L 8 SB 5186/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SB 1846/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 5186/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 23. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) streitig.

Dem 1948 geborenen Kläger wurden wegen rezidivierender Duodenalgeschwüre (Zwölffingerdarmgeschwüre) 1975 (Billroth I) und 1976 (Billroth II) Teile des Magens operativ entfernt. Nachdem im August 1994 beim Kläger eine Krebserkrankung des Dickdarms (Kolonkarzinom) diagnostiziert worden war, wurde er noch im selben Monat zweimal operiert. Zunächst erfolgte eine rechtsseitige Hemikolektomie (Entfernung etwa der Hälfte des Dickdarms) und nach dem Ergebnis der histologischen (feingeweblichen) Untersuchung eine subtotale Kolektomie (fast vollständige Entfernung des Dickdarms). Nach der Operation fiel eine obere Armplexusläsion rechts (Lähmung der Nerven, die Schulter und Arm versorgen) auf; weitere Komplikationen traten nicht auf. Auf Antrag des Klägers wurde der GdB - unter Berücksichtigung der Darmerkrankung im Stadium der Heilungsbewährung - ab März 1995 auf 100 festgesetzt (Bescheid des Versorgungsamts Heidelberg vom 28.03.1995). Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 26.02.2004 setzte der Beklagte mit der Begründung, bei der Krebserkrankung sei inzwischen eine Heilungsbewährung eingetreten und andere Behinderungen hätten sich wesentlich gebessert, den GdB des Kläger ab 29.02.2004 auf 60 herab. Dem Bescheid lag ua die gutachtliche Stellungnahme der Ltd Ärztin des Beklagten vom 03.02.2004 zugrunde. Darin wurden folgende Funktionsbeeinträchtigungen zur Anerkennung vorgeschlagen:

Chronische Magenschleimhautentzündung, Teilverlust des Magens (GdB 30) Teilverlust des Dickdarms (GdB 30) Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden (GdB 20) Verhaltensstörungen (GdB 20) Teillähmung des rechten Armnervengeflechts (GdB 10).

Den streitgegenständlichen Erhöhungsantrag stellte der Kläger am 28.07.2006. Er machte im Wesentlichen einen Bandscheibenvorfall, Bluthochdruck, eine starke Migräne, eine Depression und Probleme mit dem Gehen aufgrund von Durchblutungsstörungen als Behinderungen geltend. Der Beklagte zog über die behandelnde Ärztin verschiedene Befundberichte bei und setzte den GdB beim Kläger mit Bescheid vom 10.11.2006 auf 70 ab 28.07.2006 fest. Das Wirbelsäulenleiden (GdB 30 statt 20) und die seelische Störung (30 statt 20) wurden höher als bisher bewertet.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 20.11.2006 Widerspruch ein. Er machte geltend, nach dem Gesamtbild der im Bescheid vom 10.11.2006 aufgeführten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen sei ein GdB von 90 angezeigt. Auch könne es nicht sein, dass die beginnende Durchblutungsstörung der Beine gar nicht als Behinderung anerkannt werde. Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2007 als unbegründet zurück.

Am 23.05.2007 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und einen GdB von mindestens 80 geltend gemacht. Das SG hat eine schriftliche sachverständige Zeugenaussage der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. F. eingeholt. Diese hat in ihrem Schreiben vom 13.09.2007 angegeben, der Kläger leide zusätzlich an Kopfschmerzen, die als Migräne einzustufen seien. Außerdem hat sie ihrer Stellungnahme zahlreiche Befundberichte anderer Ärzte beigefügt. Mit Gerichtsbescheid vom 23.10.2007 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das SG unter Darlegung der maßgeblichen Rechtslage ua ausgeführt, das Magenleiden und der Teilverlust des Dickdarms bestünden in ihren Folgen unverändert. Die Wirbelsäulenerkrankung sei mit einem GdB von 30 zutreffend bewertet. Beim Kläger bestehe an der Lendenwirbelsäule ein Bandscheibenvorfall, der die Beweglichkeit der Wirbelsäule auf einen Finger-Boden-Abstand von 50 cm in der Vorbeuge stark einschränke. Die seelische Störung habe sich zwar verschlimmert und sei daher zu Recht mit einem GdB von 30 bewertet worden. Das Migräneleiden sei nicht besonders zu berücksichtigen, da insoweit keine Veränderung eingetreten sei. Bereits im Bescheid vom 09.01.2002 sei die Migräne den übrigen seelischen Störungen zugeordnet worden. Auch die Teillähmung des rechten Armnervengeflechts sei unverändert mit einem GdB von 10 zu bewerten. Neu hinzugetreten sei zwar der Bluthochdruck, der für die Gesamtbewertung aber nicht ausschlaggebend sei, weil er lediglich mit einem Teil-GdB von 10 zu veranschlagen sei. Auch die gutartige Vergrößerung der Prostata habe keinen Einfluss auf den Gesamtbehinderungszustand. Zu einer Nierenstauung komme es nicht und die Miktionsbeschwerden hätten sich unter medikamentöser Therapie bessern lassen. Die Hepatitis B sei inzwischen ausgeheilt. Zwar leide der Kläger jetzt auch an einer beginnenden Polyneuropathie, die jedoch bislang nur zu einem funktional unbedeutenden Kribbeln führe. Der Gerichtsbescheid ist dem Bevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 25.10.2007 zugestellt worden.

Am 31.10.2007 hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, das SG komme zu einem GdB von je 30 für den Teilverlust des Dickdarms und der Wirbelsäulenerkrankung. Dies ergebe rechnerisch schon einen Betrag von 60. Die seelische Störung sei ebenfalls mit einem GdB von 30 zu bewerten. Dies ergebe in der Summe 90. Weitere Verletzungsfolgen von je 10 ergäben zusammen 110. Es sei daher beim besten Willen nicht nachvollziehbar, weshalb dies nur zu einem Gesamt-GdB von 70 führen soll. Der Kläger weist ferner darauf hin, dass er seit 01.02.2006 von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg Rente wegen voller Erwerbsminderung erhalte.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 23. Oktober 2007 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 10. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2007 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den GdB auf mindestens 80 seit 28. Juli 2006 festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet.

Der Senat weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren lediglich darauf hinzuweisen, dass auch der Gesamt-GdB vom SG mit zutreffender Begründung auf 70 festgesetzt worden ist.

Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX), so dass auch hier die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgaben 2004/2008 (AHP) heranzuziehen sind. Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt ungeeignet (vgl. Nr. 19 Abs. 1 der AHP). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (Nr. 19 Abs. 3 der AHP). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 19 Abs. 4 der AHP). Von diesen Grundsätzen, die nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats maßgebend sind, ist auch das SG ausgegangen.

Weitere Ermittlungen durch den Senat waren nicht mehr erforderlich. Das SG hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufgeklärt. In den Arztbriefen, die die behandelnde Ärztin ihrer schriftlichen Auskunft beigefügt hat, sind aktuelle und ausführliche medizinische Befunde zu den Krankheiten und Behinderungen des Klägers enthalten. Aus diesen Befunden kann zuverlässig auf die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft geschlossen werden. Daher ist eine weitere Aufklärung des Sachverhalts zB durch Einholung eines Gutachtens nicht notwendig. Die Tatsache, dass der Kläger eine Erwerbsminderungsrente erhält, ist für die hier streitige Frage, ob der GdB 70 oder mehr beträgt, ohne Bedeutung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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