L 9 U 2184/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 474/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2184/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. März 2007 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2005 abgeändert wird.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung weiterer Unfallfolgen sowie die Gewährung von Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der am 1960 geborene Kläger ist als Kraftfahrer bei der H. GmbH und & CoKG Städtereinigung beschäftigt. Beim Öffnen des LKW-Garagentores im Wertstoffzentrum am 21.1.2003 federte dieses zurück und schlug gegen den Kopf und die rechte Schulter des Klägers. Dr. F. diagnostizierte beim Kläger am selben Tag eine Schädelprellung, 2 Kopfplatzwunden und eine HWS-Distorsion (DA-Bericht vom 21.1.2003). Bei dem Neurologen und Psychiater Dr. Z. gab der Kläger Kopfschmerzen, Schwindel und die Unfähigkeit an, den rechten Arm zu heben. Dr. Z. diagnostizierte im neurologischen Befundbericht vom 24.1.2003 einen Zustand nach schwerer Schädelprellung und eine Parese des Nervus axillaris rechts. In seinem Bericht vom 13.2.2003 teilte Dr. Z. mit, dass sich die Kopfschmerzen und der Schwindel des Klägers gebessert hätten und inzwischen die Elevation des rechten Armes über die Horizontale möglich, jedoch rasch ermüdbar sei. In weiteren Berichten vom 10.3., 29.4., 17.7., 14.8. und 29.9.2003 machte Dr. Z. Angaben über Verbesserungen der Elevation und der Kraft des rechten Armes, wobei er unter dem 29.9.2003 vermerkte, dass eine beginnende Symptomatik auch links bestehe.

Die Beklagte zog Leistungsauszüge der Krankenkasse bei, holte Auskünfte der Ärzte für Allgemeinmedizin Dr. A. und Dr. Sch. vom 14.1. und 19.1.2004 sowie des Orthopäden Dr. J. vom 12.3.2004 ein und veranlasste die Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens.

Dr. N., Chefarzt der Neurologischen Abteilung des Vinzenz von Paul Hospitals Rottenmünster, führte im Gutachten vom 23.6.2004 aus, seit dem Arbeitsunfall vom Januar 2003 bemerke der Kläger bei jedem Wetterumschwung mehrere Stunden anhaltende Kopfschmerzen. Darüber hinaus fehle ihm im Bereich des rechten Armes, insbesondere in der Schulter, die Kraft; auch dort habe er immer wieder Schmerzen. Dr. N. stellte beim Kläger als Folgen des Arbeitsunfalls vom 21.1.2003 eine inkomplette rechtsseitige obere Armplexusläsion und ein leichtes posttraumatisches Kopfschmerzsyndrom fest und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) hierfür auf 15 vH. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 16.8.2004 führte er aus, die Schilderung des Klägers mit Zunahme der Frequenz der Kopfschmerzen nach dem Unfall spreche für einen posttraumatischen Kopfschmerz. Die geringe Parese sei auf den Unfall zurückzuführen. Das Medikament Thyroxin sei nicht ursächlich für die Kopfschmerzen und die Muskelschwäche.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 15.9.2004 führte der Neurologe und Psychiater Dr. F. aus, die MdE für die geringfügige Restsymptomatik der Schulter sei mit 10 vH zu bewerten. Bei Patienten mit Schulterfunktionsstörungen würden Kopfschmerzen (Spannungskopfschmerzen) wegen der muskulären Dysbalance auftreten. Diese seien nicht als posttraumatische Kopfschmerzen aufzufassen; auch sei zu berücksichtigen, dass eine Kopfschmerzanamnese beim Kläger schon vorbestanden habe. Eine höhere MdE als 10 vH sei seines Erachtens nicht gerechtfertigt.

Mit Bescheid vom 25.10.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente ab, weil der Unfall eine MdE in rentenberechtigendem Grade über die 26. Woche hinaus nicht hinterlassen habe. Die Schädelprellung sowie die Distorsion der rechten Schulter seien folgenlos ausgeheilt. Als Unfallfolgen würden nicht anerkannt: Kopfschmerzsyndrom, Berührungsmissempfinden im Bereich der linken Schulter (Unfall im Kindesalter). Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.2.2005 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 21.2.2005 Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen, mit der er die Anerkennung eines Kopfschmerzsyndroms sowie einer inkompletten oberen Armplexusläsion mit Kraftlosigkeit als Unfallfolgen und die Gewährung einer Rente nach einer MdE um 20 vH begehrte.

Das SG befragte den Hausarzt des Klägers und holte ein nervenärztliches Gutachten ein.

Dr. A. erklärte unter dem 5.6.2005, der Kläger habe wegen des Arbeitsunfalls vom 21.1.2003 nie in seiner Behandlung gestanden.

Professor Dr. A., Chefarzt der Neurologischen Abteilung der Fachkliniken Hohenurach, stellte im Gutachten vom 9.8.2005 beim Kläger eine geringfügige Kraftminderung der vom Nervus axillaris versorgten Muskulatur fest und führte aus, die Läsion des oberen Armplexus bzw. des Nervus axillaris rechts sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 21.1.2003 zurückzuführen. Unter Berücksichtigung der Aktenlage bestehe kein zeitlicher Zusammenhang zwischen den jetzt geklagten Kopfschmerzen, die auf den Bereich von Schläfe und Scheitel linksseitig bezogen würden und dem Unfallereignis vom 21.1.2003. Es sei damals zu keiner Funktionsstörung des Gehirns gekommen, sodass von einer Schädelprellung auszugehen sei. Die geringfügige obere Armplexusläsion bzw. Schädigung des Nervus axillaris rechts führe zu einer MdE um 10 vH.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragte das SG Dr. Sch., Ärztlicher Leiter für Neurorehabilitation der Kliniken Schmieder, mit der Begutachtung des Klägers. Dieser stellte beim Kläger im Gutachten vom 30.1.2006 eine inkomplette Parese des oberen Armplexus rechts sowie einen Analgetika induzierten Kopfschmerz im Sinne eines Spannungskopfschmerzes fest. Er führte aus, die inkomplette obere Armplexusparese rechts sei zweifelsfrei Unfallfolge. Bei dem nunmehr diagnostizierten Spannungskopfschmerz handele es sich, nachdem es im Herbst 2004 zu einer Verschiebung der Grundlage gekommen sei, seit dem 1.10.2004 nicht mehr um eine Unfallfolge. Bis zum 30.9.2004 sei er als posttraumatischer Kopfschmerz vom Spannungstyp als Unfallfolge anzusehen. Die MdE für die Unfallfolgen sei wie folgt zu bewerten: 1.4.2003 bis 30.9.2003 50 vH (inkomplette obere Armplexusparese 30 vH, posttraumatischer Kopfschmerz 20 vH) 1.10.2003 bis 30.9.2004 40 vH (inkomplette obere Armplexusparese 30 vH, posttraumatischer Kopfschmerz 10 vH) 1.10.2004 bis a. w. 30 vH (inkomplette obere Armplexusparese)

Hierzu legte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. F. vom 24.4.2006 vor, der ausführte, aus seiner Sicht sei es nicht statthaft, länger als für die Dauer eines halben Jahres einen relevanten Kopfschmerz nach den Richtlinien der Kopfschmerzliga anzunehmen. Die durch die Schädigung des Armplexus bedingten Funktionsstörungen seien geringfügig, angesichts dessen sei eine MdE um 30 vH nicht nachvollziehbar.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG holte das SG eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. Sch. ein, der unter dem 11.9.2006 ausführte, man könne mutmaßen, dass bei einem Kraftgrad 4 bis 5 die rechte obere Extremität quasi normal einzusetzen sei. Beim Kläger sei zu berücksichtigen, dass er Rechtshänder sei und beruflich auf seine Hände angewiesen sei. Deswegen fänden sie eine Einschätzung der MdE mit 10 vH zu niedrig und schätzten die MdE für die Nervenschädigungen auf 30 vH, mindestens aber auf 20 vH, zumal es sich hier um die Gebrauchshand des Klägers handle.

Mit Urteil vom 27.3.2007 stellte das SG fest, dass die inkomplette obere Armplexusläsion mit Kraftlosigkeit rechts Folge des Arbeitsunfalls des Klägers vom 21.1.2003 sei und wies im übrigen die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die inkomplette obere Armplexusläsion mit Kraftlosigkeit rechts sei Folge des Arbeitsunfalls vom 21.1.2003. Diese Überzeugung stütze das SG auf das Gutachten von Prof. Dr. A., das durch die Beurteilungen von Dr. Sch. und Dr. N. gestützt werde. Hingegen komme eine Anerkennung eines Kopfschmerzsyndroms als Unfallfolge nicht in Betracht; insoweit stütze sich das SG auf das Gutachten von Prof. Dr. A ... Das Gutachten von Dr. Sch. vermöge das SG dagegen nicht zu überzeugen. Eine unfallbedingte MdE um mindestens 20 vH ab dem 31.3.2003 vermöge das SG nicht festzustellen. Auf die Entscheidungsgründe im übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 26.4.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30.4.2007 Berufung eingelegt und vorgetragen, das SG habe im angefochtenen Urteil zu Recht festgestellt, dass die inkomplette obere Armplexusläsion mit Kraftlosigkeit rechts Folge des Arbeitsunfalls vom 21.1.2003 sei. Diese Unfallfolge sei nach seiner Auffassung mit wenigstens 20 vH zu bewerten. Hierzu stütze er sich auf das Gutachten von Dr. Sch. nebst ergänzender Stellungnahme vom 11.9.2006. Ferner sei - wie sich aus dem Gutachten von Dr. Sch. ergebe - auch die Kopfschmerzsymptomatik bis zum 30.9.2004 als Unfallfolge zu berücksichtigen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. März 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2005 abzuändern, ein Kopfschmerzsyndrom sowie eine inkomplette obere Armplexusläsion mit Kraftlosigkeit als Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. Januar 2003 festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 31. März 2003 Rente nach einer MdE um wenigstens 20 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen und auf Gewährung von Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat. Das SG hat den rechtserheblichen Sachverhalt umfassend dargestellt, die Voraussetzungen für die Anerkennung von Unfallfolgen und für eine Rentengewährung zutreffend benannt und das Beweisergebnis frei von Rechtsfehlern gewürdigt. Hierbei hat es überzeugend begründet, weshalb es der Beurteilung des Prof. Dr. A. gefolgt ist. Der Senat schließt sich der Beweiswürdigung des SG uneingeschränkt an und sieht deshalb von einer Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG weitgehend ab. Ergänzend ist auszuführen, dass das SG eine inkomplette obere Armplexusläsion mit Kraftlosigkeit rechts schon als Folge des Arbeitsunfalls festgestellt hat. Insoweit geht der klägerische Antrag ins Leere bzw. es fehlt insoweit ein Rechtsschutzinteresse. Der Senat vermag - ebenso wie das SG - nicht festzustellen, dass ein Kopfschmerzsyndrom mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 21.1.2003 zurückzuführen ist. Der Senat hält die Ausführungen und die Beurteilung von Prof. Dr. A. ebenfalls für nachvollziehbar und überzeugend. Zwar hat der Kläger am 23.1.2003 gegenüber dem Neurologen und Psychiater Dr. Z. über Kopfschmerzen geklagt, er hat jedoch schon am 12.2.2003 eine Besserung der Kopfschmerzen angegeben und bei den weiteren Vorstellung bei Dr. Z. am 10.3., 28.4., 17.7., 14.8., 29.9. und 6.11.2003 über Kopfschmerzen nicht mehr geklagt, wie der Senat den Berichten von Dr. Z. entnimmt. Auch bei der Untersuchung durch den Chirurgen Dr. B. am 27.11.2003 berichtete der Kläger nicht über Kopfschmerzen. Bei der nervenärztlichen Untersuchung durch Dr. N. am 18.6.2004 gab der Kläger erstmals Kopfschmerzen bei Wetterumschwung seit dem Unfall an, die an der Schädeldecke lokalisiert seien. Angesichts der Tatsache, dass für die Zeit vom 10.3. bis 27.11.2003 keine Angaben über Kopfschmerzen oder eine Zunahme der Kopfschmerzen vorliegen und es bei dem Unfall lediglich zu einer Schädelprellung und nicht zu einer gravierenden Funktionsstörung des Gehirns gekommen ist, vermag auch der Senat nicht mit Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass bis zum 30.9.2004 - wovon Dr. Sch. ausgeht - ein unfallbedingter posttraumatischer Spannungskopfschmerz vorgelegen hat. Denn nachvollziehbar für den Senat führt Prof. Dr. A. aus, dass bei der Erstuntersuchung am Unfalltag durch Dr. F. keine Amnesie, kein Schwindel und keine Übelkeit vorlagen, was dafür spricht, dass es lediglich zu der auch von Dr. F. diagnostizierten Schädelprellung und nicht zu einer gravierenden Funktionsstörung des Gehirns gekommen ist. Auch der Neurologe und Psychiater Dr. Z. hat keine Befunde erhoben, die auf eine stärkere Funktionsstörung des Gehirns hindeuten würden. Zutreffend hat das SG auch ausgeführt, dass die Unfallfolgen keine MdE um wenigstens 20 vH ab 31.3.2003 (und insbesondere über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall vom 21.1.2003 hinaus) bedingen. Denn ausweislich des von Dr. Z. am 17.7.2003 erhobenen Befundes war schon damals eine Elevation des rechten Armes über die Horizontale sehr gut möglich, auch wenn beim Vorhalten noch eine rasche Ermüdbarkeit eintrat. In der folgenden Zeit kam es zu weiteren Verbesserungen, wie sich aus den Berichten von Dr. Z. vom 14.8., 29.9. und 6.11.2003 entnehmen lässt. Demgemäß haben Dr. N. und Prof. Dr. A. nur eine geringfügige Schädigung des oberen Armplexus bzw. des Nervus axillaris rechts festgestellt. Dadurch wird - wie beide Ärzte übereinstimmend darlegen - eine MdE von 20 vH nicht erreicht. Der Beurteilung von Dr. Sch. folgt Senat nicht, zumal er keine wesentlich anderen Befunde als die anderen Gutachter erhoben hat und zu Unrecht bei der Bewertung der MdE einen Unterschied zwischen der Gebrauchs- und Gegenhand macht (s. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 615) und zu Unrecht auf die berufliche Tätigkeit des Klägers abstellt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. S. 149). Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden. Allerdings hätte das SG nicht nur die Unfallfolgen feststellen, sondern auch die diesbezüglichen Bescheide abändern müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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