L 8 SB 2783/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SB 6787/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 2783/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. April 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Neufeststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

Bei dem 1966 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt Stuttgart (VA) mit Bescheid vom 26.03.2004 erstmals den GdB mit 20 und mit Bescheid vom 20.05.2005 wegen einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, einem operierten Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen sowie einem chronischen Schmerzsyndrom den GdB mit 30 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommenssteuergesetz jeweils seit dem 29.03.2005 neu fest. Einen gegen den Bescheid vom 20.05.2005 eingelegten Widerspruch nahm der Kläger zurück.

Am 15.03.2006 stellte der Kläger wegen Verschlimmerung der festgestellten und neu hinzugetretenen Behinderungen (operierter Leistenbruch, psychische Probleme) beim VA einen weiteren Antrag auf Neufeststellung des GdB. Das VA nahm medizinische Befundunterlagen zu den Akten (Kurzbriefe der Reha-Klinik K. vom 23.02.2006 und 24.02.2006 und Reha-Entlassungsbericht vom 14.03.2006, Befundberichte des Bezirkskrankenhaus G. vom 22.11.2005, der Dr. O. vom 13.03.2006). Nach versorgungsärztlicher Auswertung dieser Unterlagen durch Dr. K. vom 26.04.2006 lehnte das VA den Neufeststellungsantrag des Klägers mit Bescheid vom 23.05.2006 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine wesentliche Verschlimmerung sei nicht eingetreten. Der Leistenbruch bedinge keinen Einzel-GdB von wenigstens 10.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 26.06.2006 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung gelten, die sich aus dem Reha-Entlassungsbericht vom 14.03.2006 ergebende Anpassungsstörung sei als weitere Funktionsbeeinträchtigung mit einem GdB von 20 zu bewerten. Entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. H.-H. vom 06.08.2006, in der für eine seelische Störung ein GdB von 10 und der Gesamt-GdB weiterhin mit 30 vorgeschlagen wurde, wurde der Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Landesversorgungsamt - vom 23.08.2006 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die geltend gemachte seelische Störung sei mit einem GdB von 10, der sich nicht auf die Höhe des Gesamt-GdB auswirke, zu berücksichtigen, da eine Überschneidung mit dem psychischen Anteil des bereits festgestellten chronischen Schmerzsyndroms vorliege. Selbst bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von 20 sei es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Hiergegen erhob der Kläger am 11.09.2006 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Er machte zur Begründung geltend, der Ansicht, dass die seelische Störung mit einem GdB von 10 zu bewerten sei, könne er sich nicht anschließen. Er legte ein Attest der Dr. O. vom 09.03.2007 vor.

Das SG hörte - auf Anregung des Klägers - die Nervenärztin Dr. O. schriftlich als sachverständige Zeugin. Sie berichtet in ihrer Stellungnahme vom 23.10.2006 über den Behandlungsverlauf, die erhobenen Befunde und Diagnosen und führte aus, ein L4 bis S1-Syndrom sowie eine somatoforme Schmerzstörung bedingten einen GdB von jeweils 30. Sie stimme auf ihrem Fachgebiet mit der Beurteilung des versorgungsärztlichen Dienstes überein. Eine Verschlimmerung oder Besserung sei nicht eingetreten. Der Kläger leide an einer psychischen Erkrankung. Es bestünden Störungen im Antrieb, der Affektivität und der Konzentrationsfähigkeit. Die Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sei wesentlich eingeschränkt.

Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. Wolf vom 14.03.2007 und 28.03.2007 entgegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 23.04.2007 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, seit dem Erlass des Bescheides vom 20.05.2005 sei eine wesentliche Änderung, die eine Erhöhung des GdB zur Folge habe, nicht eingetreten. Die Bewertung des GdB mit 30 sei angemessen. Die Einordnung des Wirbelsäulenleidens mit einem GdB von 30 werde dem Schweregrad auch unter dem zu berücksichtigenden chronischen Schmerzsyndrom gerecht. Für die seelische Störung sei ein GdB von 10 zugrunde zu legen. Auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Gerichtsbescheid wird Bezug genommen.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 02.05.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 01.06.2007 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung geltend gemacht, eine wesentliche Änderung sei eingetreten, da er an außergewöhnlich starken Schmerzen leide, weswegen er in einer speziellen schmerztherapeutischen Behandlung sei und die zusätzlich zu berücksichtigen seien.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. April 2007 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. August 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 40 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffen.

Der Senat hat die vom Kläger benannte behandelnde Ärztin für Anästhesie und Schmerztherapie Dr. St. schriftlich als sachverständige Zeugin angehört. Sie hat in ihrer Stellungnahme vom 21.12.2007 über die Behandlung des Klägers berichtet und weiter dahin Stellung genommen, dass sie mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme übereinstimme. Die Hauptbehinderung sehe sie in der psychosomatischen Erkrankung.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf ein Band Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 23.05.2006 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neufeststellung eines GdB von mehr als 30.

Der Beklagte wird seit 01.01.2005 wirksam durch das Regierungspräsidium Stuttgart vertreten. Nach § 71 Abs. 5 SGG wird in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts das Land durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten. In Baden-Württemberg sind die Aufgaben des Landesversorgungsamts durch Art 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (Verwaltungsstruktur-Reformgesetz -VRG-) vom 01.07.2004 (GBl S. 469) mit Wirkung ab 01.01.2005 (Art 187 VRG) auf das Regierungspräsidium Stuttgart übergegangen.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung im Hinblick auf den GdB gegenüber einer vorausgegangenen Feststellung liegt nur dann vor, wenn im Vergleich zu den den GdB bestimmenden Funktionsausfällen, wie sie der letzten Feststellung des GdB tatsächlich zugrunde gelegen haben, insgesamt eine Änderung eingetreten ist, die einen um wenigstens 10 geänderten Gesamt-GdB bedingt. Dabei ist die Bewertung nicht völlig neu, wie bei der Erstentscheidung, vorzunehmen. Vielmehr ist zur Feststellung der Änderung ein Vergleich mit den für die letzte bindend gewordene Feststellung der Behinderung oder eines Nachteilsausgleichs maßgebenden Befunden und behinderungsbedingten Funktionseinbußen anzustellen. Eine ursprünglich falsche Entscheidung kann dabei grundsätzlich nicht korrigiert werden, da die Bestandskraft zu beachten ist. Sie ist lediglich in dem Maße durchbrochen, wie eine nachträgliche Veränderung eingetreten ist. Dabei kann sich ergeben, dass das Zusammenwirken der Funktionsausfälle im Ergebnis trotz einer gewissen Verschlimmerung unverändert geblieben ist. Rechtsverbindlich anerkannt bleibt nur die festgestellte Behinderung mit ihren tatsächlichen Auswirkungen, wie sie im letzten Bescheid in den Gesamt-GdB eingeflossen, aber nicht als einzelne (Teil-)GdB gesondert festgesetzt worden sind. Auch der Gesamt-GdB ist nur insofern verbindlich, als er im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X bestandsgeschützt ist, nicht aber in der Weise, dass beim Hinzutreten neuer Behinderungen der darauf entfallende Teil-GdB dem bisherigen Gesamt GdB nach den Maßstäben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2004/2008 (AHP) hinzuzurechnen ist (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 29). Die Verwaltung ist nach § 48 SGB X berechtigt, eine Änderung zugunsten und eine Änderung zuungunsten des Behinderten in einem Bescheid festzustellen und im Ergebnis eine Änderung zu versagen, wenn sich beide Änderungen gegenseitig aufheben (BSG SozR 3-3870 § 3 Nr. 5).

Auf Antrag des Behinderten stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den daraus resultierenden GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX), so dass auch hier die AHP heranzuziehen sind.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt ungeeignet (vgl. Nr. 19 Abs. 1 der AHP). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (Nr. 19 Abs. 3 der AHP). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 19 Abs. 4 der AHP). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der AHP in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5).

Hiervon ausgehend beträgt der Gesamt-GdB beim Kläger nach wie vor 30, wie das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids eingehend und zutreffend ausgeführt hat. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zum selben Ergebnis und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf voll umfänglich Bezug (§ 153 Absatz 2 SGG).

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen des Klägers bleibt ergänzend auszuführen:

Ein bei der Bildung des Gesamt-GdB erhöhend zu berücksichtigendes außergewöhnliches Schmerzsyndrom, worauf der Kläger zur Begründung seiner Berufung (allein) abgestellt hat, liegt nicht vor. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus der Stellungnahme der im Berufungsverfahren als sachverständige Zeugin gehörten Dr. St. vom 21.12.2007. Nach ihren Angaben war der Kläger nur zweimal in ihrer Sprechstunde (am 16.10.2007 und 27.11.2007). Einen mitgenommenen Schmerzfragebogen hat der Kläger nicht ausgefüllt zurückgegeben. Welche Tabletten der Kläger einnimmt, konnte er nicht nennen. Diese Umstände sprechen gegen das Vorliegen eines bei der Bildung des Gesamt-GdB zusätzlich zu berücksichtigenden außergewöhnlichen Schmerzsyndroms. Dem entspricht auch die Aussage von Dr. St., mit der vom Beklagten am 06.07.2006 im Verwaltungsverfahren veranlassten gutachtlichen Stellungnahme von Dr. H.-H., in der von einem Gesamt-GdB von 30 ausgegangen wird, übereinzustimmen.

Sonstige Gesichtspunkte, die beim Kläger einen GdB von 40 oder mehr als angemessen erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Senat hält den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt durch die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen und die in erster und zweiter Instanz durchgeführten Ermittlungen für geklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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