L 4 R 3254/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 1946/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3254/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 12. Juni 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf große Witwenrente aus der Versicherung ihres am 1952 geborenen und am 2005 gestorbenen Ehemannes B. H. (im Folgenden: Versicherter).

Die am 1958 geborene Klägerin lernte den Versicherten bereits im Jahr 1972 kennen. Nach einer Verlobung im Jahr 1975 zogen sie zusammen und lebten bis zum Tod des Versicherten - bis auf eine fünfjährige Unterbrechung aufgrund eines Arbeitsplatzwechsels der Klägerin - in seinem Haus. Am 02. Mai 1989 schlossen die Klägerin und der Versicherte einen notariellen Erbvertrag, in dem sie sich als Verlobte jeweils als Alleinerbe einsetzten. Im Jahr 1992 wurde ein Aufgebot bestellt, wobei es in der unmittelbaren Folgezeit nicht zu einer Eheschließung kam.

Im Dezember 2004 wurde beim Versicherten ein Blasentumor diagnostiziert, woraufhin der Versicherte im Januar 2005 stationär in der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums T. behandelt wurde. Hierbei zeigte sich ein fortgeschrittenes Tumorwachstum. Nach durchgeführter Operation (Entfernung der Blase) und weiteren stationären Aufenthalten, bei denen eine Metastasierung u.a. der Knochen, zahlreicher Lymphknoten und der Leber diagnostiziert wurde, wurde beim Versicherten bis zum 03. November 2005 eine Chemotherapie durchgeführt. Am 08. November 2005 heiratete die Klägerin den Versicherten. Metastasierungen in der gesamten Wirbelsäule führten am 13. November 2005 zu einer erneuten stationären Behandlung, diesmal im Krankenhaus B., wo der Versicherte am 22. November 2005 verstarb (Arztbrief des Prof. Dr. G. vom 05. Dezember 2005). Der Versicherte bezog ab 24. Januar 2005 Krankengeld. Er beantragte bei der Beklagten im Februar und Juli 2005 medizinische Leistungen zur Rehabilitation und am 07. November 2005 Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 30. November 2005 ab 01. Januar 2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die Klägerin beantragte am 18. Januar 2006 Witwenrente, wobei sie angab, dass sie über kein eigenes Arbeitseinkommen bzw. über kein vergleichbares Einkommen verfüge. Es sei keine Versorgungsehe, da sie bereits seit 1975 mit dem Versicherten verlobt gewesen sei, mit diesem - bis auf eine fünfjährige Unterbrechung - gemeinsam in seinem Haus gelebt habe und einen Erbvertrag geschlossen hätten. Mit Bescheid vom 22. Februar 2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert habe und nicht nachgewiesen sei, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat nicht die Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gewesen sei. Der Widerspruch hiergegen, mit dem u.a. geltend gemacht wurde, die formelle Eheschließung sei nicht früher erfolgt, weil beide Seiten dann hätten heiraten wollen, wenn es einen besonderen Anlass für die Eheschließung gebe, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2006). Der Widerspruchsausschuss der Beklagten führte zur Begründung aus, zum Zeitpunkt der Eheschließung sei die Schwere der Krankheit des Versicherten bereits bekannt gewesen. Obwohl die Klägerin und der Versicherte bereits seit langen Jahren einen gemeinsamen Haushalt gehabt hätten, hätten sie nicht zu einem früheren Zeitpunkt geheiratet, weshalb naheliegend sei, dass der Zweck der Eheschließung die Versorgung der Klägerin nach dem Tod des Versicherten gewesen sei.

Mit der am 29. Mai 2006 zum Sozialgericht (SG) Reutlingen erhobenen Klage trug die Klägerin vor, bereits durch den im Mai 1989 geschlossenen Erbvertrag sei das Lebensverhältnis mit dem Versicherten formalisiert worden. Im Erbvertrag sei ausdrücklich das Wort "Verlobung" erwähnt worden, wobei dieses Verlöbnis bis zur Eheschließung nicht aufgelöst worden sei. Aus den Gesamtumständen ergebe sich, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat nicht der gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Sie habe zwar zum Zeitpunkt der Eheschließung gewusst, dass der Versicherte an einer Krebserkrankung leide, sie habe aber mit einer Verzögerung des Krankheitsverlaufs rechnen dürfen. Arbeitslosenhilfe habe sie wegen der Berücksichtigung des Einkommens des Versicherten nicht erhalten. Es könne nicht sein, dass einerseits im Rahmen der Arbeitslosenversicherung zusammenlebende Paare Eheleuten gleichgestellt würden, andererseits im Rahmen der Witwenrente jedoch anders behandelt würden. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass sie eigene Versorgungsanwartschaften erworben habe und das ihr vererbte Haus des Versicherten einen Wert von 139.000,00 EUR habe, so dass sie bereits deshalb versorgt sei. Des Weiteren regle § 46 Abs. 4 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI), dass als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft gelte.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI sei nicht widerlegt. Aus dem (vorgelegten) Versicherungsverlauf der Klägerin vom 14. August 2006 gehe hervor, dass Pflichtbeiträge für Pflegetätigkeit für die Zeit vom 01. September bis 22. November 2005 entrichtet worden seien.

Das SG befragte behandelnde Ärzte als sachverständige Zeugen. Internist Dr. N. teilte in seiner Aussage vom 05. Dezember 2006 mit, die Behandlung bei ihm habe während einer schon laufenden Chemotherapie im April 2005 begonnen, wobei beim Versicherten erstmals im Dezember 2004 ein Blasenkarzinom diagnostiziert worden sei. Bei Diagnosestellung habe sich schon eine Metastasierung mit somit eingeschränkter Prognose ergeben. Die Prognose ab November 2005 sei extrem schlecht gewesen, da es zu einer Zunahme der Tumorkachexie und dann auch zur raschen Progredienz der Tumorerkrankung gekommen sei. Die Klägerin und der Versicherte seien über die Schwere der Erkrankung und die Prognose sicherlich in der Universitätsklinik T. und auch bei ihm mehrfach informiert worden. Prof. Dr. St., Ärztlicher Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie der E.-K.-Universität T., teilte in seiner Auskunft vom 14. Februar 2007 mit, eine erste stationäre Aufnahme des Versicherten wegen eines Blasentumors sei am 04. Januar 2005 erfolgt. Bereits im Januar 2005 habe sich gezeigt, dass es sich um eine fortgeschrittene Tumorerkrankung mit einem organüberschreitenden Tumorwachstum (Ausdehnung auf die rechte Samenblase sowie Metastasen in mehreren Lymphkonten im Bereich des Beckens und der großen Hauptschlagader) handle. Zu diesem Zeitpunkt habe nach der geplanten radikalen Entfernung der Blase eine Überlebenschance von 31,2 % nach fünf Jahren bestanden. Eine vollständige Entfernung des Tumors sei bei der Operation am 23. Januar 2005 jedoch wegen des ausgedehnten Tumorwachstums nicht möglich gewesen, weshalb eine Chemotherapie notwendig gewesen sei. Bei einer Vorstellung im April 2005 habe sich eine Metastasierung sowohl in den Knochen als auch in der Leber und in den Lymphknoten des Beckens gezeigt, weshalb am 05. April 2005 eine Chemotherapie (insgesamt fünf Zyklen, die teilweise aufgrund der Blutwerte hätten hinausgezögert werden müssen) begonnen worden sei. Durch die weitere systematische Metastasierung sei zu diesem Zeitpunkt auch mit einer schlechten Gesamtprognose zu rechnen gewesen. Die Überlebenschance habe weniger als 10 % betragen (mittlere Überlebenszeit von 14 Monaten). Trotz der Chemotherapie sei im Juli 2005 ein Fortschreiten der Erkrankung hinsichtlich der Leber- und Knochenmetastasen zu verzeichnen gewesen. Im Oktober 2005 habe bei einer Verzögerung der Chemotherapie die symptomatische Behandlung mit dem Schwerpunkt der Schmerztherapie im Vordergrund gestanden. Im Rahmen der Behandlung seien die erhobenen Befunde mit dem Versicherten ausführlich besprochen worden.

Durch Urteil vom 12. Juni 2007 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe sei nicht widerlegt. Trotz des langjährigen eheähnlichen Zusammenlebens habe sich die Heiratsabsicht vor der Diagnose des Harnblasenkarzinoms nicht in objektivierbarer Weise verfestigt und konkretisiert. Beide Ehepartner hätten nicht sicher erwarten können, dass der Versicherte im Anschluss an die Heirat noch mindestens ein Jahr lang leben würde. Unerheblich sei, dass die Klägerin eine eigene Rente wegen Alters erhalten könne. Diese Rente würde lediglich ca. 340,00 EUR monatlich betragen, während aus der Witwenrente Einnahmen in Höhe von ca. 600,00 EUR zu erzielen wären. Ungeklärt sei, mit welchen finanziellen Mitteln die Klägerin die Zeit bis zum Erreichen ihres Renteeintrittsalters überbrücke. Im Übrigen finde § 46 Abs. 4 SGB VI keine Anwendung, da es sich bei dem dortigen Begriff der Lebenspartnerschaft nur eine eingetragene Lebenspartnerschaft im Sinne des Gesetzes über die eingetragene Lebenspartnerschaft handle.

Gegen das am 22. Juni 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 02. Juli 2007 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Sie macht geltend, zum Zeitpunkt der Heirat hätte sie nicht gewusst, dass der Versicherte nur mit einer kurzen Lebenszeit habe rechnen können. Die Ärzte im Krankenhaus hätten angegeben, es könne "noch ein paar Monate oder auch ein Jahr gehen". Im Übrigen liege ein atypischer Fall vor, da sie mit dem Versicherten bereits seit 35 Jahren zusammengelebt habe und mit ihm verlobt gewesen sei. Auch seien Lebensversicherungen füreinander abgeschlossen worden und man habe sich gegenseitig Kontovollmachten erteilt. Der überwiegende Zweck der Eheschließung sei gewesen, den schon lange gehegten Heiratswunsch zu konkretisieren und zu formalisieren. Durch die Eheschließung habe dokumentiert werden sollen, dass man ein Paar sei. Durch die Erbschaft habe sie erhebliche finanzielle Mittel erhalten. Sie hat Unterlagen über gemeinsame Konten und die abgeschlossenen Lebensversicherungen vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 12. Juni 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2006 zu verurteilen, ihr ab 01. Dezember 2006 große Witwenrente zu gewähren, hilfsweise den Rechtsstreit zu vertagen und zum Beweis dafür, dass besondere Umstände vorlagen, nämlich die Klägerin und ihr Ehemann in wirtschaftlicher und persönlicher Hinsicht die Ehe vor der formellen Schließung geführt haben und daher es nicht alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen, die im Schriftsatz vom 05. September 2007 benannten Zeugen zu hören, weiter hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und ihre Bescheide für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Rentenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat zutreffend entscheiden, dass die Beklagte im Bescheid vom 22. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2006 den Antrag der Klägerin auf Witwenrente zu Recht abgelehnt hat.

Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie (1.) ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, (2.) das 45. Lebensjahr vollendet haben oder (3.) erwerbsgemindert sind. Abs. 2a der genannten Vorschrift (in der durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. b) des Altersvermögensergänzungsgesetzes vom 21. März 2001 [BGBl. I. S. 403] eingefügten Fassung) bestimmt: Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Nach der Übergangsvorschrift des § 242a Abs. 3 SGB VI gilt das nicht für Ehen, die vor dem 01. Januar 2002 geschlossen wurden. Der in der gesetzlichen Rentenversicherung zuvor nicht bestehende Anspruchsausschluss entspricht den Regelungen, wie sie bis dahin nur im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs [SGB VII]) und der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes [BVG]) bestanden hatten.

Die Klägerin erfüllt die positiven Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Witwenrente. Der Versicherte hatte die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (vgl. § 50 Abs. 1 SGB VI) erfüllt. Die Klägerin hatte das 45. Lebensjahr vollendet und hat nicht wieder geheiratet. Die Ehe zwischen der Klägerin und der Versicherten, die nach dem 01. Januar 2002 geschlossen wurde (vgl. § 242a Abs. 3 SGB VI), hat jedoch weniger als ein Jahr gedauert, nämlich vom 08. bis 22. November 2005, so dass die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI eingreift.

Die Anknüpfung an eine Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält eine gesetzliche Vermutung, mit der unterstellt wird, dass beim Tod innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel einer Eheschließung war (vgl. Bundestags-Drucksache 14/4595 S. 44). Diese gesetzliche Vermutung ist widerlegt, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen. Die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordert nach § 202 SGG in Verbindung mit § 292 der Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils (vgl. Bundessozialgericht [BSG] BSGE 60, 204 = SozR 3100 § 38 Nr. 5). Ergeben sich anhand des konkreten Einzelfalls nicht genügend beweiskräftige Anhaltspunkte gegen die Annahme, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung zu begründen, verbleibt es bei der Annahme einer Versorgungsehe. Auch wenn die maßgeblichen Umstände von Amts wegen zu ermitteln und zu bewerten sind, trifft die materielle Beweislast, also die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises, wer den Anspruch auf Versorgung geltend macht (BSGE 30, 278 = SozR Nr. 84 zu § 128 SGG). Die gesetzliche Vermutung folgt einer Typisierung und verfolgt auch den Zweck, Leistungsträger und Gericht der Ausforschung im Bereich der Intimsphäre zu entheben (vgl. nochmals BSGE 60, 204 = SozR 3100 § 38 Nr. 5).

Besondere Umstände, die gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprechen, sind vor allem solche, die ein anderes Motiv, als das der Versorgung ergeben. Hierbei sind die Motive beider Ehegatten zu beachten. Bei einer Gesamtabwägung der Motive darf die Versorgungsabsicht nicht überwiegen (vgl. BSGE 35, 272). Gegen eine Versorgungsehe spricht beispielsweise die Tatsache, dass der Tod zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht vorhersehbar war, z.B. durch Unfall, Verbrechen oder plötzliche schwere Erkrankung, oder die Eheschließung die Betreuung und Pflege sicher stellen soll (vgl. nochmals BSGE 60, 204 = SozR 3100 § 38 Nr. 5; s. auch Kreikebohm in BeckOK SGB VI, § 46 Rdnr 25). Die Darlegung allgemeiner, bei einer Heirat regelmäßig mitentscheidender Gesichtspunkte, wie die Absicht, eine Lebensgemeinschaft auf Dauer formal zu begründen, kann die Annahme besonderer Umstände nicht rechtfertigen.

Nach Maßgabe dieser Vorgaben ist die gesetzliche Vermutung im Fall der Klägerin nicht als widerlegt anzusehen. Nach Überzeugung des Senats sind keine Umstände im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen, die trotz der kurzen Ehedauer belegen könnten, dass die Annahme nicht gerechtfertigt ist, alleiniger oder zumindest überwiegender Zweck der Heirat, sei die Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gewesen.

Der Senat ist aufgrund des Ergebnisses der medizinischen Ermittlungen im Klageverfahren davon überzeugt, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung am 08. November 2005 eine Überlebenswahrscheinlichkeit von einem Jahr und höher höchst ungewiss war und dies den Eheleuten - worauf es als subjektive Voraussetzung im Rahmen des § 46 Abs. 2a SGB VI letztlich nicht ankommt (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2006 - L 4 R 3372/05 -; Schleswig-Holsteinisches LSG Urteil vom 21. März 2007 - L 8 R 112/06 = in juris veröffentlicht) - ausreichend bekannt war. Der Versicherte litt an einer schweren Krebserkrankung, die seine Lebenserwartung deutlich herabsetzte. Bereits im Januar 2005 hatte sich gezeigt, dass es sich um eine fortgeschrittene Blasentumorerkrankung mit einem organüberschreitenden Tumorwachstum (Ausdehnung auf die rechte Samenblase sowie Metastasen in mehreren Lymphkonten im Bereich des Beckens und der großen Hauptschlagader) handelte. Durch die weitere systematische Metastasierung war nach Angaben von Prof. Dr. St. schon im April 2005 mit einer schlechten Gesamtprognose zu rechnen gewesen, so dass die Überlebenswahrscheinlichkeit bereits zu diesem Zeitpunkt weniger als 10 % (mittlere Überlebenszeit von 14 Monaten) betrug.

Der Versicherte und die Klägerin wussten auch von diesem Gesundheitszustand. Nach den Aussagen von Dr. N. und Prof. Dr. St. ist davon auszugehen, dass die Eheleute über die Schwere der Erkrankung und die ungünstige Prognose angemessen unterrichtet worden sind. Die Chemotherapie, die immer wieder unterbrochen werden musste, konnte eine weitere Metastasierung der Wirbelsäule und anderer Organe nicht verhindern. Nach den Aussagen der behandelnden Ärzte wurden die Klägerin und der Versicherte hierüber informiert, so dass beide damit rechnen mussten, dass der Versicherte in absehbarer Zeit sterben würde.

Eine feste Heiratsabsicht vor dieser Erkenntnis ist nicht nachgewiesen worden. Die Ehepartner lebten und wirtschafteten zumindest seit 1975 bzw. - nach einer kurzfristigen arbeitsplatzbedingten Unterbrechung - seit 1987 zusammen. Zwar wurde im Jahr 1992 ein Aufgebot bestellt. Dies führte aber im Anschluss daran nicht zu einer Eheschließung. Weshalb der Heiratsentschluss in den nachfolgenden Jahren nicht früher umgesetzt wurde, konnte die Klägerin nicht nachvollziehbar und überzeugend darlegen. Nach der Aussage im Widerspruchsverfahren wollte man einen besonderen Anlass abwarten. Welcher Anlass dies sein sollte und warum man letztlich erst fast ein Jahr nach Ausbruch der lebensbedrohlichen Krankheit des Versicherten als Zeitpunkt der Eheschließung gewählt hat, hat die Klägerin jedoch nicht nachvollziehbar dargelegt. Allein der Wunsch, das langjährige Zusammenleben zu formalisieren und nach außen hin zu dokumentieren, dass man ein Paar sei, lässt jedenfalls keinen Rückschluss auf die Beantwortung der Frage zu, weshalb der Heiratswunsch nicht zu einem früheren Zeitpunkt konkretisiert wurde. Das langjährige Zusammenleben der Klägerin mit dem Versicherten (über 30 Jahre) deutet vielmehr darauf hin, dass sie das Zusammenleben ohne Eheschließung als gewählte Lebensform für ausreichend erachteten und demgemäß für diese Lebensform entschieden haben. Es unterstreicht eher die Rechtsvermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Eheschließung war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen.

Auch der Umstand, dass die Klägerin und der Versicherte einen Erbvertrag abgeschlossen haben, in dem sich beide jeweils als Alleinerbe eingesetzt hatten, spricht letztlich für die gesetzliche Vermutung. Denn dadurch haben sie zum Ausdruck gebracht, dass sie das gesetzliche eheliche Erbrecht (vgl. §§ 1931, 1371 des Bürgerlichen Gesetzbuchs [BGB]) nicht in Anspruch nehmen wollten. Das Verlöbnis, das zwar eine nicht einklagbare Rechtspflicht zur Eheschließung enthält (vgl. Berger in Jauernig, Kommentar zum BGB, 12. Auflage 2007, § 1297 Rdnr. 1), begründet nämlich gerade keine Unterhaltspflichten und kein gesetzliches Erbrecht. Der Abschluss des Erbvertrags lässt danach den Schluss zu, dass (auch) der Versorgungsgedanke schon zu Zeiten der nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine Rolle im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Versicherten gespielt hat (vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. August 2007 - L 16 R 571/07 = veröffentlicht in juris, Rdnr. 22; a.A. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Februar 2003 - 4 S 2782/01 = VBlBW 2003, 287 zum inhaltsähnlichen § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Beamtenversorgungsgesetzes).

Ferner ist die eigene Rentenanwartschaft der Klägerin sowie ihre Stellung als Alleinerbin kein objektiver Umstand, der die gesetzliche Vermutung widerlegt, dass die Klägerin, die seit Mai 1994 arbeitslos ist (vgl. Versicherungsverlauf vom 14. August 2006, Blatt 20 der SG-Akte), wegen ausreichender eigener Einkünfte nicht auf eine Hinterbliebenenrente wesentlich angewiesen war. Denn anderenfalls wären gut situierte Hinterbliebene bei der Prüfung der gesetzlichen Vermutung und deren Widerlegung bevorzugt (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2006 - L 4 R 3372/05 -; s. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 06. März 2008 - L 2 R 4994/07 -; a.A. SG Würzburg, Urteil vom 15. September 2004 - S 8 RJ 697/02 -, aufgehoben vom Bayerischen LSG, Urteil vom 18. April 2007 - L 19 R 603/04 = in juris veröffentlicht; SG Chemnitz, Urteil vom 13. Oktober 2005 - S 14 KN 129/03 = in juris veröffentlicht).

Den weiter vorgebrachten Umständen - Verfügungsvollmacht für die jeweiligen Girokonten, Abschluss von Lebensversicherungen, bei denen sie gegenseitig als Begünstigte eingetragen waren, gemeinsames Anschaffen von Möbeln und Hausrat - vermag der Senat keine Hinweise auf die Motivationslage für die Eheschließung für den konkreten Zeitpunkt zu entnehmen. Diese bieten allein Hinweise auf das Bestehen einer längeren eheähnlichen Lebensgemeinschaft, die aber vom Gesetzgeber im Gegensatz zur Ehe nicht geschützt ist.

Das SG hat im Übrigen zu Recht darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 46 Abs. 4 SGB VI, eingefügt mit Wirkung zum 01. Januar 2005 durch Artikel 3 Nr. 4b des Gesetzes zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts 15. Dezember 2004 (BGBl. I, S. 3396), im Fall der Klägerin nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift gelten für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe oder Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Die Gleichstellung einer Lebenspartnerschaft mit einer Ehe bei der Witwenrente setzt jedoch voraus, dass es sich um eine nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz vom 16. Februar 2001 (BGBl. I, S. 26) eingetragen Lebenspartnerschaft handelt. Eine solche lag zwischen der Klägerin und dem Versicherten unstreitig nicht vor.

Der von der Klägerin hilfsweise begehrten Vernehmung von Zeugen bedarf es nicht. Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin und der Versicherte in einer intensiven, einer Ehe gleichgestellt Lebensgemeinschaft seit vielen Jahren zusammenlebten und wirtschafteten und damit die Ehe in wirtschaftlicher unpersönlicher Hinsicht vor der formellen Schließung geführt haben.

Die Berufung war mithin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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