 86a Abs. 3 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 SGG) oder gesetzliche Wertungen, die dem öffentlichen Vollziehungsinteresse im Einzelfall generell den Vorrang einräumen. Letzteres ist vor allem dann anzunehmen, wenn Widerspruch und Anfechtungsklage (schon) kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung haben, der Aufschub der Vollziehung also entgegen § 86a Abs. 1 SGG nicht den Regel-, sondern den Ausnahmefall darstellt. Schließlich muss das Gericht immer bedenken, welche nachteiligen Folgen dem Antragsteller aus der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts, vor allem für seine grundrechtlich geschützten Rechtspositionen erwachsen und ob bzw. wie diese ggf. rückgängig gemacht werden können. Eingriffe in das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art 12 Abs. 2 GG) im besonderen sind vor Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren als Präventivmaßnahme nur unter strengen Voraussetzungen zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig; die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Betroffenen ausgehen wird, reicht nicht aus. Außerdem darf der Rechtsschutzanspruch (Art. 19 Abs. 4 GG) gegenüber dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug einer Maßnahme umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 11.01.2011 - L 5 KA 3990/10 ER-B - juris Rdnr. 58; LSG Hessen, Beschl. v. 10.11.2009 - L 4 KA 70/09 B ER - juris Rdnr. 35; LSG Hessen, Beschl. v. 02.08.2011 - L 4 KA 29/11 B ER -, Umdruck S. 8 f.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 19.01.2011 - L 5 AS 452/10 B ER - juris Rdnr. 38; BVerfG, Kammerbeschl. v. 15.04.2010 - 1 BvR 722/10 - juris Rdnr. 20).

Nach der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen kursorischen Überprüfung ist von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit Beschluss des Antragsgegners vom 15.06.2011 auszugehen. Der Antragsgegner hat die Antragstellerin zu Recht als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin für einen Vertragsarztsitz in A-Stadt im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung zugelassen.

Nach § 101 Satz 1 Nr. 3 SGB V beschließen die Bundesausschüsse bzw. jetzt der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien Bestimmungen über Vorgaben für die ausnahmsweise Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze, soweit diese zur Wahrung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung in einem Versorgungsbereich unerlässlich sind. Der Gesetzgeber hat darin in überversorgten Gebieten abweichend von § 103 Abs. 1 SGB V zusätzliche Vertragsarztsitze in Ausnahmefällen zugelassen. Diese Ausnahme dient dem Ziel, auch im Einzelfall sicherzustellen, dass angeordnete Zulassungssperren nicht unverhältnismäßig - weil in der konkreten örtlichen Situation zur Erreichung ihres Zieles nicht erforderlich - die Berufsausübung beschränken. Zugleich wurde dem Bundesausschuss die Aufgabe übertragen, nähere Vorgaben für diese Zulassungen zu normieren. Gegen diese Übertragung der Befugnis zur Normkonkretisierung bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken, zumal der Gesetzgeber Inhalt, Zweck und Ausmaß der Regelung präzise vorgegeben und damit die wesentlichen Fragen selbst entschieden hat (vgl. BSG, Urt. v. 19.03.1997 - 6 RKa 43/96 - SozR 3-2500 § 101 Nr. 1 m. w. N.). Im vertragsärztlichen Bereich hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen von diesem Normsetzungsauftrag mit den §§ 24 bis 26 Bedarfsplanungs-Richtlinie-Ärzte (im Folgenden: BedarfsplRL-Ä) Gebrauch gemacht. Diese Bestimmungen gelten auch für die psychotherapeutische Versorgung (vgl. § 1 BedarfsplRL-Ä). In § 24 Satz 1 Buchst. a bis e BedarfsplRL-Ä hat er fünf Fallgruppen mit speziellen Sachverhalten umschrieben. Der Antragsgegner ist vom Vorliegen eines lokalen Versorgungsbedarfs in Teilen eines Planungsbereichs auf Grund unzureichender Verteilung der an sich quantitativ ausreichend vorhandenen Vertragsarztsitze (§ 24 Satz 1 Buchst. a) BedarfsplRL-Ä) ausgegangen. Soweit möglicherweise auch die Voraussetzungen nach der nunmehr geänderten Regelung des § 24 Satz 1 Buchst. b) BedarfsplRL-Ä vorliegen, da danach auch die Berufsbezeichnung "Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut" einer weiterbildungsrechtlichen Schwerpunktbezeichnung gleichgestellt wird, kann dies hier dahinstehen, da jedenfalls daneben die Voraussetzungen nach Buchst. a) gesondert zu prüfen sind und der Antragsgegner die Versorgungslücke allein auf die Stadt A-Stadt und nicht den gesamten Planungsbereich bezogen hat.

Nach § 24 Satz 1 Buchst. a) BedarfsplRL-Ä darf unbeschadet der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen durch den Landesausschuss der Zulassungsausschuss für Ärzte dem Zulassungsantrag eines Vertragsarztes der betroffenen Arztgruppe entsprechen, wenn ein nachweislicher lokaler Versorgungsbedarf in der vertragsärztlichen Versorgung in Teilen eines großstädtischen Planungsbereichs oder eines großräumigen Landkreises besteht. Nach § 25 BedarfsplRL-Ä darf die Zulassung nur an den Ort der Niederlassung gebunden werden.

Bei der Konkretisierung und Anwendung dieser Tatbestandsmerkmale – "lokaler Versorgungsbedarf" in einem "Teil" eines "großräumigen" Landkreises - verfügen die Zulassungsgremien über einen Beurteilungsspielraum (vgl. BSG, Urt. v. 23.06.2010 B 6 KA 22/09 R - SozR 4-2500 § 101 Nr. 8 = GesR 2010, 623 = USK 2010-76 = ZMGR 2011, 34, juris Rdnr. 15).

Die Erteilung solcher Sonderbedarfszulassungen ist immer dann zu ermöglichen, wenn dies zur Realisierung des Versorgungsanspruchs der Versicherten erforderlich ist, d.h. wenn sonst unter Umständen inakzeptable Versorgungslücken festgeschrieben würden. Patienten dürfen bei allgemeinen Leistungen nicht auf Versorgungsangebote verwiesen werden, die mehr als 25 km entfernt sind. Anders ist dies nur bei sog. spezialisierten Leistungen, was auf psychotherapeutische Leistungen nicht zutrifft. Soweit Patienten im Bereich allgemeiner Leistungen - dazu gehören psychotherapeutische Leistungen - nicht auf Versorgungsangebote verwiesen werden dürfen, die mehr als 25 km entfernt sind, muss dann, wenn Versorgungsangebote unter Umständen mehr als 25 km entfernt sind, die Erteilung von Sonderbedarfszulassungen möglich sein: Damit wäre es unvereinbar, bei dem allgemeinen Sonderbedarfstatbestand des § 24 Buchst a BedarfsplRL-Ä eine Großräumigkeit z.B. erst bei einer Ausdehnung des Landkreises von 80 km anzuerkennen. Denn dann könnten in Landkreisen geringerer Ausdehnung keine Sonderbedarfszulassungen nach § 24 Buchst. a BedarfsplRL-Ä erteilt werden. Dadurch bestünde die Gefahr, Versorgungslücken etwa im allgemein-medizinischen Bereich nicht beheben zu können. Das Belassen derart ausgedehnter Versorgungsdefizite wäre damit unvereinbar, dass der Versorgungsanspruch der Versicherten es grundsätzlich erfordert, Versorgungslücken ggf. durch Sonderbedarfszulassungen zu schließen. Diese Vorgaben sind bei der Beurteilung der Großräumigkeit zu beachten. Sie dienen der Realisierung des Versorgungsanspruchs der Versicherten und sind somit vorrangig gegenüber anderen Auslegungsgesichtspunkten. So ist nicht entscheidend, was der Normgeber der Richtlinie sich möglicherweise bei Schaffung des Sonderbedarfstatbestandes des § 24 Buchst. a BedarfsplRL-Ä unter dem Merkmal großräumig vorgestellt hatte. Unmaßgeblich ist auch ein Durchschnittsvergleich dahingehend, ob die Ausdehnung des Landkreises größer oder kleiner als der Durchschnitt der Landkreise des Bundeslandes oder der Bundesrepublik Deutschland ist. Sollten die dargestellten Vorgaben zum Ergebnis führen, dass in einem Bundesland eine Vielzahl von Landkreisen als großräumig zu qualifizieren ist, so ist das hinzunehmen. Das entspricht auch den Tendenzen der kommunalen Neugliederung vor allem in dünn besiedelten Flächenländern; das Land Mecklenburg-Vorpommern weist heute nur noch sechs Landkreise auf (vgl. BSG, Urt. v. 23.06.2010 B 6 KA 22/09 R - a.a.O., juris Rdnr. 22 – 25).

Der lokale Sonderbedarf muss nach dem Kontext des § 24 Buchst. a BedarfsplRL-Ä in einem Teil des großräumigen Landkreises bestehen. Nicht tragfähig wäre es, einen lokalen Versorgungsbedarf mit der globalen Erwägung zu verneinen, die überwiegende Zahl der Einwohner habe nur relativ kurze Entfernungen - nämlich deutlich weniger als die 25 km - bis zu einer Stadt mit umfassender ärztlicher und psychotherapeutischer Versorgung. Eine Verweisung auf eine (angeblich) umfassende Versorgung ist auch im Falle größerer Zentren zu pauschal. Ein Erfahrungssatz, jede Städte halte für jeden Versorgungsbereich Versorgungsangebote vor und jeder Versicherte könne in zumutbarer Weise dorthin gelangen, besteht nicht. Vielmehr muss das Vorliegen ausreichender und zumutbar erreichbarer Versorgungsangebote konkret ermittelt und festgestellt werden, dabei ist zwischen den verschiedenen Versorgungsbereichen zu differenzieren. Dabei ist es den Zulassungsgremien überlassen, ob sie - zugunsten von mehr Sonderbedarfszulassungen - über das notwendige Minimum an Versorgung hinausgehen wollen und auch dann, wenn in einer anderen, ausreichend nah gelegenen Stadt ein an sich gerade noch ausreichendes Versorgungsangebot besteht und in zumutbarer Weise erreichbar ist, in jeder weiteren größeren Stadt die wichtigsten Fachgebiete eigenständig vertreten sehen wollen. Dem Versorgungsanspruch der Versicherten ist nicht schon dann Genüge getan, wenn deren überwiegende Anzahl ihn realisieren kann. Vielmehr steht der Versorgungsanspruch jedem einzelnen Versicherten zu (vgl. BSG, Urt. v. 23.06.2010 - B 6 KA 22/09 R - a.a.O., juris Rdnr. 26 – 28). Der Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie stellt dabei einen gesonderten Versorgungsbereich dar, für den im Falle eines Antrags auf Sonderbedarfszulassung eigenständig eine Bedarfsprüfung vorzunehmen ist. Einem solchen Sonderbedarfsantrag können nur Versorgungsangebote speziell im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie entgegengehalten werden (vgl. BSG, Urt. v. 23.06.2010 B 6 KA 22/09 R - a.a.O., juris Rdnr. 30).

Bei der Prüfung, ob in dem einschlägigen Versorgungsbereich ausreichende Versorgungsangebote vorliegen oder ein Sonderbedarf besteht, ist schließlich zu beachten, dass die Patienten nicht ohne Weiteres darauf verwiesen werden können, andere Psychotherapeuten leisteten in ihrer Praxis täglich nur zwischen zwei und vier Therapiestunden und hätten also noch freie Behandlungskapazitäten. Diese sind ohne Bedeutung, wenn es sich lediglich um potenzielle, nicht aber um reale Versorgungsangebote handelt. Solange diese Leistungserbringer nicht tatsächlich zu weiteren Versorgungsleistungen bereit sind, kann auf sie nicht verwiesen werden (vgl. BSG, Urt. v. 23.06.2010 - B 6 KA 22/09 R - a.a.O., juris Rdnr. 32).

Ausgehend von diesen Grundsätzen, der den Zulassungsgremien einen weiten Beurteilungsspielraum einräumt, hat der Antragsgegner als Grundlage seiner Bedarfsanalyse auf die Besonderheit im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie hingewiesen, wonach in noch höherem Maße wohnortnahe Angebote vorhanden sind. Hiervon geht auch generell die Kammer aus. Für die Genehmigung einer Zweigpraxis hat sie entschieden, es müsse berücksichtigt werden, dass insbesondere Eltern mit kleineren Kindern, die oftmals den Arzt nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen könnten und weitere Geschwisterkinder mangels anderweitiger Unterbringungsmöglichkeiten mitnehmen müssten, auf möglichst kurze Wege angewiesen seien. Unter Berücksichtigung der genannten spezifisch kinderärztlichen Versorgungsbedürfnisse mit kurzen Wegen liege eine Versorgungsverbesserung vor (vgl. SG Marburg, Urt. v. 07.05.2008 - S 12 KA 403/07 - (rechtskräftig) juris Rdnr. 25 = GesR 2008, 437). Dies gilt auch für die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Zutreffend weist der Antragsgegner in seinem angefochtenen Beschluss darauf hin, dass bei Kindern und Jugendlichen im Gegensatz zu Erwachsen nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie größere Wegstrecken ohne Begleitung zurücklegen könnten, aber andererseits nicht immer gewährleistet sei, dass diese Kinder immer von ihren Eltern oder sonstigen erwachsenen Personen begleitet werden könnten, zumal hier auch zu beachten sei, das mitunter auch aus therapeutischen Gründen eine ständige Begleitung durch die Eltern nicht angezeigt sein könne. Hinzu kommt, dass eine psychotherapeutische Behandlung im Regelfall auf mehrere Wochen oder Monate mit einer hohen, z. T. wöchentlichen Frequenz angelegt ist. Das Aufsuchen der psychotherapeutischen Praxis ist daher nicht nur einmal oder für wenige Male erforderlich. Von daher geht der Antragsgegner zutreffend davon aus, dass allein die Versorgungssituation in der Stadt A-Stadt und nicht in den benachbarten Gemeinden zu berücksichtigen ist.

Für die Stadt A-Stadt hat der Antragsgegner unter Verweis auf die Versorgungslage in anderen hessischen Städten zunächst zutreffend dargelegt, dass im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie nur ein geringer Versorgungsgrad vorhanden ist. Ferner hat er darauf hingewiesen, dass die von der Antragstellerin vorgelegten Auskünfte einer Praxis für Logopädie, eines Gymnasiums und eines Vereins der Jugend- und Familienhilfe auf Versorgungsdefizite hingewiesen haben, insbesondere auch auf Wartezeiten von sechs Monaten und länger. Hinzu kommt, dass der Antragsgegner insofern mit besonderer Sachkunde bzgl. der Versorgungssituation ausgestattet war, als eine Beisitzerin die Genehmigungspraxis bzgl. der Anträge auf Kostenerstattung kannte und dem Antragsgegner insofern bekannt war, dass in den letzten Jahren in nicht unbeträchtlichem Umfang Kostenerstattungsanträge aus dem Bereich A-Stadt dort vorgelegen haben. Dieses von dem Antragsgegner festgestellte Versorgungsdefizit wird auch offensichtlich nicht von den bisher in der Stadt A-Stadt vertragsärztlich tätigen Therapeuten abgedeckt. Insofern gehört auch das Erfahrungswissen des Antragsgegners zu seinem Beurteilungsspielraum, dass nicht alle Psychotherapeuten den Versorgungsauftrag vollständig ausführen. Dieses Erfahrungswissen wird von der Beigeladenen zu 1) mit den vorgelegten Statistiken nicht widerlegt, sondern im Gegenteil eher bestätigt. Im Quartalsverlauf der zeitbezogenen Quantifizierung der tatsächlich erbrachten psychotherapeutischen Leistungen im Bereich der Kinder und Jugendlichen ergibt sich keine Zunahme, in der Tendenz insgesamt eher eine Abnahme der Leistungserbringung. Soweit die Beigeladene zu 1) darauf hinweist, ihr lägen keine aktuelleren Unterlagen vor, so hat zum Einen der Antragsgegner bereits die Ermittlungen durch weitere Nachfragen vertieft und das Verfahren hinausgezögert, womit er seiner Pflicht zur Amtsermittlung ausreichend nachgekommen ist. Zum anderen kann auch nicht auf erwartete und d. h. hier rein spekulative Versorgungsmöglichkeiten abgestellt werden. Dies gilt insbesondere für die möglicherweise geplante Abgabe eines halben Versorgungsauftrags an eine weitere Behandlerin. Hierdurch wird eher bestätigt, wenn die Beigeladene zu 1) ausführt, dadurch ergebe sich potentiell eine Verdoppelung auf zwei Behandler, das gegenwärtig der Versorgungsauftrag von der bereits zugelassenen Behandlerin nicht in vollem Umfang ausgeübt wird.

Der Antragsgegner hat sich auch nicht leichtfertig über die von der Beigeladenen zu 1) angeführten Befragungen der niedergelassenen Psychotherapeuten hinweggesetzt, ob wohl ihm die Originalaussagen nicht vorlagen und die Kammer ihn grundsätzlich für verpflichtet hält, die Ermittlungen selbst durchzuführen. Zur Ermittlung der Bedarfssituation ist es sachgerecht und statthaft, die bereits niedergelassenen Ärzte nach ihrem Leistungsangebot und der Aufnahmekapazität ihrer Praxen zu befragen. Dabei ist jedoch die Gefahr zu beachten, dass die Äußerungen der befragten niedergelassenen Ärzte in starkem Maße auf deren subjektiven Einschätzungen beruhen und von deren individueller Interessenlage mit beeinflusst sein können, was eine kritische Würdigung der Antworten durch die Zulassungsgremien erfordert. Die Angaben der potentiellen künftigen Konkurrenten des Bewerbers um einen zusätzlichen Praxissitz sind nicht ohne weiteres als Entscheidungsgrundlage geeignet, sondern müssen sorgfältig ausgewertet, soweit möglich durch weitere Ermittlungen ergänzt und so objektiviert werden (vgl. BSG, Urt. v. 28.06.2000 - B 6 KA 35/99 R - BSGE 86, 242 = SozR 3-2500 § 101 Nr. 5, juris Rdnr. 38 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen v. 14.07.2004 - L 11 KA 21/04 - GesR 2004, 526, juris Rdnr. 18). Hierfür ist es erforderlich, etwa die Anzahlstatistiken der in Frage kommenden Vertragsärzte beizuziehen, um festzustellen, inwieweit im Bereich des streitigen Sonderbedarfs von diesen Ärzten Leistungen erbracht werden (vgl. BSG v. 28.06.2000 - B 6 KA 35/99 R - BSGE 86, 242 = SozR 3-2500 § 101 Nr. 5, juris Rdnr. 38 m.w.N.). Diesen Anforderungen ist der Antragsgegner mit seiner Bewertung der von der Beigeladenen zu 1) vorgelegten Unterlagen in nicht zu beanstandender Weise nachgekommen. Insofern verkennt die Beigeladene zu 1), dass die Befragung der Niedergelassenen nur ein Erkenntnismittel ist, dass für sich allein zur Bedarfsprüfung keinesfalls ausreichend ist, vielmehr aufgrund der geschilderten Interessenlage kritisch zu bewerten ist.

Angesichts der offensichtlichen Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Antragsgegners waren an den Anordnungsgrund keine besonderen Anforderungen zu stellen. Ergeht keine einstweilige Anordnung, so wird für die weitere Dauer des Verfahrens ohne Rechtsgrundlage in die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit der Antragstellerin nach Art. 12 Abs. 1 GG eingegriffen.

Insofern war dem Antrag im tenorierten Umfang stattzugeben.

Der Antrag war aber insoweit abzulehnen, als das Gericht nur bis zur Entscheidung in der Hauptsache eine Anordnung treffen kann. Die Antragstellerin hat im Antragsschriftsatz ausdrücklich die einstweilige Anordnung für die gesamte Dauer des Rechtsstreits begehrt. Dem konnte nicht in vollem Umfang entsprochen werden, da eine Zuständigkeit der Kammer nur bis zum Verfahrensabschluss in der Instanz besteht.

Nach allem war dem Antrag im tenorierten Umfang stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Antragstellerin war mit Kosten für den Teil des Unterliegens zu belasten. Der Antragsgegner war mit Kosten nicht zu belasten und hat seine Kosten selbst zu tragen. Für ihn hat die Beigeladene zu 1) die Kosten allein zu tragen, da das Hauptsacheverfahren von ihr geführt wird und nur aus diesem Grund der Antrag von der Antragstellerin gestellt wurde. Der Antragsgegner hat in diesem Verfahren keinen Antrag gestellt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den gesetzlichen Vorgaben.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG).

Der Streitwert war, ausgehend vom vorläufigen Streitwertbeschluss vom 05.08.2011 S 12 KA 642/11 -, anhand eines Zeitraums von 1/2 Jahr bis zur erstinstanzlichen Entscheidung zu berechnen. Dies ergab den festgesetzten Streitwert.
Rechtskraft
Aus
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