Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 1113/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2416/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 20. April 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob, ausgehend von einem Grad der Behinderung (GdB) von 80, der GdB neu mit 90 oder 100 festzustellen ist. Ferner streiten sie über die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).
Der 1973 geborene Kläger ist verheiratet. Er bezieht eine Erwerbsminderungsrente.
Zuletzt hatte das damals zuständige Versorgungsamt F. (VA) mit dem bindend gewordenen Teil-Abhilfebescheid vom 4. November 2002 ab dem 21. Januar 2002 einen GdB von 80 wegen nachfolgender Funktionsbeeinträchtigungen anerkannt: 1. Seelische Störung, Lernbehinderung 2. Funktionsbehinderung des linken unteren Sprunggelenks Dem hatte die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme von Dr. L. vom 22. Oktober 2002 zugrunde gelegen, der die Funktionsbeeinträchtigung Nr. 1 mit einem Teil-GdB von 80 und die Funktionsbeeinträchtigung Nr. 2 mit einem Teil-GdB von 10 bewertet hatte.
Am 30. März 2004 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB und die Feststellung des Merkzeichens G. Er habe sich bei einem privaten Autounfall die Hüfte gebrochen und daher erhebliche Beschwerden beim Gehen. Das VA zog verschiedene medizinische Unterlagen bei. Daraus ergab sich, dass der Kläger bei dem Autounfall am 10. Dezember 2003 eine Femurfraktur erlitten hatte. Am 11. Dezember 2003 war es in der Klinik zu einem Kammerflimmern mit notwendiger Reanimation gekommen. In diesem Zusammenhang wurde über einen fraglichen generalisierten Krampfanfall berichtet. Es wurde ein noch deutlich hinkendes Gangbild beschrieben (Reha-Entlassungsbericht der Reha-Klinik K. vom 26. Februar 2004, Arztbriefe des Klinikums O. vom 16. Januar und 22. März 2004, Befundbericht von Dr. G. - Arzt für Allgemeinmedizin - vom 15. April 2004).
Mit Bescheid vom 16. Juni 2004 stellte das VA ab dem 30. März 2004 einen GdB von 90 fest. Die Feststellung des Merkzeichens G lehnte es ab. Dem lagen die vä Stellungnahmen von Dr. Z. vom 25. Mai 2004 und Dr. L. vom 16. Juni 2004 zugrunde. Dr. Z. hatte neu hinzugekommene "Unfallfolgen linkes Bein, Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenks" mit einem Teil-GdB von 20 bewertet. Dr. L. ging, darauf gestützt, von einem Gesamt-GdB von 90 aus.
Am 19. Juli 2004 erhob der Kläger Widerspruch. Er könne seit dem Unfall nicht mehr soviel "machen" wie zuvor.
Das VA zog erneut medizinische Unterlagen bei. Im Befundbericht vom 26. August 2004 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. die Diagnosen einer leichten Intelligenzminderung und einer Persönlichkeitsstörung, ferner einer fokalen Epilepsie mit komplex-fokalen Anfällen ungeklärter Ätiologie und Epileptogenese. Er führte weiter aus, psychisch werde neben der sicher vorhandenen Undifferenziertheit und gewissen Minderbegabung eine Fähigkeit zu einem manipulativen Umgang mit seiner Umgebung deutlich (siehe auch Arztbrief von Dr. Sch. vom 7. Juli 2004). In der vä Stellungnahme vom 26. Januar 2004 erweiterte Dr. T. die Funktionsbeeinträchtigung seelische Störung, Lernbehinderung um das Anfallsleiden, sah jedoch dadurch keine Auswirkungen auf den Teil-GdB von 80 bedingt. Die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr sei nicht erheblich beeinträchtigt. Darauf gestützt wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2005 den Widerspruch zurück. Das Merkzeichen G könne bei einem Anfallsleiden erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit, die für sich allein einen GdB von wenigstens 60 bedinge, angenommen werden. Eine mittlere Anfallshäufigkeit liege zum Beispiel dann vor, wenn große Anfälle mit Pausen von Wochen und kleine Anfälle mit Pausen von Tagen auftreten würden. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
Dagegen erhob der Kläger am 23. März 2005 beim Sozialgericht F. (SG) Klage. Er trug vor, er leide unter einem Anfallsleiden mit mittlerer Anfallshäufigkeit. Er stehe wegen diesem Leiden in laufender Behandlung, führe jedoch keinen Anfallskalender. Der Beklagte hielt dem entgegen, die Anfallshäufigkeit sei nicht belegt. Die Unterlagen sprächen für größere Abstände. Das SG hörte den behandelnden Facharzt für Orthopädie R. und den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie G. (Klinik an der L., O.) schriftlich als sachverständige Zeugen. Der Orthopäde R. teilte am 8. September 2005 mit, die Gehfähigkeit des Klägers sei durch die posttraumatische Coxarthrose links und die Sprunggelenksarthrose links mittelgradig eingeschränkt. Die beschwerdefreie Wegstrecke betrage nach seiner Einschätzung einen Kilometer. Der Psychiater G. teilte am 14. September 2005 mit, die organische psychische Störung des Klägers zeige sich in unterschiedlichen psychischen Zuständen. Es liege eine schwere Behinderung vor. Das Anfallsleiden habe bei einem Aufenthalt im Epilepsiezentrum K. im Jahr 2000 nicht bestätigt werden können. Die auf psychiatrischem Gebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen führten nicht zu einer Einschränkung des Gehvermögens. Er stimmte der Einschätzung des GdB durch den vä Dienst wie zuvor auch der Orthopäde R. zu. Der Beklagte legte noch die vä Stellungnahme von Dr. G. vom 17. November 2005 vor.
Mit Gerichtsbescheid vom 20. April 2006 wies das SG die Klage ab. Es stützte sich auf die sachverständigen Zeugenaussagen. Von Bedeutung sei, dass in letzter Zeit epileptische Anfälle nicht angegeben und auch nicht beobachtet worden seien. Der Kläger habe auch keinen Anfallskalender geführt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des dem Bevollmächtigten des Klägers am 24. April 2006 zugestellten Gerichtsbescheids Bezug genommen.
Hiergegen hat der Kläger am 9. Mai 2006 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Er trägt vor, an schweren epileptischen Anfällen mit längeren Zeiten der Bewusstlosigkeit zu leiden. Diese kämen mit Pausen von nur Wochen vor. Kleinere Anfälle kämen im Abstand von nur Tagen vor. Der Sachverhalt sei auch nach der im Berufungsverfahren erfolgten Einholung des Gutachtens von Dr. R. noch nicht hinreichend aufgeklärt. Ein weiteres Gutachten sei erforderlich. Sein Antragsrecht auf ein solches Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei noch nicht verbraucht. Zudem habe der Orthopäde R. eine Gehstrecke von maximal einen Kilometer bestätigt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 20. April 2006 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 16. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2005 zu verurteilen, mit Wirkung vom 30. März 2004 einen GdB von 100 und das Merkzeichen G festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält an seiner Entscheidung fest und sieht sich auch durch das Gutachten von Dr. R. bestätigt.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat das fachneurologische Gutachten von Dr. R. vom 29. Juni 2007 eingeholt. Ihm gegenüber habe der Kläger berichtet, die "Anfälle" seien schon in der Schulzeit aufgetreten. Den letzten dieser "Anfälle" habe er vor ca. 6-7 Monaten gehabt. Seit dem Autounfall könne er nicht mehr gut gehen. Die genaue Gehstrecke habe er nicht angeben können. Die Ehefrau des Klägers teilte, befragt durch Dr. R., mit, die Frequenz der "Anfälle" sei unterschiedlich im Durchschnitt vielleicht einmal pro Monat. Auf dem neurologischen Fachgebiet führte Dr. R. unter Diagnosen auf: "Verdacht auf fokale Epilepsie ungeklärter Ätiologie mit komplex-fokalen Anfällen, Verdacht auf organische psychische Störung". Er bewertete die fokalen Anfälle mit einem GdB von 50 bis 60, die seelische Störung/Lernbehinderung mit einem Teil-GdB von 80, die Unfallfolgen am linken Bein mit einem Teil-GdB von 20 und die Funktionsbehinderung am Sprunggelenk mit einem Teil-GdB von 10 und ging zusammenfassend unter Berücksichtigung erheblicher Überlappungen von einem Gesamt-GdB von 90 aus. Weder von Seiten der Epilepsie noch aufgrund der Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen bestehe eine erhebliche Beeinträchtigung im Straßenverkehr. Es müsse nicht unbedingt eine neue Begutachtung, sicher aber eine ausführliche Beurteilung durch einen Epileptologen erfolgen. Von diesem sollte eine entsprechende Behandlung durchgeführt werden und nach erfolgter konsequenter Behandlung ggf. eine erneute Begutachtung.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Denn der Bescheid des Beklagten vom 16. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass in den Verhältnissen, wie sie der letzten Feststellung zugrunde gelegen haben, eine Änderung insoweit eingetreten ist, als der GdB nunmehr 90, nicht jedoch - wie vom Kläger begehrt - 100 beträgt (dazu nachfolgend 1.). Zu Recht hat der Beklagte es abgelehnt, den Nachteilsausgleich G zuzuerkennen (dazu nachfolgend 2.). Eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist nicht angezeigt (dazu nachfolgend 3.).
1. Nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer solchen ist im vorliegenden Zusammenhang bei einer Änderung im Gesundheitszustand des Antragstellers auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des GdB um wenigstens 10 folgt (BSG, Urteil vom 11. November 2004, B 9 SB 1/03 R, zitiert nach Juris Rn. 12 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 24. Juni 1998, B 9 SB 17/97 R, BSGE 82, 176, SozR 3-3870 § 4 Nr. 24).
Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB (im Sinne des Gesamt-GdB nach Rn. 19 Abs. 1 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP), Herausgeber: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bonn, 2008) nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Bei der Feststellung des GdB sind im Interesse der gleichmäßigen Beurteilung der Behinderungen die AHP zugrunde zu legen, bei denen es sich nach der Rechtsprechung um antizipierte Sachverständigengutachten handelt und die wie untergesetzliche Normen anzuwenden sind (BSG, Urteil vom 11. November 2004, B 9 SB 1/03 R, zitiert nach Juris Rn. 13). Der im Verfügungssatz des Bescheids festzustellende GdB ist Ergebnis einer Gesamtwürdigung der Auswirkungen der verschiedenen Teilhabebeeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander (vgl. AHP Rn. 19, Seite 24).
Unter Beachtung dieser Grundsätze wird der Kläger durch die Entscheidung des Beklagten, nunmehr ab dem Zeitpunkt des Erhöhungsantrags von Funktionsbeeinträchtigungen auszugehen, die einen GdB von 90 bedingen, nicht beschwert.
Dies gilt insbesondere für die vom Beklagten erfolgte Bewertung der das Nervensystem und die Psyche (AHP Rn. 26.3) betreffenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von 80. Dieser Wert entspricht Hirnschäden mit schweren psychischen Störungen (AHP S. 41) oder schweren Neurosen bzw. Persönlichkeitsstörungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit schweren sozialen Anpassungsstörungen (AHP S. 48). Die Zuordnung zu einem dieser beiden Krankheitsbilder fällt schwer, da der langjährig behandelnde Arzt für Neurologie Dr. Sch. lediglich die Diagnosen einer Minderbegabung, eines Anfallsleidens und einer psychischen Überlagerung gestellt hat (Befundbericht vom 7. Juli 2004), während der nachfolgend behandelnde Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie G., als sachverständiger Zeuge vom SG befragt, die Diagnosen einer organischen psychischen Störung aufgrund einer Schädigung des Gehirns sowie einer Minderbegabung mit Verhaltensstörung stellte. Der Reha-Entlassungsbericht vom 26. Februar 2004 hilft nicht weiter, da darin nur Verdachts- und Differenzialdiagnosen (V.a. frühkindlichen Hirnschaden mit Intelligenzminderung und cerebralem Anfallsleiden, V.a. dissoziale Persönlichkeitsstörung, DD: emotional instabile Persönlichkeitsstörung) genannt werden. Auch Dr. R. legte sich nicht fest; sein Gutachten vom 29. Juni 2007 leidet vielmehr unter dem Mangel, dass er auf dem von ihm zu beurteilenden neurologischen Fachgebiet letztlich nur Verdachtsdiagnosen stellte (V.a. fokale Epilepsie ungeklärter Ätiologie mit komplex-fokalen Anfällen, V.a. organische psychische Störung). Letztlich kann die genaue Zuordnung aber dahingestellt bleiben. Dies gilt selbst, wenn - neben den eingangs genannten Gesundheitsstörungen - zusätzlich das Bestehen eines Anfallsleidens unterstellt wird, obwohl der Facharzt G. ein solches Leiden in seiner Zeugenaussage vom September 2005 als nicht bestätigt ansah und Dr. R. eine vollständige epileptologische Abklärung empfahl. Denn nach den AHP Rn. 18 Abs. 4 (S. 22) sollen die Funktionssysteme, z.B. Gehirn und Psyche, zusammenfassend beurteilt werden. Völlig zu Recht hat der vä Dienst daher das neu vorgetragene Anfallsleiden der bereits berücksichtigten seelischen Störung nebst Lernbehinderung zugeordnet. Insgesamt kommt aus Sicht des Senats für dieses Funktionssystem keinesfalls ein höherer GdB als 80 in Betracht. Schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten (s.o. AHP S. 48), die einen GdB von 90 oder gar 100 rechtfertigen würden, liegen sicher nicht vor, denn der Kläger steht zwar in laufender ärztlicher Behandlung, ist jedoch ansonsten in der Lage, eigenständig in ehelicher Gemeinschaft mit seiner Frau zu leben. Aus dem Arztbrief von Dr. Sch. vom 7. Juli 2004 ergibt sich, dass er in der Lage ist, mehrere Wochen in die Türkei zu reisen - wovon er sich eine Verbesserung seines Zustands versprach. Ebenso wenig sind schwere kognitive Leistungsstörungen im Sinne AHP S. 42 ersichtlich. Dr. Sch. berichtete im eben genannten Arztbrief nur von einer "gewissen" Minderbegabung und nennt sogar eine Geschicklichkeit im Umgang mit den ihn betreuenden Personen mit der Tendenz, sich Vorteile "zu erschleichen". Im Reha-Entlassungsbericht vom Februar 2004 wird beschrieben, dass sich anfänglich deutliche defizitäre kognitive Leistungen im Behandlungsverlauf verbessern ließen. Dr. R. schloss in seinem Gutachten das Bestehen offensichtlicher Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit aus.
Das Anfallsleiden ist gem. den AHP S. 43 nach der Anfallshäufigkeit zu bewerten. Es fällt auf, dass der Kläger und seine Ehefrau gegenüber Dr. R. hierzu widersprechende Angaben machten. Während der Kläger angab, zuletzt vor ca. sechs bis sieben Monaten einen Anfall gehabt zu haben, behauptete seine Ehefrau, Anfälle würden monatlich auftreten. Zum Teil würden sie nur Sekunden dauern. Der Kläger führt auch keinen Anfallskalender. Angesichts dieser teils widersprüchlichen und im Übrigen nicht belegten Angaben kann allenfalls von seltenen Anfällen (generalisierte (große) und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Monaten; kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen - AHP Seite 43) ausgegangen werden. Diese Auffassung vertrat auch Dr. R., denn er hat das Anfallsleiden in seinem Gutachten mit den in den AHP für seltene Anfälle vorgesehenen GdB-Werten von 50 bis 60 bewertet. Ein GdB von 60 bis 80 käme erst bei einer mittleren Häufigkeit (generalisierte (große) oder komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen, kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Tagen) in Betracht. Von einer solchen Situation kann unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers und im Hinblick auf die geschilderte Schwere der Anfälle selbst unter Zugrundelegung der Angaben seiner Ehefrau nicht ausgegangen werden. Dabei ist noch einmal zu betonen, dass diese Angaben - obwohl es ohne weiteres möglich wäre, beispielsweise ein Anfalltagebuch zu führen - ohnehin nicht hinreichend belegt sind. Gegen das Vorliegen einer mittleren Anfallshäufigkeit spricht auch, dass der Kläger zur Behauptung einer solchen im Rahmen seines Berufungsvorbringens lediglich formelhaft die insoweit von den AHP vorgegebenen Voraussetzungen wiederholt hat. Die Bewertung eines Anfallsleiden mit einem Teil-GdB von 50 bis 60 rechtfertigt keine Erhöhung des für das Funktionssystem Gehirn und Psyche vom Beklagten angesetzten Teil-GdB von 80.
Die Bewertung der Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten der linken Hüfte und des linken oberen Sprunggelenks durch den Beklagten mit Teil-GdB-Werten von 20 und 10 hat der behandelnde Facharzt für Orthopädie R. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 2. Mai 2005 bestätigt. Es wurde nicht vorgetragen und ist auch für den Senat nicht ersichtlich, dass die Bewertung zu gering erfolgte.
Aus den genanten Teil-GdB-Werten ist ein Gesamt-GdB von 90 zu bilden. Dem haben auch Dr. R. und der Facharzt G. zugestimmt. Es liegt mithin keine ärztliche Äußerung vor, auf die der Kläger sein weitergehendes Klagebegehren stützen könnte.
2. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zurückgelegt werden, gelten solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten (BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987; 9a RVs 11/87; SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2). Nach den AHP kann eine derartige Einschränkung des Gehvermögens angenommen werden, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen (AHP Rn. 30 Abs. 3 Satz 1). Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einem GdB von unter 50 auch gegeben sein, wenn sich Behinderungen an den unteren Gliedmaßen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B bei einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (AHP Nr. 30 Rn. 3 Satz 2).
Bei hirnorganischen Anfällen ist die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten.
Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor. Die durch die orthopädischen Gesundheitsstörungen verursachten Funktionsbeeinträchtigungen bedingen lediglich einen GdB von 20 und 10. Sie wirken sich zwar zwangsläufig auf das Gehvermögen aus - ansonsten könnte überhaupt keine Funktionsbeeinträchtigung anerkannt werden -, von einer erheblichen Beeinträchtigung kann aber nach den eben dargestellten Maßstäben nicht ausgegangen werden. Somit kann aus der Aussage des Orthopäden R., der Kläger könne nur 1 km beschwerdefrei gehen, kein für den Kläger günstigeres Ergebnis hergeleitet werden.
Das - unterstellte - Anfallsleiden rechtfertigt nicht die Anerkennung des Nachteilsausgleichs G, denn von einer mittleren Anfallshäufigkeit kann - ausgehend von den anamnestischen Angaben des Klägers und seiner Ehefrau - nicht ausgegangen werden. Auch der Psychotherapeut G. und Dr. R. gelangten zu dieser Einschätzung.
3. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist nicht veranlasst. Der Hinweis von Dr. R., es solle ein weiteres Gutachten eingeholt werden, ist unter dem - hier nicht interessierenden - therapeutischen Gesichtspunkt im Hinblick auf die langfristige Entwicklung zu sehen. Trotz des Hinweises sah sich Dr. R. in der Lage, eine gutachtliche Bewertung vorzunehmen. Von einer ausführlicheren Beurteilung durch einen Epileptologen versprach sich Dr. R. eine entsprechende Behandlung, deren Ergebnis vor einer erneuten Begutachtung abzuwarten sei. Das gerichtliche Verfahren hat jedoch keine behandlungsbegleitende Funktion. Auch im Interesse des Klägers muss im gerichtlichen Verfahren der vergangene und der augenblickliche Zustand beurteilt werden. Gerichtliche Verfahren sind in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen.
Über den vom Kläger noch im Erörterungstermin vom 9. Januar 2008 gestellten Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG war nicht mehr zu entscheiden, da er - anwaltlich vertreten - bei seiner Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht mehr an diesem Antrag festgehalten hat. Im Übrigen war sein Antragsrecht nach § 109 SGG bereits verbraucht.
Die Berufung war mithin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob, ausgehend von einem Grad der Behinderung (GdB) von 80, der GdB neu mit 90 oder 100 festzustellen ist. Ferner streiten sie über die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).
Der 1973 geborene Kläger ist verheiratet. Er bezieht eine Erwerbsminderungsrente.
Zuletzt hatte das damals zuständige Versorgungsamt F. (VA) mit dem bindend gewordenen Teil-Abhilfebescheid vom 4. November 2002 ab dem 21. Januar 2002 einen GdB von 80 wegen nachfolgender Funktionsbeeinträchtigungen anerkannt: 1. Seelische Störung, Lernbehinderung 2. Funktionsbehinderung des linken unteren Sprunggelenks Dem hatte die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme von Dr. L. vom 22. Oktober 2002 zugrunde gelegen, der die Funktionsbeeinträchtigung Nr. 1 mit einem Teil-GdB von 80 und die Funktionsbeeinträchtigung Nr. 2 mit einem Teil-GdB von 10 bewertet hatte.
Am 30. März 2004 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB und die Feststellung des Merkzeichens G. Er habe sich bei einem privaten Autounfall die Hüfte gebrochen und daher erhebliche Beschwerden beim Gehen. Das VA zog verschiedene medizinische Unterlagen bei. Daraus ergab sich, dass der Kläger bei dem Autounfall am 10. Dezember 2003 eine Femurfraktur erlitten hatte. Am 11. Dezember 2003 war es in der Klinik zu einem Kammerflimmern mit notwendiger Reanimation gekommen. In diesem Zusammenhang wurde über einen fraglichen generalisierten Krampfanfall berichtet. Es wurde ein noch deutlich hinkendes Gangbild beschrieben (Reha-Entlassungsbericht der Reha-Klinik K. vom 26. Februar 2004, Arztbriefe des Klinikums O. vom 16. Januar und 22. März 2004, Befundbericht von Dr. G. - Arzt für Allgemeinmedizin - vom 15. April 2004).
Mit Bescheid vom 16. Juni 2004 stellte das VA ab dem 30. März 2004 einen GdB von 90 fest. Die Feststellung des Merkzeichens G lehnte es ab. Dem lagen die vä Stellungnahmen von Dr. Z. vom 25. Mai 2004 und Dr. L. vom 16. Juni 2004 zugrunde. Dr. Z. hatte neu hinzugekommene "Unfallfolgen linkes Bein, Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenks" mit einem Teil-GdB von 20 bewertet. Dr. L. ging, darauf gestützt, von einem Gesamt-GdB von 90 aus.
Am 19. Juli 2004 erhob der Kläger Widerspruch. Er könne seit dem Unfall nicht mehr soviel "machen" wie zuvor.
Das VA zog erneut medizinische Unterlagen bei. Im Befundbericht vom 26. August 2004 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. die Diagnosen einer leichten Intelligenzminderung und einer Persönlichkeitsstörung, ferner einer fokalen Epilepsie mit komplex-fokalen Anfällen ungeklärter Ätiologie und Epileptogenese. Er führte weiter aus, psychisch werde neben der sicher vorhandenen Undifferenziertheit und gewissen Minderbegabung eine Fähigkeit zu einem manipulativen Umgang mit seiner Umgebung deutlich (siehe auch Arztbrief von Dr. Sch. vom 7. Juli 2004). In der vä Stellungnahme vom 26. Januar 2004 erweiterte Dr. T. die Funktionsbeeinträchtigung seelische Störung, Lernbehinderung um das Anfallsleiden, sah jedoch dadurch keine Auswirkungen auf den Teil-GdB von 80 bedingt. Die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr sei nicht erheblich beeinträchtigt. Darauf gestützt wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2005 den Widerspruch zurück. Das Merkzeichen G könne bei einem Anfallsleiden erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit, die für sich allein einen GdB von wenigstens 60 bedinge, angenommen werden. Eine mittlere Anfallshäufigkeit liege zum Beispiel dann vor, wenn große Anfälle mit Pausen von Wochen und kleine Anfälle mit Pausen von Tagen auftreten würden. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
Dagegen erhob der Kläger am 23. März 2005 beim Sozialgericht F. (SG) Klage. Er trug vor, er leide unter einem Anfallsleiden mit mittlerer Anfallshäufigkeit. Er stehe wegen diesem Leiden in laufender Behandlung, führe jedoch keinen Anfallskalender. Der Beklagte hielt dem entgegen, die Anfallshäufigkeit sei nicht belegt. Die Unterlagen sprächen für größere Abstände. Das SG hörte den behandelnden Facharzt für Orthopädie R. und den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie G. (Klinik an der L., O.) schriftlich als sachverständige Zeugen. Der Orthopäde R. teilte am 8. September 2005 mit, die Gehfähigkeit des Klägers sei durch die posttraumatische Coxarthrose links und die Sprunggelenksarthrose links mittelgradig eingeschränkt. Die beschwerdefreie Wegstrecke betrage nach seiner Einschätzung einen Kilometer. Der Psychiater G. teilte am 14. September 2005 mit, die organische psychische Störung des Klägers zeige sich in unterschiedlichen psychischen Zuständen. Es liege eine schwere Behinderung vor. Das Anfallsleiden habe bei einem Aufenthalt im Epilepsiezentrum K. im Jahr 2000 nicht bestätigt werden können. Die auf psychiatrischem Gebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen führten nicht zu einer Einschränkung des Gehvermögens. Er stimmte der Einschätzung des GdB durch den vä Dienst wie zuvor auch der Orthopäde R. zu. Der Beklagte legte noch die vä Stellungnahme von Dr. G. vom 17. November 2005 vor.
Mit Gerichtsbescheid vom 20. April 2006 wies das SG die Klage ab. Es stützte sich auf die sachverständigen Zeugenaussagen. Von Bedeutung sei, dass in letzter Zeit epileptische Anfälle nicht angegeben und auch nicht beobachtet worden seien. Der Kläger habe auch keinen Anfallskalender geführt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des dem Bevollmächtigten des Klägers am 24. April 2006 zugestellten Gerichtsbescheids Bezug genommen.
Hiergegen hat der Kläger am 9. Mai 2006 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Er trägt vor, an schweren epileptischen Anfällen mit längeren Zeiten der Bewusstlosigkeit zu leiden. Diese kämen mit Pausen von nur Wochen vor. Kleinere Anfälle kämen im Abstand von nur Tagen vor. Der Sachverhalt sei auch nach der im Berufungsverfahren erfolgten Einholung des Gutachtens von Dr. R. noch nicht hinreichend aufgeklärt. Ein weiteres Gutachten sei erforderlich. Sein Antragsrecht auf ein solches Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei noch nicht verbraucht. Zudem habe der Orthopäde R. eine Gehstrecke von maximal einen Kilometer bestätigt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 20. April 2006 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 16. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2005 zu verurteilen, mit Wirkung vom 30. März 2004 einen GdB von 100 und das Merkzeichen G festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält an seiner Entscheidung fest und sieht sich auch durch das Gutachten von Dr. R. bestätigt.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat das fachneurologische Gutachten von Dr. R. vom 29. Juni 2007 eingeholt. Ihm gegenüber habe der Kläger berichtet, die "Anfälle" seien schon in der Schulzeit aufgetreten. Den letzten dieser "Anfälle" habe er vor ca. 6-7 Monaten gehabt. Seit dem Autounfall könne er nicht mehr gut gehen. Die genaue Gehstrecke habe er nicht angeben können. Die Ehefrau des Klägers teilte, befragt durch Dr. R., mit, die Frequenz der "Anfälle" sei unterschiedlich im Durchschnitt vielleicht einmal pro Monat. Auf dem neurologischen Fachgebiet führte Dr. R. unter Diagnosen auf: "Verdacht auf fokale Epilepsie ungeklärter Ätiologie mit komplex-fokalen Anfällen, Verdacht auf organische psychische Störung". Er bewertete die fokalen Anfälle mit einem GdB von 50 bis 60, die seelische Störung/Lernbehinderung mit einem Teil-GdB von 80, die Unfallfolgen am linken Bein mit einem Teil-GdB von 20 und die Funktionsbehinderung am Sprunggelenk mit einem Teil-GdB von 10 und ging zusammenfassend unter Berücksichtigung erheblicher Überlappungen von einem Gesamt-GdB von 90 aus. Weder von Seiten der Epilepsie noch aufgrund der Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen bestehe eine erhebliche Beeinträchtigung im Straßenverkehr. Es müsse nicht unbedingt eine neue Begutachtung, sicher aber eine ausführliche Beurteilung durch einen Epileptologen erfolgen. Von diesem sollte eine entsprechende Behandlung durchgeführt werden und nach erfolgter konsequenter Behandlung ggf. eine erneute Begutachtung.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Denn der Bescheid des Beklagten vom 16. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass in den Verhältnissen, wie sie der letzten Feststellung zugrunde gelegen haben, eine Änderung insoweit eingetreten ist, als der GdB nunmehr 90, nicht jedoch - wie vom Kläger begehrt - 100 beträgt (dazu nachfolgend 1.). Zu Recht hat der Beklagte es abgelehnt, den Nachteilsausgleich G zuzuerkennen (dazu nachfolgend 2.). Eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist nicht angezeigt (dazu nachfolgend 3.).
1. Nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer solchen ist im vorliegenden Zusammenhang bei einer Änderung im Gesundheitszustand des Antragstellers auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des GdB um wenigstens 10 folgt (BSG, Urteil vom 11. November 2004, B 9 SB 1/03 R, zitiert nach Juris Rn. 12 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 24. Juni 1998, B 9 SB 17/97 R, BSGE 82, 176, SozR 3-3870 § 4 Nr. 24).
Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB (im Sinne des Gesamt-GdB nach Rn. 19 Abs. 1 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP), Herausgeber: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bonn, 2008) nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Bei der Feststellung des GdB sind im Interesse der gleichmäßigen Beurteilung der Behinderungen die AHP zugrunde zu legen, bei denen es sich nach der Rechtsprechung um antizipierte Sachverständigengutachten handelt und die wie untergesetzliche Normen anzuwenden sind (BSG, Urteil vom 11. November 2004, B 9 SB 1/03 R, zitiert nach Juris Rn. 13). Der im Verfügungssatz des Bescheids festzustellende GdB ist Ergebnis einer Gesamtwürdigung der Auswirkungen der verschiedenen Teilhabebeeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander (vgl. AHP Rn. 19, Seite 24).
Unter Beachtung dieser Grundsätze wird der Kläger durch die Entscheidung des Beklagten, nunmehr ab dem Zeitpunkt des Erhöhungsantrags von Funktionsbeeinträchtigungen auszugehen, die einen GdB von 90 bedingen, nicht beschwert.
Dies gilt insbesondere für die vom Beklagten erfolgte Bewertung der das Nervensystem und die Psyche (AHP Rn. 26.3) betreffenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von 80. Dieser Wert entspricht Hirnschäden mit schweren psychischen Störungen (AHP S. 41) oder schweren Neurosen bzw. Persönlichkeitsstörungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit schweren sozialen Anpassungsstörungen (AHP S. 48). Die Zuordnung zu einem dieser beiden Krankheitsbilder fällt schwer, da der langjährig behandelnde Arzt für Neurologie Dr. Sch. lediglich die Diagnosen einer Minderbegabung, eines Anfallsleidens und einer psychischen Überlagerung gestellt hat (Befundbericht vom 7. Juli 2004), während der nachfolgend behandelnde Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie G., als sachverständiger Zeuge vom SG befragt, die Diagnosen einer organischen psychischen Störung aufgrund einer Schädigung des Gehirns sowie einer Minderbegabung mit Verhaltensstörung stellte. Der Reha-Entlassungsbericht vom 26. Februar 2004 hilft nicht weiter, da darin nur Verdachts- und Differenzialdiagnosen (V.a. frühkindlichen Hirnschaden mit Intelligenzminderung und cerebralem Anfallsleiden, V.a. dissoziale Persönlichkeitsstörung, DD: emotional instabile Persönlichkeitsstörung) genannt werden. Auch Dr. R. legte sich nicht fest; sein Gutachten vom 29. Juni 2007 leidet vielmehr unter dem Mangel, dass er auf dem von ihm zu beurteilenden neurologischen Fachgebiet letztlich nur Verdachtsdiagnosen stellte (V.a. fokale Epilepsie ungeklärter Ätiologie mit komplex-fokalen Anfällen, V.a. organische psychische Störung). Letztlich kann die genaue Zuordnung aber dahingestellt bleiben. Dies gilt selbst, wenn - neben den eingangs genannten Gesundheitsstörungen - zusätzlich das Bestehen eines Anfallsleidens unterstellt wird, obwohl der Facharzt G. ein solches Leiden in seiner Zeugenaussage vom September 2005 als nicht bestätigt ansah und Dr. R. eine vollständige epileptologische Abklärung empfahl. Denn nach den AHP Rn. 18 Abs. 4 (S. 22) sollen die Funktionssysteme, z.B. Gehirn und Psyche, zusammenfassend beurteilt werden. Völlig zu Recht hat der vä Dienst daher das neu vorgetragene Anfallsleiden der bereits berücksichtigten seelischen Störung nebst Lernbehinderung zugeordnet. Insgesamt kommt aus Sicht des Senats für dieses Funktionssystem keinesfalls ein höherer GdB als 80 in Betracht. Schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten (s.o. AHP S. 48), die einen GdB von 90 oder gar 100 rechtfertigen würden, liegen sicher nicht vor, denn der Kläger steht zwar in laufender ärztlicher Behandlung, ist jedoch ansonsten in der Lage, eigenständig in ehelicher Gemeinschaft mit seiner Frau zu leben. Aus dem Arztbrief von Dr. Sch. vom 7. Juli 2004 ergibt sich, dass er in der Lage ist, mehrere Wochen in die Türkei zu reisen - wovon er sich eine Verbesserung seines Zustands versprach. Ebenso wenig sind schwere kognitive Leistungsstörungen im Sinne AHP S. 42 ersichtlich. Dr. Sch. berichtete im eben genannten Arztbrief nur von einer "gewissen" Minderbegabung und nennt sogar eine Geschicklichkeit im Umgang mit den ihn betreuenden Personen mit der Tendenz, sich Vorteile "zu erschleichen". Im Reha-Entlassungsbericht vom Februar 2004 wird beschrieben, dass sich anfänglich deutliche defizitäre kognitive Leistungen im Behandlungsverlauf verbessern ließen. Dr. R. schloss in seinem Gutachten das Bestehen offensichtlicher Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit aus.
Das Anfallsleiden ist gem. den AHP S. 43 nach der Anfallshäufigkeit zu bewerten. Es fällt auf, dass der Kläger und seine Ehefrau gegenüber Dr. R. hierzu widersprechende Angaben machten. Während der Kläger angab, zuletzt vor ca. sechs bis sieben Monaten einen Anfall gehabt zu haben, behauptete seine Ehefrau, Anfälle würden monatlich auftreten. Zum Teil würden sie nur Sekunden dauern. Der Kläger führt auch keinen Anfallskalender. Angesichts dieser teils widersprüchlichen und im Übrigen nicht belegten Angaben kann allenfalls von seltenen Anfällen (generalisierte (große) und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Monaten; kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen - AHP Seite 43) ausgegangen werden. Diese Auffassung vertrat auch Dr. R., denn er hat das Anfallsleiden in seinem Gutachten mit den in den AHP für seltene Anfälle vorgesehenen GdB-Werten von 50 bis 60 bewertet. Ein GdB von 60 bis 80 käme erst bei einer mittleren Häufigkeit (generalisierte (große) oder komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen, kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Tagen) in Betracht. Von einer solchen Situation kann unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers und im Hinblick auf die geschilderte Schwere der Anfälle selbst unter Zugrundelegung der Angaben seiner Ehefrau nicht ausgegangen werden. Dabei ist noch einmal zu betonen, dass diese Angaben - obwohl es ohne weiteres möglich wäre, beispielsweise ein Anfalltagebuch zu führen - ohnehin nicht hinreichend belegt sind. Gegen das Vorliegen einer mittleren Anfallshäufigkeit spricht auch, dass der Kläger zur Behauptung einer solchen im Rahmen seines Berufungsvorbringens lediglich formelhaft die insoweit von den AHP vorgegebenen Voraussetzungen wiederholt hat. Die Bewertung eines Anfallsleiden mit einem Teil-GdB von 50 bis 60 rechtfertigt keine Erhöhung des für das Funktionssystem Gehirn und Psyche vom Beklagten angesetzten Teil-GdB von 80.
Die Bewertung der Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten der linken Hüfte und des linken oberen Sprunggelenks durch den Beklagten mit Teil-GdB-Werten von 20 und 10 hat der behandelnde Facharzt für Orthopädie R. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 2. Mai 2005 bestätigt. Es wurde nicht vorgetragen und ist auch für den Senat nicht ersichtlich, dass die Bewertung zu gering erfolgte.
Aus den genanten Teil-GdB-Werten ist ein Gesamt-GdB von 90 zu bilden. Dem haben auch Dr. R. und der Facharzt G. zugestimmt. Es liegt mithin keine ärztliche Äußerung vor, auf die der Kläger sein weitergehendes Klagebegehren stützen könnte.
2. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zurückgelegt werden, gelten solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten (BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987; 9a RVs 11/87; SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2). Nach den AHP kann eine derartige Einschränkung des Gehvermögens angenommen werden, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen (AHP Rn. 30 Abs. 3 Satz 1). Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einem GdB von unter 50 auch gegeben sein, wenn sich Behinderungen an den unteren Gliedmaßen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B bei einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (AHP Nr. 30 Rn. 3 Satz 2).
Bei hirnorganischen Anfällen ist die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten.
Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor. Die durch die orthopädischen Gesundheitsstörungen verursachten Funktionsbeeinträchtigungen bedingen lediglich einen GdB von 20 und 10. Sie wirken sich zwar zwangsläufig auf das Gehvermögen aus - ansonsten könnte überhaupt keine Funktionsbeeinträchtigung anerkannt werden -, von einer erheblichen Beeinträchtigung kann aber nach den eben dargestellten Maßstäben nicht ausgegangen werden. Somit kann aus der Aussage des Orthopäden R., der Kläger könne nur 1 km beschwerdefrei gehen, kein für den Kläger günstigeres Ergebnis hergeleitet werden.
Das - unterstellte - Anfallsleiden rechtfertigt nicht die Anerkennung des Nachteilsausgleichs G, denn von einer mittleren Anfallshäufigkeit kann - ausgehend von den anamnestischen Angaben des Klägers und seiner Ehefrau - nicht ausgegangen werden. Auch der Psychotherapeut G. und Dr. R. gelangten zu dieser Einschätzung.
3. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist nicht veranlasst. Der Hinweis von Dr. R., es solle ein weiteres Gutachten eingeholt werden, ist unter dem - hier nicht interessierenden - therapeutischen Gesichtspunkt im Hinblick auf die langfristige Entwicklung zu sehen. Trotz des Hinweises sah sich Dr. R. in der Lage, eine gutachtliche Bewertung vorzunehmen. Von einer ausführlicheren Beurteilung durch einen Epileptologen versprach sich Dr. R. eine entsprechende Behandlung, deren Ergebnis vor einer erneuten Begutachtung abzuwarten sei. Das gerichtliche Verfahren hat jedoch keine behandlungsbegleitende Funktion. Auch im Interesse des Klägers muss im gerichtlichen Verfahren der vergangene und der augenblickliche Zustand beurteilt werden. Gerichtliche Verfahren sind in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen.
Über den vom Kläger noch im Erörterungstermin vom 9. Januar 2008 gestellten Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG war nicht mehr zu entscheiden, da er - anwaltlich vertreten - bei seiner Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht mehr an diesem Antrag festgehalten hat. Im Übrigen war sein Antragsrecht nach § 109 SGG bereits verbraucht.
Die Berufung war mithin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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