L 8 AS 3608/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 3276/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 3608/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 5. Juli 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II).

Die 1959 geborene Klägerin, die bis 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe erhielt, bezog vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im Anschluss an den Bescheid vom 06.12.2006, mit dem ihr für die Zeit vom 01.10.2006 bis 30.11.2006 Leistungen von 505,34 EUR monatlich und für die Zeit vom 01.12.2006 bis 31.03.2007 monatlich 487,07 EUR bewilligt worden waren, gewährte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 01.03.2007 für die Zeit vom 01.04.2007 bis 30.09.2007 monatliche Leistungen in Höhe von 487,07 EUR (Regelleistung 345,00 EUR und Kosten für Unterkunft und Heizung 142,07 EUR).

Auf Veranlassung des Beklagten wurde die Klägerin am 28.02.2007 von Dr. E. vom Gesundheitsamt der Stadt S. auf psychiatrischem Fachgebiet untersucht. In seinem Gutachten vom 02.04.2007 gelangte Dr. E. zu dem Ergebnis, bei der Klägerin bestehe eine Belastungsminderung bei chronifizierter schwerer seelischer Erkrankung mit erheblichem, ausgeprägtem Folge-/Restzustand. Sie könne deshalb nur weniger als drei Stunden täglich arbeiten. Daraufhin hob der Beklagte die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II) mit Bescheid vom 16.04.2007 mit Wirkung ab 01.05.2007 auf mit der Begründung, das Leistungsvermögen der Klägerin für den allgemeinen Arbeitsmarkt betrage nicht mindestens drei Stunden täglich, sodass sie nicht erwerbsfähig sei. Seit 01.05.2007 erhält die Klägerin deshalb von der Stadt Stuttgart Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe (SGB XII).

Gegen den Bescheid des Beklagten vom 16.04.2007 legte die Klägerin am 18.04.2007 Widerspruch ein und machte geltend, sie sei voll arbeits- und vermittlungsfähig. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2007 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin unter Hinweis auf die von Dr. E. in seinem Gutachten vom 02.04.2007 getroffenen Feststellungen zurück. Die Klägerin sei danach länger als sechs Monate täglich weniger als drei Stunden leistungsfähig und somit nicht erwerbsfähig. Sie habe daher keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

Bereits am 25.04.2007 hatte die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, mit der sie geltend machte, sie habe Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit dem Gutachten des Gesundheitsamts sei sie nicht einverstanden. Sie sei voll arbeits- und vermittlungsfähig. Die Klägerin legte den Beschluss des Notariats II Stuttgart-Zuffenhausen - Vormundschaftsgericht - vom 22.11.2006 vor, wonach die Anordnung einer Betreuung nach dem Sozialbericht der Betreuungsbehörde vom 09.11.2006 zurzeit nicht erforderlich sei und die Bestellung eines Betreuers daher abgelehnt werde.

Der Beklagte trat der Klage entgegen und verwies auf das Gutachten von Dr. E. vom 02.04.2007 und auf den Widerspruchsbescheid vom 02.05.2007.

Mit Gerichtsbescheid vom 05.07.2007 wies das SG gestützt auf das Gutachten von Dr. E. die Klage ab.

Am 24.07.2007 hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie an ihrem Ziel festhält. Sie habe Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, da sie voll erwerbsfähig sei. Ansonsten könne sie auch nicht ihre Mutter, die zu 90% gehbehindert sei, angemessen pflegen und alle anfallenden amtlichen Dinge erledigen. Die Pflege ihrer Mutter sei sogar schwerer als Bürotätigkeiten. Sie sei weder seelisch noch geistig behindert. Die Klägerin verweist auf das von Prof. A., Neurologische Universitätsklinik U., am 08.05.1996 im beim SG anhängig gewesenen Rechtsstreit S 15 AR 2831/95 erstattete neurologisch-psychiatrische Gutachten. Dieser fand bei der Untersuchung der Klägerin ein etwas auffälliges Verhalten mit gehobener Stimmung, gesteigertem Antrieb, Distanzminderung und etwas weitschweifiger Gesprächsführung. Diagnostisch entspreche dieses Verhalten am ehesten einer hyperthymen Persönlichkeit. Ein Hinweis auf eine neurologische oder psychiatrische Erkrankung habe sich aufgrund der Aktenlage sowie der Eigen- und Fremdanamnese nicht ergeben. Die Klägerin sei in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig auszuüben. Es bestehe kein Grund für eine zeitliche Einschränkung.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 16. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2007 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht geltend, die Klägerin sei nach dem Ergebnis des Gutachtens des Gesundheitsamts der Stadt Stuttgart vom 02.04.2007 nicht erwerbsfähig, sodass sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe.

Der Senat hat die Akten des SG S 15 AR 2831/95 und S 15 AL 5836/96 beigezogen. Ferner hat er sich das auf Antrag des Grundsicherungsträgers von der Nervenärztin Dr. O., S., für die Deutsche Rentenversicherung erstattete neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 17.01.2008 übersenden lassen. Die Gutachterin ist darin zu dem Ergebnis gelangt, bei der Klägerin liege ein Verdacht auf eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis vor. Sie könne keinerlei Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben. Der Zeitpunkt des Eintritts der Leistungsminderung liege wohl schon einige Jahre zurück; der genaue Zeitpunkt könne nicht genannt werden. Mit einer Besserung sei wegen Krankheitsuneinsichtigkeit und deshalb fehlender Behandlungsmöglichkeiten nicht zu rechnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die beigezogenen SG-Akten und die Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Beklagte hat die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab 01.05.2007 zu Recht aufgehoben.

Nach § 48 Abs. Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Sind mit dem Verwaltungsakt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bewilligt worden, liegt eine wesentliche Änderung des Sachverhalts vor, wenn die Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen nach Erlass des Bewilligungsbescheides weggefallen ist (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II). Die für die Aufhebung des Leistungsbescheides maßgebliche Änderung der Sachlage ist aber nicht in der Änderung des Gesundheitszustands des Hilfebedürftigen zu sehen. Denn nach § 44a SGB II müssen die Leistungsträger nach dem SGB II solange von einer Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen ausgehen, bis sie entweder das Fehlen der Erwerbsfähigkeit feststellen, ohne dass die in die Beurteilung ggf. einzubeziehenden Träger iSd § 44a Abs. 1 Satz 2 SGB II dem widersprechen oder bis bei einem Widerspruch der genannten Träger die gemeinsame Einigungsstelle entschieden hat (vgl. BSG 07.11.2006, B 7b AS 10/06 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 2). Eine wesentliche Änderung der Sachlage ist daher frühestens in der Entscheidung des Grundsicherungsträgers zu sehen, mit der dieser eine Feststellung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Erwerbsfähigkeit trifft.

Im hier zu beurteilenden Fall sind sich der beklagte Grundsicherungsträger und die Stadt Stuttgart als Sozialhilfeträger im April 2007 darüber einig geworden, dass die Klägerin wegen einer Krankheit auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts wenigstens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die Stadt Stuttgart gewährt deshalb der Klägerin seit Mai 2007 Leistungen nach dem SGB XII. Ob und in welchem Umfang der Hilfebedürftige in einem solchen Fall durch die Aufhebung der Leistungsbewilligung nach dem SGB II (bei gleichzeitiger Leistungsbewilligung nach dem SGB XII) in seinen Rechten verletzt sein kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn die von der Beklagten im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung in Bezug auf die Erwerbsminderung der Klägerin ist zutreffend und der angefochtene Bescheid daher rechtmäßig. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des SG an, das seine Beurteilung auf das Gutachten von Dr. E. vom Gesundheitsamt der Stadt Stuttgart vom 02.04.2007 gestützt hat und nimmt zur Begründung seiner Entscheidung hierauf gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug.

Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen: Im Berufungsverfahren ist das Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung der Klägerin bestätigt worden. In ihrem Gutachten vom 17.01.2008 ist die Nervenärztin Dr. O. zu dem überzeugend begründeten Ergebnis gelangt, dass bei der Klägerin aufgrund ihres sehr auffälligen Verhaltens bei der Untersuchung der Verdacht auf eine Krankheit aus dem schizophrenen Formenkreis besteht, die eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht erlaubt. Diese Leistungsbeurteilung wird durch das Vorbringen der Klägerin, sie sei voll arbeitsfähig, zumal sie auch ihre behinderte Mutter pflege, nicht in Frage gestellt. Nicht ihr körperlicher Zustand, sondern ihre erhebliche seelische Störung steht einer Erwerbstätigkeit der Klägerin entgegen. Sie kann sich auch nicht mit Erfolg auf das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. A. vom 08.05.1996 berufen, da dieses den gegenwärtigen seelischen Gesundheitszustand der Klägerin noch nicht berücksichtigen konnte. Maßgeblich ist aber, ob die Klägerin seit April bzw. Mai 2007 erwerbsfähig ist oder nicht. Ein über zehn Jahre altes Gutachten kann nicht als Grundlage für eine solche Entscheidung herangezogen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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