L 3 SB 2420/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SB 4679/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2420/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der bei der Klägerin festgestellte Grad der Behinderung (GdB) wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse von bisher 70 auf 50 herabzusetzen ist und die gesundheitlichen Voraussetzungen für das zuerkannte Merkzeichen G nicht mehr vorliegen.

Auf den Antrag der 1949 geborenen Klägerin stellte der Beklagte nach Einholung eines Befundberichts des behandelnden Arztes Dr. K. vom 16.02.1999, in dem u.a. angegeben wurde, die Klägerin sei aufgrund ihrer fibromyalgischen Schmerzsituation nur sehr eingeschränkt bewegungsfähig, mit Bescheid vom 01.04.1999 einen GdB von 70 seit 28.01.1999, das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" sowie folgende Behinderungen fest:

1. Gebrauchsminderung der Gliedmaßen bei Fibromyalgie (Teil-GdB 50) 2. Depression mit Somatisierungsneigung, Erschöpfungszustand (Teil-GdB 30), 3. Funktionsminderung der Wirbelsäule, Bandscheibenleiden (Teil-GdB 20).

Nachdem der Beklagte eine Nachprüfung von Amts wegen durchgeführt hatte, teilte er der Klägerin mit Bescheid vom 30.07.2001 mit, nach dem Ergebnis der Überprüfung sei eine Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bescheides vorgelegen hätten, nicht eingetreten. Es verbleibe bei den bisher getroffenen Feststellungen.

Aufgrund einer am 20.12.2001 eingeleiteten Neuuntersuchung gelangte der Prüfarzt des Beklagten in der gutachtlichen Stellungnahme vom 21.02.2002 nach Auswertung eines schriftlichen Berichts über eine Kernspintomographie der LWS vom 25.03.1999 und eines Berichts des behandelnden Orthopäden Dr. B. vom 31.01.2002 zu der Beurteilung, das Fibromyalgiesyndrom bedinge einen Teil-GdB 30, die Depressionen einen Teil-GdB 30 und die Funktionseinschränkung der WS mit Bandscheibenleiden einen Teil-GdB 20. Insgesamt betrage der GdB 50. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" seien nicht mehr erfüllt. Es sei eine Besserung eingetreten, alle Extremitäten seien frei beweglich, Motorik und Sensibilität seien ohne Befund.

Nachdem die Klägerin einer Anhörung nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit der Begründung entgegen getreten war, eine Besserung ihres Gesundheitszustandes sei nicht eingetreten, holte der Beklagte einen Bericht der behandelnden Ärztin Dr. Kn. vom 02.05.2002 ein, wonach bei der Klägerin u.a. ein klassisches Fibromyalgiesyndrom mit wandernden Beschwerden sowie ein enger Spinalkanal bei L4/L5 re ) li und ein hinkendes Gangbild bei radikulärer/pseudoradikulärer Symptomatik rechts bestehe.

In der gutachtlichen Stellungnahme vom 29.07.2002 gelangte der Ärztliche Dienst des Beklagten hinsichtlich des GdB erneut zur Beurteilung, es sei eine Besserung eingetreten. Bezüglich des Merkzeichens "G" schlug er eine Begutachtung im Amt vor. Nachdem die Klägerin einen weiteren Arztbrief der Radiologisch-Nuklearmedizinischen Praxis Dr. M./S. vom 06.05.2002 vorgelegt hatte, vertrat der Ärztliche Dienst des Beklagten in einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme vom 30.08.2002 die Auffassung, die vorgelegten Unterlagen seien bezüglich des Merkzeichens "G" widersprüchlich bzw. nicht hinreichend in Übereinstimmung zu bringen und schlug eine Inaugenscheinnahme im Versorgungsamt Stuttgart vor. In einer nochmaligen Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes vom 01.10.2002 wurde schließlich ausgeführt, die Unterlagen seien in der Gesamtheit ausreichend, die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" seien nicht erfüllt.

Mit Bescheid vom 30.10.2002 hob der Beklagte den Bescheid vom 01.04.1999 gemäß § 48 SGB X auf und traf folgende Verfügung:

Der Grad der Behinderung (GdB) beträgt ab 03.11.2002 nur noch 50. Die Voraussetzungen für die Feststellung des gesundheitlichen Merkmals "G" liegen nicht mehr vor.

Hiergegen legte die Klägerin am 08.11.2002 Widerspruch ein. In der daraufhin eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.02.2003 wird ausgeführt, der im Arztbrief vom 06.05.2002 mitgeteilte radiologische Befund reiche zur genauen Beurteilung aus. Die Befindlichkeitsstörungen seien entsprechend den Anhaltspunkten an der obersten Grenze bewertet. Insbesondere sei dabei die Schmerzsymptomatik gewürdigt worden. Es bestehe kein Anhalt für die Annahme des Merkzeichens "G", d.h. es seien keine Funktionseinschränkungen der unteren Gliedmaßen beschrieben, die einen Vergleich mit einem Unterschenkelamputierten zuließen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2003 wies der Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, gegenüber den bei Erlass des Bescheides vom 01.04.1999 gegebenen Verhältnissen sei eine wesentliche Änderung insoweit eingetreten, als sich nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen die Funktionsbeeinträchtigung "Gebrauchsminderung der Gliedmaßen bei Fibromyalgie" wesentlich gebessert habe. Alle Extremitäten seien frei beweglich, Motorik, Sensibilität, Durchblutung und Reflexverhalten seien ohne Befund. Die Festsetzung des GdB auf 50 entspreche den Anhaltspunkten. Die Auswertung der ärztlichen Befundunterlagen habe weiter ergeben, dass bei der Klägerin keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule vorlägen, die für sich allein einen GdB von wenigstens 50 bedingten. Keine der an den Beinen und an der Lendenwirbelsäule festgestellten Behinderungen wirkten sich auf die Gehfähigkeit in besonderem Maße aus. Die Klägerin sei trotz ihrer Behinderungen durchaus noch in der Lage, ohne erhebliche Schwierigkeiten und ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Die Feststellung des Merkzeichens "G" werde deshalb abgelehnt.

Hiergegen hat die Klägerin am 02.09.2003 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. Auf deren Stellungnahmen wird Bezug genommen. Es hat sodann Dr. M. mit der Erstellung eines internistisch-rheumatologischen Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 22.09.2004 hat Dr. M. ausgeführt, bei der Klägerin bestehe ein chronisches Schmerzsyndrom und eine somatoforme Schmerzstörung mit mindestens mittelgradigen Auswirkungen, die unter Berücksichtigung schmerztherapeutischer Aspekte einen Teil-GdB von 50 bedingten, ein Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom mit ausgeprägten degenerativen Veränderungen und Wirbelgleiten im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule mit einem Teil-GdB von 30. Unter Einbeziehung einer Depression mit einem Teil-GdB von 30 halte er einen Gesamt-GdB von 60 für gerechtfertigt. Die Klägerin könne im allgemeinen Ortsverkehr maximal eine Gehstrecke von 1 bis 1,5 km ohne große Probleme zurücklegen. Bei großzügiger Auslegung könne man von einem GdB von 50 allein aufgrund der Behinderung der unteren Gliedmaßen und der Lendenwirbelsäule ausgehen.

Dieser Beurteilung ist der Beklagte unter Bezugnahme auf die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 31.01.2005 entgegengetreten.

Mit Urteil vom 24.03.2005 hat das SG den Bescheid vom 30.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2003 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X in Verbindung mit § 69 Abs. 1 Satz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sei nicht eingetreten. Hinsichtlich der Befunde, welche der Entscheidung vom April 1999 bezüglich der Festsetzung des GdB und der Zuerkennung des Merkzeichens "G" zugrunde gelegen hätten, habe sich keine Besserung ergeben. Ein Vergleich der 1999 erhobenen Befunde mit denjenigen aus dem Jahr 2002 bzw. den vom Sachverständigen Dr. M. im Jahr 2004 erhobenen Befunden lasse keine wesentliche Besserung erkennen. Weder hinsichtlich der Fibromyalgie noch der psychovegetativen Begleiterscheinungen lasse sich den ärztlichen Unterlagen eine wesentliche Befundänderung entnehmen. Bezüglich der weiteren Gesundheitsstörungen habe auch der versorgungsärztliche Dienst keine wesentliche Änderung festgestellt. Dies gelte sowohl hinsichtlich der Höhe des GdB als auch der Zuerkennung des Merkzeichens "G". Auch die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X lägen nicht vor, da insbesondere keine Ermessenserwägungen angestellt worden seien.

Gegen das am 30.05.2005 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 14.06.2005 Berufung eingelegt. Er trägt unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.06.2005 vor, die mit Bescheid vom 01.04.1999 erfolgte Feststellung des GdB mit 70 und die Zuerkennung des Merkzeichens "G" seien nach den hierfür zugrunde gelegten ärztlichen Befundscheinen an der Grenze des Vertretbaren angesiedelt, aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unrichtig gewesen. Im angefochtenen Urteil sei der Nachweis nicht erbracht worden, dass die Ausgangsentscheidung unrichtig gewesen sei. Von einer wesentlichen Änderung müsse dann ausgegangen werden, wenn die heutige Gesamtbeurteilung einen niedrigeren GdB-Wert und ggf. den Wegfall eines Merkzeichens ergebe. Nach der Rechtsprechung des BSG spreche eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein GdB, der bei einer späteren Untersuchung geringer als bei einer früheren Feststellung sei, auf eine Besserung und nicht auf einen Fehler bei der früheren Festsetzung zurückzuführen sei.

Der Senat hat den Entlassungsbericht über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme der Klägerin in der K. W. vom 15.07. bis 26.08.1997 beigezogen. Darin wird u.a. ausgeführt, bei Aufnahme seien HWS, Schulter- und Hüftgelenke frei beweglich gewesen. Hinsichtlich Hirnnerven, Reflexstatus, Sensibilität, Motorik und Koordination habe ein neurologisch unauffälliger Befund vorgelegen. Als Diagnosen wurden eine neurotische Depression mit Somatisierungsneigung, eine akzentuierte Persönlichkeit sowie ein pseudoradikuläres Lumbalsyndrom bei Protrusio der LWK 1/2 und 2/3 genannt. Am Ende des Rehabilitationsverfahrens seien die körperlichen Beschwerden unverändert gewesen. Weiter vorgelegt worden ist ein Arztbrief des Orthopäden Dr. Beyer vom 17.04.1998 mit den Diagnosen eines chronischen rezidivierenden Lumbalsyndroms bei multietageren Protrusionen sowie multiplen lumbalen Foramenstenosen und eines Fibromyalgiesyndroms. Im Bericht des Chefarztes Prof. Dr. A. über die stationäre Behandlung in der Orthopädischen Klinik Paulinenhilfe Stuttgart vom 14.09. bis 07.10.1998 werden die Diagnosen einer Lumboischialgie rechts ohne eindeutige Wurzelzuordenbarkeit bei diskreter Protrusion L 4/5 rechts und Spondylarthrose L 4/5 rechts, einer SIG-Blockade mit Beckenverwringung sowie einer Cervikobrachialgie genannt. Bei der Klägerin bestünden seit vier Jahren Beschwerden im Bereich der LWS sowie an der Außenseite des rechten Oberschenkels mit rezidivierenden Hypästhesien ohne eindeutige Wurzelzuordenbarkeit.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. März 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die angefochtenen Bescheide zu Recht aufgehoben, weil die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bescheides vom 01.04.1999 gemäß § 48 SGB X nicht vorgelegen haben. Soweit danach in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt vor, wenn sich der Gesundheitszustand des behinderten Menschen durch das Hinzutreten neuer Gesundheitsstörungen oder durch eine Verschlimmerung der anerkannten Gesundheitsstörungen verschlechtert oder er sich durch den Wegfall von Gesundheitsstörungen oder durch eine Besserung bereits anerkannter Gesundheitsstörungen verbessert hat. Hierzu sind die für die letzte, bindend gewordene Feststellung maßgeblichen Befunde und Krankheitsäußerungen mit den zum Zeitpunkt der Aufhebung vorliegenden Befunden zu vergleichen. Der Herabsetzungsbescheid ist dann rechtmäßig, wenn zum Zeitpunkt seines Erlasses der ursprüngliche Bescheid durch Änderung der Verhältnisse rechtswidrig geworden war. Insoweit ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des aufhebenden Bescheides maßgeblich. Änderungen der Sach- und Rechtslage im Verlauf des Gerichtsverfahrens beeinflussen die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Herabsetzungsbescheides nicht (BSG, Urteil vom 15.08.1996 - 9 RVs 10/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 13). Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Änderung der Verhältnisse wesentlich, wenn sich hierdurch der GdB um mehr als 5 senkt oder erhöht.

Das SG hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend die Rechtsgrundlagen und die Maßstäbe dargestellt, nach denen sich die Beurteilung des GdB richtet. Hierauf wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen. Ergänzend ist auszuführen, dass mittlerweile die im Wesentlichen mit den Anhaltspunkten für die ärztlichen Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) 2004 gleich lautenden AHP 2008 maßgebend sind.

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 10.02.1993 - 9/9a RVs 5/91 - SozR 3-1300 § 48 Nr. 25) ist bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass die Gutachter bei der ursprünglichen Bewertung so vorgegangen sind, wie es das Gesetz verlangt und dass sie nur die Funktionsbeeinträchtigungen geprüft und beurteilt haben und dass diese Beurteilung zutreffend war. Für die Feststellung des GdB nicht maßgeblich ist, ob die Diagnosen zutreffend waren, sondern allein die nachteiligen Auswirkungen und die Folgen der Gesundheitsstörungen in allen Lebensbereichen. Es spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein GdB, der bei einer späteren Untersuchung geringer ist als bei einer früheren Festsetzung, auf eine Besserung und nicht auf einen Fehler bei der früheren Festsetzung zurückzuführen ist. Der GdB wäre nur dann falsch festgesetzt, wenn die Folgen der Funktionsbeeinträchtigung falsch eingeschätzt worden wären.

Gleichwohl setzt die Annahme einer wesentlichen Änderung voraus, dass zunächst überhaupt eine Änderung der Verhältnisse feststellbar ist. Maßgeblich ist allein, ob in den tatsächlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten ist (BSG, Urteil vom 07.07.2005 - B 3 P 8/04 R - SozR 4-1300 § 48 Nr. 6). Letztendlich ist es Sache des Tatsachenrichters, sich im Rahmen der freien Beweiswürdigung von einer Änderung der Verhältnisse hinreichende Überzeugung zu verschaffen.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist eine wesentliche Änderung hinsichtlich der durch die Gesundheitsstörungen bedingten Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin nach Erlass des Bescheides vom 01.04.1999 nicht eingetreten. Dies gilt zum einen für die mit einem Teil-GdB von 30 berücksichtigte Depression sowie die mit einem Teil-GdB von 20 berücksichtigte Funktionsminderung der Wirbelsäule und des Bandscheibenleidens. Insoweit hat auch der Beklagte keine wesentliche Änderung festgestellt.

Eine wesentliche Änderung ist zum anderen auch nicht im Hinblick auf die durch die Fibromyalgie bzw. die somatoforme Schmerzstörung bedingten Funktionsbeeinträchtigungen eingetreten. Der ursprünglichen Bewilligung lag die Beurteilung durch Dr. K. im ärztlichen Befundschein vom 16.02.1999 zugrunde, in welchem dieser ausgeführt hatte, die Klägerin sei aufgrund des Fibromyalgiesyndroms nur eingeschränkt bewegungsfähig. Eine solche Einschränkung war bereits in dem beigefügten Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. L. vom 11.04.1996 beschrieben worden. Dieser hatte angegeben, die Klägerin leide seit mehr als anderthalb Jahren wieder an einer nahezu ständigen muskulären Verspannung und einem Schweregefühl in den Beinen sowie an Schmerzen in allen Muskeln beinbetont. Die Schmerzen seien so stark gewesen, dass sie nicht mehr habe gehen können und unter Ein- und Durchschlafstörungen leide.

Die im Befundschein vom 16.02.1999 von Dr. K. genannten Angaben über massive Gehprobleme der Klägerin (Nachziehen des rechten Beines, normales Gehen nicht möglich) werden auch in nachfolgenden ärztlichen Unterlagen getroffen und als Ursache hierfür wird neben der Fibromyalgieproblematik eine Spinalkanalstenose L4/L5 bezeichnet. So hat Dr. Kn. im ärztlichen Befundschein vom 02.05.2002 einen engen Spinalkanal bei L4/L5 re ) li und ein hinkendes Gangbild bei radikulärer/pseudoradikulärer Symptomatik rechts genannt. Dr. B. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 25.11.2003 eine Irritation der Wurzel L 4 schweren Ausmaßes beschrieben und weiter mitgeteilt, das Krankheitsbild der Spinalkanalstenose variiere und sei auch abhängig von äußeren Faktoren, die Gehstrecke liege teilweise deutlich unter 2 km. Diesen ärztlichen Unterlagen kann entnommen werden, dass die Einschränkung der Gehfähigkeit der Klägerin auch auf eine Spinalkanalstenose rückführbar war. Unbeachtlich ist, ob die genannten Funktionseinschränkungen allein auf die Fibromyalgie zurückzuführen sind, ob es sich hierbei um auf der Spinalkanalstenose beruhende Einschränkungen handelt oder ob sie Folgen einer gewissen psychosomatischen Überlagerung bzw. der akzentuierten Persönlichkeit sind, wie der Entlassbericht der Edertal-Klinik vom 30.09.1997 nahelegt. Maßgeblich ist allein, dass sie auch zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides zu einer Einschränkung der Gehfähigkeit der Klägerin wie im vorher bestehenden Ausmaß führten.

Auch soweit zur Begründung einer wesentlichen Änderung angeführt worden ist, alle Extremitäten seien frei beweglich, Motorik und Sensibilität seien ohne Befund, kann diesbezüglich eine Änderung nicht festgestellt werden. Im Jahr 1996 hatte Dr. L. zwar noch eine den Korpus, das Gesicht und Bein, jedoch nicht den rechten Arm betreffende mittellinienbegrenzte Hypästhesie rechts festgestellt. Die Sensibilitätsprüfungen waren jedoch bereits damals regelrecht, die Feinmotorik und die Koordination unauffällig. Ebenso waren bei der Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 1997 HWS und Schultergelenke frei beweglich, desgleichen der Schulterbereich und beide Hüftgelenke. Reflexstatus, Sensibilität, Motorik und Koordination waren unauffällig. In dem der Aufhebung zugrundegelegten Bericht des Orthopäden Dr. B. vom 31.01.2002 sind somit keine wesentlichen Änderungen bezüglich Beweglichkeit der Extremitäten, Motorik oder Sensibilität beschrieben.

Zusammenfassend kann deshalb festgestellt werden, dass sich weder die Schilderung ihrer Beschwerden durch die Klägerin noch die objektiv erhobenen Befunde und Funktionseinschränkungen nach Erlass des Bescheides vom 01.04.1999 wesentlich geändert haben. Die Klägerin hat schwerste Einschränkungen sowohl zum Zeitpunkt des Erlasses des erstmaligen Bewilligungsbescheides als auch in der Folgezeit, insbesondere bei Erlass des Aufhebungsbescheides, geschildert. Die erhobenen Befunde haben sowohl durch die Fibromyalgie als auch durch die Spinalkanalstenose L4/L5 bedingte Einschränkungen der Gehfähigkeit ergeben, die sich nicht wesentlich geändert haben. Insoweit ist auch keine wesentliche Änderung hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" eingetreten.

Dahingestellt bleiben kann, ob die objektiv bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen die Zuerkennung des Merkzeichens "G" sowie die Feststellung eines GdB von 70 rechtfertigen und ob deshalb der ursprüngliche Bescheid ggf. gemäß § 45 SGB X hätte zurückgenommen werden können. Einer Umdeutung der angefochtenen Entscheidung in eine Aufhebung nach § 45 SGB X steht nämlich jedenfalls entgegen, dass die hiernach gem. § 45 SGB X erforderliche Ermessensausübung bezüglich der Rücknahme nicht erfolgt ist.

Die Berufung des Beklagten war deshalb mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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