L 7 R 2482/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 310/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 2482/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 12. April 2007 (S 6 R 310/04) wird zurückgewiesen. Die Restitutionsklagen gegen die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. Dezember 2001 (S 2 RJ 2826/01) und des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2002 (S 12 RJ 4253/01) werden abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Wiederaufnahme gerichtlicher Verfahren über Ansprüche des Klägers auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) sowie auf Leistungen der beruflichen Rehabilitation.

Am 9. November 1998 erhob der Kläger nach Ablehnung eines Antrages auf berufliche Rehabilitation Klage beim Sozialgericht (SG) Reutlingen (S 2 RJ 3016/98), mit der er Umzugs- und Umschulungskosten gegen die Beklagte (damals noch Landesversicherungsanstalt Württemberg) geltend machte.

Am 3. Dezember 1998 erhob der Kläger eine weitere Klage beim gleichen Gericht (S 2 RJ 3258/98), mit der er die Gewährung von Rente wegen BU begehrte. Nachdem das SG beide Klagen zunächst durch Beschluss vom 12. Juli 1999 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hatte, hob es diese Verbindung durch Beschluss vom 19. Juni 2000 wieder auf; das auf Rente wegen BU gerichtete Verfahren wurde unter dem neuen Aktenzeichen S 2 RJ 1522/00 fortgeführt. Im Verfahren S 2 RJ 3016/98 schlossen die Beteiligten am 26. Oktober 2000 einen gerichtlichen Vergleich, wonach sich die Beklagte bereit erklärte, dem Kläger eine überbetriebliche Umschulung zum IT-Systemelektroniker zu gewähren und der Kläger unter Annahme des Anerkenntnisses die Klage für erledigt erklärte. Mit Schreiben vom 2. Mai 2001 wandte sich der Kläger unter dem Aktenzeichen S 2 RJ 3016/98 erneut an das SG mit dem Antrag, das genannte Klageverfahren wieder aufzunehmen, da die Beklagte ihrer Verpflichtung aus dem Vergleich nicht nachkomme.

Mit Urteil vom 10. Mai 2001 wies das SG im Verfahren S 2 RJ 1522/00 nach mündlicher Verhandlung, an der der Kläger teilgenommen hatte, die auf Gewährung einer Rente wegen BU gerichtete Klage ab. Die verfügte Zustellung dieses Urteils durch Übergabeeinschreiben scheiterte, da der Kläger das niedergelegte Schriftstück nicht abholte. Unter dem 18. Juni 2001 wurde dem Kläger das Urteil mit einfachem Brief zugesandt.

Mit Gerichtsbescheid vom 17. Dezember 2001 (S 2 RJ 2826/01) stellte das SG fest, dass der Rechtsstreit des Klägers wegen beruflicher Rehabilitation ("S 2 RJ 3016/00") durch gerichtlichen Vergleich vom 26. Oktober 2000 beendet sei. Nachdem auch hier die Zustellung mittels Übergabeeinschreiben gescheitert war, da der Kläger das Schriftstück nicht abgeholt hatte, wurde der Gerichtsbescheid dem Kläger mittels Postzustellungsurkunde (PZU) am 10. Januar 2002 durch Niederlegung zugestellt. Da der Kläger auch diese Sendung nicht abgeholt hatte, übersandte das SG den Gerichtsbescheid mit einfachem Brief vom 18. April 2002, der den Kläger unter der bekannten Adresse jedoch nicht mehr erreichte. Nach erfolglosen Ermittlungen hinsichtlich des neuen Wohnsitzes ordnete das SG durch Beschluss vom 29. April 2002 die öffentliche Zustellung des Gerichtsbescheides an.

Eine am 7. November 2001 beim SG Karlsruhe erhobene Klage gegen die Aufhebung der Bewilligung einer Umschulungsmaßnahme wies das Sozialgericht Karlsruhe durch Gerichtsbescheid vom 19. Dezember 2002 (S 12 RJ 4253/01) ab. Die dagegen beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung (L 2 RJ 433/03) wurde vom Kläger am 17. Dezember 2003 zurückgenommen.

Am 30. September 2003 hat der Kläger beim SG Reutlingen unter Angabe des Aktenzeichens S 2 RJ 3258/98 beantragt, den Rechtsstreit "wieder aufzunehmen". Im Klageverfahren sei durch die Beklagte vorsätzlich verschwiegen worden, dass gesetzliche Bestimmungen besagten, dass ein Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse 2 diese unmittelbar nach dem Erleiden eines Schlaganfalles abzugeben habe. Die Beklagte habe damit nicht nur vorsätzlich die Berufs- und Teilerwerbsunfähigkeitsrente verweigert, sondern auch den Straftatbestand eines vorsätzlichen Betruges in Tateinheit mit vorsätzlicher Falschaussage erfüllt. Die Beklagte habe die berufliche Rehabilitation, die als "Vorzug" zur Gewährung einer Rente zu sehen sei, abgebrochen, sodass das Verfahren über die Berufsunfähigkeitsrente wieder aufzunehmen sei. Auf Nachfrage des SG, ob das Schreiben als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne der §§ 578 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) zu verstehen sei oder ob der Kläger die Erteilung eines Zugunstenbescheides gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) anstrebe, hat der Kläger durch Schreiben vom 1. März 2004 klargestellt, dass er die Wiederaufnahme des Verfahrens begehre; zusätzlich hat er den Antrag erweitert auf die Wiederaufnahme des Klageverfahrens bezüglich der Bewilligung einer Maßnahme zur beruflichen Rehabilitation, das im Oktober 2000 mit einem Vergleich abgeschlossen worden sei. Hierzu hat er zur Begründung ausgeführt, durch die Nichtbewilligung von Hilfsmitteln, die zur Arbeitssicherheit für Computerarbeitsplätze nötig seien, sowie durch Missachtung der gesetzlichen Vorschriften für Schwerbehinderte habe die Beklagte die im gerichtlichen Vergleich anerkannte Maßnahme der beruflichen Rehabilitation behindert, was eine Strafanzeige wegen des dringenden Verdachts der vorsätzlichen und fahrlässigen Körperverletzung nach sich gezogen habe. Mit Schriftsatz seines damaligen Bevollmächtigten vom 3. November 2005 hat der Kläger zunächst beantragt, den Gerichtsbescheid des SG Karlsruhe vom 19. Dezember 2002, S 12 RJ 4253/01, aufzuheben und das Verfahren wiederaufzunehmen sowie die Bescheide der Beklagten vom 16. Juli und 2. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Oktober 2001 sowie den Bescheid vom 10. Mai 2005 aufzuheben. Unter dem 26. Juli 2006 hat der Kläger zusätzlich beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 10. Mai 2001, S 2 RJ 1522/00, aufzuheben und das Verfahren wiederaufzunehmen sowie die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen BU zu gewähren. Mit Schriftsatz vom 4. April 2007 hat der Kläger nur noch den zuletzt erhobenen Antrag aufrechterhalten; die Anträge bezüglich des Gerichtsbescheides des SG Karlsruhe vom 19. Dezember 2002 sowie die Klage wegen des Bescheids vom 10. Mai 2005 sind zurückgenommen worden. Zur Begründung der aufrechterhaltenen Anträge hat der Kläger ausgeführt, nach seiner Ansicht sei der wesentliche Grund für die Ablehnung einer Berufsunfähigkeitsrente der Grundsatz "Reha vor Rente" gewesen. Nachdem die Beklagte dem Kläger jedoch seit 1988 vorsätzlich und rechtswidrig zustehende Leistungen wegen Rehabilitation verweigere, hätte eine Berufsunfähigkeitsrente zugesprochen werden müssen.

Das SG Reutlingen hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12. April 2007 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, da der Kläger einen Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 179 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 580 ZPO nicht schlüssig behauptet habe.

Gegen diesen, seinem damaligen Bevollmächtigten am 19. April 2007 zugestellen Gerichtsbescheid hat sich der Kläger mit einem als "Widerspruch" bezeichneten Schreiben gewandt, das am 7. Mai 2007 beim SG eingegangen ist. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, es sei unbeachtet geblieben, dass die Beklagte und ihre Mitarbeiter bereits seit dem Jahr 1988 wissentlich und vorsätzlich gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen und somit vorsätzlich Körperverletzung begangen hätten. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart habe die Strafanträge von 1991 und 2004 ohne ordnungsgemäße Prüfung der Sach- und Rechtslage eingestellt. Des Weiteren habe das Sozialgericht Reutlingen im Jahr 2001 durch einen "Gerichtsbeschluss" in dem Verfahren wegen Bewilligung einer beruflichen Rehabilitation entschieden, ohne die Nichtbewilligung von gesetzlich vorgeschriebenen Hilfsmitteln für die Arbeiten am Computer zu beachten; diese Entscheidung sei ihm auch zu keinem Zeitpunkt zugegangen. Daher seien alle Entscheidungen des Sozialgerichts Reutlingen aus den Jahren 2000 und 2001 und die des Sozialgerichts Karlsruhe aus dem Jahr 2002 vollständig zu prüfen, was das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid nicht getan habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 3/4 sowie 15 der Senatsakten Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 12. April 2007 aufzuheben und im Wege der Restitutionsklage das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 10. Mai 2001 (S 2 RJ 1522/00) sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. Dezember 2001 (S 2 RJ 2826/01) und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2002 (S 12 RJ 4253/01) aufzuheben und unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide Rente wegen Berufsunfähigkeit ab November 1989, spätestens ab April 1994 zu gewähren sowie ferner eine Umschulung im Rahmen der beruflichen Rehabilitation mit Übernahme sämtlicher Kosten für Lehr- und Ausbildungsmaterial und zusätzliche Heil- und Hilfsmittel zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die erweiterten Klagen abzuweisen.

Das SG habe in der angefochtenen Entscheidung zu Recht festgestellt, dass Wiederaufnahmegründe nicht vorlägen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der bei der Beklagten geführten Verwaltungsakte des Klägers (Band I bis V), die Akten der sozialgerichtlichen Verfahren des SG Reutlingen, S 2 RJ 1522/00 (S 2 RJ 3258/98), S 2 RJ 2826/01 (S 2 RJ 3016/98) sowie S 6 RJ 310/04, die Akte des Landessozialgerichts Baden-Württemberg L 2 RJ 433/03 sowie die Senatsakten im vorliegenden Verfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die als "Widerspruch" bezeichnete Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht beim SG eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Darüber hinaus ist die mit der Berufungsschrift vom 7. Mai 2007 erweiterte Klage unzulässig.

Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist allein der Gerichtsbescheid des SG Reutlingen vom 12. April 2007 (S 6 R 310/04) und damit ein Anspruch auf Wiederaufnahme des früheren, auf Gewährung von Rente wegen BU gerichteten Verfahrens (S 2 RJ 1522/00). Der Senat hat dagegen nicht über eine Berufung gegen das diesbezügliche Urteil des SG Reutlingen vom 10. Mai 2001 (S 2 RJ 1522/00) zu entscheiden. Der Kläger hatte sich mit seinem Antrag vom 30. September 2003 ausdrücklich an das SG mit dem Begehren der Wiederaufnahme des dortigen Verfahrens gewandt, nicht an das Berufungsgericht mit dem Begehren der Überprüfung des Urteils vom 10. Mai 2001. Auf ausdrückliche Nachfrage des SG hatte der Kläger darüber hinaus eindeutig sein Klagebegehren dahin konkretisiert, dass das auch aus seiner Sicht abgeschlossene Verfahren S 2 RJ 1522/00 gemäß §§ 578 ff. ZPO wiederaufzunehmen sei. Eine Überprüfung der zugrunde liegenden Ablehnungsbescheide gemäß § 44 SGB X verfolgt er nach seinem ausdrücklichen Vorbringen gerade nicht. Dass sein Begehren auf eine Wiederaufnahmeklage nach § 179 SGG i.V.m. §§ 578 ff. ZPO gerichtet ist, ergibt sich auch aus der Begründung des Antrags, für die der Kläger auf ein angeblich strafrechtlich relevantes Verhalten der Beklagten bzw. ihrem Mitarbeiter verweist. An dieses eindeutig erkennbare Klagebegehren sind die Gerichte gebunden. Der Senat kann daher offen lassen, ob eine Berufung gegen das Urteil des SG Reutlingen vom 10. Mai 2001 noch zulässig wäre oder dieses zumindest wegen Verwirkung rechtskräftig geworden ist (vgl. hierzu die unten stehenden Ausführungen).

Nach § 179 Abs. 1 SGG kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozessordnung (§§ 578 ff. ZPO) wiederaufgenommen werden. Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist nach Abs. 2 ferner zulässig, wenn ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wesentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat. Die weiteren - neben § 179 Abs. 2 SGG tretenden - Gründe, aus denen eine Restitutionsklage stattfinden kann, sind in § 580 ZPO abschließend aufgezählt. Bei der entsprechenden Anwendung der ZPO-Vorschriften im Verfahren vor den Sozialgerichten ist der bei den letzteren geltende Amtsermittlungsgrundsatz sowie die geringere Formstrenge zu beachten. Daher können zwar die §§ 587, 588 ZPO nicht ohne Weiteres für das sozialgerichtliche Verfahren herangezogen werden. Unabhängig von diesen Formvorschriften prüft das Gericht gemäß § 589 Abs. 2 ZPO von Amts wegen, ob die Klage an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Nach der hierzu ergangenen zivilrechtlichen Rechtsprechung bezieht sich die Statthaftigkeit der Klage in diesem Sinne nicht auf das tatsächliche Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes, sondern das schlüssige Behaupten desselben (Bundesgerichtshof (BGH) BGHZ 57, 213; strenger Bundessozialgericht (BSG) BSGE 29, 10). Da die Möglichkeit einer Rechtsverletzung auch im sozialgerichtlichen Verfahren Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage ist, sind diese Anforderungen an die Statthaftigkeit der Wiederaufnahmeklage von der entsprechenden Anwendung, wie sie in § 179 Abs. 1 SGG angeordnet wird, umfasst.

Wie das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zu Recht ausgeführt hat, hat der Kläger keinen der in § 580 ZPO genannten Tatbestände schlüssig behauptet. Der Senat nimmt daher nach eigener Prüfung auf die dortigen Ausführungen Bezug und sieht von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Der Kläger begründet seinen Antrag mit einem angeblich strafbaren Verhalten der Beklagten bzw. ihrem Mitarbeiter. In Betracht käme daher nur der Wiederaufnahmegrund des § 580 Nr. 4 ZPO, der voraussetzt, dass das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist. Nach § 581 Abs. 1 ZPO findet in den Fällen u.a. des § 580 Nr. 4 ZPO die Restitutionsklage nur statt, wenn wegen der Straftat eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist oder wenn eine Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweisen nicht erfolgen kann. Ein Strafurteil wurde weder vorgelegt noch bezeichnet. Der Kläger hat nur geltend gemacht, Strafanträge, die er 1991 und 2004 gestellt habe, seien durch die Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolgt, sondern die Verfahren eingestellt worden. Ob dies nach § 170 der Strafprozessordnung erfolgt ist, weil nach Ansicht der Staatsanwaltschaft bereits keine strafbare Handlung vorliege, wurde vom Kläger nicht mitgeteilt. Sollte dies der Fall gewesen sein, wären die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit hieran gebunden; eine eigene Prüfung steht ihnen insoweit nicht zu. Die Restitutionsklage wäre dann bereits aus diesem Grund unzulässig (Greger in Zöller, ZPO, 2. Aufl., § 581 Rdnr. 5 f). Erfolgte die Einstellung der staatsanwaltlichen Verfahren aus anderen Gründen, steht dies der Zulässigkeit der Restitutionsklage zunächst nicht entgegen. Die Klage ist jedoch auch dann aus anderen Gründen unzulässig. Der Kläger hat den Wiederaufnahmegrund des § 580 Nr. 4 ZPO nicht schlüssig behauptet. Dem gesamten Vorbringen des Klägers ist nur zu entnehmen, dass er die Ablehnung einer Rente wegen BU durch die Beklagte als vorsätzlichen Betrug wertet. Allein damit sind die Voraussetzungen des Tatbestandes des § 580 Nr. 4 ZPO jedoch nicht behauptet. Des Weiteren beruft sich der Kläger darauf, dass die Beklagte vorsätzlich verschwiegen habe, dass gesetzliche Bestimmungen besagten, dass ein Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse 2 diese abzugeben habe, wenn er einen Schlaganfall erleide. Auf eine solche Aussage ist das Urteil des SG vom 10. Mai 2001 jedoch gerade nicht gestützt. Vielmehr wird dort ausgeführt, dass der Kläger seinen zuletzt ausgeübten Beruf als Fahrer nicht mehr ausüben könne, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig sei. Bereits aus diesem Grund kann ein Aufnahmegrund nach § 580 Nr. 4 ZPO nicht in Betracht kommen, ohne dass es darauf ankäme, ob eine solche Aussage im Verfahren tatsächlich abgegeben wurde, durch wen und ob dieses strafrechtlich überhaupt in irgendeiner Weise zu bewerten wäre. Die pauschalen Hinweise des Klägers auf Strafanträge in den Jahren 1991 und 2004 reichen ebenfalls nicht zur schlüssigen Behauptung aus. Diese sind weder konkretisiert noch können sie schon nach dem angegebenen Zeitraum schlüssig auf das Urteil vom 10. Mai 2001 bezogen werden. Die behaupteten Strafanträge liegen ca. sieben Jahre vor Einleitung des sozialgerichtlichen Verfahrens, bzw. drei Jahre nach dessen Abschluss.

Der Tatbestand des § 580 Nr. 4 ZPO wird des Weiteren ergänzt durch den Tatbestand des § 179 Abs. 2 SGG. Diese Vorschrift setzt zwar nicht die für den Prozessbetrug erforderliche Absicht voraus, sich durch unwahre Behauptungen einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Andererseits ist eine strafgerichtliche Verurteilung wegen wissentlich falscher Behauptung oder vorsätzlichen Verschweigens erforderlich (BSG SozR 3-1500 § 179 Nr. 1). Da auch nach dem eigenen Vorbringen des Klägers eine strafgerichtliche Verurteilung nicht erfolgt ist, steht auch dies der Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage entgegen.

Da die Klage bereits aus den genannten Gründen unzulässig ist, kann der Senat offenlassen, ob sich die Wiederaufnahmeklage im vorliegenden Fall tatsächlich gegen eine rechtskräftige Entscheidung des SG richtet. Bereits § 179 Abs. 1 SGG setzt voraus, dass das Verfahren rechtskräftig beendet wurde. Rechtskraft tritt im Falle eines Urteils mit fruchtlosem Verstreichen der Rechtsmittelfrist ein. Gegen das Urteil des SG vom 10. Mai 2001 war nach §§ 143, 144 SGG die Berufung statthaft. Diese ist nach § 151 Abs. 1 SGG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Nach § 63 Abs. 2 SGG in der bis 1. Januar 2002 geltenden Fassung wurden gerichtliche Entscheidungen von Amts wegen nach den §§ 2 bis 15 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) zugestellt. Danach war die Zustellung durch eingeschriebenen Brief möglich (§ 4 VwZG). Eine wirksame Zustellung des Urteils vom 10. Mai 2001 liegt jedoch nicht vor. Die Zustellung durch Übergabeeinschreiben ist nicht bereits durch das Einwerfen der Benachrichtigung in den Briefkasten bewirkt, sondern setzt die Aushändigung des eigentlichen Schriftstücks, also der Urteilsausfertigung, voraus (BSG SozR 3-1960 § 4 Nr. 5). Die Übersendung per einfachem Brief stellt keine - förmliche - Zustellung dar, die die Berufungsfrist auslösen könnte. Eine Heilung durch den nachweislichen Erhalt des Schriftstücks war nach § 9 Abs. 2 VwZG in der bis zum 30. Juni 2002 geltenden Fassung vom 1. Januar 1994 nicht möglich, wenn mit der Zustellung die Berufungsfrist beginnt. Eine wirksame, die Berufungsfrist auslösende Zustellung lag somit hinsichtlich des Urteils vom 10. Mai 2001 nicht vor.

Allerdings kann trotz des Fehlens einer wirksamen Zustellung das Rechtsmittel verwirkt werden. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn der Betroffene ein Jahr seit Kenntnis, etwa seit Verkündung oder fehlerhafter Zustellung des Urteils, unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung der Rechte unternommen zu werden pflegt (Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 151 Rdnr. 8). Im vorliegenden Fall ist danach zu berücksichtigen, dass der Kläger durch seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung im Rechtsstreit S 2 RJ 1522/00 am 10. Mai 2001 von der Abweisung der auf Rente wegen BU gerichteten Klage durch die verkündete Urteilsformel informiert war. Des Weiteren hat der Kläger selbst gerade bezüglich dieses Urteils nicht behauptet, es nicht bekommen zu haben; dies wendet er lediglich gegen den Gerichtsbescheid des SG aus dem Jahre 2001 betreffend den Rechtsstreit über berufliche Rehabilitation ein. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Kläger das Urteil auch in seinem ganzen Wortlaut (einschließlich Rechtsmittelbelehrung) noch im Juni 2001 erhalten hatte. Ob jedoch auch die weiteren Voraussetzungen einer Verwirkung vorliegen, kann offenbleiben. Ginge man davon aus, dass der Kläger das Rechtsmittel gegen das Urteil des SG vom 10. Mai 2001 noch nicht verwirkt hätte, läge ein rechtskräftiges Urteil noch nicht vor. Die Wiederaufnahmeklage wäre dann bereits aus diesem Grund unstatthaft. Vielmehr stünde dem Kläger dann noch die Berufung gegen das genannte Urteil offen. Im vorliegenden Verfahren ist jedoch über eine solche Berufung nicht zu entscheiden, da, wie oben ausgeführt, Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens allein die mit Gerichtsbescheid vom 12. April 2007 abgewiesene Klage auf Wiederaufnahme des früheren Verfahrens ist.

Wenn der Kläger hingegen das Rechtsmittel der Berufung bereits verwirkt hat, ist die Wiederaufnahmeklage zwar insoweit statthaft, jedoch aus den oben genannten Gründen unzulässig. Da das SG somit die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen hat, ist die Berufung des Klägers unbegründet.

In der Berufungsschrift hat der Kläger die Wiederaufnahmeklage erweitert. Über den zuletzt beim SG noch gestellten und aufrechterhaltenen Antrag hinaus begehrt der Kläger nunmehr - wiederum - die Wiederaufnahme der sozialgerichtlichen Verfahren hinsichtlich eines Anspruches auf berufliche Rehabilitation. Dies betrifft zunächst das Verfahren vor dem SG Reutlingen (S 2 RJ 3016/98), dessen Beendigung durch gerichtlichen Vergleich durch Gerichtsbescheid vom 17. Dezember 2001 (S 2 RJ 2826/01) festgestellt worden war. Des Weiteren bezeichnet der Kläger in der Berufungsschrift auch das Verfahren vor dem SG Karlsruhe (S 12 RJ 4253/01). Die Wiederaufnahme dieser Verfahren hatte der Kläger bereits zunächst im Verfahren vor dem SG beantragt, seine Anträge jedoch insoweit zuletzt nicht mehr aufrechterhalten, sondern zurückgenommen. Der Zulässigkeit der Klageerweiterung bezüglich dieser beiden Verfahren im Berufungsverfahren steht die Unzulässigkeit dieser Klagen entgegen. Nach § 568 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 179 Abs. 1 SGG ist die Wiederaufnahmeklage vor Ablauf der Notfrist eines Monats zu erheben. Dabei beginnt die Frist nach Abs. 2 mit dem Tag, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils. Diese Frist hat der Kläger durch die Klageerweiterung in der Berufungsschrift nicht gewahrt. Da er die Wiederaufnahme zunächst bereits im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht hatte, hatte er bereits zu diesem Zeitpunkt Kenntnis der Anfechtungsgründe, die seiner Ansicht nach die Wiederaufnahme rechtfertigen. Der Gerichtsbescheid des SG Reutlingen vom 17. Dezember 2001 (S 2 RJ 2826/01) war dem Kläger per PZU durch Niederlegung am 10. Januar 2002 erfolgreich zugestellt worden. Hierfür genügte nach § 3 Abs. 3 VwZG in der Fassung vom 1. Januar 1964 i.V.m. § 182 ZPO in der ab 1. Januar 2002 geltenden Fassung vom 27. Juli 2001 die Niederlegung des zuzustellenden Schriftstücks bei der Postanstalt und der Einwurf der Mitteilung hierüber in den Briefkasten des Empfängers. Dies wurde hier in der PZU vermerkt und ist dadurch nachgewiesen. Unerheblich ist es daher, dass der Kläger den Gerichtsbescheid selbst nicht erhalten hat. Damit ist diese Entscheidung mangels fristgerechter Anfechtung rechtskräftig geworden. Gleiches gilt für den Gerichtsbescheid des SG Karlsruhe vom 19. Dezember 2002 (S 12 RJ 4253/01), nachdem die zunächst eingelegte Berufung (L 2 RJ 433/03) am 17. Dezember 2003 zurückgenommen worden war. Demnach begann die Klagefrist des § 586 ZPO mit dem Tag der Kenntnis der behaupteten Anfechtungsgründe und ist daher aus den genannten Gründen im Berufungsverfahren nicht mehr gewahrt. Im Übrigen liegen dieselben Unzulässigkeitsgründe vor, die zur Unbegründetheit der Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 27. April 2007 geführt haben. Die erweiterten Klagen waren daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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