L 6 VG 739/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 VG 163/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 739/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte der Klägerin Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zu gewähren hat.

Die 1953 geborene Klägerin wurde am 14. Dezember 2002 in ihrer Wohnung Opfer einer vorsätzlichen Körperverletzung durch ihren Lebensgefährten W. B. Mit W.B. war die Klägerin in erster Ehe von 1977 bis zu ihrer Scheidung im Jahr 1984 verheiratet. Nach Scheidung ihrer sodann eingegangenen zweiten Ehe zog die Klägerin erneut mit W.B. zusammen und bewohnt seither mit diesem wiederum eine gemeinsame Wohnung. Mit im Haushalt lebt der aus der zweiten Ehe der Klägerin stammende, 1989 geborene Sohn M. K ...

Am Abend des 14. Dezember 2002 war es zwischen der Klägerin und W.B. zu Streitigkeiten wegen der Nutzung der in der Wohnung befindlichen drei Fernsehgeräte gekommen. Während die Klägerin auf dem Boden kniete und an einer Weiche für die Fernsehgeräte hantierte, kam W.B. aus dem Kinderzimmer, wo er offenbar Fernsehen geschaut hatte, fragte die Klägerin, was sie mache und packte sie von hinten an der Schulter und stieß sie nach vorne. Dadurch fiel die Klägerin nach vorn zu Boden, wobei sie noch versuchte, sich mit der linken Hand abzustützen. Bei dem Sturz zog sie sich eine Unterarmfraktur zu.

Am 31. Januar 2003 ging beim früheren Versorgungsamt K. (VA) die "Unfallmeldung" der Klägerin ein, mit der sie der Techniker Krankenkasse (TKK) den Vorfall vom 14. Dezember 2002 beschrieben hatte, ferner deren bei der TKK am 30. Januar 2003 eingegangener Antrag auf Versorgung nach dem OEG. Im Rahmen des ihr sodann übersandten Formularantrags gab die Klägerin gegenüber dem VA unter dem 14. Mai 2003 über ihre bisherigen Angaben hinaus an, es liege ein Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 3. März 2003 vor, mit dem W.B. zu einer Geldstrafe von 600 EUR verurteilt worden sei.

Das VA zog vom Diakonissen-Krankenhaus K.-R. den Arztbrief vom 22. Januar 2003 bei, in dem über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 14. bis 15. Dezember 2002 berichtet und als Folge des Sturzes die Diagnose einer dislozierten distalen Radiusfraktur links gestellt wurde. Zur Therapie und zum Behandlungsverlauf ist ausgeführt, dass ein kleiner operativer Eingriff in Form einer Spickdrahtosteosynthese für erforderlich erachtet worden sei, die Klägerin trotz Verdeutlichung der OP-Indikation eine operative Sanierung jedoch abgelehnt habe. Am 15. Dezember 2002 habe die Klägerin die Klinik auf eigenen Wunsch verlassen. Das VA zog ferner die Akte des Amtsgerichts K. 10 Cs 16 Js 6575/03 bei. Danach hatte die Klägerin im Rahmen ihrer Geschädigtenvernehmung am 27. Januar 2003 angegeben, sie habe sich 1984 von W.B. scheiden lassen, da er sie manchmal geschlagen habe. Als sie wieder mit W.B. zusammengezogen sei, hätten sie zunächst neun Jahre in der R. Straße gewohnt, bevor sie in die jetzige Wohnung in der K.-Str. gezogen seien, wo sie seit nunmehr sechs Jahren wohnten. Zu tätlichen Übergriffen des W.B. gab sie an, dieser habe sie früher schon öfter geschlagen, aber sie habe keine Anzeige erstattet. Als sie noch in der R. Straße gewohnt hätten, sei dies öfter der Fall gewesen. Oft sei die Polizei gekommen und sie habe auch öfter Anzeige wegen Körperverletzung erstattet. Die Klägerin gab weiter an, ihr 13-jähriger Sohn M. sei Zeuge des Vorfalls gewesen; dieser habe auch die Polizei informiert. Sie wolle, dass W.B. keinen Zutritt mehr zu ihrer Wohnung habe. Mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl vom 3. März 2003 verhängte das Amtsgericht K. gegen W.B. wegen vorsätzlicher Körperverletzung eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 20 EUR.

Mit Bescheid vom 23. September 2003 lehnte das VA die Gewährung von Leistungen nach dem OEG im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Klägerin sei zwar Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden und habe hierdurch eine gesundheitliche Schädigung erlitten, jedoch liege ein Versagungsgrund gemäß § 2 Abs. 1 OEG vor, weil die Gewährung einer Entschädigung unbillig sei. Denn obwohl sie insbesondere wegen der Gewalttätigkeiten von W.B. von diesem geschieden worden sei, sei sie mit ihm wieder zusammen gezogen und sei trotz der sich wiederholenden körperlichen Übergriffe in der von Gewalt geprägten Lebensgemeinschaft verblieben. Da sie weiterhin mit W.B. unter einem Dach gelebt habe, ohne dass übergeordnete Zwänge dazu bestanden hätten, sei sie freiwillig in einem Gefahrenbereich geblieben, den sie selbst zu verantworten habe. Vor diesem Hintergrund müsse von einer verhaltensbezogenen Unbilligkeit wegen Selbstgefährdung ausgegangen werden, was zu einer Versagung des Versorgungsanspruchs führe. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, es sei unzutreffend, dass sie insbesondere wegen der Gewalttätigkeit ihres Ehemannes geschieden worden sei. Auch sei unrichtig, dass sie nach ihrer zweiten Ehe mit W.B. wieder zusammen gezogen sei, obwohl sie von diesem öfters geschlagen worden sei; dies sei erst danach gewesen. Sie sei auch nicht freiwillig in einem selbst zu verantwortenden Gefahrenbereich geblieben. Bedingt durch ihre Erkrankung sei sie nicht mehr arbeitsfähig und daher für die Finanzierung ihrer Wohnung auf die Hilfe des W.B. angewiesen. Dies allein sei der Grund gewesen, wieder mit W.B. in eine Wohnung zu ziehen. Sie habe auch lange Zeit keine Sozialhilfe erhalten, was selbst heute noch so sei. Sie habe immer wieder Versuche gemacht, sich wohnungsmäßig von W.B. zu trennen, was ihr jedoch nicht gelungen sei. Eine verhaltensbezogene Unbilligkeit wegen Selbstgefährdung liege somit nicht vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2003 wurde der Widerspruch mit der weiteren Begründung zurückgewiesen, die tätlichen Auseinandersetzungen in ihrer Ehe mit W.B. und in ihrer Lebensgemeinschaft, in der sie weiterhin verblieben sei, habe die Klägerin selbst angegeben.

Dagegen erhob die Klägerin am 12. Januar 2004 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage, nahm Bezug auf ihre Widerspruchsbegründung und führte weiter aus, der Beklagte habe lediglich frei erfundene Behauptungen aufgestellt, ohne sich an die Tatsachen zu halten. Auch habe er nicht erklärt, wie sie den brutalen Angriff hätte vermeiden können und wie sie überhaupt ihre eigene Wohnung hätte finanzieren sollen. Sie legte die Atteste des Facharztes für Innere Medizin Dr. B. vom 8. Dezember 2003 und 12. Januar 2004 vor. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten und unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes mit dem weiteren Hinweis entgegen, auch der Sohn der Klägerin habe anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung bestätigt, dass es in der Vergangenheit mehrmals zu tätlichen Auseinandersetzungen mit W.B. gekommen sei und er dessen Verhalten kenne. Er wiederholte nochmals die Aussagen der Klägerin anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmung.

Das SG hörte Dr. B. unter dem 20. August 2004, die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. Sch. unter dem 13. September 2004, den Facharzt für Orthopädie Br. unter dem 23. November 2004 und den Physiotherapeuten J. unter dem 14. Februar 2005 schriftlich als sachverständige Zeugen an. Dr. B. gab an, die Klägerin sei im Hinblick auf die Unterarmfraktur nicht von ihm, sondern von Dr. Br. behandelt worden. Dr. Sch. berichtete von einer einmaligen Vorstellung der Klägerin im April 2001 und Dr. Br. von einer zweimaligen Behandlung im Jahr 2003, jedoch ausschließlich wegen einer Schultersteife links. Der Physiotherapeut J. gab Behandlungen seit März 2004 an und beschrieb eine katastrophal schlechte Beweglichkeit in allen Gelenken des linken Armes. Das SG beauftragte sodann Dr. R., St. V.-Kliniken K., mit der Erstattung eines Gutachtens aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin. Zu einem ihr mitgeteilten Untersuchungstermin am 30. Mai 2005 erschien die Klägerin ohne Angaben von Gründen nicht. Den für den 16. November 2005, 16:00 Uhr, angesetzten weiteren Termin, zu dessen Wahrnehmung das SG die Fahrt mit einem Krankentransport genehmigt hatte, sagte die Klägerin gegen 10:00 Uhr des selben Tages ab, weil sie an einem grippalen Infekt erkrankt sei. Nachdem die Klägerin nochmals ausdrücklich auf ihre Mitwirkungspflicht hingewiesen worden war, beauftragte das SG Dr. Scha., Arzt für Orthopädie, mit der Erstattung des Gutachtens. Dieser sah einen Termin für den 4. Mai 2006 vor. Auf seine ausdrückliche Bitte und zusätzlich auch die Bitte des SG, die Wahrnehmung dieses Termins vorab zu bestätigen, teilte die Klägerin dem Sachverständigen am 25. April 2006 mit, zur Wahrnehmung des Termins benötige sie eine Begleitperson, die ihr erst in etwa zwei Wochen zur Verfügung stehe; der Termin möge entsprechend verlegt werden. Den sodann für den 27. Juli 2006 vorgesehenen Untersuchungstermin bestätigte die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 14. Juli 2006, nachdem sie seitens des SG nochmals ausdrücklich auf die Bedeutung der Untersuchung hingewiesen worden war. Zu dem Termin erschien die Klägerin wiederum nicht. Eine Entschuldigung für das Nichterscheinen der Klägerin ging bei dem Sachverständigen oder dem SG weder vor noch nach dem Untersuchungstermin ein. Mit Urteil vom 23. November 2006 wies das SG die Klage ab. Dabei ließ es offen, ob die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach § 2 Abs. 1 OEG unbillig wäre. Denn auf diese Frage komme es nicht an, weil Schädigungsfolgen mangels Mitwirkung der Klägerin nicht festzustellen seien. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des den Bevollmächtigten der Klägerin am 4. Januar 2007 zugestellten Urteils verwiesen.

Dagegen hat die Klägerin am 29. Januar 2007 beim SG Berufung eingelegt, diese trotz Erinnerungen vom 23. April, 6. Juni und 23. Juli 2007 sowie einer mit Schreiben vom 22. August 2007 gewährten Fristverlängerung, die mit Schreiben vom 18. September 2007 nochmals verlängert wurde, nicht begründet.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. November 2006 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 23. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Dezember 2003 zu verurteilen, ihr Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren.

Der Beklagte hat sich zur Sache nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 22. Oktober 2007 darauf hingewiesen worden, dass der Senat erwäge, über die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluss zu entscheiden. Hierzu haben sich die Beteiligten nicht geäußert.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entschieden hat, ist statthaft und zulässig.

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren weder einen Antrag formuliert, noch ihr Begehren der Sache nach konkretisiert. Vor dem Hintergrund ihres in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellten Antrags (Aufhebung der Bescheide des Beklagten und Verurteilung zur Gewährung von "Beschädigtenversorgung nach dem OEG in gesetzlicher Höhe"), mit dem sie keine konkreten Entschädigungsleistungen geltend gemacht hat, geht der Senat jedoch davon aus, dass es der Klägerin mit ihrer Klage lediglich darum ging, die gesundheitlichen Folgen des am 14. Dezember 2002 erlittenen tätlichen Angriffs als Folge einer Gewalttat zur Anerkennung zu bringen. Damit war ihr Begehren der Sache nach nicht auf Erlass eines Leistungsurteils, auch nicht als Grundurteil gemäß § 130 SGG, gerichtet, es lag vielmehr eine Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG vor (vgl. BSG SozR 4 - 2700 § 2 Nr. 3; SozR 4 - 2700 § 8 Nr. 12).

Diese hat das SG im Ergebnis zutreffend abgewiesen, weshalb auch die Berufung keinen Erfolg haben konnte und als unbegründet abzuweisen war. Denn der Bescheid des Beklagten vom 23. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Dezember 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zwar ist die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden, jedoch hat der Beklagte einen Versorgungsanspruch zu Recht abgelehnt, weil ein Versagungsgrund im Sinne des § 2 Abs. 1 OEG vorliegt.

Gemäß § 2 Abs. 1 OEG sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.

Opferentschädigung ist nach diesem Gesetzestatbestand wegen "Unbilligkeit" zu versagen, wenn die Besonderheiten des Einzelfalles nach dem Normzweck eine staatliche Hilfe nach dem OEG als sinnwidrig und damit als ungerecht erscheinen lassen. Dabei müssen die "sonstigen Gründe" im Sinne der 2. Alternative insgesamt annähernd ein gleiches Gewicht haben wie eine Verursachung im Sinn der ersten Alternative dieser Regelung.

Die Voraussetzungen der 2. Alternative dieser Regelung sind vorliegend erfüllt. Der Beklagte hat zu Recht bejaht, dass das Verhalten der Klägerin, und zwar ihre Selbstgefährdung, die "Unbilligkeit" einer Entschädigung begründet.

Diese Selbstgefährdung ergibt sich aus den näheren Umständen der Lebensgemeinschaft, die die Klägerin und W.B. über lange Zeit hinweg in einer gemeinsamen Wohnung führten. Hieraus resultierte eine anhaltende Gefahrenlage für die Klägerin. Diese hatte sich ihren eigenen Angaben zufolge, die sie im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung am 27. Januar 2003 gemacht hat, bereits im Jahr 1984 von W.B. scheiden lassen, weil sie manchmal von ihrem damaligen Ehemann geschlagen worden war. Gleichwohl hat sie nach Scheidung ihrer daraufhin eingegangenen zweiten Ehe erneut mit W.B. eine Lebensgemeinschaft aufgenommen und ist in dieser auch verblieben, obwohl es wiederum zu tätlichen Auseinandersetzungen mit W.B. gekommen ist. Diesbezüglich hat die Klägerin im Rahmen der erwähnten Vernehmung selbst angegeben, von W.B. in der Vergangenheit öfter geschlagen worden zu sein, wobei zu der Zeit, als sie mit W.B. noch in der R. Str. gewohnt habe, auch oft die Polizei gekommen sei und sie öfter gegen W.B. Anzeige wegen Körperverletzung erstattet habe. Dass es zwischen der Klägerin und W.B. auch in jüngerer Vergangenheit zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen war, wird auch durch die Angaben des zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Übergriffs 13-jährigen Sohns der Klägerin bestätigt, der an besagtem Tag Zeuge des Vorfalls geworden war, die Polizei verständigt hatte und gegenüber den eintreffenden Beamten geäußert hatte, dass es in der Vergangenheit bereits mehrmals zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen sei und er das Verhalten des W.B. kenne.

Durch das Ausharren in dieser Lebensgemeinschaft setzte sich die Klägerin leichtfertig einer ständigen Gefährdung aus. Diese hätte sie jederzeit durch verantwortungsbewusstes Handeln vermeiden können, indem sie ihren gefährlichen Freund verließ, zumal sie auch in Verantwortung für ihren Sohn M. stand, für den sie zu sorgen hatte. Verbleibt eine Frau in einer Lebensgemeinschaft, die mit einer dauernden Gefahrenlage verbunden ist, weil sie mit tätlichen Angriffen aus nichtigem Anlass rechnen muss, kann sie im Falle einer Körperverletzung keine staatliche Entschädigung beanspruchen. Aufgrund der auch in der Vergangenheit öfter aufgetretenen Vorfälle konnte sich die Klägerin nicht darauf verlassen, dass die Art der Auseinandersetzungen mittels tätlicher Angriffe und durch Misshandlungen niemals zu Gesundheitsschädigungen führen würden, die eine stationäre Behandlung und sogar einen operativen Eingriff erforderlich machen würden. Ob der Klägerin das Ausharren in der ständigen Gefahrenlage als Verschulden im zivil- oder strafrechtlichen Sinn vorzuwerfen ist, kann dahingestellt bleiben. Von einer solchen Voraussetzung sind Leistungen nach dem OEG nämlich grundsätzlich nicht abhängig. Denn jedenfalls war die Gefährdung vermeidbar. Für eine vollständige Willenlosigkeit der Klägerin, die eine Entschädigung möglicherweise nicht als "unbillig" erscheinen ließe, sieht der Senat keine Anhaltspunkte. Auch im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachten finanziellen Gesichtspunkte bestand für die Klägerin kein Zwang, in der Lebensgemeinschaft auszuharren. Denn wenn die Klägerin - ihrem Vorbringen entsprechend - tatsächlich weder Erwerbseinkommen noch Sozialhilfeleistungen bezogen hat, so beruhte dies offenbar darauf, dass ihr Lebensgefährte W.B. durch seine berufliche Tätigkeit Einkünfte erzielte, die den gemeinsamen Unterhalt abdeckten. Wenn diese Unterhaltsleistungen durch W.B. bei Auflösung der Lebensgemeinschaft dann entfallen wären, ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Klägerin mit Hilfe der gesetzlichen Leistungen zum Lebensunterhalt nicht in der Lage gewesen sein sollte, eine eigene Wohnung zu finanzieren.

Im Hinblick auf die dargelegten Umstände wäre eine Entschädigung der Klägerin aus Anlass des Ereignisses vom 14. Dezember 2002 im Sinne des § 2 Abs. 1 OEG "unbillig". Eine solche Leistung der Allgemeinheit widerspräche dem Zweck des Gesetzes. Denn die staatliche Gemeinschaft steht aus verschiedenen anderen Gründen als wegen einer Aufopferung für die Schäden ein, die durch Gewalttaten im Sinne des § 1 OEG verursacht werden, u.a. gerade wegen eines Versagens der staatlichen Verbrechensbekämpfung. Sie hat aber grundsätzlich keine Verantwortung für die Folgen von selbst herbeigeführten Schädigungen übernommen (Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten, BT-Drucks 7/2506, Begründung I A, S. 7). Derjenige, der in einer eheähnlichen Gemeinschaft verharrt, die ständig mit einer Gefahrenlage der vorliegenden Art verbunden ist, macht die staatlichen Sicherungen gegenüber kriminellen Übergriffen wirkungslos. Insgesamt muss wegen eines Verhaltens der Klägerin eine Entschädigung, die nicht auf einem Sonderopfer beruht, wie beispielsweise bei Kriegs- oder Wehrdienstopfer, daher als "unbillig" beurteilt werden. Das ist insbesondere auch deshalb geboten, weil sogar ein Rechtsanspruch aus der Kriegs- und Soldatenversorgung, der auf einer Aufopferung beruht, bei einer selbstgeschaffenen Gefahr ausgeschlossen sein kann (BSG SozR 3800 § 2 Nr 5).

Damit konnte die Berufung ungeachtet des Umstandes, dass die bei der Klägerin verbliebenen gesundheitlichen Folgen des Ereignisses vom 14. Dezember 2002 wegen ihrer mangelnden Mitwirkung nicht festzustellen sind, keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
Saved