L 3 SB 5541/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SB 5275/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 5541/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Feststellung der Eigenschaft als Schwerbehinderter.

Der im Jahr 1946 geborene Kläger stellte am 08.07.2005 einen Erstantrag nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) für die Zeit ab Oktober 2004. Hierbei gab er an, im Oktober 2004 habe er einen Rentenantrag gestellt.

Nach Auswertung der vom Kläger vorgelegten medizinischen Unterlagen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 29.09.2005 einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 seit 01.10.2004 aufgrund einer Depression und eines psychovegetativen Erschöpfungssyndroms (Teil-GdB 30) sowie eines Schlaf-Apnoe-Syndroms und eines Restless-legs-Syndroms (Teil-GdB 20) fest.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies er nach Auswertung der vom behandelnden Arzt Dr. J. vorgelegten Unterlagen mit Widerspruchsbescheid vom 07.12.2005 zurück. Die weiter festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen "Bluthochdruck" und "Funktionsbehinderung des linken Ellenbogengelenks" ergäben keine Änderung des Gesamt-GdB. Die geltend gemachten Entleerungsstörungen der Harnblase und die Prostatavergrößerung bedingten keinen GdB von wenigstens 10 und könnten daher nicht berücksichtigt werden.

Hiergegen hat der Kläger am 13.12.2005 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben mit der Begründung, seine psychische Erkrankung, die Prostatabeschwerden und die Blasenschwäche seien nicht angemessen berücksichtigt worden.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen gehört, Gutachten auf nervenärztlichem Gebiet bei Dr. G. und Prof. Dr. T. eingeholt und den Entlassungsbericht über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme des Klägers vom 04.01.2005 bis 01.03.2005 in der Reha-Klinik Hüttenbühl, Abteilung Psychosomatik, auf den Bezug genommen wird, beigezogen.

Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. hat unter dem 31.01.2006 mitgeteilt, er habe den Kläger von November 2001 bis Januar 2002 und danach erneut von November 2004 bis September 2005 behandelt. Ein Schlaf-Apnoe-Syndrom habe sich nach Reduktion des Körpergewichtes um 17 kg praktisch normalisiert. Unter nächtlicher medikamentöser Behandlung seien auch die Beinbewegungen normalisiert. Da die depressive Störung zu mittelgradigen Beschwerden und sozialen Anpassungsschwierigkeiten geführt habe, schätze er den diesbezüglichen Teil-GdB auf 70. Das Schlaf-Apnoe-Syndrom und das Restless-legs-Syndrom bedingten einen Teil-GdB von 10, den Gesamt-GdB beurteile er mit 70.

Der behandelnde Urologe Dr. S. hat unter dem 09.02.2006 mitgeteilt, aus den beim Kläger bestehenden altersentsprechenden leichten Miktionsbeschwerden resultiere keine wesentliche Gesundheitsstörung auf urologischem Fachgebiet.

Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. J. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 13.02.2006 die Auffassung vertreten, er halte die Beurteilung der Beklagten für zutreffend, es sei lediglich die Funktionsbehinderung des linken Ellenbogens mit einem Teil-GdB von 20 höher zu bewerten, da der Kläger hierdurch bei schweren Arbeiten deutlicher eingeschränkt sei.

Dr. G. hat im neuropsychiatrischen Gutachten vom 29.06.2006 die Diagnose einer chronifizierten depressiven Störung mittelschwerer Ausprägung, die einen Teil-GdB von 40 bedinge, gestellt. Die bisher bekannten Diagnosen (Schlaf-Apnoe-Syndrom und Restless-legs-Syndrom) seien als Beschwerden vom Kläger nicht mehr angegeben worden. Unter Berücksichtigung der bisher anerkannten Diagnosen (Adipositas, Hypertonie, Schlaf-Apnoe-Syndrom und Restless-legs-Syndrom) schätze er den GdB auf 50.

Prof. Dr. T., Ärztlicher, Direktor der Schwarzwaldklinik Abt. Neurologie in K., hat im neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 30.05.2007 ausgeführt, nach Verlust des Arbeitsplatzes im Herbst 2002 habe sich beim Kläger eine reaktive Depression entwickelt, die Anfang des Jahres 2005 in einer Rehabilitationsklinik behandelt worden sei. Zum Untersuchungszeitpunkt im Mai 2007 habe keine depressive Episode mehr vorgelegen, sondern lediglich eine chronisch-depressive Verstimmung, die mit der Entlassung aus der Rehabilitationsklinik Hüttenbühl begonnen habe und seither mit geringen Schwankungen andauere. Die danach zu diagnostizierende Dysthymie bedinge zusammen mit dem Restless-legs-Syndrom und dem Schlaf-Apnoe-Syndrom lediglich leichtgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten. Die Dysthymie begründe einen Teil-GdB von 30 und das Restless-legs-Syndrom sowie das Schlaf-Apnoe-Syndrom einen Teil-GdB von jeweils 10. Zusammenfassend ergebe sich ein GdB von 40. Bis zum Abschluss der psychosomatischen Rehabilitationsbehandlung habe ein GdB von 50 vorgelegen.

Mit Urteil vom 27.09.2007 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, ein GdB von 50 für das depressive Leiden des Klägers könne weder für die Zeit bis zum Abschluss des Heilverfahrens in der Klinik Hüttenbühl noch für die spätere Zeit zuerkannt werden. Weder jetzt noch früher hätten beim Kläger mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten vorgelegen. Dies ergebe sich daraus, dass der Kläger noch vielfältige soziale und ehrenamtliche Tätigkeiten unternehme. Auch unter Berücksichtigung der zusätzlich anerkannten Teilbehinderungen wegen des Restless-legs-Syndroms und des Schlaf-Apnoe-Syndroms bestehe kein GdB von 50, da beide Teilbehinderungen allenfalls mit einem Teil-GdB von 10 bewertet werden könnten. Zwar sei während des Heilverfahrens die Indikation zur Anpassung einer CPAP-Maske gestellt worden. Eine solche sei jedoch nie verordnet worden, auch habe die Untersuchung in der Neurologischen Klinik des Klinikums Lahr-Ettenheim am 03.08.2005 weder ein wesentliches Schnarchen noch einen außerhalb des Normalbereichs liegenden Sauerstoffentsättigungsindex ergeben. Auch sei der Herzfrequenzvariationsindex normalisiert gewesen und die Beinbewegungen hätten einen Normalbefund ergeben. Damit könne aufgrund dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht von einer dauerhaften Behinderung, die wenigstens sechs Monate lang nachweisbar mit einem GdB von 20 zu bewerten gewesen sei, ausgegangen werden. Schließlich bedinge auch eine endgradig schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Bereich des linken Ellenbogens keinen Teil-GdB von 20.

Gegen das am 26.10.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.11.2007 Berufung eingelegt. Er trägt vor, es dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen, wenn er den Empfehlungen seiner Ärzte folgend aktiv sei, viel lese und schreibe, um seinen Lebensmut nicht zu verlieren.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27. September 2007 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 29. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. September 2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den bei ihm vorliegenden Grad der Behinderung ab dem 01. Oktober 2004 mit mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 SGG). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG angegriffene Urteil des SG ist in der Sache nicht zu beanstanden. Denn durch den Bescheid des Beklagten vom 29.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2005 wird der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, da er keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 40 hat. Dies hat das SG im Urteil vom 27.09.2007 ausführlich und fehlerfrei dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist Folgendes auszuführen: Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass - anders als der Kläger annimmt - die Bildung des Gesamt-GdB nicht durch Addition der einzelnen Teil-GdB erfolgt. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist vielmehr in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und danach im Hinblick auf weitere Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen voneinander unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, ob die Funktionsbeeinträchtigungen sich auf andere besonders nachteilig auswirken oder sich überschneiden oder unabhängig nebeneinander stehen. Von Ausnahmefällen abgesehen führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden können, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Anhaltspunkte für die gutachterliche Tätigkeit 2008 [AHP] Nr. 19).

Weiter ist zu berücksichtigen, dass für die Beurteilung des GdB Gesundheitsstörungen nur dann von Bedeutung sind, wenn sie von gewisser Dauer sind. Der GdB setzt deshalb eine nicht nur vorübergehende und damit über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten sich erstreckende Gesundheitsstörung voraus. Dementsprechend ist bei abklingenden Gesundheitsstörungen der Wert festzusetzen, der dem über sechs Monate hinaus verbleibenden - oder voraussichtlich verbleibenden - Schaden entspricht. Schwankungen im Gesundheitszustand bei längerem Leidensverlauf ist mit einem Durchschnittswert Rechnung zu tragen (AHP Nr. 18 Abs. 5).

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien mag es zwar naheliegend sein, dass beim Kläger im Herbst 2004 eine tiefgreifendere depressive Störung, verbunden mit einem Restless-legs-Syndrom und einem Schlaf-Apnoe-Syndrom, aufgetreten ist, weshalb er sich im November 2004 nach der Behandlung im Jahr 2002 wieder in fachärztliche Behandlung von Dr. A. begeben hat. Dieser hat zwar eine ausgeprägte depressive Störung diagnostiziert. Diese bestand jedoch in dieser Ausprägung nicht über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten. Aufgrund der Behandlung in der Rehabilitationsklinik Hüttenbühl vom 04.01.2005 bis 01.03.2005 konnte vielmehr die depressive Symptomatik deutlich gebessert werden. Dies kann zum einen dem Entlassungsbericht vom 29.03.2005 entnommen werden. Auch der Sachverständige Prof. Dr. T., dessen Beurteilung sich der Senat zu eigen macht, hat zum anderen angegeben, eine mittelgradige depressive Episode mit einer Einschränkung der sozialen Anpassungsleistung habe lediglich bis zum Abschluss der psychosomatischen Rehabilitationsbehandlung vorgelegen. Die dauerhaft vorliegende Gesundheitsstörung ist damit nach dem nach Abschluss des Rehabilitationsverfahrens vorliegenden Gesundheitszustand zu bemessen und mit einem GdB von 30 angemessen berücksichtigt.

Auch bezüglich des erstmals während des Reha-Verfahrens diagnostizierten Schlaf-Apnoe-Syndroms ist ausweislich des Berichts der Klinik Lahr-Ettenheim vom 03.08.2005 eine wesentliche Besserung eingetreten. Gleiches gilt für das Restless-legs-Syndrom, so dass für die letzteren Gesundheitsbeeinträchtigungen ein Teil-GdB von jeweils 10 angemessen ist, der zu keiner Erhöhung des Gesamt-GdB führt.

Weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen des Klägers sind weder von diesem vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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