L 7 SO 1624/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SO 4401/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1624/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 10. März 2008 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - (Fassung vor Inkraftttreten des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444)) eingelegte Beschwerde des Antragsgegners, der das Sozialgericht Mannheim (SG) nicht abgeholfen hat, ist zulässig und unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes geht (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 - a.a.O. und vom 17. August 2005 - ; Binder in Lüdtke u.a., SGG, 2. Auflage, § 86b Rdnr. 33; Funke-Kaiser in Bader u.a., 4. Auflage, §123 Rdnr. 62; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, Rdnr. 1245).).

Hiervon ausgehend kann dahinstehen, ob die angegriffene Entscheidung des SG schon deswegen keinen Bestand haben kann, weil die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO, die gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG entsprechend anzuwendend ist, nicht eingehalten ist. Die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO ist von Amts wegen zu beachten; sie kann weder abgekürzt noch verlängert werden. Ist diese Frist versäumt, ist die Vollziehung der unwirksam gewordenen einstweiligen Anordnung - auch für künftig fällig werdende Leistungen - unzulässig. Das dadurch bewirkte Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses ist auch im Beschwerdeverfahren zu beachten und führt ohne inhaltliche Prüfung zur Aufhebung des nicht vollzogenen Beschlusses (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. November 2007 - L 7 AY 5173/07 ER-B - (juris) und vom 11. Januar 2006 - L 7 SO 4891/05 ER-B = FEVS 58, 14). Der Lauf dieser Frist setzt allerdings das Vorliegen eines vollstreckungsfähigen Inhalts der gerichtlichen Entscheidung voraus, woran vorliegend mit Blick darauf, dass der stattgebende Beschluss des Sozialgerichts den Antragsgegner zur Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe in einem bestimmten zeitlichen Umfang verpflichtet, ohne sich zum Zahlbetrag der beanspruchten, zu diesem Zeitpunkt aber offenbar noch ungewissen (künftigen) Kosten zu verhalten (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 11. Dezember 2007 - B 8/9b SO 13/06 R - (im Kurztext in juris)), erhebliche Bedenken bestehen.

Denn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen bereits aus anderen Gründen nicht vor. Dem Beschwerdebegehren des Antragstellers fehlt es zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.

Rechtsgrundlage des Begehrens des Antragstellers sind die Bestimmungen der §§ 53, 54 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII), welche mit Wirkung vom 1. Januar 2005 die Vorschriften der §§ 39, 40 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) abgelöst haben. Der Antragsgegner stellt seine sachliche und örtliche Zuständigkeit als Träger der Eingliederungshilfe (§§ 97, 98 SGB XII; ferner § 10 Abs. 4 Satz 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) dem Grunde nach nicht in Abrede, sodass sich die Frage konkurrierender Leistungen nach dem SGB VIII (vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) BVerwGE 109, 325; Bieritz-Harder in Hauck/Haines, SGB VIII, K § 10 Rdnrn. 32 ff.; Kunkel in LPK-SGB VIII, 3. Auflage, § 10 Rdnrn. 16 ff.) im vorliegenden Verfahren nicht stellt. Dass beim Antragsteller eine wesentliche Behinderung im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII vorliegt, begegnet jedenfalls keinen Zweifeln.

Aufgabe der Eingliederungshilfe (§ 53 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. und Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB XII) ist es, den behinderten Menschen durch die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft und durch Eingliederung in das Arbeitsleben nach Möglichkeit einem Nichtbehinderten gleichzustellen; der Bedürftige soll die Hilfen finden, die es ihm - durch Ausräumen behinderungsbedingter Hindernisse und Erschwernisse - ermöglichen, in der Umgebung von Nicht-Hilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben (vgl. hierzu BVerwGE 99, 149; 111, 328; BVerwG Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr. 15). Leistungen der Eingliederungshilfe umfassen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 der Eingliederungshilfe-Verordnung auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Januar 2007 - L 7 SO 5701/06 ER-B - FEVS 58, 285; BVerwG, Urteile vom 26. Oktober 2007 - 5 C 34/06 und 5 C 35/06 - (beide juris)). Hierzu können nach dem gesetzlichen Wortlaut des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch die Hilfen der "Vorbereitung hierzu", also auch die im vorschulischen Bereich, gehören.

Ob diese weiteren Voraussetzungen der Eingliederungshilfe im Falle des Antragstellers, der für den Besuch des Kindergartens M. - Integrative Tagesstätte der Lebenshilfe gGmbH - in Wiesloch Eingliederungshilfeleistungen sinngemäß durch Übernahme der Kosten für eine Einzelbegleitung begehrt, gegeben sind, kann im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beim gegenwärtigen Erkenntnisstand dahinstehen. Denn das Begehren auf (vorläufige) Hilfegewährung in Form der Übernahme der Kosten für einen Kindergartenbegleiter im Umfang von zehn Wochenstunden scheitert bereits daran, dass bis zum heutigen Tage hierfür keine anderweitig nicht gedeckten Kosten aufgewendet werden mussten, weil eine solche Tageskraft bis zuletzt nicht gefunden worden war und - was die Hilfegewährung für die Zeit ab 1. Juni 2008 betrifft - nicht glaubhaft gemacht ist, welche konkrete Person zu welchen finanziellen Konditionen diese Aufgabe zu übernehmen bereit und in der Lage ist.

Zu beachten ist, dass die sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe - im Gegensatz zu dem im Sozialversicherungsrecht vorherrschenden Sachleistungsprinzip - grundsätzlich als Geldleistungsanspruch ausgestaltet ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. September 2005 - L 7 SO 3421/05 ER- B - FEVS 57, 322 - und vom 20. Mai 2008 - L 7 SO 1009/08 ER-B -); er geht hier auf Übernahme der Kosten für einen Kindergartenbegleiter. Ein derartiger Kostenübernahmeanspruch setzt indes voraus, dass der Antragsteller überhaupt Aufwendungen für die beanspruchte Einzelbegleitung hat, indem er - im Wege der zulässigen "Selbstbeschaffung" (vgl. hierzu BVerwGE 90, 154; 96, 152) - einen Kindergartenbegleiter bereits eingeschaltet und diesen auf andere Weise bezahlt hat oder aber die Bezahlung wenigstens schuldet (vgl. BSG, Urteile vom 11. Dezember 2007 - B 8/9b SO 12/06 R und B 8/9b SO 13/06 R - (beide juris)). Denn Aufgabe der Sozialhilfe ist es nicht, Leistungen zu erbringen, wenn der entsprechende Bedarf hierfür entfallen oder überhaupt noch nicht entstanden ist (vgl. nochmals BSG, Urteile vom 11. Dezember 2007 a.a.O.; Senatsbeschluss vom 20. Mai 2008 a.a.O.).

Das ist hier nicht der Fall. Dem Antragsteller bzw. seinen Eltern sind bis zum heutigen Tage keine Kosten entstanden, die nicht anderweitig gedeckt worden wären. Die Kosten für die Erzieherin, die derzeit noch im Umfang von 5 ½ Stunden wöchentlich die Betreuung des Antragstellers durchführt, werden - wie die Antragsteller-Seite selber vorgetragen hat - vollständig aus den von der Pflegekasse bewilligten Leistungen der sog. Verhinderungspflege nach § 39 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) bestritten, weshalb insoweit kein ungedeckter Bedarf verblieben ist.

Was die Erzieherin anbelangt, die nach dem Vorbringen des Antragstellers offenbar sowohl die Begleitung von 10 Stunden im Schulkindergarten wahrnehmen könnte als auch die spätere Schulbegleitung, so ist diese bislang weder namentlich benannt noch ist vorgetragen oder sonst erkennbar, welche Kosten hierbei anfallen werden; nach dem Vortrag des Antragstellers "könnte ein Arbeitsvertrag zum 1.6.2008 geschlossen werden". Unter diesen Umständen fehlt es sowohl an der Glaubhaftmachung, dass diese Person beauftragt worden wäre (§ 920 Abs. 2 ZPO) als auch an der Glaubhaftmachung der Konditionen ihres Einsatzes - und damit am Zahlbetrag der vom Antragsgegner (möglicherweise) zu übernehmenden Kosten. Dem vorläufigen Rechtsschutzbegehren kann sonach schon wegen des fehlenden Anordnungsanspruchs nicht weiter nachgegangen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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