S 7 AL 43/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 7 AL 43/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 172 Abs. 1 Nr. 1 b SGB III in der bis zum 31.3.2012 geltenden Gesetzesfassung (nunmehr § 98 Abs. 1 Nr. 1 b SGB III) findet keine entsprechende Anwendung auf Arbeitsverhältnisse im Insolvenzzeitraum. Für eine analoge Anwendung der Vorschrift, wie sie die Dienstanweisung der Beklagten zu § 183 SGB III aF (nunmehr § 165 SGB III) in Ziffer 2.2 (14) vorsieht, besteht kein Raum, da eine Inhaltskontrolle des geschlossenen Arbeitsvertrages nach zivilrechtlichen Vorschriften ausreichend ist.
1) Der Bescheid der Beklagten vom 14.02.2012 wird unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2012 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für den Dezember 2011 höheres Insolvenzgeld auf der Grundlage eines Brutto-Arbeitsentgeltes von 2.100,00 Euro zu gewähren.

2) Die Beklagte hat der Klägerin ihre Kosten zu erstatten.

3) Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um höheres Insolvenzgeld für den Monat Dezember 2011.

Die 1994 geborene Klägerin war als Bürokauffrau im Personalwesen bei der XY. Metall- und Kunststoffverarbeitungs-GmbH in A-Stadt bis zum 31.12.2011 versicherungspflichtig beschäftigt. Das Amtsgericht Eschwege ordnete mit Beschluss vom 30.11.2011 zunächst die vorläufige Insolvenzverwaltung über die Arbeitgeberin unter Einsetzung einer vorläufigen Insolvenzverwalterin an; das Insolvenzverfahren über die Arbeitgeberin wurde vom Insolvenzgericht am 01.01.2012 eröffnet (Insolvenzgeld-Bescheinigung der Insolvenzverwalterin vom 06.02.2012). Seit dem 1. Oktober 2011 bezog die Klägerin von der Arbeitgeberin kein Arbeitsentgelt mehr. Am 01.12.2011 schloss die Klägerin, die zuvor auf geringfügiger Basis (400,00 Euro monatlich) beschäftigt gewesen war, mit der Arbeitgeberin einen Änderungsvertrag zum Arbeitsvertrag vom 24.09.2010 ab, nach welchem ihr Arbeitsverhältnis ab dem 01.12.2011 von einer geringfügigen Beschäftigung in eine unbefristete Vollzeitstelle zu einem Brutto-Arbeitsentgelt von 2.100,00 Euro monatlich umgewandelt wurde. Mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung für Dezember 2011 wurde für die Klägerin von der Arbeitgeberin ein Brutto-Arbeitsentgelt von 2.100,00 Euro zzgl. einer Urlaubsauszahlung von 447,38 Euro brutto abgerechnet, was unter Anwendung der für die Klägerin geltenden Lohnsteuerklasse 5 ein Netto-Arbeitsentgelt von insgesamt 1.302,36 Euro für Dezember 2011 ergab. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde durch die Insolvenzverwalterin der Arbeitgeberin zum 15.1.2012 gekündigt.

Mit ihrem Antrag auf Insolvenzgeld vom 09.12.2011 begehrte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Insolvenzgeld wegen ausgefallenem Arbeitsentgeltes für den Zeitraum vom 01.10.2011 bis 31.12.2011. Im Antrag gab sie an, dass erstmals seit Oktober 2011 kein Arbeitsentgelt mehr gezahlt worden sei. Als Brutto-Arbeitsentgelt gab die Klägerin für Oktober 2011 und November 2011 ein Entgelt von jeweils 400,00 Euro und für den Monat Dezember 2011 in Höhe von 2.547,38 Euro Brutto monatlich an; vom Dezembergehalt seien steuerliche Abzüge (Lohnsteuer, Kirchensteuer, Solidaritätszuschlag) in Höhe von 719,62 Euro und Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 525,40 Euro abzusetzen, sodass ein Netto-Auszahlungsbetrag von 1.302,36 Euro verbleibe. In ihrem Schreiben vom 19.12.2011 teilte die (damals noch vorläufig bestellte) Insolvenzverwalterin der Beklagten mit, die Finanzbuchhaltung der insolventen Arbeitgeberin sei mit eigenen Mitarbeitern geführt, darunter die Klägerin als Teilzeitbeschäftigte. Insgesamt seien fünf Mitarbeiter mit diesen Tätigkeiten beschäftigt gewesen, davon drei in Vollzeit und zwei in Teilzeit. Durch Krankheitszeiten seien eine Vollzeitmitarbeiterin und eine Teilzeitmitarbeiterin ausgefallen. Um die Lohnbuchhaltung und Personalsachbearbeitung aufrechtzuerhalten, sei eine Aufstockung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin auf eine Vollzeitbeschäftigung im Monat Dezember notwendig geworden. Die Insolvenzverwalterin bescheinigte nach der von ihr ausgestellten Insolvenzgeld-Bescheinigung vom 06.02.2012 der Klägerin für die Monate Oktober bis Dezember 2011 ein jeweils nicht ausgezahltes Netto-Arbeitsentgelt in Höhe von jeweils 400,00 Euro monatlich. Mit Bescheiden vom 13.12.2011 und vom 20.12.2011 gewährte die Beklagte der Klägerin zunächst Vorschüsse auf das beantragte Insolvenzgeld von 350,00 Euro und 250,00 Euro.

Mit Bescheid vom 14.02.2012 bewilligte die Beklagte der Klägerin für den Zeitraum vom 01.10. bis 31.12.2011 Insolvenzgeld in Höhe von 1.200,00 Euro unter Anrechnung der erhaltenen Vorschüsse von insgesamt 600,00 Euro. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 16.02.2012 Widerspruch und machte geltend, für Dezember 2011 habe die Beklagte eine falsche Bemessungsgrundlage für das Insolvenzgeld berücksichtigt. Im Dezember 2011 sei das Insolvenzgeld vielmehr nach dem mit Vertrag vom 01.12.2011 vereinbarten Brutto-Arbeitsentgelt von 2.100,00 Euro zu berechnen. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2012 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Hierin führte sie aus, § 183 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) III bestimme, dass Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld hätten, soweit sie für die dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Insolvenzereignis sei vorliegend die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin am 01.01.2012 (§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III). Der Insolvenzgeld-Zeitraum umfasse damit die Zeit vom 01.10.2011 bis 31.12.2011. Insolvenzgeld werde nach § 185 Abs. 1 SGB III in Höhe des Netto-Arbeitsentgeltes geleistet, das sich ergebe, wenn das auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze (§ 343 Abs. 4 SGB III) begrenzte Brutto-Arbeitsentgelt um die gesetzlichen Abzüge vermindert werde. Nach der Insolvenzgeld-Bescheinigung habe die Klägerin innerhalb des Insolvenzgeld-Zeitraumes in den Monaten Oktober bis Dezember 2011 jeweils 400,00 Euro monatlich an ausstehenden Netto-Arbeitsentgeltansprüchen erwirkt. Anspruch auf Insolvenzgeld bestehe nach alledem in Höhe von 1.200,00 Euro (3 x 400,00 Euro monatlich). Den Ausführungen der Klägerin, für Dezember 2011 sei das Insolvenzgeld nach einem Brutto-Arbeitsentgelt von 2.100,00 Euro zu berechnen und zu gewähren, könne nicht gefolgt werden; ein Anspruch auf Insolvenzgeld auch für den Monat Dezember 2011 bestünde nur in Höhe von 400,00 Euro. Die Klägerin sei bei der insolventen Arbeitgeberin bis zum 30.11.2011 als geringfügig beschäftigte Arbeitnehmerin angestellt gewesen. Der Arbeitsvertrag sei erst am 01.12.2011 in ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis in Vollzeit umgewandelt worden, und damit erst nachdem das Amtsgericht Eschwege mit Beschluss vom 30.11.2011 das vorläufige Insolvenzverfahren über die Arbeitgeberin angeordnet habe. Arbeitnehmer mit sogenannten Schlüsselfunktionen, die nach der Beantragung des Insolvenzverfahrens eingestellt würden, hätten zwar grundsätzlich Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn die Einstellung zwingend notwendig sei, um die unmittelbare Betriebsschließung zu verhindern. Vorliegend könne nicht erkannt werden, dass die Klägerin als Arbeitnehmerin eine Schlüsselfunktion inne gehabt habe. Die Ausweitung der Arbeitszeit beruhe auf dem Umstand, dass die Lohnbuchhaltung und Personalsachbearbeitung habe aufrechterhalten werden sollen. Erfolge die Neueinstellung durch den oder mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Bewältigung von Kapazitätsengpässen bzw. zur Ausweitung der Produktion, komme ein Anspruch auf Insolvenzgeld für den betreffenden Arbeitnehmer nicht in Betracht. Da bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses feststünde, dass das Arbeitsentgelt tatsächlich nicht gezahlt werde, und der Arbeitgeber entgegen der gesetzlichen Vertragstypik (§ 611 Abs. 1 BGB) nur abhängig von der Masse-Ausstattung das Entgelt entrichten solle, ziele eine derartige Vereinbarung regelmäßig von vornherein auf eine Belastung der Versichertengemeinschaft ab. Zudem hätten die in Rede stehenden Vorgänge vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Insolvenz der Arbeitgeberin stattgefunden. In derartigen Fällen werde das Versicherungsprinzip verletzt. Daher könne vorliegend Insolvenzgeld nicht nach dem mit dem Vertrag vom 01.12.2011 vereinbarten Arbeitsentgelt gewährt werden. Das Insolvenzentgelt sei vielmehr auch für Dezember 2011 nur für das ausgefallene Arbeitsentgelt (400,- Euro netto monatlich) zu gewähren, welches der Klägerin nach bis 30.11.2011 gültigen Arbeitsvertrag auf geringfügiger Beschäftigungsbasis zugestanden habe.

Hiergegen richtet sich die am 23.03.2012 bei dem Sozialgericht Kassel erhobene Klage.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe das Insolvenzgeld für Dezember 2011 nicht zutreffend berechnet. Maßgebend sei vielmehr Dezember 2011 das mit Ergänzungsvertrag vom 01.12.2011 vereinbarte Brutto-Arbeitsentgelt in Höhe von 2.100,00 Euro. Denn sie habe ihren Arbeitsvertrag ab dem 1.12.2011 von einer geringfügigen Beschäftigung zugunsten einer Vollzeitbeschäftigung aufgestockt. Ihr sei eine Schlüsselfunktion für die Arbeitgeberin zugekommen, da wegen Krankheitsausfällen die Personalsachbearbeitung lediglich noch durch sie habe durchgeführt werden können. Die Insolvenzgeld-Bescheinigung der Insolvenzverwalterin beziehe sich somit für den Monat Dezember 2011 rein irrtümlich auf ein Netto-Entgelt von 400,00 Euro. Die Umwandlung des Arbeitsvertrages in eine Vollzeitbeschäftigung zum höheren Brutto-Entgelt von 2100 Euro sei von der Insolvenzverwalterin fälschlich unbeachtet gelassen worden.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 14.02.2012 zu ändern, den Widerspruchsbescheid vom 21.02.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für Dezember 2011 höheres Insolvenzgeld auf der Grundlage eines Brutto-Arbeitsentgeltes von 2.100,00 Euro zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer Auffassung in den angefochtenen Bescheiden, insbesondere im Widerspruchsbescheid vom 21.02.2012 fest. Nach den für sie verbindlichen Dienstanweisungen (Insolvenzgeld-DA) zu § 183 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Gesetzesfassung (nunmehr zu § 165 SGB III), komme für die Klägerin die Berücksichtigung des im Dezember 2011 erst mit Wirkung ab dem 01.12.2011 vereinbarten höheren Arbeitsentgeltes nicht in Betracht (Ziffer 2.2. Abs. 14 der Insolvenzgeld-DA zu § 183 SGB III aF, nunmehr § 165 SGB III nF). Wie im Widerspruchsbescheid ausgeführt, hätten hiernach allein Arbeitnehmer mit sogenannten Schlüsselfunktionen, die nach der Beantragung des Insolvenzverfahrens eingestellt würden, Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn die Einstellung zwingend notwendig gewesen sei, um die unmittelbare Betriebsschließung zu verhindern (in Anwendung des Rechtsgedankens des § 172 Abs. 1 Nr. 1 b SGB III). Erfolge die Neueinstellung dagegen zur Bewältigung von Kapazitätsengpässen bzw. zur Ausweitung der Produktion, komme ein Anspruch auf Insolvenzgeld nicht in Betracht. Insoweit werde in derartigen Fällen das Versicherungsprinzip verletzt.

Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind. Das Gericht hat die Insolvenz-Akten über die Arbeitgeberin der Klägerin bei dem Amtsgericht Eschwege (Az. 3 In 81/11) beigezogen. Das Gericht hat ferner von Amts wegen eine Auskunft der Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Arbeitgeberin, Rechtsanwältin C, vom 22.10.2012 beigezogen, in der die Insolvenzverwalterin aufgeführt hat, die Arbeitsvertragsänderung sei durch die Geschäftsführerin der Schuldnerin mit ihrer Zustimmung durchgeführt worden. Die Produktion sei zum 02.12.2011 unterbrochen worden. Sie sei auch im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht wieder aufgenommen worden. Aufgrund der Insolvenz-Antragstellung sei allerdings ein erhöhter Bedarf im Personalbereich bei der Schuldnerin absehbar gewesen. Nach den Durchführungsanweisungen der Arbeitsagentur sei festzuhalten, dass Vertragserweiterungen möglich seien, soweit dies zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes erforderlich sei. Im Regelfall ginge die Bundesagentur für Arbeit davon aus, dass es sich hierbei um eine Wiederbesetzung einer Stelle in einer Produktion handele. Dies sei jedoch bei der Klägerin nicht der Fall gewesen. Die erstellte Insolvenzbescheinigung sei in Abstimmung mit der Arbeitsagentur erfolgt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat für den Monat Dezember 2011 Anspruch auf höheres Insolvenzgeld, das sich aus einem Brutto-Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 2.100,00 Euro unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge (Lohnsteuerklasse 5) ergibt. Der Bescheid der Beklagten vom 14.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2012 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Denn für den Monat Dezember 2011 hat die Beklagte rechtswidrig der Klägerin lediglich Insolvenzgeld in Höhe des aufgefallenen Netto-Arbeitsentgeltes nach dem zuvor bis zum 30.11.2011 durchgeführten Umfang des Beschäftigungsverhältnisses in Höhe von 400,00 Euro gewährt.

Rechtsgrundlage für die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche ist § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Gesetzesfassung (nunmehr § 165 SGB III). Danach haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei
1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers,
2. Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder
3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden 3 Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Insolvenzgeld ist gemäß § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III innerhalb einer Ausschlussfrist von 2 Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Nach § 185 Abs. 1 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Gesetzesfassung wird Insolvenzgeld in Höhe des Netto-Arbeitsentgeltes geleistet, das sich ergibt, wenn das auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze begrenzte Brutto-Arbeitseinkommen um die gesetzlichen Abzüge gemindert wird.

Diese Voraussetzungen waren bei der Klägerin (unstreitig) erfüllt. Die Klägerin war aufgrund des geschlossenen Arbeitsvertrages vom 24.09.2010 im Inland beschäftigt und hatte für den allein streitigen Monat Dezember 2011, der im Insolvenzgeld-Zeitraum liegt (Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin am 01.01.2012; § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II aF), noch offene Ansprüche auf Netto-Arbeitsentgelt gegen die Arbeitgeberin, was für das Gericht aufgrund der vorgelegten Insolvenzgeld-Bescheinigung vom 06.02.2012 auch für den Monat Dezember 2011 im Grundsatz feststeht.

Die Klägerin hat jedoch für den Monat Dezember 2011 Anspruch auf höheres Insolvenzgeld, als lediglich in Höhe des gewährten Insolvenzgeldes von 400,00 Euro. Die Monate Oktober und November 2011 sind unstreitig und auch zur Überzeugung des Gerichtes in Höhe von 400,00 Euro monatlich als Insolvenzgeld-Betrag von der Beklagten bewilligt worden. Damit ist lediglich der Monat Dezember 2011 wegen der Höhe des zu zahlenden Insolvenzgeldes im Streit. Für die Zeit vom 1.12. bis 31.12.2011 hat die Klägerin Anspruch auf Insolvenzgeld, das sich bei Anwendung der für sie damals maßgebenden Lohnsteuerklasse 5 nach Abzug der steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Abzüge aus einem Brutto-Arbeitsentgelt von 2.100,00 Euro ergibt.

Die Beklagte bestreitet die Höhe des Anspruches der Klägerin auf Insolvenzgeld für den Monat Dezember 2011 auch lediglich aus dem Grund, dass der von der Klägerin mit der Arbeitgeberin geschlossene Ergänzungsarbeitsvertrag vom 01.12.2011 (wegen einer entsprechenden Anwendung des Rechtsgedankens des § 172 Abs. 1 Nr. 1 b SGB III) nicht zur Anwendung kommen könne. Dies trifft jedoch nicht zu; die Rechtsansicht der Beklagten überzeugt nicht.

Zunächst ist der Arbeitsvertrag (Ergänzungsvertrag) vom 01.12.2011 zwischen der Klägerin und ihrer Arbeitgeberin, mit dem Vollzeitarbeit vereinbart wurde, nicht unwirksam. Er ist vielmehr wirksam durch Vereinbarung zustande gekommen und verstößt nicht gegen ein Gesetz oder die guten Sitten. Die Vorschriften der §§ 134 und 138 BGB sind durch den Arbeitsvertrag vom 01.12.2011 ersichtlich nicht verletzt, was von der Beklagten auch nicht behauptet wird. Vielmehr geht die Kammer nach dem schlüssigen Vortrag der Klägerin, der von der Insolvenzverwalterin nach ihrer Auskunft vom 22.10.2012 bestätigt wird, davon aus, dass der Ergänzungsvertrag vom 01.12.2011 in redlicher Absicht aus dem Grunde geschlossen worden ist, um den anfallenden Mehrbedarf bei der Abwicklung des Unternehmens im Dezember 2011 bei der Personalsachbearbeitung zu bewältigen. Hierbei ist die Kammer unter Berücksichtigung der Auskunft der Insolvenzverwalterin davon überzeugt, dass Krankheitsausfälle zu einem Mehrbedarf der Arbeitgeberin geführt haben, was zu einer Aufstockung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin geführt hat. Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitsvertrag vom 01.12.2011 alleine aus dem Grunde und damit missbräuchlich geschlossen worden wäre, um der Klägerin höhere Insolvenzgeld-Ansprüche zu sichern, bestehen für das Gericht nicht. Dass der Arbeitsvertrag im Insolvenz-Eröffnungsverfahren (vorläufiges Insolvenzverfahren) geschlossen wurde, verstößt auch nicht gegen bindende Vorschriften der Insolvenzordnung oder gegen den Beschluss des Amtsgerichtes Eschwege vom 30.11.2011 (vorläufige Verwaltung des Vermögens der Arbeitgeberin gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 Insolvenzordnung). Denn mit diesem Beschluss hat das Amtsgericht der Arbeitgeberin kein allgemeines Verfügungsverbot gemäß § 22 Abs. 1 Insolvenzordnung auferlegt. Vielmehr findet sich unter Ziffer 5 b Satz 2 des Beschlusses die Anordnung, dass die Verfügungsbefugnis über bestehende Arbeitsverhältnisse weiterhin der Arbeitgeberin obliegt; die Begründung, Änderung und Beendigung bestehender Arbeitsverhältnisse bedürfe der Zustimmung der vorläufigen Insolvenzverwalterin. Da der Ergänzungsvertrag der Klägerin mit ihrer Arbeitgeberin unter Zustimmung der vorläufigen Insolvenzverwalterin zustande gekommen ist (wie von ihr im Schreiben vom 22.10.2012 an das Gericht bestätigt) bestehen gegen die Wirksamkeit des Ergänzungsvertrages vom 01.12.2011 keine Bedenken.

Ferner ergeben die maßgebenden Vorschriften über das Insolvenzgeld gemäß §§ 183 ff SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Gesetzesfassung (nunmehr mit selben Wortlaut §§ 165 ff SGB III) einen Anspruchsausschluss hinsichtlich des im Dezember 2011 vereinbarten höheren Arbeitsentgeltes nicht. Gemäß § 184 Abs. 1 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Gesetzesfassung hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Insolvenzgeld für Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die

1. er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat,
2. er sich eine nach der Insolvenz-Ordnung angefochtene Rechtshandlung oder eine Rechtshandlung erworben hat, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfechtbar wäre oder
3. der Insolvenzverwalter wegen eines Rechts zur Leistungsverweigerung nicht erfüllt.
Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin ersichtlich nicht erfüllt, soweit der vereinbarte Brutto-Arbeitslohn von 2.100,00 Euro monatlich für den Monat Dezember 2011 betroffen ist. Weder ist dieser Brutto-Arbeitslohn wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (hier 31.12.2011) vereinbart, noch ist das Arbeitsentgelt durch eine nach der Insolvenz-Ordnung angefochtene Rechtshandlung oder eine Rechtshandlung erworben worden, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfechtbar wäre, noch ist dieser Anspruch auf Arbeitsentgelt vom Insolvenzverwalter wegen eines Rechts zur Leistungsverweigerung nicht erfüllt worden. Weitere Ausschlussgründe ergeben sich aus dem Gesetz nach den §§ 183 ff SGB III aF nicht.

Ein Anspruchsausschluss für die geltend gemachte Höhe des Insolvenzgeldes unter entsprechender Anwendung des § 183 Abs. 2 SGB III kommt gleichfalls nicht in Betracht. Gemäß § 183 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Gesetzesfassung besteht der Anspruch auf Insolvenzgeld für die den Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses, wenn ein Arbeitnehmer in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen hat. Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin bei Abschluss des Ergänzungsvertrages am 01.12.2011 Kenntnis von der Lage des Unternehmens und damit von der bevorstehenden Insolvenz bzw. von der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung gehabt hat. Dennoch steht der Vertragsschluss im vorläufigen Insolvenzverfahren dem Anspruch auf Insolvenzgeld aus dem Brutto-Arbeitsentgelt von 2.100,00 Euro, das ab dem 01.12.2011 vereinbart wurde, nicht entgegen. Ein Erfordernis für eine analoge Anwendung des § 183 Abs. 2 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Gesetzesfassung ist mangels planwidriger Gesetzeslücke dem Regelungszusammenhang der Vorschriften nicht zu entnehmen. § 183 Abs. 2 SGB III trägt einzig dem Schutz der Arbeitnehmeransprüche auf Insolvenzgeld Rechnung. Sinn und Zweck der zur Vermeidung von Härten geregelten Erweiterung der Bezugsberechtigung steht damit einer einschränkenden Anwendung bei im Insolvenzeröffnungsverfahren geschlossenen Arbeitsverhältnissen entgegen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 06.02.2009, Az. L 8 AL 4096/06, juris, RdNr. 39; Kordel in Niesel/Brand, Kommentar zum SGB III, § 183, RdNr. 1114).

Gleiches gilt letztlich für die von der Beklagten aufgrund ihrer Dienstanweisungen in Ziffer 2.2, Abs. 14 zu § 183 SGB III (nunmehr § 165 SGB III) geltenden Regelungen. Denn die Beklagte verweigert der Klägerin das Insolvenzgeld aus dem höheren Brutto-Arbeitsentgelt von 2.100,00 Euro monatlich allein aus dem Grunde, weil sie eine analoge Anwendung des § 172 Abs. 1 Nr. 1 b SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Gesetzesfassung (nunmehr § 98 Abs. 1 Nr. 1 b SGB III) für erforderlich hält. Die analoge Anwendung des § 172 Abs. 1 Nr. 1 b SGB III, die sich aufgrund der für die Beklagte in ihrer Verwaltungspraxis bindenden Dienstanweisungen (Insolvenzgeld-Dienstanweisung zu § 183 SGB III – nunmehr § 165 SGB III, Ziffer 2.2, Abs. 14) ergibt, ist zur Überzeugung des Gerichtes nicht zulässig.

§ 172 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Gesetzesfassung betrifft die persönlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld im Sinne von § 169 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Gesetzesfassung (nunmehr § 95 SGB III). Hiernach sind die persönlichen Voraussetzungen auf Kurzarbeitergeld erfüllt, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsausfalles eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus zwingenden Gründen aufnimmt. Selbst wenn man mit der Beklagten die Auffassung vertreten sollte, dass mit dem Ergänzungsvertrag vom 01.12.2011 durch die Aufstockung des Arbeitsverhältnisses eine vergleichbare Lage herbeigeführt worden ist, wie sie bei der Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses, auf die der Gesetzeswortlaut des § 172 Abs. 1 Nr. 1 b SGB III aF abstellt, eingetreten wäre, so lägen die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 172 Abs. 1 Satz 1 b SGB III aF nicht vor. Denn eine analoge Anwendung einer im anderen Regelungszusammenhang (hier Gewährung von Kurzarbeitergeld) geltenden Gesetzesnorm ist nur bei Vorhandensein einer planwidrigen Gesetzeslücke anzuwenden: Eine solche Gesetzeslücke ergibt sich aus den Vorschriften der Insolvenzgeld-Versicherung der §§ 183 ff SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Gesetzesfassung gerade nicht und ist auch nicht aus den Vorschriften der §§ 183 ff SGB III aF (nunmehr § 165 ff SGB III) abzuleiten. Maßgebend sind die tatsächlichen Anordnungen des Insolvenzgerichtes nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung; vorliegend bestand ein allgemeines Verfügungsgebot gemäß § 22 Abs. 1 Insolvenzordnung für die Arbeitgeberin für den Abschluss oder die Erweiterung von Arbeitsverhältnissen gerade nicht.

Die Anwendung des Rechtsgedankens des § 172 Abs. 1 Nr. 1 b SGB III aF auf Fälle der vorliegenden Art ist erkennbar von der Besorgnis getragen, einen Missbrauch der Insolvenzgeldversicherung zu Lasten der Versichertengemeinschaft abzuwenden. Hierfür sind jedoch die allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts ausreichend, da eine Inhaltskontrolle geschlossener oder erweiterter Arbeitsverträge im Sinne der §§ 134, 138 BGB bzw. unter Anwendung des Rechtsgedankens von Treu und Glauben nach § 242 BGB ausreichend ist, um eine zutreffende und Missbrauchstatbestände ausschließende Anwendung des Gesetzes zu ermöglichen. Es bestehen keine Gründe, die Vorschrift des § 172 Abs. 1 Nr. 1 b SGB III (nunmehr § 98 Abs. 1 Nr. 1 b SGB III) auch auf solche Sachverhalte anzuwenden.

Zudem ist die Zielrichtung der Insolvenz-Ausfallversicherung eine andere als die Regelungstatbestände zur Gewährung von Kurzarbeitergeld. Sinn und Zweck der Regelungen über das Kurzarbeitergeld ist der Arbeitsplatzerhalt für eine vorübergehende Zeitdauer, um Entlassungen durch Arbeitgeber zu vermeiden, die vorübergehend Beschäftigungsmöglichkeiten für ihre Arbeitnehmer aufgrund wirtschaftlicher oder betrieblicher Bedingungen bei Arbeitsausfall zeitweilig nicht bieten können. Hingegen stellt das Insolvenzgeld eine reine Entgeltsicherung dar, für Sachverhalte, bei denen es feststeht, dass das Arbeitsentgelt alleine aufgrund der Insolvenz des Arbeitgebers nicht gezahlt werden kann. Das Vorbringen der Beklagten, die Einstellung von Personal bzw. die Aufstockung eines Arbeitsverhältnisses nach Beginn der vorläufigen Insolvenz könne nicht zu Lasten der Insolvenzversicherung erfolgen, rechtfertigt ihre Ansicht nicht. Allein der Umstand, dass Personalkosten, die zur Verbesserung der Insolvenzmasse anfallen, auf die Insolvenzgeld-Ausfallversicherung verlagert werden, steht einem Anspruch auf Insolvenzgeld nicht entgegen (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 06.02.2009, Az. L 8 AL 4096/06, juris, RdNr. 39). Es bedürfte hier vielmehr einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, die einen Insolvenzgeld-Anspruch bei Arbeitsverträgen, die erst im Insolvenz-Eröffnungsverfahren abgeschlossen oder geändert werden, ausschließt oder einschränkt. Eine solche gesetzliche Regelung fehlt jedoch. Da jedoch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Missbrauches der Insolvenzgeldversicherung durch den Abschluss des Ergänzungsvertrages vom 01.12.2011 vorliegen, ist ein weitergehender Anspruchsausschluss – wie von der Beklagten vertreten – nicht zu rechtfertigen.

Anzumerken ist im vorliegenden Fall, dass die Klägerin jedoch lediglich aus ihrem Brutto-Arbeitsentgelt von 2.100,00 Euro für den Monat Dezember 2011 hat (wie es sich aus der Lohn- und Gehaltsabrechnung, Blatt 33 der Leistungsakte der Beklagten, ergibt). Insoweit hat die Beklagte nach § 185 Abs. 1 SGB III (nunmehr § 167 Abs. 1 SGB III) aus dem Brutto-Arbeitsentgelt von 2.100,00 Euro unter Berücksichtigung der Lohnsteuerklasse 5 und der gesetzlichen Sozialversicherungsabzüge den Netto-Verdienst der Klägerin zu berechnen. Soweit die Lohn- und Gehaltsabrechnung für Dezember 2011 eine "Urlaubsauszahlung" in Höhe von 447,38 Euro ausweist, ist dieser Betrag nicht insolvenzgeldfähig, da es sich hierbei gemäß § 184 Abs. 1 Nr. 1 SGB III aF (nunmehr § 166 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) um einen Anspruch auf Arbeitsentgelt handelt, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt wird, da eine Abgeltung des Urlaubs als Urlaubszeit faktisch nicht mehr möglich war (vgl. Kordel in Niesel/Brand, Kommentar zum SGB III, § 184, RdNr. 4).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Beklagte war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, für den Fall, dass sich ergeben sollte, dass bei Berechnung des Netto-Arbeitsentgeltes unter Anrechnung der erbrachten Vorschüsse der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 Euro nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG, § 143 SGG).
Rechtskraft
Aus
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