L 10 U 1052/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 3315/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1052/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.01.2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalles vom 17.10.2001.

Der am 1944 geborene Kläger betreibt einen KFZ-Handel und ist als selbstständiger Unternehmer bei der Beklagten versichert, auch mit einem Anspruch auf Verletztengeld. Wegen der Folgen eines im Jahre 1984 erlittenen Unfalles erhält er von der Beklagten Verletztenrente, seit dem 01.01.2000 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v.H. (Bescheid vom 10.01.2001). Grundlage dieser Festsetzung war das Gutachten des Chefarztes der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Kreiskrankenhauses B. , Dr. H. , der bei der Untersuchung im Oktober 2000 an der rechten Schulter röntgenologisch normale Knochen- und Gelenksverhältnisse und klinisch eingeschränkte Bewegungsmaße für das Seitwärtsheben des rechten Armes feststellte (155 Grad, normal bis 180 Grad). Zur weiteren Feststellung wird auf das Messblatt zum Gutachten verwiesen (Bl. 526 der Unfallakte 27.03.1984).

Am 17.10.2001 wollte der Kläger einen LKW-Anhänger mit Tandemachse ankuppeln. Beim Ablassen der nach seinen Angaben 60 bis 70 kg schweren Deichsel des LKW-Anhängers verspürte er - so seine Angaben - einen einschießenden Schmerz und ein Reißen im rechten Schultergelenk. Am 19.10.2001 suchte er wegen fortbestehender Beschwerden Dr. H. auf, der erhebliche Bewegungseinschränkungen im rechten Schultergelenk feststellte. Am 08.11.2001 erfolgte durch Dr. H. nach am 31.10.2001 mittels Magnetresonanztomografie (MRT) u.a. diagnostizierter deutlicher Teilruptur der Supraspinatussehne (Befundbericht von Dr. B. ) an der rechten Schulter eine offene Revision mit plastischer Rekonstruktion der Rotatorenmanschette (RM), Bursektomie und Acromioplastik. Wegen der Beschwerden an der rechten Schulter war der Kläger bis 24.02.2002 arbeitsunfähig.

Prof. Dr. D. , Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfallchirurgie am M. S. , wertete in seinem Gutachten für die Beklagte das Ereignis vom 17.10.2001 nicht als Unfallereignis, sondern als für den Kläger alltägliche Belastung. Da eine Schwächung der RM durch degenerative Veränderungen vorgelegen habe, wäre der Schaden auch durch das Anheben eines anderen Gegenstandes im Rahmen einer Verrichtung des täglichen Lebens zur selben Zeit oder in naher Zukunft aufgetreten. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.03.2002 und Widerspruchsbescheid vom 20.06.2002 eine Entschädigung ab. Der angeschuldigte Vorgang sei lediglich eine Gelegenheitsursache gewesen.

Das hiergegen am 16.07.2002 angerufene Sozialgericht Stuttgart hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein fachorthopädisches Gutachten bei Prof. Dr. P. eingeholt (Untersuchung 08.07.2003, mangels unphysiologischer Belastung liege kein Unfall vor, im Laufe der Zeit wäre es durch die degenerativen Veränderungen ohnehin zur Ruptur gekommen) und mit Urteil vom 19.01.2005 die Klage abgewiesen.

Während dieses Klageverfahrens, am 19.11.2003, ist der Kläger bei seiner versicherten Tätigkeit erneut gestürzt und er begehrt auch in diesem Zusammenhang Verletztenrente wegen Beschwerden an der rechten Schulter. Hierzu hat Prof. Dr. W. , Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. für die Beklagte im August 2004 ein Gutachten erstattet und keine Folgeschäden feststellen können. Der Schaden an der rechten Schulter habe schon vor dem Ereignis im November 2003 bestanden. Dies hat der Kläger im Verfahren auf Gewährung u.a. von Verletztenrente wegen dieses Unfalles gegenüber dem Sozialgericht Stuttgart (S 13 U 3785/05) bestritten und angegeben, seine rechte Schulter sei durch die Operation bei Dr. H. nach dem Unfall vom 17.10.2001 komplett wieder hergestellt worden. Bis auf normale altersbedingte degenerative Defizite sei er vor dem zweiten Unfall beschwerdefrei gewesen. Die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts ist beim Senat unter dem Aktenzeichen L 10 U 5318/07 anhängig.

Gegen das ihm am 14.02.2005 zugestellte Urteil des Sozialgerichts vom 19.01.2005 hat der Kläger am 14.03.2005 Berufung eingelegt. Er beruft sich u.a. auf ein von ihm vorgelegtes Privatgutachten des Dr. B. , wonach sich aus dem MRT vom 31.10.2001 Hinweise auf frische Läsionen im Bereich der RM ergäben und er behauptet erhebliche, bis heute bestehende Funktionseinschränkungen im Gefolge des Ereignisses vom 17.10.2001.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.01.2005 und den Bescheid vom 18.03.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Der Senat hat Auskünfte der Krankenkassen des Klägers sowie der den Kläger in den Jahren vor und nach dem streitigen Unfall behandelnden Ärzte bzw. deren Nachfolger und ein Gutachten von Prof. Dr. L. , Leiter der Sektion für Schulter und Ellenbogenchirurgie an der Orthopädischen Universitätsklinik H. , mit mehreren ergänzenden Stellungnahmen eingeholt (Untersuchung 07.08.2006). Der Sachverständige ist zu dem Schluss gelangt, dass wahrscheinlich schon vor dem streitigen Ereignis ein struktureller Vorschaden in Form einer Kontinuitätsunterbrechung der Supraspinatussehne mit einer funktionellen Einschränkung vorgelegen habe. Allenfalls die subjektive Beschwerdesymptomatik sei durch das Ereignis ausgelöst worden. Die Funktionsstörungen der rechten Schulter würden eine MdE von 20 v.H. bedingen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Feststellung des Sachverhaltes und Darstellung des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die Prozessakten des Parallelverfahrens sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten über alle erwähnten Unfälle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Gegenstand des Rechtsstreits ist ausschließlich der Bescheid vom 18.03.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 und damit - dem Regelungsinhalt dieser Bescheide folgend - allein der Arbeitsunfall vom 17.10.2001 und der diesbezüglich vom Kläger ausschließlich geltend gemachte Rentenanspruch. Nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist dagegen die Entschädigung des Arbeitsunfalles vom 19.11.2003, sodass der Senat im vorliegenden Verfahren hierüber auch nicht zu befinden hat (siehe hierzu das die Berufung des Klägers zurückweisende Urteil des Senats vom heutigen Tag im Parallelverfahren).

Es kann offen bleiben, ob der Kläger neben einer Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG (BSG, Urteil vom 7. September 2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2) für den Fall, dass die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsunfalles abgelehnt hätte, eine auf Verletztenrente gerichtete Leistungsklage erheben könnte. Denn wie das Sozialgericht geht auch der Senat davon aus, dass die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsunfalles nicht in Zweifel zieht. Sie lehnte vielmehr eine Entschädigung mit der Begründung ab, das Ereignis vom 17.10.2001 sei lediglich eine Gelegenheitsursache für die Spontanzerreißung der RM gewesen (so der Widerspruchsbescheid). Damit ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage die richtige Klageart.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII (zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt) ist danach in der Regel erforder¬lich (BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 11/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr.14), dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzu¬rechnen ist (innerer bzw. sach¬licher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zum Unfallereignis geführt hat und letzteres einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten ver¬ursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von länger andauernden Unfall¬folgen aufgrund des Gesundheits(erst)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Vor¬aussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.

Hier steht fest, dass der Kläger einen Arbeitsunfall erlitt. Unabhängig von dem Ausmaß der auf das Ereignis vom 17.10.2001 zurückzuführenden Körperschäden traten in ursächlichem Zusammenhang mit diesem Ereignis Schmerzzustände und Bewegungseinschränkungen auf. Hiervon geht auch die Beklagte aus und dies genügt für die Bejahung eines Gesundheitsschadens und damit eines Arbeitsunfalles. Die für einen Arbeitsunfall erforderliche äußere Einwirkung auf den Körper kann auch darin bestehen, dass durch betriebliche Einflüsse eine krankhafte Störung im Körperinneren hervorgerufen wird (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 12. April 2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Denn das Merkmal äußere Einwirkung dient lediglich der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden auf Grund innerer Ursachen und vorsätzlichen Selbstschädigungen. Dementsprechend genügt beispielsweise das Anheben eines Gegenstandes, weil dieser sein Gewicht dem Versicherten entgegensetzt und damit eine äußere Einwirkung bewirkt (BSG, a.a.O.). Gleiches gilt dann auch für das Absetzen eines Gewichtes.

Damit ist aber nicht zugleich die Annahme gerechtfertigt, dass der nach dem Arbeitsunfall festgestellte weitere Gesundheitsschaden, hier also insbesondere der nach dem Arbeitsunfall festgestellte Schaden an der RM ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen ist. Dies kann indessen im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Der Senat hat nicht darüber zu befinden, ob der unmittelbar nach dem Unfall diagnostizierte Substanzschaden an der RM und die damit verbundenen Beschwerden ursächlich und damit nach der wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15) wesentlich auf das streitige Unfallereignis zurückzuführen ist. Denn diese Frage würde sich angesichts des Streitgegenstandes Verletztenrente nur dann stellen, wenn nach der am 08.11.2001 erfolgten Operation und dem Ende der Arbeitsunfähigkeit am 24.02.2002 noch Funktionsstörungen in rentenrelevantem Ausmaß verblieben wären. Davon kann sich der Senat nicht überzeugen.

Die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung müssen erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 9.05.2006, a.a.O. auch zum Nachfolgenden). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Denn es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen. Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Frühester Rentenbeginn wäre hier der 25.02.2002. Denn nach § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB VII werden Renten - also auch die hier streitige Verletztenrente - von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet, sofern - wie hier auf Grund der freiwilligen Versicherung - ein solcher Verletztengeldanspruch entstanden ist. Der Verletztengeldanspruch des Klägers wegen des streitigen Arbeitsunfalles endete mit dem letzten Tag der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit (s. § 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VII), also am 24.02.2002. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand nach der Auskunft der Krankenversicherung des Klägers (Die Continentale, Schreiben vom 08.05.2007) Arbeitsunfähigkeit wegen eines "unfallbedingten" RM-Defekts der rechten Schulter.

Der Senat kann nicht feststellen, dass über den 24.02.2002 hinaus wesentliche unfallbedingte funktionelle Einschränkungen des rechten Schultergelenkes bestanden, die eine MdE von wenigstens 10 v.H. rechtfertigen würden.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Zwar hat Prof. Dr. L. die MdE hinsichtlich des rechten Schultergelenkes - unabhängig von der Kausalitätsfrage, also allein auf die funktionellen Defizite bezogen - mit 20 v.H. bewertet. Er ist dabei zu Recht davon ausgegangen, dass für die Beurteilung des Umfangs der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens auf die aktiven Bewegungsmaße abzustellen ist, weil im Erwerbsleben regelmäßig nur das aktive Leistungsvermögen umgesetzt werden kann.

Indessen beruht seine Beurteilung auf Bewegungsmaßen, die er in der Untersuchung vom 07.08.2006 erhoben hat, also nach dem zweiten Unfall. Er ist dabei davon ausgegangen, dass es sich um einen Dauerzustand handelt, der seit dem streitigen Unfall besteht und dass sich durch den Unfall vom 19.11.2003 keine wesentlichen Änderungen ergeben haben. Auf dieser Grundlage hat er die MdE durchgehend mit 20 v.H. angenommen. Dem folgt der Senat im Hinblick auf die später durchgeführte Sachaufklärung und insbesondere die die Bewertung von Prof. Dr. L. überholenden Angaben des Klägers nicht.

Prof. Dr. L. hat bei seiner Beurteilung nämlich auch - und zutreffend - darauf hingewiesen, dass ihm die maßgeblichen Befunde bis zum Unfall vom 19.11.2003 nicht bekannt gewesen sind und ihm im Zeitpunkt seiner Beurteilung auch keine weiteren Informationen über den Unfallhergang und die Behandlung sowie die Befunde vorgelegen haben. Unbekannt ist ihm insbesondere die Darstellung des Klägers im Zusammenhang mit dem Unfall vom 19.11.2003 gewesen, wonach die rechte Schulter nach dem Unfall vom 17.10.2001 folgenlos ausgeheilt gewesen sei.

Bereits im Verwaltungsverfahren betreffend den Unfall vom 19.11.2003 hat der Kläger angegeben, die rechte Schulter sei nach der Operation durch Dr. H. wieder in Ordnung gewesen (vgl. Gesprächsnotiz vom 09.11.2004, Bl. 75 Verwaltungsakte Unfall vom 19.11.2003). Dies hat er in seiner Klagebegründung gegenüber dem Sozialgericht im Verfahren S 13 U 3785/05 erneut und ausdrücklich vorgetragen: "Diese Rotatorenmanschettenruptur" - gemeint nach dem Unfall vom 17.10.2001 - "wurde aber durch Herrn Dr. H. , Chefarzt der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Kreiskrankenhauses B. beseitigt, d.h. die rechte Schulter des Klägers war wieder bis auf die altersbedingten degenerativen Defizite (normal altersbedingte degenerative Defizite) wieder hergestellt. Auf jeden Fall war der Kläger bis zu dem Unfallereignis vom 19.11.2003 in der rechten Schulter beschwerdefrei. Dass eine komplette Wiederherstellung der Rotatorenmanschette stattgefunden hat, möge durch ein Sachverständigengutachten bzw. sachverständiges Zeugnis durch Herrn Dr. H. unter Beweis gestellt werden." Schließlich hat er ausweislich des Protokolls in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht ausgeführt, "dass die streitgegenständliche Schulter durch die Operation bei Dr. H. in toto komplett wieder hergestellt worden sei. Es bestünden daher ... keine Vorschäden mehr. Lediglich der streitgegenständliche Sturz habe zur Ruptur geführt." In seiner Anhörung durch den Vorsitzenden des Senats im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes hat der Kläger auch nach 45 Minuten dauernder Befragung durch den Senatsvorsitzenden und seinen Prozessbevollmächtigten den Widerspruch in seinen Angaben gegenüber dem Sozialgericht im Verfahren S 13 U 3785/05 einerseits und seinem Begehren auf Verletztenrente im vorliegenden Rechtsstreit andererseits nicht auflösen können. Er ist immer wieder vom Thema abgeschwenkt, hat verschiedene Schriftstücke aus seinen Unterlagen verlesen, statt eigene Angaben zu machen und hat schließlich, soweit er zu Angaben zu bewegen gewesen ist, diese auf Nachfrage teilweise wieder relativiert. Im Ergebnis hat sich der Kläger in diesem Termin dahin eingelassen, dass die rechte Schulter nach dem ersten Unfall und der Operation mit nachfolgendem Heilungsverlauf schmerzfrei gewesen sei, aber in der Beweglichkeit eingeschränkt. Diesem Vortrag teilweise, nämlich hinsichtlich des Bestehens von Schmerzen widersprechend trägt er im letzten Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten nun vor, sein Leiden habe sich nach der Operation gebessert, er habe seinen Arm bzw. seine Schulter wieder einsetzen können, aber nur eingeschränkt und unter Schmerzen. Nicht aufgeklärt hat der Kläger dagegen den eklatanten Widerspruch zu seinen Angaben vor dem Sozialgericht über eine vollständige Genesung und Beschwerdefreiheit. Seine Behauptung im bereits erwähnten letzten Schriftsatz, er habe die zweite Klage lediglich "hilfsweise" eingereicht, ist insoweit nicht erhellend. Auch wenn er geglaubt haben sollte, ihm stünde entweder nach dem ersten oder - falls nicht - zumindest nach dem zweiten Unfall eine Rente zu, ist diese rechtliche Beurteilung keine Begründung, warum seine Angaben gegenüber dem Sozialgericht nicht doch zutreffend sein sollten. Die Vermutung, es handle sich um Falschangaben, hat der Kläger sowohl im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes wie im genannten Schriftsatz vehement bestritten.

Die Angaben des Klägers über eine nahezu (bis auf degenerativ bedingte, also unfallunabhängige) völlige Beschwerdefreiheit nach der Operation durch Dr. H. finden in der weiteren Sachaufklärung des Senats sogar eine Entsprechung. So hat Dr. H. in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 17.12.2007 mitgeteilt, der Kläger sei vor dem zweiten Unfallereignis mit den Beschwerden und dem Funktionszustand der rechten Schulter zufrieden gewesen. Dr. Sch. hat angegeben, der Kläger sei sechs Monate nach der Operation durch Dr. H. beschwerdefrei gewesen (sachverständige Zeugenaussage vom 12.12.2007).

Der Senat vermag deshalb nicht davon auszugehen, dass die von Prof. Dr. L. im August 2006 anhand der aktiven Bewegungsmaße festgestellten Funktionseinschränkungen der rechten Schulter bereits seit dem 25.02.2002 bestanden. Denkbar wäre, dass - so die bereits dargestellten Angaben des Klägers vor dem Sozialgericht - in Gefolge der Operation durch Dr. H. eine nahezu vollständige Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der rechten Schulter mit völliger Beschwerdefreiheit eintrat, denkbar wäre, dass - so die zwischenzeitlichen Angaben des Klägers - gewisse Beschwerden nach der Operation bis zum zweiten Unfallereignis weiter bestanden. Im ersten Fall wäre eine MdE jeglicher Art zu verneinen, im zweiten Fall käme es für die Beurteilung der MdE auf die genauen Funktionseinschränkungen im jeweiligen Zeitraum an. Genaueres lässt sich indessen nicht feststellen. Insbesondere vermag der Senat nicht die Angaben des Klägers zu Grunde zu legen. Zum einen sind diese Angaben - wie dargelegt - in sich widersprüchlich, sodass schon unklar ist, welche nun gelten sollen. Zum anderen hat der Kläger durch diese Widersprüche und seinen Versuch, sowohl im vorliegenden Verfahren mit seinem Rentenbegehren (was die Behauptung dauerhafter Funktionseinschränkungen des rechten Schultergelenkes als Folge des Arbeitsunfalles vom 17.10.2001 impliziert) als auch im Parallelverfahren für dieselben Funktionseinschränkungen eine Entschädigung zu erhalten, jegliche Glaubwürdigkeit verloren.

Der Senat hat zwar durch Befragung der behandelnden Ärzte Befunde über die rechte Schulter insbesondere auch für die Zeit vor dem zweiten Unfallereignis ermittelt. Die von Prof. Dr. Sch. , Chefarzt der Rehabilitationsklinik S. - nur er erhob im fragliche Zeitraum vom 25.02.2002 bis zum zweiten Unfallereignis Bewegungsmaße - mitgeteilten Daten für August/September 2002 und April/Mai 2003 weisen auch eine nicht unerhebliche Funktionseinschränkung der rechten Schulter aus (siehe im Einzelnen Bl. 278 f. der LSG-Akte, insbesondere Seitwärtsführung auf 120 bzw. 110, Vorwärtsführung auf 70 Grad eingeschränkt, normal 180 bzw. 150 Grad). Indessen war die Erhebung derartiger aktiver Bewegungsmaße von der Mitarbeit des Klägers abhängig. Für eine Objektivierung und kritische Hinterfragung hatte Prof. Dr. Sch. als behandelnder Arzt keinen Anlass. Demgegenüber gab es aus Sicht des Klägers angesichts der bereits damals bestehenden Auseinandersetzung mit der Beklagten um die Entschädigung des Arbeitsunfalls vom 17.10.2001 durchaus ein Motiv für Aggravation. Auch in diesem Zusammenhang spielt für den Senat die dargestellte fehlende Glaubwürdigkeit des Klägers eine maßgebende Rolle. Deshalb und angesichts der bereits wiedergegebenen ärztlichen Äußerungen über eine erhebliche Besserung des Gesundheitszustandes durch die im November 2001 durchgeführte Operation bzw. Beschwerdefreiheit (Dr. H. bzw. Dr. Sch. ) kann der Senat die von Prof. Dr. Sch. erhobenen Befunde der Beurteilung der MdE nicht zu Grunde legen.

Eher unabhängig von der Mitarbeit des Klägers sind dagegen die teilweise von den Ärzten erhobenen passiven Bewegungsmaße der rechten Schulter. Aber auch sie machen das Vorliegen von erheblichen Funktionseinschränkungen hier nicht plausibel. Für den fraglichen Zeitraum vom 25.02.2002 bis zum zweiten Unfallereignis liegen zeitnah nur Untersuchungsbefunde von Dr. D. (Untersuchung am 05.02.2002, siehe im Einzelnen Bl. 87 der Verwaltungsakte Unfall 17.10.2001) vor, die indessen gegenüber den von Dr. H. am 05.10.2000 (siehe im Einzelnen Bl. 526 Verwaltungsakte Unfall 1984), also erhebliche Zeit vor dem streitigen Unfallereignis erhobenen (aktiven) Bewegungsmaßen keine relevante, nicht durch Messtoleranzen erklärbare Verschlechterung, sondern eher bessere Funktionsmaße erkennen lassen, in jedem Fall aber keine MdE rechtfertigen würden. Dies gilt für die von Prof. Dr. W. im Jahre 2004 (vgl. Verwaltungsakte Unfall vom 19.11.2003) und Prof. Dr. L. am 07.08.2006 erhobenen passiven Bewegungsmaße in noch stärkerem Maße, weisen diese doch sogar weitgehend normale Bewegungsmaße aus. Im Einzelnen stellen sich die mitgeteilten Befunde wie folgt dar: Bewegungsmaße rechte Schulter (Normalmaße) 05.10.2000 Dr. H. , aktive Bewegungsmaße 05.02.2002 Dr. D. , passive Bewegungsmaße, Seitendreher korrigiert Juli/August 2004 Prof. Dr. W. , passive Bewegungsmaße 07.08.2006 Prof. Dr. L. , passive Bewegungsmaße Arm seitwärts/körperwärts 180/0/20-40 155/0/30 140/0/40 160/0/30 160/0/30 Arm rückwärts/vorwärts 40/0/150-170 35/0/160 50/0/150 60/0/170 30/0/160 Arm auswärts/einwärts (anliegender Oberarm) 40-60/0/95 45/0/40 60/0/95 60/0/90 80/0/80 Arm auswärts/einwärts (abgespreizter Oberarm) 70/0/70 40/0/70 95/0/40 50/0/60 80/0/70

Im Ergebnis lassen sich die Angaben des Klägers im Klageverfahren S 13 U 3786/05 über eine vollständige Wiederherstellung seiner Schulterfunktion nach dem Unfall vom 17.10.2001 nicht widerlegen, seine dem widersprechenden Angaben im vorliegenden Rechtsstreit über eine dauerhafte und bis heute bestehende erhebliche Einschränkung der Schulterfunktion nach den Unfall vom 17.10.2001 aber auch nicht bestätigen. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, dass nach dem 24.02.2002 auf Grund des Unfalles vom 17.10.2001 und trotz der im November 2001 erfolgten Operation noch Funktionseinschränkungen des rechten Schultergelenkes bestanden, schon gar nicht das entsprechende Ausmaß. Dies geht nach dem dargelegten Grundsatz der objektiven Beweislast zum Nachteil des Klägers.

Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, ihm müsse in jedem Fall wegen der Funktionseinschränkungen des rechten Schultergelenkes eine Verletztenrente zustehen, entweder nach dem Unfallereignis vom 17.10.2001 oder jenem vom 19.11.2003, trifft dies nicht zu. Schon die Voraussetzungen einer solchen Wahlfeststellung liegen nicht vor, weil auch eine dritte Möglichkeit nicht auszuschließen ist. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Senats im Urteil vom heutigen Tag im Verfahren L 10 U 5318/07 nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Auf die - im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen einer Wahlfeststellung - schwierigen Erwägungen, ob und welche Funktionseinschränkungen durch welches Unfallereignis in Abgrenzung zu beim Kläger vorhandenen degenerativen Zuständen und Prozessen wesentlich verursacht sind, kommt es deshalb nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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