Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 4034/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2450/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. März 2007 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" streitig.
Mit Bescheid des früheren Versorgungsamts F. (VA) vom 5. Mai 1995 war bei der 1943 geborenen Klägerin wegen "Arthrose beider Kniegelenke, Wirbelsäulenleiden, arterielle Hypertonie" ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 seit 30. Dezember 1994 festgestellt worden.
Am 14. Juli 2003 beantragte die Klägerin die Erhöhung des GdB sowie die Feststellung der Merkzeichen "G" und "aG". Sie machte u.a. eine Verschlimmerung ihrer Knie-, Fuß- und Rückenbeschwerden, eine Arthrose in diversen Gelenken, eine Fibromyalgie sowie eine Adipositas permagna geltend und legte zahlreiche Arztbriefe vor. Das VA holte bei den HNO-Ärzten Dres. M. und S. sowie dem Internisten Dr. R. Befundberichte ein und zog von der Sch.klinik Bad K. den Entlassungsbericht über die vom 14. August bis 4. September 2001 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme bei sowie von der früheren Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) medizinische Unterlagen aus dem dort anhängig gewesenen Rentenverfahren. Es veranlasste sodann die versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. T. vom 19. September 2003, die den Gesamt-GdB mit 50 bewertete und weder die Gehfähigkeit der Klägerin aufs Schwerste eingeschränkt sah, noch eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr bejahte.
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2003 stellte das VA den GdB ab 14. Juli 2003 nunmehr mit 50 fest. Die Feststellung der Merkzeichen "G" und "aG" lehnte es ab, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Im Widerspruchsverfahren wandte sich die Klägerin sowohl gegen die Höhe des festgestellten GdB als auch gegen die Ablehnung der beantragten Merkzeichen und machte geltend, sie könne nur noch wenige Schritte gehen und dies nur mit großer Mühe unter Verwendung eines Gehstocks. Sie habe dauernd starke Schmerzen beim Gehen und getraue sich nicht mehr das Haus zu verlassen. Eine Gehstrecke von 70 Metern schaffe sie nicht mehr. Gelegentlich leihe sie sich zum Verlassen des Hauses einen Rollstuhl aus. Ursächlich für ihre Gehbeschwerden seien die Sprunggelenke, die von Arthrose befallen seien, die Knie, hinsichtlich derer eine längst fällige Operation wegen des schlechten Zustandes der Sprunggelenke abgelehnt werde, sowie ihr Rücken. Sie legte den Arztbrief der H. Klinik B. vom 2. Dezember 2003 vor, wo sie sich am 27. November 2003 in der Fußsprechstunde vorgestellt hatte. Das VA holte die versorgungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin K. vom 10. August 2004 ein, die die Behinderungen im Bereich der unteren Extremitäten statt wie bisher mit 30 nunmehr mit einem Teil-GdB von 40 bewertete und für die nachfolgend genannten Funktionsbeeinträchtigungen zu einem Gesamt-GdB von 60 gelangte:
- Kniegelenksendoprothese links, Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, Funktionsbehinderung beider Sprunggelenke Teil-GdB 40 - degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Fibromyalgiesyndrom, chronisches Schmerzsyndrom Teil-GdB 30 - Schlafapnoesyndrom, Bronchialasthma Teil-GdB 20 - Schwerhörigkeit beidseits Teil-GdB 20 - Bluthochdruck Teil-GdB 10 - Leberschaden Teil-GdB 10.
Wegen der eingeschränkten Gehfähigkeit der Klägerin sah sie die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" als erfüllt an. Da die Gehfähigkeit jedoch nicht auf das schwerste eingeschränkt sei, lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht vor. Mit Teilabhilfebescheid vom 19. August 2004 setzte das VA den GdB für die genannten Funktionsbeeinträchtigungen ab 14. Juli 2003 nunmehr mit 60 fest und anerkannte das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Der Widerspruch im Übrigen wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2004 zurückgewiesen.
Dagegen erhob die Klägerin am 16. November 2004 beim Sozialgericht Freiburg (SG) unter Wiederholung ihres Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren Klage. Sie machte ferner geltend, seit Herbst 2004 sitze sie überwiegend im Rollstuhl und könne sich nur noch mit diesem außer Haus fortbewegen. Unter Zuhilfenahme von beiderseitigen Gehstützen sei eine selbstständige Fortbewegung nur noch wenige Meter möglich. Es sei im Übrigen die Diagnose eines schweren Fibromyalgiesyndroms gestellt worden. In diesem Zusammenhang sei sie am 23. Februar 2005 durch Prof. Dr. Dr. B. operiert worden. Sie legte den entsprechenden OP-Bericht vom 24. Februar 2005 vor. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten und unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes entgegen. Er legte die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. G. vom 10. November 2005 und 30. August 2006 sowie des Dr. W. vom 3. April und 3. Mai 2006 vor. Das SG hörte den Orthopäden Dr. H. unter dem 21. Februar 2006 schriftlich als sachverständigen Zeugen und erhob das Gutachten des Dr. O., Oberarzt in der M. Klinik - Rehabilitationsklinik für orthopädische und rheumatische Erkrankungen, vom 26. Juni 2006. Der Sachverständige schloss sich in Bezug auf die unteren Extremitäten und die Wirbelsäule der GdB-Einschätzung des Beklagten an, beurteilte die Gehbehinderung der Klägerin jedoch als so ausgeprägt, dass sie sich auf Dauer nur noch mit großer Anstrengung und für wenige Schritte zu Fuß fortbewegen könne. Mit Urteil vom 9. März 2007 verurteilte das SG den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide und Abweisung der Klage im Übrigen, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" ab 22. Juni 2006 festzustellen. Es schloss sich dabei der Einschätzung des Sachverständigen Dr. O. an, der die Klägerin lediglich noch für fähig sah, unter Schmerzen einige Schritte - zehn bis 20 Meter - an zwei Gehstöcken zu gehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des dem Beklagten am 4. Mai 2007 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen.
Dagegen hat der Beklagte am 16. Mai 2007 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. vom 10. Mai 2007 geltend gemacht, bei der Klägerin liege eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht vor. Der vorhandene Zustand mit einem Teil-GdB von 40 für den Bereich der unteren Gliedmaßen und einem Teil-GdB von 30 für das Wirbelsäulen-, Fibromyalgie- und Schmerzsyndrom sei nicht vergleichbar dem Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten. Dies gelte gerade auch im Hinblick auf den Umstand, dass die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) für die Feststellung des Merkzeichens "aG" unter Ziffer 31 Beeinträchtigungen voraussetzen, die einen GdB von 80 oder mehr bedingten. Vor diesem Hintergrund sei die Einschätzung des Sachverständigen Dr. O. unschlüssig. Es handele sich um eine rein subjektive Bewertung. Auch die ergänzenden Ausführungen des Dr. O. im Berufungsverfahren rechtfertigten keine andere Beurteilung. Wenn tatsächlich eine so ausgeprägte Gehbehinderung bestehe, dass eine Fortbewegung nur mit großer Anstrengung oder nur mit fremder Hilfe außerhalb eines Kraftfahrzeugs möglich sei, dann müsse dies auch in der Höhe des GdB zum Ausdruck kommen, d.h. es müsse ein GdB von wenigstens 80 vorliegen. Er hat die weitere Stellungnahme des Dr. W. vom 7. Dezember 2007 vorgelegt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. März 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und macht geltend, das Vorliegen eines GdB von 80 sei nur dann entscheidungsrelevant, wenn Erkrankungen der inneren Organe bzw. der Atmungsorgane betroffen seien. Demgegenüber verlangten die AHP bei den hier in Frage stehenden Behinderungen auf orthopädischem und neurologischem Fachgebiet für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" keinen GdB von 80. Sie sei im Übrigen auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen, wodurch die Voraussetzungen der AHP in Nr. 31 Abs. 4 erfüllt seien.
Die Berichterstatterin des Senats hat die ergänzende Stellungnahme des Dr. O. vom 21. November 2007 eingeholt. Er hat an seiner bisherigen Beurteilung festgehalten und die Gehbehinderung der Klägerin weiterhin als außergewöhnlich einstuft.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 18. Oktober 2003 in Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 19. August 2004 sowie des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2004 zu Recht verurteilt, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" festzustellen. Denn die Klägerin erfüllt jedenfalls ab 22. Juni 2006 die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieses Merkzeichens.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs. 4 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX). Danach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist. Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen im Sinne von § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen "Behindertenparkplätzen" und die Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen, beispielsweise vom eingeschränkten Halteverbot für die Dauer von drei Stunden. Darüber hinaus führt sie u.a. zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz).
Nach Abschnitt II Nr. 1 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.
Da die Klägerin nicht zum Kreis der konkret aufgeführten Schwerbehinderten gehört, stellt sich die Frage, ob sie der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten zugerechnet werden kann. Gleichzustellen ist ein Betroffener dann, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Im Hinblick auf die begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (vgl. BSGE 82, 37, 38 ff. = SozR 3-3870 § 4 Nr. 23).
Für die Frage der Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2002 (BSGE 90, 180ff. = SozR 3-3250 § 69 Nr. 1) ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeugs zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzungen praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in der genannten VwV-StVO im Einzelnen aufgeführten Vergleichsgruppen. Soweit die großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein auf eine gegriffene Größe, wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke, abgestellt werden. Denn unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv festzustellen, ist der Umstand, dass der Schwerbehinderte nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Irgendwelche Erschöpfungszustände reichen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" jedoch nicht aus. Diese müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der oben näher dargelegten Gruppen erleiden. Gradmesser dafür kann die Intensität der Schmerzen oder beispielsweise die Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u.a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Ein nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den durch die Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (BSG, Urteil vom 29. März 2007 - B 9 a SB 5/05 R).
Auf der Grundlage dieser Kriterien ist das SG zutreffend davon ausgegangen, dass die Gehfähigkeit der Klägerin in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist, da sie sich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen kann. Der Senat teilt diese Einschätzung des SG, das sich in erster Linie auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. O. gestützt hat. Danach ist die Gehfähigkeit der Klägerin insbesondere durch Erkrankungen im Bereich der unteren Extremitäten eingeschränkt, wobei in ungünstiger Kombination mehrere Gelenke betroffen sind. So liegt bei der Klägerin im Bereich beider Kniegelenke eine als schwer zu bezeichnende Pangonarthrose vor, weshalb im Jahr 2001 linksseitig auch ein Ersatz des retropatellaren Gleitlagers durchgeführt wurde. Die Klägerin hat von diesem Eingriff jedoch nur gering profitiert, da insoweit noch immer stärkste Beschwerden auftreten. Die Gehfähigkeit wird weiter beeinträchtigt durch eine beidseitige Fußwurzelarthrose, wobei beide Füße bedingt durch das massive Übergewicht der Klägerin (120 Kilogramm bei 164 cm, BMI: 44,6 KG/m²) erheblich überlastet und im Sinne eines Senk- und Spreizfußes deformiert sind. Die hieraus resultierenden Beschwerden der Klägerin beim Gehen hat der Sachverständige für den Senat schlüssig und überzeugend als sehr schwer eingestuft, wobei er auf der Grundlage seiner Untersuchung nachvollziehbar darauf hingewiesen hat, dass es zwischenzeitlich zu einer Dekompensation der über mehrere Jahre hinweg schmerzhaften, aber weitgehend stabilen Situation gekommen ist, bei der die Beine der Klägerin nicht mehr in der Lage sind, den massiv übergewichtigen Körper zu tragen. Erschwerend sieht der Senat ebenso wie der Sachverständige Dr. O., dass bei der Klägerin eine ausgeprägte Schmerzproblematik auch von der Lendenwirbelsäule ausgeht, die durch Verschleißerscheinungen und eine hohe statische Überlastung in Höhe des lumbosakralen Übergangs bedingt ist. Da bei der Klägerin auch noch ein stark ausgeprägtes Fibromyalgiesyndrom die Gesamtsituation verschärft, was sich zusätzlich nachteilig auf ihr Geh- und Stehvermögen auswirkt, hält der Senat die Einschätzung des Sachverständigen Dr. O. für ohne weiteres nachvollziehbar, dass die Klägerin nur noch unter Schmerzen in der Lage ist, für einige Schritte an zwei Gehstöcken zu gehen. Die entsprechende Gehstrecke hat er unter diesen Bedingungen auf zehn bis 20 Meter geschätzt. Diese Beurteilung beruht auch nicht nur auf rein subjektiven Angaben der Klägerin. Denn der Sachverständige hat - wie er im Rahmen seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21. November 2007 nochmals deutlich gemacht hat - nicht nur das persönliche Vorbringen der Klägerin berücksichtigt, sondern neben den durch bildgebende Verfahren objektivierten schweren degenerativen Veränderungen gerade auch die in der Untersuchungssituation erhobenen Befunde bewertet und dabei berücksichtigen können, dass der Klägerin das Gehen ohne Gehstöcke praktisch nicht und das Gehen gestützt auf zwei Gehstöcke unter Führung ihres Ehemann auch nur extrem kleinschrittig, langsam und unsicher möglich war. Soweit der Beklagte gegen die Einschätzung des Sachverständigen Dr. O. eingewandt hat, dessen Beurteilung der Gehfähigkeit beruhe zu einem nicht unerheblichen Teil auch auf der geschilderten subjektiven Schmerzsymptomatik, so spricht dieser Umstand nicht gegen die Richtigkeit der getroffenen Einschätzung. Schmerzen sind in der Tat subjektiv und objektiven Messmethoden nicht zugänglich. Gleichwohl rechtfertigt dieser Umstand nicht, die bei der Klägerin schmerzbedingt hervorgerufenen Einschränkungen der Gehfähigkeit unberücksichtigt zu lassen. Denn schließlich wurde bei der Klägerin auch ein Fibromyalgiesyndrom diagnostiziert und damit eine zentrale Störung der Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung, wodurch die demonstrierte schwerste Einschränkung ihres Gehvermögens auch durchaus glaubhaft erscheint. Schließlich ist der Beklagte auch selbst nicht davon ausgegangen, dass die Klägerin die in der Untersuchungssituation bei dem Sachverständigen Dr. O. gezeigten Einschränkungen simuliert oder aggraviert hat.
Entgegen der Ansicht des Beklagten steht der getroffenen Beurteilung auch nicht entgegen, dass der Sachverständige Dr. O. bei der Beurteilung des GdB für den Bereich der unteren Extremitäten und der Wirbelsäule nicht zu einem Wert von 80 oder mehr gelangt ist. Zwar ist dem Beklagten beizupflichten, dass sich bei dem für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" erforderlichen geringen Restgehvermögen die zugrunde liegenden Funktionsbehinderungen auch in einem erhöhten GdB-Wert widerspiegeln müssen. Jedoch rechtfertigt dies nicht die Zugrundelegung der vom Beklagten angemahnten Automatik, wonach die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nur dann in Betracht kommt, wenn zumindest ein GdB von 80 festzustellen ist. Denn auch die für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung heranzuziehende Regelung stellt eine entsprechende Voraussetzung gerade nicht auf. Soweit ein gewisser Wertungswiderspruch daraus resultiert, dass die AHP bei Erkrankungen der inneren Organe in Nr. 31 Abs. 4 eine Gleichstellung mit dem ausdrücklich aufgeführten Personenkreis der Schwerbehinderten dann für gerechtfertigt ansehen, wenn beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz vorliegen oder eine Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades, welche ihrerseits nach Nr. 26.8 der AHP mit wenigstens 80 bewertet sind, so ist dies hinzunehmen. Jedenfalls rechtfertigt der Umstand, dass bei der Klägerin die sich auf das Gehvermögen auswirkenden Beeinträchtigungen - zusammen mit weiteren, allerdings zu vernachlässigenden verhältnismäßig geringfügig zu beurteilenden Funktionseinschränkungen - bestandskräftig mit einem GdB von 60 bewertet sind, nicht die Versagung des Merkzeichens "aG", wenn andererseits gerade festzustellen ist, dass die Klägerin sich außerhalb ihres Kraftfahrzeugs nur für wenige Schritte und unter erheblichen Anstrengungen fortbewegen kann.
Da die Berufung des Beklagten nach alledem keinen Erfolg haben konnte, war diese zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" streitig.
Mit Bescheid des früheren Versorgungsamts F. (VA) vom 5. Mai 1995 war bei der 1943 geborenen Klägerin wegen "Arthrose beider Kniegelenke, Wirbelsäulenleiden, arterielle Hypertonie" ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 seit 30. Dezember 1994 festgestellt worden.
Am 14. Juli 2003 beantragte die Klägerin die Erhöhung des GdB sowie die Feststellung der Merkzeichen "G" und "aG". Sie machte u.a. eine Verschlimmerung ihrer Knie-, Fuß- und Rückenbeschwerden, eine Arthrose in diversen Gelenken, eine Fibromyalgie sowie eine Adipositas permagna geltend und legte zahlreiche Arztbriefe vor. Das VA holte bei den HNO-Ärzten Dres. M. und S. sowie dem Internisten Dr. R. Befundberichte ein und zog von der Sch.klinik Bad K. den Entlassungsbericht über die vom 14. August bis 4. September 2001 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme bei sowie von der früheren Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) medizinische Unterlagen aus dem dort anhängig gewesenen Rentenverfahren. Es veranlasste sodann die versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. T. vom 19. September 2003, die den Gesamt-GdB mit 50 bewertete und weder die Gehfähigkeit der Klägerin aufs Schwerste eingeschränkt sah, noch eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr bejahte.
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2003 stellte das VA den GdB ab 14. Juli 2003 nunmehr mit 50 fest. Die Feststellung der Merkzeichen "G" und "aG" lehnte es ab, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Im Widerspruchsverfahren wandte sich die Klägerin sowohl gegen die Höhe des festgestellten GdB als auch gegen die Ablehnung der beantragten Merkzeichen und machte geltend, sie könne nur noch wenige Schritte gehen und dies nur mit großer Mühe unter Verwendung eines Gehstocks. Sie habe dauernd starke Schmerzen beim Gehen und getraue sich nicht mehr das Haus zu verlassen. Eine Gehstrecke von 70 Metern schaffe sie nicht mehr. Gelegentlich leihe sie sich zum Verlassen des Hauses einen Rollstuhl aus. Ursächlich für ihre Gehbeschwerden seien die Sprunggelenke, die von Arthrose befallen seien, die Knie, hinsichtlich derer eine längst fällige Operation wegen des schlechten Zustandes der Sprunggelenke abgelehnt werde, sowie ihr Rücken. Sie legte den Arztbrief der H. Klinik B. vom 2. Dezember 2003 vor, wo sie sich am 27. November 2003 in der Fußsprechstunde vorgestellt hatte. Das VA holte die versorgungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin K. vom 10. August 2004 ein, die die Behinderungen im Bereich der unteren Extremitäten statt wie bisher mit 30 nunmehr mit einem Teil-GdB von 40 bewertete und für die nachfolgend genannten Funktionsbeeinträchtigungen zu einem Gesamt-GdB von 60 gelangte:
- Kniegelenksendoprothese links, Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, Funktionsbehinderung beider Sprunggelenke Teil-GdB 40 - degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Fibromyalgiesyndrom, chronisches Schmerzsyndrom Teil-GdB 30 - Schlafapnoesyndrom, Bronchialasthma Teil-GdB 20 - Schwerhörigkeit beidseits Teil-GdB 20 - Bluthochdruck Teil-GdB 10 - Leberschaden Teil-GdB 10.
Wegen der eingeschränkten Gehfähigkeit der Klägerin sah sie die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" als erfüllt an. Da die Gehfähigkeit jedoch nicht auf das schwerste eingeschränkt sei, lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht vor. Mit Teilabhilfebescheid vom 19. August 2004 setzte das VA den GdB für die genannten Funktionsbeeinträchtigungen ab 14. Juli 2003 nunmehr mit 60 fest und anerkannte das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Der Widerspruch im Übrigen wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2004 zurückgewiesen.
Dagegen erhob die Klägerin am 16. November 2004 beim Sozialgericht Freiburg (SG) unter Wiederholung ihres Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren Klage. Sie machte ferner geltend, seit Herbst 2004 sitze sie überwiegend im Rollstuhl und könne sich nur noch mit diesem außer Haus fortbewegen. Unter Zuhilfenahme von beiderseitigen Gehstützen sei eine selbstständige Fortbewegung nur noch wenige Meter möglich. Es sei im Übrigen die Diagnose eines schweren Fibromyalgiesyndroms gestellt worden. In diesem Zusammenhang sei sie am 23. Februar 2005 durch Prof. Dr. Dr. B. operiert worden. Sie legte den entsprechenden OP-Bericht vom 24. Februar 2005 vor. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten und unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes entgegen. Er legte die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. G. vom 10. November 2005 und 30. August 2006 sowie des Dr. W. vom 3. April und 3. Mai 2006 vor. Das SG hörte den Orthopäden Dr. H. unter dem 21. Februar 2006 schriftlich als sachverständigen Zeugen und erhob das Gutachten des Dr. O., Oberarzt in der M. Klinik - Rehabilitationsklinik für orthopädische und rheumatische Erkrankungen, vom 26. Juni 2006. Der Sachverständige schloss sich in Bezug auf die unteren Extremitäten und die Wirbelsäule der GdB-Einschätzung des Beklagten an, beurteilte die Gehbehinderung der Klägerin jedoch als so ausgeprägt, dass sie sich auf Dauer nur noch mit großer Anstrengung und für wenige Schritte zu Fuß fortbewegen könne. Mit Urteil vom 9. März 2007 verurteilte das SG den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide und Abweisung der Klage im Übrigen, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" ab 22. Juni 2006 festzustellen. Es schloss sich dabei der Einschätzung des Sachverständigen Dr. O. an, der die Klägerin lediglich noch für fähig sah, unter Schmerzen einige Schritte - zehn bis 20 Meter - an zwei Gehstöcken zu gehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des dem Beklagten am 4. Mai 2007 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen.
Dagegen hat der Beklagte am 16. Mai 2007 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. vom 10. Mai 2007 geltend gemacht, bei der Klägerin liege eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht vor. Der vorhandene Zustand mit einem Teil-GdB von 40 für den Bereich der unteren Gliedmaßen und einem Teil-GdB von 30 für das Wirbelsäulen-, Fibromyalgie- und Schmerzsyndrom sei nicht vergleichbar dem Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten. Dies gelte gerade auch im Hinblick auf den Umstand, dass die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) für die Feststellung des Merkzeichens "aG" unter Ziffer 31 Beeinträchtigungen voraussetzen, die einen GdB von 80 oder mehr bedingten. Vor diesem Hintergrund sei die Einschätzung des Sachverständigen Dr. O. unschlüssig. Es handele sich um eine rein subjektive Bewertung. Auch die ergänzenden Ausführungen des Dr. O. im Berufungsverfahren rechtfertigten keine andere Beurteilung. Wenn tatsächlich eine so ausgeprägte Gehbehinderung bestehe, dass eine Fortbewegung nur mit großer Anstrengung oder nur mit fremder Hilfe außerhalb eines Kraftfahrzeugs möglich sei, dann müsse dies auch in der Höhe des GdB zum Ausdruck kommen, d.h. es müsse ein GdB von wenigstens 80 vorliegen. Er hat die weitere Stellungnahme des Dr. W. vom 7. Dezember 2007 vorgelegt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. März 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und macht geltend, das Vorliegen eines GdB von 80 sei nur dann entscheidungsrelevant, wenn Erkrankungen der inneren Organe bzw. der Atmungsorgane betroffen seien. Demgegenüber verlangten die AHP bei den hier in Frage stehenden Behinderungen auf orthopädischem und neurologischem Fachgebiet für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" keinen GdB von 80. Sie sei im Übrigen auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen, wodurch die Voraussetzungen der AHP in Nr. 31 Abs. 4 erfüllt seien.
Die Berichterstatterin des Senats hat die ergänzende Stellungnahme des Dr. O. vom 21. November 2007 eingeholt. Er hat an seiner bisherigen Beurteilung festgehalten und die Gehbehinderung der Klägerin weiterhin als außergewöhnlich einstuft.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 18. Oktober 2003 in Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 19. August 2004 sowie des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2004 zu Recht verurteilt, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" festzustellen. Denn die Klägerin erfüllt jedenfalls ab 22. Juni 2006 die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieses Merkzeichens.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs. 4 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX). Danach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist. Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen im Sinne von § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen "Behindertenparkplätzen" und die Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen, beispielsweise vom eingeschränkten Halteverbot für die Dauer von drei Stunden. Darüber hinaus führt sie u.a. zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz).
Nach Abschnitt II Nr. 1 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.
Da die Klägerin nicht zum Kreis der konkret aufgeführten Schwerbehinderten gehört, stellt sich die Frage, ob sie der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten zugerechnet werden kann. Gleichzustellen ist ein Betroffener dann, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Im Hinblick auf die begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (vgl. BSGE 82, 37, 38 ff. = SozR 3-3870 § 4 Nr. 23).
Für die Frage der Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2002 (BSGE 90, 180ff. = SozR 3-3250 § 69 Nr. 1) ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeugs zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzungen praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in der genannten VwV-StVO im Einzelnen aufgeführten Vergleichsgruppen. Soweit die großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein auf eine gegriffene Größe, wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke, abgestellt werden. Denn unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv festzustellen, ist der Umstand, dass der Schwerbehinderte nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Irgendwelche Erschöpfungszustände reichen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" jedoch nicht aus. Diese müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der oben näher dargelegten Gruppen erleiden. Gradmesser dafür kann die Intensität der Schmerzen oder beispielsweise die Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u.a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Ein nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den durch die Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (BSG, Urteil vom 29. März 2007 - B 9 a SB 5/05 R).
Auf der Grundlage dieser Kriterien ist das SG zutreffend davon ausgegangen, dass die Gehfähigkeit der Klägerin in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist, da sie sich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen kann. Der Senat teilt diese Einschätzung des SG, das sich in erster Linie auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. O. gestützt hat. Danach ist die Gehfähigkeit der Klägerin insbesondere durch Erkrankungen im Bereich der unteren Extremitäten eingeschränkt, wobei in ungünstiger Kombination mehrere Gelenke betroffen sind. So liegt bei der Klägerin im Bereich beider Kniegelenke eine als schwer zu bezeichnende Pangonarthrose vor, weshalb im Jahr 2001 linksseitig auch ein Ersatz des retropatellaren Gleitlagers durchgeführt wurde. Die Klägerin hat von diesem Eingriff jedoch nur gering profitiert, da insoweit noch immer stärkste Beschwerden auftreten. Die Gehfähigkeit wird weiter beeinträchtigt durch eine beidseitige Fußwurzelarthrose, wobei beide Füße bedingt durch das massive Übergewicht der Klägerin (120 Kilogramm bei 164 cm, BMI: 44,6 KG/m²) erheblich überlastet und im Sinne eines Senk- und Spreizfußes deformiert sind. Die hieraus resultierenden Beschwerden der Klägerin beim Gehen hat der Sachverständige für den Senat schlüssig und überzeugend als sehr schwer eingestuft, wobei er auf der Grundlage seiner Untersuchung nachvollziehbar darauf hingewiesen hat, dass es zwischenzeitlich zu einer Dekompensation der über mehrere Jahre hinweg schmerzhaften, aber weitgehend stabilen Situation gekommen ist, bei der die Beine der Klägerin nicht mehr in der Lage sind, den massiv übergewichtigen Körper zu tragen. Erschwerend sieht der Senat ebenso wie der Sachverständige Dr. O., dass bei der Klägerin eine ausgeprägte Schmerzproblematik auch von der Lendenwirbelsäule ausgeht, die durch Verschleißerscheinungen und eine hohe statische Überlastung in Höhe des lumbosakralen Übergangs bedingt ist. Da bei der Klägerin auch noch ein stark ausgeprägtes Fibromyalgiesyndrom die Gesamtsituation verschärft, was sich zusätzlich nachteilig auf ihr Geh- und Stehvermögen auswirkt, hält der Senat die Einschätzung des Sachverständigen Dr. O. für ohne weiteres nachvollziehbar, dass die Klägerin nur noch unter Schmerzen in der Lage ist, für einige Schritte an zwei Gehstöcken zu gehen. Die entsprechende Gehstrecke hat er unter diesen Bedingungen auf zehn bis 20 Meter geschätzt. Diese Beurteilung beruht auch nicht nur auf rein subjektiven Angaben der Klägerin. Denn der Sachverständige hat - wie er im Rahmen seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21. November 2007 nochmals deutlich gemacht hat - nicht nur das persönliche Vorbringen der Klägerin berücksichtigt, sondern neben den durch bildgebende Verfahren objektivierten schweren degenerativen Veränderungen gerade auch die in der Untersuchungssituation erhobenen Befunde bewertet und dabei berücksichtigen können, dass der Klägerin das Gehen ohne Gehstöcke praktisch nicht und das Gehen gestützt auf zwei Gehstöcke unter Führung ihres Ehemann auch nur extrem kleinschrittig, langsam und unsicher möglich war. Soweit der Beklagte gegen die Einschätzung des Sachverständigen Dr. O. eingewandt hat, dessen Beurteilung der Gehfähigkeit beruhe zu einem nicht unerheblichen Teil auch auf der geschilderten subjektiven Schmerzsymptomatik, so spricht dieser Umstand nicht gegen die Richtigkeit der getroffenen Einschätzung. Schmerzen sind in der Tat subjektiv und objektiven Messmethoden nicht zugänglich. Gleichwohl rechtfertigt dieser Umstand nicht, die bei der Klägerin schmerzbedingt hervorgerufenen Einschränkungen der Gehfähigkeit unberücksichtigt zu lassen. Denn schließlich wurde bei der Klägerin auch ein Fibromyalgiesyndrom diagnostiziert und damit eine zentrale Störung der Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung, wodurch die demonstrierte schwerste Einschränkung ihres Gehvermögens auch durchaus glaubhaft erscheint. Schließlich ist der Beklagte auch selbst nicht davon ausgegangen, dass die Klägerin die in der Untersuchungssituation bei dem Sachverständigen Dr. O. gezeigten Einschränkungen simuliert oder aggraviert hat.
Entgegen der Ansicht des Beklagten steht der getroffenen Beurteilung auch nicht entgegen, dass der Sachverständige Dr. O. bei der Beurteilung des GdB für den Bereich der unteren Extremitäten und der Wirbelsäule nicht zu einem Wert von 80 oder mehr gelangt ist. Zwar ist dem Beklagten beizupflichten, dass sich bei dem für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" erforderlichen geringen Restgehvermögen die zugrunde liegenden Funktionsbehinderungen auch in einem erhöhten GdB-Wert widerspiegeln müssen. Jedoch rechtfertigt dies nicht die Zugrundelegung der vom Beklagten angemahnten Automatik, wonach die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nur dann in Betracht kommt, wenn zumindest ein GdB von 80 festzustellen ist. Denn auch die für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung heranzuziehende Regelung stellt eine entsprechende Voraussetzung gerade nicht auf. Soweit ein gewisser Wertungswiderspruch daraus resultiert, dass die AHP bei Erkrankungen der inneren Organe in Nr. 31 Abs. 4 eine Gleichstellung mit dem ausdrücklich aufgeführten Personenkreis der Schwerbehinderten dann für gerechtfertigt ansehen, wenn beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz vorliegen oder eine Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades, welche ihrerseits nach Nr. 26.8 der AHP mit wenigstens 80 bewertet sind, so ist dies hinzunehmen. Jedenfalls rechtfertigt der Umstand, dass bei der Klägerin die sich auf das Gehvermögen auswirkenden Beeinträchtigungen - zusammen mit weiteren, allerdings zu vernachlässigenden verhältnismäßig geringfügig zu beurteilenden Funktionseinschränkungen - bestandskräftig mit einem GdB von 60 bewertet sind, nicht die Versagung des Merkzeichens "aG", wenn andererseits gerade festzustellen ist, dass die Klägerin sich außerhalb ihres Kraftfahrzeugs nur für wenige Schritte und unter erheblichen Anstrengungen fortbewegen kann.
Da die Berufung des Beklagten nach alledem keinen Erfolg haben konnte, war diese zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
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