S 12 KA 803/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 803/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 68/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 12/16 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Es verstößt gegen das Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit, im Rahmen der Honorarverteilung eine einheitliche Arztgruppe für die Fachärzte für Neurochirurgie mit den Fachärzten für Chirurgie, für Kinderchirurgie, für Plastische Chirurgie, für Herzchirurgie im Bereich der KV Hessen in den Quartalen I bis IV/09 zu bilden.
Bemerkung
mit Berichtigungsbeschluss
1. Unter Aufhebung des Bescheids vom 04.12.2009 und der Honorarbescheide für die Quartale I bis IV/09, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2011, wird die Beklagte verurteilt, den Kläger über seinen Antrag auf Sonderregelung zu den Regelleistungsvolumina sowie über seinen Honoraranspruch für die Quartale I bis IV/09 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Änderung des Regelleistungsvolumens sowie um die Höhe des Honorars für die vier Quartale I bis IV/09.

Der Kläger ist als Facharzt für Neurochirurgie seit dem 01.09.1994 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. In den streitbefangenen Quartalen ordnete die Beklagte den Kläger der Arztgruppe der Chirurgen zu.

Die Beklagte setzte mit Bescheid das Regelleistungsvolumen für die streitbefangenen Quartale wie folgt fest, wogegen der Kläger jeweils Widerspruch einlegte:

Quartal Bescheiddatum Wider-spruch am RLV-relevante Fallzahl Fallwert in EUR Fallwertabstaffelung Altersstrukturquote Aufschlag fachgleiche BAG RLV in EUR
I/09 26.11.2008 08.12.2008 1.040 30,66 0,9433 0,9849 1 29.624,26
II/09 26.02.2009 24.03.2009 982 23,59 0,9888 0,9791 1 22.427,19
III/09 27.05.2009 30.07.2009 852 23,41 1 0,9776 1 19.498,54
IV/09 26.08.2009 02.09.2009 25.09.2009 982 23,61 1 0,9346 0,9837 1 21.315,52

Die Beklagte setzte jeweils mit Bescheid das Honorar für die streitbefangenen Quartale wie folgt fest, wogegen der Kläger ebf. jeweils Widerspruch einlegte:

Quartal I/09 II/09 III/09 IV/09
Honorarbescheid vom 20.07.2009 11.10.2009 23.12.2009 27.03.2010
Widerspruch eingelegt am 17.09.2009 23.12.2009 10.03.2010 08.06.2010
Anzahl Praxen/Ärzte Neurochirurgie 19/41,5 18/41,5 18/41,5 18/42,46
Nettohonorar gesamt in EUR 29.971,28 22.350,78 17.002,27 22.238,83
Bruttohonorar PK + EK in EUR 30.712,32 23.040,85 17.578,83 22.898,04
Fallzahl PK + EK 977 876 784 870
Bruttohonorar PK + EK in EUR je Fall* 31,44 26,30 22,42 24,91** 26,32
Honoraranteile PK + EK
Regelleistungsvolumen in EUR 28.143,04 21.305,81 18.523,61 20.249,74
Quotiertes Regelleistungsvolumen in EUR 2.569,28 1.735,04 1.008,42 2.648,30
Fallwertzuschläge zum Regelleistungsvolumen in EUR 0,00 0,00 0,00 0,00
Übrige Leistungen innerhalb der morbiditätsbedingen Gesamtvergütung (MGV) 0,00 0,00 0,00 0,00
Leistungen außerhalb der morbiditätsbedingen Gesamtvergütung (AMG) 0.00 0,00 0,00 0,00
Kürzungsbetrag Fortbildungspflicht in EUR - - - 1.953,20 -

Regelleistungsvolumen
RLV-relevante Fallzahl 1.040 982 852 982
Obergrenze in EUR 29.624,26 22.427,19 19.498,54 21.315,52
Angefordert in EUR 43.562,00 37.235,37 32.210,31 36.705,45
Überschreitung in EUR 13.937,74 14.898,18 12.711,77 15.389,93
Überschreitung in %* 47,0 66.4 65,2 72,2
* Berechnung der Kammer
** Bereinigt um Kürzungsbetrag Fortbildungspflicht

Bezüglich des Quartals I/09 trug der Kläger vor, er habe sich anfänglich in der "minimalinvasiven Neurochirurgie" spezialisiert und sei dann einen Schritt weiter zu der "noninvasiven Neurochirurgie" gegangen, dessen Objekt die konservative Therapie der neurochirurgischen Erkrankungen sei. In seine Praxis kämen Patienten, die an Bandscheibenerkrankungen litten und bereits Operationskandidaten seien. Er behandle fast alle Bandscheibenpatienten konservativ und habe eine minimale Krankenhauseinweisungsrate. Außerdem behandle er sehr kostengünstig. Seine Kollegen seien operativ tätig. Diese hätten ein weiteres Einkommen als Belegärzte, er habe ein solches Einkommen nicht. Seine Praxis sei benachteiligt und er könne seine Praxiskosten nicht mehr decken. Er bitte daher, ihn aus Gruppe der Chirurgen herauszunehmen, da er nicht operativ tätig sei. Ähnlich, wie die orthopädischen Chirurgen nicht der Gruppe der Chirurgen angehörten, weil sie hauptsächlich konservativ tätig seien, gehöre er nicht zu der Gruppe der Chirurgen. Gleichlautend trug er zum Quartal II/09 vor. Für das Quartal III/09 machte er die Anwendung der BSG-Rechtsprechung zum Anwachsen von Praxen bis zum Durchschnittshonorar der Arzt-/Fachgruppe geltend. Er bitte dazu, den Verlust seiner Praxis, sowohl für die konservativen als auch die operativen Leistungen zu berücksichtigen. Ferner bitte er um Berücksichtigung seiner Praxisbesonderheit, da er auf die konservative Therapie spezialisiert sei. Für das Quartal IV/09 trug er gleichlautend wie zum Quartal I/09 vor. Mit seinen Widersprüchen gegen die Honorarbescheide trug der Kläger ebenfalls vor, dass zu berücksichtigen sei, dass er nur konservativ tätig sei. Bezüglich des Quartals III/09 wies er auf die fehlende Berücksichtigung weiterer Fortbildungspunkte hin, die er der Ärztekammer im Juni 2009 zugeschickt habe. Auch hätten einige Veranstalter seine Teilnahme nicht gemeldet.

Die Beklagte wertete die Widersprüche des Klägers gegen die Festsetzung der Regelleistungsvolumina als einen Antrag auf Sonderregelung zum Regelleistungsvolumen. Diesen Antrag lehnte sie mit Bescheid vom 04.12.2009 ab. Zur Begründung führte sie aus, eine Praxisbesonderheit müsse mindestens 30 % des RLV-Fallwerts der jeweiligen Fachgruppe betragen. So müsse der Fallwert des antragstellenden Arztes mindestens das 1,3-fache des zugewiesenen RLV-Wertes betragen. In den streitbefangenen Quartalen übersteige der praxisindividuelle Fallwert des Klägers den RLV-Fallwert der Fachgruppe um 72 %, 122,30 %, 102,18 % bzw. 91,27 %. Bei einer weitergehenden detaillierten Prüfung sei die Höhe des Fallwertes unter Berücksichtigung der Praxisbesonderheit der konservativen Behandlung (Nr. 02510, 02511 und 02512 EBM 2009) festgestellt und mit der Fachgruppe verglichen worden:

Quartal Praxisindividueller Fallwert der Praxisbesonderheit 30 % des RLV-Fallwerts der Fachgruppe
I/09 4,67 9,20
II/09 4,77 7,08
III/09 4,59 7,02
IV/09 4,60 7,08

Daraus ergebe sich, dass der Fallwert nicht 30 % des RLV-Fachgruppenwertes übersteige und damit nicht die Kriterien für eine Erhöhung des RLV-Fallwertes erfülle. Fachärzte für Chirurgie, für Kinderchirurgie, für plastische Chirurgie, für Herzchirurgie und für Neurochirurgie seien nach dem Honorarverteilungsvertrag in einer Arztgruppe zusammengefasst. Er sei daher korrekt der Arztgruppe der Chirurgen zugeordnet worden.

Hiergegen legte der Kläger am 22.12.2009 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er vor, der Bescheid setze sich nicht mit der Frage eines Anwachsens bis zum Fachgruppendurchschnitt auseinander. Die einzelnen Rechenschritte zur Ermittlung des Regelleistungsvolumens würden nicht näher dargelegt und könnten daher nicht überprüft werden. Die Arztgruppe der Chirurgen werde, anders als die der Internisten oder Radiologen, nicht weiter differenziert. Die Weiterbildungsordnung sehe sogar acht Facharztdisziplinen vor. Dies verstoße gegen den Gleichheitssatz. Die Berechnungen des Regelleistungsvolumens je Quartal seien nicht nachvollziehbar. Die Durchschnittswerte der Fachgruppe würden nicht angegeben werden. Die für ihn maßgeblichen Fallzahlen würden nicht erläutert werden. Die Fallwerte der Fachgruppe seien viel zu niedrig und daher existenzbedrohend. Dies ergebe sich aus einem Vergleich der RLV-Fallwerte je Quartal in den Jahren 2008 und 2009. Die prozentualen Differenzen der Fallwerte zeigten, dass ein Werteverfall von bis zu 43,9 % je Behandlungsfall stattgefunden habe. Obwohl er wesentlich mehr Behandlungsfälle habe als die Fachgruppe, reiche das Regelleistungsvolumen nicht mehr aus. Dies verletze ihn in der Ausübung seiner Praxis als eingerichteten Betrieb nach Art. 12 GG sowie in seinem Eigentumsrecht nach Art. 14 GG. Seine Praxis gerate in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Er stelle einen Antrag auf Ausgleich der überproportionalen Honorarverluste. Nach Abrechnung der Grundpauschale mit einem Wert von 31,05 EUR bzw. 31,33 EUR könne der Chirurg keine weitere typisch chirurgische Leistung erbringen, da er sofort das Regelleistungsvolumen überschreite.

Die Beklagte verband die Widersprüche gegen die Honorarbescheide und gegen den Bescheid über die Änderung des Regelleistungsvolumens und wies alle Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 05.10.2011 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Honorarverteilungsvertrag sehe eine Eingruppierung der Neurochirurgen in die Gruppe der Chirurgen vor. Daran sei sie gebunden. Ferner erläuterte sie im Einzelnen die Berechnung der regelleistungsvolumenrelevanten Fallzahl und allgemein die Berechnung des Fallwertes. Es existiere auch keine Regelung, nach der der RLV-Fallwert größer sein müsse als die Grundpauschale. Grundlage sei das abgerechnete Punktzahlvolumen der regelleistungsvolumenrelevanten Leistungen im Jahr 2007. Im Übrigen beruhe die Berechnung auf den verbindlichen Vorgaben des erweiterten Bewertungsausschusses. Die Teilprüfung bezüglich einer Praxisbesonderheit stelle sich wie folgt dar:

Antragsquartal I/09 II/09 III/09 IV/09
angefordertes Honorarvolumen PK / EK im Antragsquartal in EUR 43.562,00 37.325,37 32.210,31 35.705,45
geteilt durch RLV-Fallzahl des Antragsquartals (siehe jeweilige RLV-Zuweisung 2010) 977 876 784 870
Ergibt praxisindividuellen Fallwert im Antragsquartal in EUR 44,59 42,61 41,08 42,19
RLV-Fallwert im Antragsquartal in EUR 30,66 23,59 23,41 EUR 23,61 EUR
Überschreitung des RLV-Fallwertes 45,43 % 80,62 % 75,50 % 78,70 %

Die Frequenzstatistiken zeigten, dass der Kläger überdurchschnittlich viele physikalisch-therapeutische Leistungen gemäß Kapitel II 2.5 EBM 2009 abgerechnet habe, die die übrigen Praxen in der Prüfgruppe der Neurochirurgen so nicht erbringen würden. Die abgerechneten Nr. 02510 und 02512 EMB 2009 kämen insoweit als Praxisbesonderheit in Betracht. Weiterhin sei die Nr. 30712 (Anleitung zur transkutanen elektrischen Nervenstimulation [TENS]) als Praxisbesonderheit zu berücksichtigen. Diese Leistung sei in den Quartalen I bis III/09 von weniger als der Hälfte der Praxen innerhalb der Prüfgruppe erbracht worden. Im Quartal IV/09 habe der Kläger diese Leistungen nicht erbracht. Auch erbringe kein anderer Neurochirurg diese Leistung. Nicht zur berücksichtigen seien die Grundpauschalen gemäß den Nrn. 16210 bis 16212 EBM 2009 sowie die Nr. 16232 EBM 2009, da es sich hierbei um eine Kernleistung der Neurochirurgen handele. Sie würden auch von einem überwiegenden Teil der Fachgruppe der Neurochirurgen erbracht werden. Die Analyse der Honorardaten ergebe folgendes Bild:

Antragsquartal I/09 II/09 III/09 IV/09
Praxisbesonderheit GOP 02510 in EUR 4.201,61 3.311,88 2.742,53 3.416,10
Praxisbesonderheit GOP 02512 in EUR 644,62 254,41 9,65 6,30
Praxisbesonderheit GOP 30712 in EUR 46,55 6,65 33,25 0,00
Summe Praxisbesonderheiten in EUR 4.892,78 3.582,94 2.785,43 3.422,40
Geteilt durch RLV-Fallzahl Antragsquartal 977 876 784 870
Ergibt Anteil der Praxisbesonderheiten am Fallwert in EUR 5,01 4,09 3,55 3,93
30 % des RLV-Fallwerts im Antragsquartal in EUR 9,20 7,08 7,02 7,08

Diese Leistungen würde jedoch weniger als 30 % der RLV-Fallwerte in den jeweiligen Quartalen betragen, weshalb eine Erhöhung des Fallwertes nicht in Betracht komme. Die Fallwertabstaffelung folge aus den gesetzlichen und honorarvertraglichen Vorgaben. Die Berechnungsweise legte sie im Einzelnen dar. Gleichfalls legte sie im Einzelnen die Berechnung der Altersstrukturquote dar. Ferner erläuterte sie für die Quartale III und IV/09 den Ausgleichsindex 100 und den Sicherstellungsindex 90. Weiter führte sie aus, der Grundsatz der angemessenen Vergütung sei nicht verletzt. Die angefochtenen Bescheide seien noch ausreichend begründet. Den Anträgen auf Anhebung des Honorars habe ebenfalls nicht entsprochen werden können. Für das Quartal I/09 liege kein überproportionaler Honorarverlust vor. Für die Quartale II bis IV/09 sei ein Honorarrückgang von mehr als 15 % zu verzeichnen, weshalb sie die Anträge zwecks weiterer Bearbeitung an die für Antragsverfahren zuständige Abteilung weitergeleitet habe, deren Entscheidung sei abzuwarten.

Hiergegen hat der Kläger am 01.11.2011 die Klage erhoben. Ergänzend zu seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren trägt er vor, der Unterschied zu chirurgischen Praxen zeige sich auch aufgrund einer Darstellung der häufigsten Diagnosen im Bereich der KV Nordrhein, die auf Hessen übertragbar sei. Der RLV-Fallwert müsse zumindest die Grundpauschalen abdecken. Die Beklagte habe bei der Prüfung der Praxisbesonderheit die Grundpauschale nach Nr. 16210 und 16212 nicht mitberechnet. Damit sei sein Fallwert künstlich klein gerechnet worden. Eine Honorarerhöhung sei schon aus Gründen der Sicherstellung geboten. Im Vergleich zum Fachgruppendurchschnitt sei die Leistungshäufigkeit in seinem Spezialgebiet signifikant überdurchschnittlich. In anderen KV-Bereichen werde auch ein wesentlich höherer RLV-Fallwert vergütet. Die Beklagte sei jedenfalls verpflichtet, eine Härtefallregelung zu prüfen. Sein Leistungsspektrum sei das Breiteste von allen neurochirurgischen Praxen. Viele Leistungen könnten aber im Gegensatz zu früher nicht mehr abgerechnet werden. Er werde letztlich wirtschaftlich gezwungen, stets weniger Patienten zu versorgen. Früher habe er vier Angestellte beschäftigt, momentan keine.

Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids vom 04.12.2009 und der Honorarbescheide für die Quartale I bis IV/09, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2011, die Beklagte zu verurteilen, ihn über seinen Antrag auf Sonderregelung zu den Regelleistungsvolumina sowie über seinen Honoraranspruch für die Quartale I bis IV/09 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen im Antragsbescheid und im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Ergänzend trägt sie vor, die Bildung der Arztgruppe entspreche den Vorgaben des Bewertungsausschusses. Vor einer Modifizierung hätten die Gesamtvertragspartner abgesehen. Die Berechnung des RLV-Fallwerts folge den rechtlichen Vorgaben. Dass der RLV-Fallwert zum Teil niedriger liege als die Grundpauschale, ergebe noch keine Rechtswidrigkeit. Die Bildung des RLV-Fallwerts beruhe auf den RLV-relevanten Leistungsinhalten der jeweiligen Arztgruppe in den Referenzzeiträumen. Das zeige bereits, dass der RLV-Fallwert nicht zu niedrig bemessen sei. Darin liege auch kein Sonderopfer für die Arztgruppe (Neuro-)Chirurgen. Gerade in dieser Gruppe würden viele Leistungen, wie ambulante Operationen, außerhalb dieses Regelleistungsvolumens erbracht werden und zum Einzelleistungspunktwert, teils mit Zuschlägen, vergütet werden. Eine Praxisbesonderheit liege nicht vor, wie ihre Berechnung ergeben hab. Ca. 70 % bis 75 % des Honorars entfielen auf die Grundpauschale. Die einzige weiter abgerechnete neurochirurgische Ziffer (Nr. 16232) sei ebenso wie die Grundpauschalen eine Kernleistung für Neurochirurgen, aus der sich keine Praxisbesonderheit ergeben könne. Die als spezielle Leistungen noch in Betracht kommenden weiter abgerechneten GO-Ziffern im Wesentlichen für Wärmetherapie und Elektrosimulation (Nr. 02510, 02512) lägen in den streitbefangenen Quartelen jeweils um, meist unter 10 % der insgesamt abgerechneten RLV-Leistungen und reichten sowohl einzeln betrachtet als auch im Durchschnitt nicht annähernd an die Grenze von 20 % heran, die das Bundessozialgericht seinerzeit gezogen habe. Eine Sicherstellungsproblematik bestehe somit nicht. Nach II.3.6 HVV 2009 könnten befristete Ausgleichszahlungen geleistet werden, wenn sich das Honorar der Arztpraxis um mehr als 15 % gegenüber dem Vorjahresquartal verringere und dies auf der Umstellung der Mengensteuerung oder durch Änderung der Regelungen zu extrabudgetären Leistungen, in Leistungsart und Kostenerstattungen beruhe. Durch die Honorarverluste müssten nachweisbar erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten entstehen, die die Fortführung der Praxis gefährdeten und die Praxis müsse zur Sicherstellung der Versorgung erforderlich sei. Der Kläger habe nicht dargelegt, dass der Honorarrückgang auf Änderungen der Honorarsystematik zurückzuführen sei. Das Leistungsbild habe sich im Vergleich zum Jahr 2008 nicht geändert. Die Praxis, die in den Quartalen I/10 bis III/11 ebenfalls pro Quartal einen Honoraranspruch auf dem Niveau von etwa 20.000 EUR erwirtschaftet habe, bestehe gleichwohl weiterhin, damit liege keine Sicherstellungsproblematik vor. Es sei eine unternehmerische Entscheidung des Klägers, seine Praxis auf eine rein konservative Behandlung - nach den abgerechneten Ziffern mit einem sehr eingeengten Leistungsgeschehen - auszurichten. Hierfür trage er das unternehmerische Risiko. Der Kläger habe in den Jahren 2009 bis 2011 offensichtlich keine einzige Operation erbracht und abgerechnet. Auch seien die Fallzahlen niedriger als in früheren Jahren. Die Fallzahlen hätten sich kontinuierlich nach unten entwickelt, was sie anhand des dritten Quartals illustrierte. Sie seien von 1.127 im Quartal III/01 auf 636 Behandlungsfälle im Quartal III/11 gesunken. Der Kläger habe auch früher ein umfangreicheres Leistungsgeschehen abgerechnet. Die Neurochirurgen würden den überwiegenden Teil ihres Honorars durch Verträge zur integrierten Versorgung erwirtschaften. Dem Widerspruch bzgl. der Honorarkürzung wegen der Verletzung der Fortbildungsverpflichtung habe sie mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2010 abgeholfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid vom 04.12.2009 und die Honorarbescheide für die Quartale I bis IV/09, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2011, sind rechtswidrig. Sie waren daher aufzuheben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neubescheidung über seinen Antrag auf Sonderregelung zu den Regelleistungsvolumina sowie über seinen Honoraranspruch für die Quartale I bis IV/09 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, weil sie auf einer unzulässigen Honorargruppe beruhen.

Nach § 87a SGB V in der ab 01.01.2009 geltenden und durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG) v. 26.03.2007 (BGBl. I 2007, S. 378) eingeführten Fassung gelten abweichend von § 82 Abs. 2 Satz 2 und § 85 für die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen ab 1. Januar 2009 die in Absatz 2 bis 6 getroffenen Regelungen; dies gilt nicht für vertragszahnärztliche Leistungen (§ 87a Abs. 1 SGB V). Die Kassenärztliche Vereinigung und die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich vereinbaren auf der Grundlage der Orientierungswerte gemäß § 87 Abs. 2e Satz 1 Nr. 1 bis 3 jeweils bis zum 31. Oktober eines jeden Jahres Punktwerte, die zur Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen im Folgejahr anzuwenden sind (§ 87a Abs. 2 Satz 1 SGB V). Die Vertragspartner nach Satz 1 können dabei einen Zuschlag auf oder einen Abschlag von den Orientierungswerten gemäß § 87 Abs. 2e Satz 1 Nr. 1 bis 3 vereinbaren, um insbesondere regionale Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur zu berücksichtigen (§ 87a Abs. 2 Satz 3 SGB V). Dabei sind zwingend die Vorgaben des Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 2f anzuwenden (§ 87a Abs. 2 Satz 4 SGB V). Der Zuschlag oder der Abschlag darf nicht nach Arztgruppen und nach Kassenarten differenziert werden und ist einheitlich auf alle Orientierungswerte gemäß § 87 Abs. 2e Satz 1 Nr. 1 bis 3 anzuwenden (§ 87a Abs. 2 Satz 5 SGB V). Bei der Festlegung des Zu- oder Abschlags ist zu gewährleisten, dass die medizinisch notwendige Versorgung der Versicherten sichergestellt ist. Aus den vereinbarten Punktwerten und dem einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen gemäß § 87 Abs. 1 ist eine regionale Gebührenordnung mit Europreisen (regionale Euro-Gebührenordnung) zu erstellen; in der Gebührenordnung sind dabei sowohl die Preise für den Regelfall als auch die Preise bei Vorliegen von Unter- und Überversorgung auszuweisen (§ 87a Abs. 2 Satz 6 SGB V).

Abweichend von § 85 werden die vertragsärztlichen Leistungen ab dem 1. Januar 2009 von der Kassenärztlichen Vereinigung auf der Grundlage der regional geltenden Euro-Gebührenordnung nach § 87a Abs. 2 vergütet (§ 87b Abs. 1 Satz 1 SGB V).

Zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Arztes und der Arztpraxis sind arzt- und praxisbezogene Regelleistungsvolumina festzulegen (§ 87b Abs. 2 Satz 1 SGB V). Ein Regelleistungsvolumen nach Satz 1 ist die von einem Arzt oder der Arztpraxis in einem bestimmten Zeitraum abrechenbare Menge der vertragsärztlichen Leistungen, die mit den in der Euro-Gebührenordnung gemäß § 87a Abs. 2 enthaltenen und für den Arzt oder die Arztpraxis geltenden Preisen zu vergüten ist (§ 87b Abs. 2 Satz 2 SGB V). Abweichend von Absatz 1 Satz 1 ist die das Regelleistungsvolumen überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Preisen zu vergüten; bei einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten kann hiervon abgewichen werden (§ 87b Abs. 2 Satz 3 SGB V). Bei der Bestimmung des Zeitraums, für den ein Regelleistungsvolumen festgelegt wird, ist insbesondere sicherzustellen, dass eine kontinuierliche Versorgung der Versicherten gewährleistet ist (§ 87b Abs. 2 Satz 4 SGB V). Antragspflichtige psychotherapeutische Leistungen der Psychotherapeuten, der Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, der Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, der Fachärzte für Nervenheilkunde, der Fachärzte für Psychosomatik und Psychotherapie sowie der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte sind außerhalb der Regelleistungsvolumina zu vergüten (§ 87b Abs. 2 Satz 6 SGB V). Weitere vertragsärztliche Leistungen können außerhalb der Regelleistungsvolumina vergütet werden, wenn sie besonders gefördert werden sollen oder soweit dies medizinisch oder auf Grund von Besonderheiten bei Veranlassung und Ausführung der Leistungserbringung erforderlich ist (§ 87b Abs. 2 Satz 7 SGB V).

Die Werte für die Regelleistungsvolumina nach Absatz 2 sind morbiditätsgewichtet und differenziert nach Arztgruppen und nach Versorgungsgraden sowie unter Berücksichtigung der Besonderheiten kooperativer Versorgungsformen festzulegen; bei der Differenzierung der Arztgruppen ist die nach § 87 Abs. 2a zugrunde zu legende Definition der Arztgruppen zu berücksichtigen (§ 87b Abs. 3 Satz 1 SGB V). Bei der Bestimmung des Regelleistungsvolumens nach Absatz 2 sind darüber hinaus insbesondere
1. die Summe der für einen Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung nach § 87a Abs. 3 insgesamt vereinbarten morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen,
2. zu erwartende Zahlungen im Rahmen der überbezirklichen Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 75 Abs. 7 und 7a,
3. zu erwartende Zahlungen für die nach Absatz 2 Satz 3 abgestaffelt zu vergütenden und für die nach Absatz 2 Satz 6 und 7 außerhalb der Regelleistungsvolumina zu vergütenden Leistungsmengen,
4. Zahl und Tätigkeitsumfang der der jeweiligen Arztgruppe angehörenden Ärzte
zu berücksichtigen (§ 87b Abs. 3 Satz 2 SGB V). Soweit dazu Veranlassung besteht, sind auch Praxisbesonderheiten zu berücksichtigen (§ 87b Abs. 3 Satz 3 SGB V). Zudem können auf der Grundlage der Zeitwerte nach § 87 Abs. 2 Satz 1 Kapazitätsgrenzen je Arbeitstag für das bei gesicherter Qualität zu erbringende Leistungsvolumen des Arztes oder der Arztpraxis festgelegt werden (§ 87b Abs. 3 Satz 4 SGB V). Anteile der Vergütungssumme nach Satz 2 Nr. 1 können für die Bildung von Rückstellungen zur Berücksichtigung einer Zunahme von an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, für Sicherstellungsaufgaben und zum Ausgleich von überproportionalen Honorarverlusten verwendet werden (§ 87b Abs. 3 Satz 5 SGB V). Die Morbidität nach Satz 1 ist mit Hilfe der Morbiditätskriterien Alter und Geschlecht zu bestimmen (§ 87b Abs. 3 Satz 6 SGB V). Als Tätigkeitsumfang nach Satz 2 gilt der Umfang des Versorgungsauftrags, mit dem die der jeweiligen Arztgruppe angehörenden Vertragsärzte zur Versorgung zugelassen sind, und der Umfang des Versorgungsauftrags, der für die angestellten Ärzte der jeweiligen Arztgruppe vom Zulassungsausschuss genehmigt worden ist (§ 87b Abs. 3 Satz 7 SGB V). Fehlschätzungen bei der Bestimmung des voraussichtlichen Umfangs der Leistungsmengen nach Satz 2 Nr. 3 sind zu berichtigen; die Vergütungsvereinbarungen nach § 87a Abs. 3 bleiben unberührt (§ 87b Abs. 3 Satz 8 SGB V).

Der Bewertungsausschuss bestimmt erstmalig bis zum 31. August 2008 das Verfahren zur Berechnung und zur Anpassung der Regelleistungsvolumina nach den Absätzen 2 und 3 sowie Art und Umfang, das Verfahren und den Zeitpunkt der Übermittlung der dafür erforderlichen Daten (§ 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V). Er bestimmt darüber hinaus ebenfalls erstmalig bis zum 31. August 2008 Vorgaben zur Umsetzung von Absatz 2 Satz 3, 6 und 7 sowie Grundsätze zur Bildung von Rückstellungen nach Absatz 3 Satz 5 (§ 87b Abs. 4 Satz 2 SGB V). Die Kassenärztliche Vereinigung, die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen stellen gemeinsam erstmalig bis zum 15. November 2008 und danach jeweils bis zum 31. Oktober eines jeden Jahres gemäß den Vorgaben des Bewertungsausschusses nach den Sätzen 1 und 2 unter Verwendung der erforderlichen regionalen Daten die für die Zuweisung der Regelleistungsvolumina nach Absatz 5 konkret anzuwendende Berechnungsformel fest (§ 87b Abs. 4 Satz 3 SGB V).

Die Zuweisung der Regelleistungsvolumina an den Arzt oder die Arztpraxis einschließlich der Mitteilung der Leistungen, die außerhalb der Regelleistungsvolumina vergütet werden, sowie der jeweils geltenden regionalen Preise obliegt der Kassenärztlichen Vereinigung; die Zuweisung erfolgt erstmals zum 30. November 2008 und in der Folge jeweils spätestens vier Wochen vor Beginn der Geltungsdauer des Regelleistungsvolumens (§ 87b Abs. 5 Satz 1 SGB V). § 85 Abs. 4 Satz 9 gilt (§ 87b Abs. 5 Satz 2 SGB V). Die nach § 85 Abs. 4 der Kassenärztlichen Vereinigung zugewiesenen Befugnisse, insbesondere zur Bestimmung von Abrechnungsfristen und belegen sowie zur Verwendung von Vergütungsanteilen für Verwaltungsaufwand, bleiben unberührt (§ 87b Abs. 5 Satz 3 SGB V). Kann ein Regelleistungsvolumen nicht rechtzeitig vor Beginn des Geltungszeitraums zugewiesen werden, gilt das bisherige dem Arzt oder der Arztpraxis zugewiesene Regelleistungsvolumen vorläufig fort (§ 87b Abs. 5 Satz 4 SGB V). Zahlungsansprüche aus einem zu einem späteren Zeitpunkt zugewiesenen höheren Regelleistungsvolumen sind rückwirkend zu erfüllen (§ 87b Abs. 5 Satz 5 SGB V).

Ausgehend von diesen gesetzlichen Vorgaben hat der Erweiterte Bewertungsausschuss in seiner 7. Sitzung am 27. und 28. August 2008 unter Teil F einen Beschluss gemäß § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V zur Berechnung und zur Anpassung von arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen nach § 87b Abs. 2 und 3 SGB V gefasst (DÄBl. 2008 (Heft 38), A-1988, zitiert nach www.kbv.de/8157.html, im Folgenden: EB7F). Nach Nr. 1.2 EB7F werden die Regelleistungsvolumina nach Maßgabe von 2. und 3. für das jeweilige Abrechnungsquartal ermittelt (Nr. 1.2.1 EB7F). Die Regelleistungsvolumen werden nach Maßgabe von 2. und 3. je Arzt ermittelt (Nr. 1.2.2 Abs. 1 EB7F). Für Vertragsärzte, die außer in ihrer Arztpraxis auch in einer oder mehreren Teilberufsausübungsgemeinschaften tätig sind, wird ein gesamtes Regelleistungsvolumen für die vom jeweiligen Vertragsarzt in der Arztpraxis und in der(n) Teilberufsausübungsgemeinschaft(en) erbrachten Leistungen ermittelt (Nr. 1.2.2 Abs. 2 EB7F). Nach Nr. 2.1 Satz 1 EB7F kommen Regelleistungsvolumen für Ärzte der in Anlage 1 genannten Arztgruppen zur Anwendung. Dabei sieht der Beschluss vor, dass die Partner der Gesamtverträge Modifikationen (z. B. Differenzierungen oder Zusammenfassungen) von relevanten Arztgruppen vereinbaren können (Nr. 2 Anlage 1 EB7F). Die Fachrichtung des Klägers wird in dieser Anlage genannt. Nach Nr. 4 Anlage 1 EB7F 5. Spiegelstrich bilden Fachärzte für Chirurgie, für Kinderchirurgie, für Plastische Chirurgie, für Herzchirurgie und für Neurochirurgie eine Arztgruppe.

Auf der Grundlage dieser Regelungen im SGB V und der Vorgaben des Bewertungsausschusses bzw. Erweiterten Bewertungsausschusses haben die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und die Verbände der Primärkassen sowie die Ersatzkassen einen Honorarvertrag vom 13.12.2008 für die Zeit ab 01.01.2009 geschlossen (im Folgenden: HVV). In Abschnitt II HVV werden auf der Grundlage des EB7F, B164B und EB8II (Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 4 SGB V in seiner 8. Sitzung am 23. Oktober 2008 zur Anpassung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) sowie zur Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung im Jahr 2009, Teil A, DÄBl. 2008 (Heft 4), A 2602) weitgehend wortgleich die Regelungen des EB7F mit den Änderungen durch den B164B übernommen. Entsprechend wurden auch die Neurochirurgen der chirurgischen Arztgruppe zugeordnet. Nach Angaben der Beklagten setzt sich diese Arztgruppe, der keine Kinder-, Herz- und Thoraxchirurgen im streitbefangenen Zeitraum angehörten, wie folgt zusammen:

Gruppe I/09 II/09 III/09 IV/09
Chirurgen 290,44 291,67 292,83 287,64
Plastische Chirurgen 8 9 10 12
Neurochirurgen 44,26 44,25 45,25 46,21

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Bildung einer einheitlichen Arztgruppe für Fachärzte für Chirurgie, für Kinderchirurgie, für Plastische Chirurgie, für Herzchirurgie und für Neurochirurgie durch den Erweiterten Bewertungsausschuss bereits rechtswidrig ist. Jedenfalls bestehen im Bereich der Beklagten solche Unterschiede zwischen den Fachärzten für Neurochirurgie einerseits und den Fachärzten für Chirurgie, für Kinderchirurgie, für Plastische Chirurgie und für Herzchirurgie andererseits, die unter Beachtung des Grundsatzes der Honorarverteilungsgerechtigkeit eine Zusammenfassung in einer Arzt- bzw. Honorargruppe im streitbefangenen Zeitraum nicht zulassen. Nach dem aus Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit dürfen zwei Gruppen, die sich in verschiedener Lage befinden, nur beim Vorliegen zureichender Gründe gleichbehandelt werden. Das Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit ist verletzt, wenn vom Prinzip der gleichmäßigen Vergütung abgewichen wird, obwohl zwischen den betroffenen Ärzten bzw. Arztgruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass eine ungleiche Behandlung gerechtfertigt ist. Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs 1 GG enthält jedoch nicht nur das Verbot sachwidriger Differenzierung, sondern genauso das Gebot sachgerechter Differenzierung bei Vorliegen wesentlicher Unterschiede. Zwei Gruppen, die sich in verschiedener Lage befinden, dürfen nur bei Vorliegen zureichender Gründe gleichbehandelt werden, und es ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, Ungleiches gegen ein zwingendes Gebot gleich zu behandeln (vgl. BSG, Urt. v. 20.01.1999 - B 6 KA 46/97 R - BSGE 83, 205 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 29 = NZS 2000, 159 = USK 9991, juris Rdnr. 37 f. m.w.N.; BSG, Urt. v. 08.02.2012 - B 6 KA 14/11 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 69 = USK 2012-16, juris Rdnr. 15).

Deutlich Unterschiede zwischen den genannten chirurgischen und dem neurochirurgischen Fachgebiet folgen bereits aus der Weiterbildungsordnung. Nach der Weiterbildungsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Hessen vom 15. August 2005 (HÄBl. Sonderheft 10/2005, S. 1-73), zuletzt geändert am 12. Juni 2013 (HÄBl. 7/2013, S. 576), zitiert nach http://www.laekh.de/upload/Aerzte/Weiterbildung/WBO 2005 10.pdf (im Folgenden: HWBO), umfasst das Gebiet Chirurgie die Vorbeugung, Erkennung, konservative und operative Behandlung, Nachsorge und Rehabilitation von chirurgischen Erkrankungen, Verletzungen und Verletzungsfolgen sowie angeborenen und erworbenen Formveränderungen und Fehlbildungen der Gefäße, der inneren Organe einschließlich des Herzens, der Stütz- und Bewegungsorgane und der onkologischen Wiederherstellungs- und Transplantationschirurgie. Ziel der Weiterbildung im Gebiet Chirurgie ist die Erlangung von acht verschiedenen Facharztkompetenzen nach Ableistung der vorgeschriebenen Weiterbildungszeiten und Weiterbildungsinhalte, die auf der Basisweiterbildung (gemeinsame Inhalte der Facharztweiterbildungen) aufbauen. Als Facharztkompetenz können erworben werden der Facharzt für Allgemeine Chirurgie, Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, Kinderchirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie sowie Viszeralchirurgie (Abschn. B.7 HWBO). Der Facharzt für Neurochirurgie ist kein Teil des Gebiets der Chirurgie, sondern bildet ein eigenständiges Gebiet, dass im Gegensatz zur Chirurgie wesentlich am Nervensystem ausgerichtet ist. Das Gebiet Neurochirurgie umfasst die Erkennung, operative, perioperative und konservative Behandlung, Nachsorge und Rehabilitation von Erkrankungen, Verletzungen, Verletzungsfolgen und Fehlbildungen des zentralen Nervensystems, seiner Gefäße und seiner Hüllen, des peripheren und vegetativen Nervensystems. Die Weiterbildung schließt ausschließlich mit dem Facharzt für Neurochirurgie ab (Abschn. B.19 HWBO).

Entsprechend unterschiedlich werden auch die chirurgischen und neurochirurgischen Gebiete im EBM 2009 abgebildet. Nach Abschnitt III.7 werden Fachärzte für Chirurgie, Fachärzte für Kinderchirurgie sowie Fachärzte für Plastische und Ästhetische Chirurgie einem einheitlichen Kapitel zugeordnet (s. Nr.1 der Präambel zu Abschnitt III.7.1). Demgegenüber bilden die Fachärzte für Neurochirurgie mit den Fachärzten für Neurologie, Fachärzten für Nervenheilkunde sowie Fachärzten für Neurologie und Psychiatrie einen eigenständigen Honorarabschnitt (s. Nr.1 der Präambel zu Abschnitt III.16.1). Entsprechend unterschiedlich sind auch die Bewertungen der Grundpauschalen. So wird die chirurgische Grundpauschale in den drei Altersgruppen mit 595, 630 und 720 Punkten bewertet, demgegenüber die für die Neurochirurgen geltende neurologische Grundpauschale mit 905, 900 und 895 Punkten. Damit liegt die neurologische Grundpauschale um 52 %, 43 % bzw. 24 % über der chirurgischen Grundpauschale. Auch die weiteren Leistungen der Kapitel 7 und 16 sind aufgrund der Unterschiede der Fachgebiete nicht miteinander vergleichbar, auch sind die in den Unterabschnitten der Präambel weiter genannten abrechenbaren Leistungen nicht vollständig deckungsgleich.

Nach den von der Beklagten genannten Umsatzzahlen je Zulassungsumfang, wobei vernachlässigt werden kann, dass diese auch die Umsätze mit sonstigen Kostenträgern enthalten, zeigen sich auch hier insofern gravierende Unterschiede, als die Umsatzzahlen als auch die Fallwerte der Chirurgen etwa doppelt so hoch sind, wie nachfolgende Aufstellung zeigt:

Fachgruppe Neurochirurgen je Zulassungsumfang Quartal Honorarumsatz gesamt Fallzahl Fallwert
I/08 18.728,98 449,39
II/08 19.045,68 452,48
III/08 19.082,27 464,21
IV/08 18.483,22 432,14
Gesamt 75.340,15 1.798,22
Quartalsdurchschnitt 18.835,04 449,56 41,90

I/09 20.618,05 469,01
II/09 16.984,07 450,55
III/09 16.180,04 461,23
IV/09 16.048,60 445,48
Gesamt 69.830,76 1.826,27
Quartalsdurchschnitt Zu Vorjahr 17.457,69 92,7 % 456,57 38,24 91,3 %

Fachgruppe Chirurgen je Zulassungsumfang
Quartal Honorarumsatz gesamt Fallzahl Fallwert
I/08 58.310,94 681,17
II/08 59.301,72 750,75
III/08 55.301,03 729,05
IV/08 56.537,38 674,91
Gesamt 229.451,07 2.835,88
Quartalsdurchschnitt 57.362,77 708,97 80,91

I/09 62.840,15 686,09
II/09 58.805,13 720,87
III/09 56.954,81 725,37
IV/09 58.446,10 680,24
Gesamt 237.046,19 2.812,57
Quartalsdurchschnitt Zu Vorjahr 59.261,53 103,3 % 703,15 84,28 104,2 %

Die Aufstellung zeigt auch, dass die Fallzahlen der Neurochirurgen gegenüber den Chirurgen, gemessen am Quartalsdurchschnitt der der Jahre 2008 und 2009 lediglich 63 % bzw. 65 % betragen.

Soweit die Beklagte darauf verweist, dass die Arztgruppe der Neurochirurgen Honorare wesentlich auch außerhalb der Gesamtvergütung im Rahmen von Verträgen zur integrierten Versorgung generiere, handelt es sich um bloße Vermutungen. Im Übrigen ist die Beklagte gehalten, auch diese Umsätze im Rahmen der Erweiterten Honorarverteilung zu erfassen. Hierauf kommt es aber nicht an, da nicht Fragen unzureichender Honorierung streitgegenständlich sind, sondern die Frage der Bildung einer einheitlichen Arztgruppe.

Nicht erklären konnte die Beklagte in der mündlichen Verhandlung den Umstand, dass innerhalb der Gruppe der Neurochirurgen nur weniger als die Hälfte der Praxen die Grundpauschale abrechnet, so z. B. im Quartal I/09 nur neun von 19 Praxen, im Quartal IV/09 nur acht von 18 Praxen, wobei vernachlässigt werden kann, dass die Frequenzstatistik die Abrechnung der Grundpauschale bis zum 6. Lebensjahr nicht angibt, da sie vom Kläger nicht abgerechnet wurde. Dies deutet möglicherweise auf eine erhebliche Inhomogenität auch der Gruppe der Neurochirurgen hin, was die Beklagte im Rahmen der Neubescheidung ebf. zu untersuchen und darzulegen hat. Sollten sich solche Unterschiede zeigen, hat die Beklagte weiter darzulegen, weshalb sie dennoch eine einheitliche Arztgruppe bildet oder doch eine weitere Differenzierung vornimmt.

Die Beklagte wird daher nach Änderung des HVV eine Neubescheidung vornehmen müssen. Die Frage einer Sonderregelung kann erst nach Bildung der neuen Arztgruppe vorgenommen werden. Von daher hat der Kläger auch nicht zwingend einen Anspruch auf ein höheres Regelleistungsvolumen oder ein höheres Honorar.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

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Berichtigungsbeschluss:

hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Marburg am 15. November 2013 durch den Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht Dr. Pawlita, beschlossen:

Die Urteilsgründe werden auf S. 16, vorletzter Absatz, wie folgt berichtigt:

Der Satz "Nach allem war die Klage abzuweisen." wird durch den Satz "Nach allem war der Klage stattzugeben." ersetzt.

Offensichtliche Unrichtigkeiten sind jederzeit von Amts wegen zu berichtigen (§ 138 SGG).

Die offensichtliche Unrichtigkeit folgt bereits aus dem Urteilstenor und den gesamten übrigen Urteilsgründen.
Rechtskraft
Aus
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