Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 AL 182/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 188/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufungen gegen die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.10.2007, 19.11.2007, 17.01.2008, 30.01.2008 und 21.02.2008 werden zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in den Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Arbeitslosengeld und Beiträgen zur Sozialversicherung für frühere Arbeitnehmer der Klägerin (nachfolgend: An. 1 bis An. 7) nach § 128 AFG im Streit. I. Alle Sachverhalte haben gemeinsam, dass die Beklagte die Erstattungspflicht der Klägerin mit Bescheiden festgestellt hat und nunmehr - nach mehrjährigem Ruhen der erstinstanzlichen Klageverfahren wegen Musterverfahren zu § 128 AFG - die Verwaltungsakten nicht mehr vorlegen kann, weil diese vernichtet oder unauffindbar sind. Nach Stattgabe der Klagen durch das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat die Beklagte Berufungen beim Landessozialgericht eingelegt, welche mit Beschluss vom 26.03.2008 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem vorliegenden Aktenzeichen L 12 AL 188/08 verbunden worden sind.
Es handelt sich im Einzelnen um folgende Sachverhalte und Rechtsstreitigkeiten:
1. L 12 AL 188/08, SG-Aktenzeichen S 21 AL 182/07: Mit Bescheid vom 04.05.1995 hat die Beklagte die Erstattungspflicht für An. 1 für die Zeit vom 02.01.1995 bis zum 31.12.1995 und für längstens 624 Tage festgestellt. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.1995 zurückgewiesen. An. 1 habe keine gesundheitlichen Einschränkungen gehabt und sei während des Arbeitsverhältnisses auch nicht längere Zeit arbeitsunfähig gewesen; es sei daher ausgeschlossen, dass ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung vorliege. Mit Folgebescheiden vom 07.08.1995 und vom 12.08.1996 forderte die Beklagte näher berechnete Erstattungsbeträge. Es ergingen weitere Folgebescheide sowie ein Ersetzungsbescheid vom 16.12.1998. Das SG hat der zu dem Aktenzeichen S 14 Ar 2951/95 erhobenen Klage nach einem mehr als zehnjährigen Ruhen unter dem Aktenzeichen S 21 AL 182/07 mit Urteil vom 19.11.2007 stattgegeben. Das SG hat den Bescheid vom 04.05.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.1995 aufgehoben und den Ersetzungsbescheid vom 16.12.1998 dahingehend abgeändert, als hierin eine Erstattungspflicht festgestellt worden ist. Außerdem hat das SG festgestellt, dass anlässlich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nicht bestehe und etwaige anderslautende Bescheide aufgrund des Ersetzungsbescheides wirkungslos seien. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 04.01.2008 zugestellt. Die Beklagte hat am 11.01.2008 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt.
2. L 12 AL 245/08, SG-Aktenzeichen S 7 AL 4423/07: Mit Bescheid vom 15.01.1999 stellte die Beklagte die Erstattungspflicht für An. 2 für die Zeit vom 23.09.1997 bis zum 31.08.1998 festgestellt und näher beziffert. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.1999 als unbegründet zurückgewiesen, da Anhaltspunkte für anderweitige Ansprüche auf Sozialleistungen nicht ersichtlich seien. Es ergingen der Folgebescheid vom 15.01.1999 sowie der weitere Widerspruchsbescheid vom 22.02.1999. Das SG hat der zum Aktenzeichen S 16 AL 1285/99 erhobenen Klage nach mehrjährigem Ruhen unter dem Aktenzeichen S 7 AL 4423/07 mit Urteil vom 25.10.2007 stattgeben, indem es den Bescheid vom 15.01.1999 sowie den weiteren Widerspruchsbescheid vom 22.02.1999 aufhob und weiter festgestellt hat, dass anlässlich der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nach § 128 AFG nicht bestehe. Das Urteil des SG ist der Beklagten am 17.12.2007 zugestellt worden. Die Beklagte hat am 15.01.2008 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt.
3. L 12 AL 500/08, SG-Aktenzeichen S 21 AL 186/07: Mit Bescheid vom 28.06.1995 stellte die Beklagte für An. 3 die Erstattungspflicht der Klägerin für geleistetes Arbeitslosengeld nebst Beiträgen zur Sozialversicherung für die Zeit vom 27.03.1995 bis zum 01.07.1995 fest, und zwar längstens für 624 Tage. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.07.1995 zurückgewiesen. Wegen fehlender längerer Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und Fehlens gesundheitlicher Einschränkungen sei es ausgeschlossen, dass ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung vorliege. Mit Folgebescheid vom 17.07.1995 wurde ein Erstattungsbetrag in Höhe von 19.781,45 DM für den streitigen Zeitraum geltend gemacht. Das SG hat der zu dem Aktenzeichen S 14 Ar 2980/95 erhobenen Klage nach mehr als zehnjährigem Ruhen des Verfahrens mit Urteil vom 19.11.2007 unter dem Aktenzeichen S 21 AL 186/07 stattgeben. Das SG hat die angegriffenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass anlässlich der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nach § 128 AFG nicht bestehe. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 04.01.2008 zugestellt. Die Beklagte hat am 30.01.2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt.
4. L 12 AL 690/08, SG-Aktenzeichen 7 AL 3390/07: Die Beklagte hat mit Bescheid vom 07.03.1996 die Erstattungspflicht der Klägerin für an An. 4 ab dem 27.03.1996 geleistetes Arbeitslosengeld/Arbeitslosenhilfe sowie die erbrachten Beiträge zur Sozialversicherung für die Dauer von längstens 624 Tagen festgestellt. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.1996 bestätigte die Beklagte diese Entscheidung, weil keine Anhaltspunkte für andere Sozialleistungsansprüche vorhanden seien. Es erging ein weiterer Abrechnungsbescheid unter dem 21.10.1996. Nach mehr als zehnjährigem Ruhen hat das SG der ursprünglich zu dem Aktenzeichen S 14 Ar 2319/96 erhobenen Klage unter dem neuen Aktenzeichen S 7 AL 3390/07 mit Urteil vom 30.01.2008 stattgegeben. Das SG hat die angegriffenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass anlässlich der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nach § 128 AFG nicht bestehe. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 05.02.2008 zugestellt. Die Beklagte hat am 12.02.2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt.
5. L 12 AL 974/08, SG-Aktenzeichen S 14 AL 4435/06: Mit Bescheid vom 13.08.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.11.1997 sowie Folgebescheid vom 26.02.1999 hat die Beklagte die Erstattungspflicht der Beklagten für das An. 5 geleistete Arbeitslosengeld sowie die Beiträge zur Sozialversicherung für die Dauer von längstens 624 Tagen festgestellt. Die zum Aktenzeichen S 14 Ar 5855/97 erhobene Klage ruhte bis zur Wiederanrufung durch die Klägerin. Unter dem neuen Aktenzeichen S 14 AL 4435/06 hat das SG der Klage mit Urteil vom 17.01.2008 stattgegeben. Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass anlässlich der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nach § 128 AFG nicht bestehe. Das Urteil wurde der Beklagten am 05.02.2008 zugestellt. Die Beklagte hat am 28.02.2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt.
6. L 12 AL 984/08, SG-Aktenzeichen S 14 AL 3399/07: Die Beklagte hat mit Bescheid vom 27.12.1995 für An. 6 die Erstattungspflicht der Klägerin hinsichtlich des geleisteten Arbeitslosengeldes und der Beiträge zur Sozialversicherung ab dem28.07.1995 den Grunde nach und mit Folgebescheid vom 12.03.1996 nach näherer Berechnung festgestellt. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.1996 zurückgewiesen. Es ergingen weitere Folgebescheide über die Erstattungspflicht für nachfolgende Zeiträume. Der zu dem Aktenzeichen S 14 Ar 1885/96 erhobenen Klage hat das SG nach mehr als zehnjährigem Ruhen des Rechtsstreits unter dem neuen Aktenzeichen S 14 AL 3399/07 mit Urteil vom 17.01.2008 stattgegeben. Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass anlässlich der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nach § 128 AFG nicht bestehe. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 07.02.2008 zugestellt. Die Beklagte hat am 28.02.2008 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt.
7. L 12 AL 1273/08, SG-Aktenzeichen S 19 AL 172/07: Die Beklagte hat mit Bescheid vom 17.07.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.1997 die Erstattungspflicht der Klägerin für An. 7 geleistetes Arbeitslosengeld und Beiträge zur Sozialversicherung für die Zeit vom 26.03.1994 bis zum 30.09.1994 festgestellt. Dem Bescheid folgte eine Abrechnungsentscheidung vom 18.07.1995 über eine Summe von 21.809,85 DM. Das SG hat der zum Aktenzeichen S 14 Ar 3114/97 erhobenen Klage nach mehrjährigem Ruhen unter dem Aktenzeichen S 19 AL 172/07 mit Urteil vom 21.02.2008 stattgegeben. Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass anlässlich der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nach § 128 AFG nicht bestehe. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 28.02.2008 zugestellt. Die Beklagte hat am 13.03.2008 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt.
II. Das SG hat seine Entscheidungen im wesentlichen damit begründet, dass die ergangenen Grundlagenbescheide bereits deswegen rechtswidrig seien, weil es hierfür an einer Ermächtigungsgrundlage fehle (mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 17.12.1997 - 11 RAr 103/96). Die konkreten Abrechnungs-, Folge und Ersetzungsbescheide seien rechtswidrig, weil wegen des Fehlens der Verwaltungsakten das Fehlen von Befreiungstatbeständen nach § 128 AFG auch bei einer weitestgehenden Rekonstruktion der Verwaltungsakten nicht mehr sicher nachweisbar sei (unter Berufung auf das rechtskräftige Urteil des erkennenden Senats vom 17.08.2007 - L 12 AL 681/07 -).
III. Die Beklagte ist der Auffassung, die Vernichtung bzw. der Verlust der Leistungsakten rechtfertige die Entscheidungen des SG nicht. Die Originalverwaltungsakte sei für die Geltendmachung einer Erstattungsforderung nach § 128 AFG nicht unentbehrlich, da sie nur eines von mehreren Beweismitteln im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung sei (mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 06.02.2003 - B 7 AL 12/02 R -). Bei Ausschöpfung aller noch vorhandenen Erkenntnisquellen habe durchaus die Möglichkeit bestanden, den Nachweis für die Erstattungsforderung anderweitig zu führen oder gegebenenfalls rechtmäßige Ersetzungsbescheide zu erlassen (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 21.09.2000 - B 11 AL 7/00 R -). Es sei Sache des Senats, den Sachverhalt insbesondere durch Anhörung des An. als Zeugen und die Befragung seiner Ärzte weitergehend aufzuklären. Hierzu macht die Beklagte weitere Vorschläge, welche Unterlagen das Landessozialgericht beiziehen könne und welche Stellen für weitere Auskünfte angeschrieben werden könnten.
IV. Die Beklagte beantragt, teils sinngemäß,
die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.10.2007, 19.11.2007, 17.01.2008, 30.01.2008 und 21.02.2008 aufzuheben und die Klagen abzuweisen, hilfsweise die Vertagung der Verhandlung und zwecks Beweissicherung die Aufforde-rung an die Klägerin, an die früheren Arbeitnehmer, an die Träger der Krankenversicherung, an die Träger der Rentenversicherung sowie an die zuständigen Finanzämter, sämtliche näher von der Beklagten benannten entscheidungsrelevanten Unterlagen über einen möglichen Erstattungsanspruch vorzulegen (gemäß der Auflistung in der Berufungsbegründung, zuletzt geändert mit Schriftsatz vom 27.05.2008) sowie die noch lebenden früheren Arbeitnehmer als Zeugen zu laden und zu vernehmen, äußerst hilfsweise die Zulassung der Revision.
Die Klägerin beantragt,
die Berufungen der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin hält die angefochtenen Entscheidungen für rechtmäßig.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaften und zulässigen Berufungen sind nicht begründet. Der Senat hat vorliegend mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden.
Soweit die Beklagte das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin bezweifelt, weil diese nicht die konkreten Erstattungsbescheide benannt habe, durch welche diese sich beschwert fühle, kann dem in keiner Weise gefolgt werden. Die Beklagte berühmt sich einer Erstattungspflicht der Klägerin, was diese rechtlich beschwert. Dass die Bescheide im Einzelnen nicht bekannt sind und nicht auszuschließen ist, dass weitere Bescheide existieren, ist in erster Linie ein Problem der Beklagten, die ihre Akten nicht sorgfältig geführt hat.
Rechtsgrundlage der Erstattungspflicht ist § 128 AFG in der bis zum 31.12.1995 bzw. der bis zum 31.12.1997 gültig gewesenen Fassung. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 128 AFG als solche bestehen nach gefestigter Rechtsprechung des BSG nicht, dies gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 99, 202) zur Erstattungspflicht bei einer Konkurrenzklausel (SozR 3-4100 § 128 Nr. 12; vgl. auch BSG, Urteil vom 13.07.2006 - B 7a AL 32/05 R -, SozR 4-4100 § 128 Nr. 5).
Der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 104 Abs. 2 AFG die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 720 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, erstattet der Bundesanstalt vierteljährlich das Alg für die Zeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 624 Tage (§ 128 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz AFG).
Ob diese positiven Erstattungsvoraussetzungen erfüllt sind, kann vorliegend bereits offen gelassen werden, weil sich wegen der Vernichtung der Verwaltungsakten durch die Beklagte nicht mehr hinreichend sicher klären lässt, ob die Befreiungstatbestände des § 128 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. AFG erfüllt sind. Die Erstattungspflicht tritt hiernach nicht ein, wenn das Arbeitsverhältnis vor Vollendung des 56. Lebensjahres des Arbeitslosen beendet worden ist oder der Arbeitslose die Voraussetzungen für eine der in § 118 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 AFG genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erfüllt. Außerdem kann auch nicht mehr überprüft werden, ob die festgesetzten Erstattungsbeträge zutreffend berechnet worden sind, insbesondere, ob eine zutreffende Leistungshöhe und das Vorliegen von Sperrzeiten oder Ruhenszeiträumen berücksichtigt worden sind.
Wegen des Fehlens der Verwaltungsakten lassen sich die Voraussetzungen der Erstattungspflicht nicht mehr vollständig überprüfen (vgl. das rechtskräftige Urteil des erkennenden Senats vom 17.08.2007 - L 12 AL 681/07 -; hierzu BSG, Beschluss vom 31.03.2008 - B 11a AL 152/07 B -). Zwar ließen sich die Verwaltungsakten gegebenenfalls rekonstruieren, doch ließe sich hierdurch nicht die erforderliche Gewissheit erlangen, dass eine vollständige Rekonstruierung der Verwaltungsakten gelungen ist. Dieser prinzipielle Zweifel würde auch in dem Fall fortbestehen, dass für eine Wiederherstellung der Verwaltungsakten auf die Hilfe der An. 1 bis 7 und aller bisher involvierten weiteren Personen, Institutionen und Behörden zurückgegriffen werden könnte.
Das Landessozialgericht ist als Tatsacheninstanz nach § 103 SGG gehalten, dem von der Klägerin von Anfang an erhobenen Vorwurf nachzugehen, die Beklagte sei Hinweisen auf mögliche andere Sozialleistungsansprüche der An. 1 bis 7 nicht hinreichend nachgegangen. § 119 SGG geht von einer prinzipiellen Vorlagepflicht der Behörden hinsichtlich ihrer Verwaltungsakten aus; durch die Vorlagepflicht wird den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung getragen (Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 119 Rdnr. 1, m.w.N.). Mit der Vorlagepflicht der Behörde korrespondiert das Recht der Beteiligten aus § 120 SGG, Einsicht in die Verwaltungsakten zu nehmen, welches ebenfalls das Gebot effizienten Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisten soll und eine wesentliche Grundlage für die Wahrnehmung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG darstellt. Die genannten verfassungsmäßigen Rechte der Klägerin verbieten es, vorliegend eine der Beklagten günstige Entscheidung zu treffen und mithin die belastenden Verwaltungsakte der Beklagten zu bestätigen, obwohl die Beklagte die Verwaltungsakten vernichtet hat.
Zur Überprüfung der Vorwürfe der Klägerin bzw. der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide wäre es erforderlich, dass sowohl das Gericht als auch die Klägerin die vollständigen Original-Verwaltungsakten auf mögliche Hinweise auf alternative Sozialleistungsansprüche überprüfen können. Eine wie auch immer rekonstruierte Verwaltungsakte ist hierfür nicht ausreichend, weil der gegebenenfalls entscheidende, bisher übersehene Hinweis sich auf einer einzelnen, nicht mehr vorhandenen bzw. wiederhergestellten Aktenseite befinden kann. Aus diesen Gründen ist der Senat den Beweisanträgen und dem hiermit verbundenen Vertagungsantrag in den Schriftsätzen der Beklagten zur Berufungsbegründung und in dem letzten Schriftsatz vom 27.05.2008 nicht nachgekommen.
Es kann daher offen gelassen werden, ob die Beklagte gegebenenfalls zur Wiederherstellung ihrer Akten verpflichtet und die Klägerin hierbei zur Mitwirkung verpflichtet ist, weil es hierauf für die Entscheidung über die Berufung der Klägerin nicht ankommt. Die Klägerin ist für die Durchsetzung ihrer Rechte ebenso wie die Gerichte darauf angewiesen, Einblick in die Original-Verwaltungsakten zu erhalten. In diesem Zusammenhang würde es umgekehrt treuwidrig erscheinen, wenn sich die Beklagte aufgrund der von ihr durchgeführten Vernichtung bzw. dem aus ihrer Verantwortungssphäre rührenden Verlust der Verwaltungsakten auf eine Verbesserung ihrer prozessualen Situation in den vorliegenden Berufungsverfahren berufen könnte (vgl. auch den allgemeinen Rechtsgrundsatz in § 162 BGB).
Da auch nicht überprüft werden kann, ob derzeit nicht mehr bekannte weitere Erstattungsbescheide ergangen sind, ist der Tenor der vorliegenden Entscheidungen des SG zutreffend zur Klarstellung um die Feststellung ergänzt worden, dass anlässlich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses der An. 1 bis 7 bei der Klägerin ein Erstattungsanspruch der Beklagten nach § 128 AFG nicht besteht.
Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des BSG vom 06.02.2003 (B 7 AL 12/02 R) stützt die Auffassung des Senats. Das BSG hat in diesem Urteil entschieden, dass im Rahmen eines Erstattungsstreits nach § 128 AFG das Fehlen von Arbeitsunfähigkeit bzw. das Fehlen einer anderweitigen Sozialleistungsberechtigung des Arbeitslosen zur vollen Überzeugung des Gerichts - d. h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit - feststehen muss, um eine Erstattungspflicht bejahen zu können. Eine Tatsache ist danach erst dann bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (mit Hinweis auf BSG vom 22.9.1977 - 10 RV 15/77 = BSGE 45, 1).
Aus dieser Entscheidung ist nicht nur im Sinne des Vortrags der Beklagten zu entnehmen, dass alle Gesamtumstände des Falles zu berücksichtigen sind. Die Entscheidung besagt im Ergebnis auch, dass das Fehlen bzw. die Unaufklärbarkeit einer bestimmten Tatsache (hier: Fehlen von ärztlichen Hinweisen auf anderweitige Ansprüche auf Sozialleistungen in der Verwaltungsakte) eine so schwere Lücke in die Sachverhaltsaufklärung reißen kann, dass die Überzeugungsbildung über das Vorliegen eines Erstattungsanspruchs nicht mehr möglich erscheint.
Der Beklagten mag es auch durchaus möglich sein, entsprechend dem von ihr weiter zitierten Urteil des BSG vom 21.09.2000 (B 11 AL 7/00 R) rechtmäßige Ersetzungsbescheide zu erlassen. Die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit solcher Bescheide wären allerdings nicht geringer.
Die Sache war auch entscheidungsreif in dem Sinne, dass der Beklagten keine weitere Zeit für eine in eigener Regie durchgeführte Aktenrekonstruktion einzuräumen war. Der Beklagten ist die Rechtssauffassung des Senats aus dem rechtskräftigen Urteil vom 17.08.2007 - L 12 AL 681/07 - bereits seit längerer Zeit bekannt. Eine Überraschungsentscheidung liegt daher nicht vor. Die Beklagte hatte nach der Kenntnis von dem Verlust bzw. der Vernichtung der Verwaltungsakten, welche sie als erste Beteiligte erhielt, ausreichend Zeit, die von ihr für erforderlich gehaltenen umfangreichen Ermittlungen für den Versuch einer Rekonstruktion der Verwaltungsakten durchzuführen.
Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 193 SGG. § 197a SGG findet vorliegend noch keine Anwendung (Art. 17 Abs. 1 Satz 2 6. SGG-Änderungsgesetz).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
2. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in den Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Arbeitslosengeld und Beiträgen zur Sozialversicherung für frühere Arbeitnehmer der Klägerin (nachfolgend: An. 1 bis An. 7) nach § 128 AFG im Streit. I. Alle Sachverhalte haben gemeinsam, dass die Beklagte die Erstattungspflicht der Klägerin mit Bescheiden festgestellt hat und nunmehr - nach mehrjährigem Ruhen der erstinstanzlichen Klageverfahren wegen Musterverfahren zu § 128 AFG - die Verwaltungsakten nicht mehr vorlegen kann, weil diese vernichtet oder unauffindbar sind. Nach Stattgabe der Klagen durch das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat die Beklagte Berufungen beim Landessozialgericht eingelegt, welche mit Beschluss vom 26.03.2008 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem vorliegenden Aktenzeichen L 12 AL 188/08 verbunden worden sind.
Es handelt sich im Einzelnen um folgende Sachverhalte und Rechtsstreitigkeiten:
1. L 12 AL 188/08, SG-Aktenzeichen S 21 AL 182/07: Mit Bescheid vom 04.05.1995 hat die Beklagte die Erstattungspflicht für An. 1 für die Zeit vom 02.01.1995 bis zum 31.12.1995 und für längstens 624 Tage festgestellt. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.1995 zurückgewiesen. An. 1 habe keine gesundheitlichen Einschränkungen gehabt und sei während des Arbeitsverhältnisses auch nicht längere Zeit arbeitsunfähig gewesen; es sei daher ausgeschlossen, dass ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung vorliege. Mit Folgebescheiden vom 07.08.1995 und vom 12.08.1996 forderte die Beklagte näher berechnete Erstattungsbeträge. Es ergingen weitere Folgebescheide sowie ein Ersetzungsbescheid vom 16.12.1998. Das SG hat der zu dem Aktenzeichen S 14 Ar 2951/95 erhobenen Klage nach einem mehr als zehnjährigen Ruhen unter dem Aktenzeichen S 21 AL 182/07 mit Urteil vom 19.11.2007 stattgegeben. Das SG hat den Bescheid vom 04.05.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.1995 aufgehoben und den Ersetzungsbescheid vom 16.12.1998 dahingehend abgeändert, als hierin eine Erstattungspflicht festgestellt worden ist. Außerdem hat das SG festgestellt, dass anlässlich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nicht bestehe und etwaige anderslautende Bescheide aufgrund des Ersetzungsbescheides wirkungslos seien. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 04.01.2008 zugestellt. Die Beklagte hat am 11.01.2008 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt.
2. L 12 AL 245/08, SG-Aktenzeichen S 7 AL 4423/07: Mit Bescheid vom 15.01.1999 stellte die Beklagte die Erstattungspflicht für An. 2 für die Zeit vom 23.09.1997 bis zum 31.08.1998 festgestellt und näher beziffert. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.1999 als unbegründet zurückgewiesen, da Anhaltspunkte für anderweitige Ansprüche auf Sozialleistungen nicht ersichtlich seien. Es ergingen der Folgebescheid vom 15.01.1999 sowie der weitere Widerspruchsbescheid vom 22.02.1999. Das SG hat der zum Aktenzeichen S 16 AL 1285/99 erhobenen Klage nach mehrjährigem Ruhen unter dem Aktenzeichen S 7 AL 4423/07 mit Urteil vom 25.10.2007 stattgeben, indem es den Bescheid vom 15.01.1999 sowie den weiteren Widerspruchsbescheid vom 22.02.1999 aufhob und weiter festgestellt hat, dass anlässlich der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nach § 128 AFG nicht bestehe. Das Urteil des SG ist der Beklagten am 17.12.2007 zugestellt worden. Die Beklagte hat am 15.01.2008 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt.
3. L 12 AL 500/08, SG-Aktenzeichen S 21 AL 186/07: Mit Bescheid vom 28.06.1995 stellte die Beklagte für An. 3 die Erstattungspflicht der Klägerin für geleistetes Arbeitslosengeld nebst Beiträgen zur Sozialversicherung für die Zeit vom 27.03.1995 bis zum 01.07.1995 fest, und zwar längstens für 624 Tage. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.07.1995 zurückgewiesen. Wegen fehlender längerer Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und Fehlens gesundheitlicher Einschränkungen sei es ausgeschlossen, dass ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung vorliege. Mit Folgebescheid vom 17.07.1995 wurde ein Erstattungsbetrag in Höhe von 19.781,45 DM für den streitigen Zeitraum geltend gemacht. Das SG hat der zu dem Aktenzeichen S 14 Ar 2980/95 erhobenen Klage nach mehr als zehnjährigem Ruhen des Verfahrens mit Urteil vom 19.11.2007 unter dem Aktenzeichen S 21 AL 186/07 stattgeben. Das SG hat die angegriffenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass anlässlich der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nach § 128 AFG nicht bestehe. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 04.01.2008 zugestellt. Die Beklagte hat am 30.01.2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt.
4. L 12 AL 690/08, SG-Aktenzeichen 7 AL 3390/07: Die Beklagte hat mit Bescheid vom 07.03.1996 die Erstattungspflicht der Klägerin für an An. 4 ab dem 27.03.1996 geleistetes Arbeitslosengeld/Arbeitslosenhilfe sowie die erbrachten Beiträge zur Sozialversicherung für die Dauer von längstens 624 Tagen festgestellt. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.1996 bestätigte die Beklagte diese Entscheidung, weil keine Anhaltspunkte für andere Sozialleistungsansprüche vorhanden seien. Es erging ein weiterer Abrechnungsbescheid unter dem 21.10.1996. Nach mehr als zehnjährigem Ruhen hat das SG der ursprünglich zu dem Aktenzeichen S 14 Ar 2319/96 erhobenen Klage unter dem neuen Aktenzeichen S 7 AL 3390/07 mit Urteil vom 30.01.2008 stattgegeben. Das SG hat die angegriffenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass anlässlich der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nach § 128 AFG nicht bestehe. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 05.02.2008 zugestellt. Die Beklagte hat am 12.02.2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt.
5. L 12 AL 974/08, SG-Aktenzeichen S 14 AL 4435/06: Mit Bescheid vom 13.08.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.11.1997 sowie Folgebescheid vom 26.02.1999 hat die Beklagte die Erstattungspflicht der Beklagten für das An. 5 geleistete Arbeitslosengeld sowie die Beiträge zur Sozialversicherung für die Dauer von längstens 624 Tagen festgestellt. Die zum Aktenzeichen S 14 Ar 5855/97 erhobene Klage ruhte bis zur Wiederanrufung durch die Klägerin. Unter dem neuen Aktenzeichen S 14 AL 4435/06 hat das SG der Klage mit Urteil vom 17.01.2008 stattgegeben. Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass anlässlich der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nach § 128 AFG nicht bestehe. Das Urteil wurde der Beklagten am 05.02.2008 zugestellt. Die Beklagte hat am 28.02.2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt.
6. L 12 AL 984/08, SG-Aktenzeichen S 14 AL 3399/07: Die Beklagte hat mit Bescheid vom 27.12.1995 für An. 6 die Erstattungspflicht der Klägerin hinsichtlich des geleisteten Arbeitslosengeldes und der Beiträge zur Sozialversicherung ab dem28.07.1995 den Grunde nach und mit Folgebescheid vom 12.03.1996 nach näherer Berechnung festgestellt. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.1996 zurückgewiesen. Es ergingen weitere Folgebescheide über die Erstattungspflicht für nachfolgende Zeiträume. Der zu dem Aktenzeichen S 14 Ar 1885/96 erhobenen Klage hat das SG nach mehr als zehnjährigem Ruhen des Rechtsstreits unter dem neuen Aktenzeichen S 14 AL 3399/07 mit Urteil vom 17.01.2008 stattgegeben. Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass anlässlich der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nach § 128 AFG nicht bestehe. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 07.02.2008 zugestellt. Die Beklagte hat am 28.02.2008 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt.
7. L 12 AL 1273/08, SG-Aktenzeichen S 19 AL 172/07: Die Beklagte hat mit Bescheid vom 17.07.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.1997 die Erstattungspflicht der Klägerin für An. 7 geleistetes Arbeitslosengeld und Beiträge zur Sozialversicherung für die Zeit vom 26.03.1994 bis zum 30.09.1994 festgestellt. Dem Bescheid folgte eine Abrechnungsentscheidung vom 18.07.1995 über eine Summe von 21.809,85 DM. Das SG hat der zum Aktenzeichen S 14 Ar 3114/97 erhobenen Klage nach mehrjährigem Ruhen unter dem Aktenzeichen S 19 AL 172/07 mit Urteil vom 21.02.2008 stattgegeben. Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass anlässlich der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Erstattungspflicht nach § 128 AFG nicht bestehe. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 28.02.2008 zugestellt. Die Beklagte hat am 13.03.2008 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt.
II. Das SG hat seine Entscheidungen im wesentlichen damit begründet, dass die ergangenen Grundlagenbescheide bereits deswegen rechtswidrig seien, weil es hierfür an einer Ermächtigungsgrundlage fehle (mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 17.12.1997 - 11 RAr 103/96). Die konkreten Abrechnungs-, Folge und Ersetzungsbescheide seien rechtswidrig, weil wegen des Fehlens der Verwaltungsakten das Fehlen von Befreiungstatbeständen nach § 128 AFG auch bei einer weitestgehenden Rekonstruktion der Verwaltungsakten nicht mehr sicher nachweisbar sei (unter Berufung auf das rechtskräftige Urteil des erkennenden Senats vom 17.08.2007 - L 12 AL 681/07 -).
III. Die Beklagte ist der Auffassung, die Vernichtung bzw. der Verlust der Leistungsakten rechtfertige die Entscheidungen des SG nicht. Die Originalverwaltungsakte sei für die Geltendmachung einer Erstattungsforderung nach § 128 AFG nicht unentbehrlich, da sie nur eines von mehreren Beweismitteln im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung sei (mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 06.02.2003 - B 7 AL 12/02 R -). Bei Ausschöpfung aller noch vorhandenen Erkenntnisquellen habe durchaus die Möglichkeit bestanden, den Nachweis für die Erstattungsforderung anderweitig zu führen oder gegebenenfalls rechtmäßige Ersetzungsbescheide zu erlassen (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 21.09.2000 - B 11 AL 7/00 R -). Es sei Sache des Senats, den Sachverhalt insbesondere durch Anhörung des An. als Zeugen und die Befragung seiner Ärzte weitergehend aufzuklären. Hierzu macht die Beklagte weitere Vorschläge, welche Unterlagen das Landessozialgericht beiziehen könne und welche Stellen für weitere Auskünfte angeschrieben werden könnten.
IV. Die Beklagte beantragt, teils sinngemäß,
die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.10.2007, 19.11.2007, 17.01.2008, 30.01.2008 und 21.02.2008 aufzuheben und die Klagen abzuweisen, hilfsweise die Vertagung der Verhandlung und zwecks Beweissicherung die Aufforde-rung an die Klägerin, an die früheren Arbeitnehmer, an die Träger der Krankenversicherung, an die Träger der Rentenversicherung sowie an die zuständigen Finanzämter, sämtliche näher von der Beklagten benannten entscheidungsrelevanten Unterlagen über einen möglichen Erstattungsanspruch vorzulegen (gemäß der Auflistung in der Berufungsbegründung, zuletzt geändert mit Schriftsatz vom 27.05.2008) sowie die noch lebenden früheren Arbeitnehmer als Zeugen zu laden und zu vernehmen, äußerst hilfsweise die Zulassung der Revision.
Die Klägerin beantragt,
die Berufungen der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin hält die angefochtenen Entscheidungen für rechtmäßig.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaften und zulässigen Berufungen sind nicht begründet. Der Senat hat vorliegend mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden.
Soweit die Beklagte das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin bezweifelt, weil diese nicht die konkreten Erstattungsbescheide benannt habe, durch welche diese sich beschwert fühle, kann dem in keiner Weise gefolgt werden. Die Beklagte berühmt sich einer Erstattungspflicht der Klägerin, was diese rechtlich beschwert. Dass die Bescheide im Einzelnen nicht bekannt sind und nicht auszuschließen ist, dass weitere Bescheide existieren, ist in erster Linie ein Problem der Beklagten, die ihre Akten nicht sorgfältig geführt hat.
Rechtsgrundlage der Erstattungspflicht ist § 128 AFG in der bis zum 31.12.1995 bzw. der bis zum 31.12.1997 gültig gewesenen Fassung. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 128 AFG als solche bestehen nach gefestigter Rechtsprechung des BSG nicht, dies gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 99, 202) zur Erstattungspflicht bei einer Konkurrenzklausel (SozR 3-4100 § 128 Nr. 12; vgl. auch BSG, Urteil vom 13.07.2006 - B 7a AL 32/05 R -, SozR 4-4100 § 128 Nr. 5).
Der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 104 Abs. 2 AFG die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 720 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, erstattet der Bundesanstalt vierteljährlich das Alg für die Zeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 624 Tage (§ 128 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz AFG).
Ob diese positiven Erstattungsvoraussetzungen erfüllt sind, kann vorliegend bereits offen gelassen werden, weil sich wegen der Vernichtung der Verwaltungsakten durch die Beklagte nicht mehr hinreichend sicher klären lässt, ob die Befreiungstatbestände des § 128 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. AFG erfüllt sind. Die Erstattungspflicht tritt hiernach nicht ein, wenn das Arbeitsverhältnis vor Vollendung des 56. Lebensjahres des Arbeitslosen beendet worden ist oder der Arbeitslose die Voraussetzungen für eine der in § 118 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 AFG genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erfüllt. Außerdem kann auch nicht mehr überprüft werden, ob die festgesetzten Erstattungsbeträge zutreffend berechnet worden sind, insbesondere, ob eine zutreffende Leistungshöhe und das Vorliegen von Sperrzeiten oder Ruhenszeiträumen berücksichtigt worden sind.
Wegen des Fehlens der Verwaltungsakten lassen sich die Voraussetzungen der Erstattungspflicht nicht mehr vollständig überprüfen (vgl. das rechtskräftige Urteil des erkennenden Senats vom 17.08.2007 - L 12 AL 681/07 -; hierzu BSG, Beschluss vom 31.03.2008 - B 11a AL 152/07 B -). Zwar ließen sich die Verwaltungsakten gegebenenfalls rekonstruieren, doch ließe sich hierdurch nicht die erforderliche Gewissheit erlangen, dass eine vollständige Rekonstruierung der Verwaltungsakten gelungen ist. Dieser prinzipielle Zweifel würde auch in dem Fall fortbestehen, dass für eine Wiederherstellung der Verwaltungsakten auf die Hilfe der An. 1 bis 7 und aller bisher involvierten weiteren Personen, Institutionen und Behörden zurückgegriffen werden könnte.
Das Landessozialgericht ist als Tatsacheninstanz nach § 103 SGG gehalten, dem von der Klägerin von Anfang an erhobenen Vorwurf nachzugehen, die Beklagte sei Hinweisen auf mögliche andere Sozialleistungsansprüche der An. 1 bis 7 nicht hinreichend nachgegangen. § 119 SGG geht von einer prinzipiellen Vorlagepflicht der Behörden hinsichtlich ihrer Verwaltungsakten aus; durch die Vorlagepflicht wird den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung getragen (Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 119 Rdnr. 1, m.w.N.). Mit der Vorlagepflicht der Behörde korrespondiert das Recht der Beteiligten aus § 120 SGG, Einsicht in die Verwaltungsakten zu nehmen, welches ebenfalls das Gebot effizienten Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisten soll und eine wesentliche Grundlage für die Wahrnehmung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG darstellt. Die genannten verfassungsmäßigen Rechte der Klägerin verbieten es, vorliegend eine der Beklagten günstige Entscheidung zu treffen und mithin die belastenden Verwaltungsakte der Beklagten zu bestätigen, obwohl die Beklagte die Verwaltungsakten vernichtet hat.
Zur Überprüfung der Vorwürfe der Klägerin bzw. der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide wäre es erforderlich, dass sowohl das Gericht als auch die Klägerin die vollständigen Original-Verwaltungsakten auf mögliche Hinweise auf alternative Sozialleistungsansprüche überprüfen können. Eine wie auch immer rekonstruierte Verwaltungsakte ist hierfür nicht ausreichend, weil der gegebenenfalls entscheidende, bisher übersehene Hinweis sich auf einer einzelnen, nicht mehr vorhandenen bzw. wiederhergestellten Aktenseite befinden kann. Aus diesen Gründen ist der Senat den Beweisanträgen und dem hiermit verbundenen Vertagungsantrag in den Schriftsätzen der Beklagten zur Berufungsbegründung und in dem letzten Schriftsatz vom 27.05.2008 nicht nachgekommen.
Es kann daher offen gelassen werden, ob die Beklagte gegebenenfalls zur Wiederherstellung ihrer Akten verpflichtet und die Klägerin hierbei zur Mitwirkung verpflichtet ist, weil es hierauf für die Entscheidung über die Berufung der Klägerin nicht ankommt. Die Klägerin ist für die Durchsetzung ihrer Rechte ebenso wie die Gerichte darauf angewiesen, Einblick in die Original-Verwaltungsakten zu erhalten. In diesem Zusammenhang würde es umgekehrt treuwidrig erscheinen, wenn sich die Beklagte aufgrund der von ihr durchgeführten Vernichtung bzw. dem aus ihrer Verantwortungssphäre rührenden Verlust der Verwaltungsakten auf eine Verbesserung ihrer prozessualen Situation in den vorliegenden Berufungsverfahren berufen könnte (vgl. auch den allgemeinen Rechtsgrundsatz in § 162 BGB).
Da auch nicht überprüft werden kann, ob derzeit nicht mehr bekannte weitere Erstattungsbescheide ergangen sind, ist der Tenor der vorliegenden Entscheidungen des SG zutreffend zur Klarstellung um die Feststellung ergänzt worden, dass anlässlich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses der An. 1 bis 7 bei der Klägerin ein Erstattungsanspruch der Beklagten nach § 128 AFG nicht besteht.
Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des BSG vom 06.02.2003 (B 7 AL 12/02 R) stützt die Auffassung des Senats. Das BSG hat in diesem Urteil entschieden, dass im Rahmen eines Erstattungsstreits nach § 128 AFG das Fehlen von Arbeitsunfähigkeit bzw. das Fehlen einer anderweitigen Sozialleistungsberechtigung des Arbeitslosen zur vollen Überzeugung des Gerichts - d. h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit - feststehen muss, um eine Erstattungspflicht bejahen zu können. Eine Tatsache ist danach erst dann bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (mit Hinweis auf BSG vom 22.9.1977 - 10 RV 15/77 = BSGE 45, 1).
Aus dieser Entscheidung ist nicht nur im Sinne des Vortrags der Beklagten zu entnehmen, dass alle Gesamtumstände des Falles zu berücksichtigen sind. Die Entscheidung besagt im Ergebnis auch, dass das Fehlen bzw. die Unaufklärbarkeit einer bestimmten Tatsache (hier: Fehlen von ärztlichen Hinweisen auf anderweitige Ansprüche auf Sozialleistungen in der Verwaltungsakte) eine so schwere Lücke in die Sachverhaltsaufklärung reißen kann, dass die Überzeugungsbildung über das Vorliegen eines Erstattungsanspruchs nicht mehr möglich erscheint.
Der Beklagten mag es auch durchaus möglich sein, entsprechend dem von ihr weiter zitierten Urteil des BSG vom 21.09.2000 (B 11 AL 7/00 R) rechtmäßige Ersetzungsbescheide zu erlassen. Die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit solcher Bescheide wären allerdings nicht geringer.
Die Sache war auch entscheidungsreif in dem Sinne, dass der Beklagten keine weitere Zeit für eine in eigener Regie durchgeführte Aktenrekonstruktion einzuräumen war. Der Beklagten ist die Rechtssauffassung des Senats aus dem rechtskräftigen Urteil vom 17.08.2007 - L 12 AL 681/07 - bereits seit längerer Zeit bekannt. Eine Überraschungsentscheidung liegt daher nicht vor. Die Beklagte hatte nach der Kenntnis von dem Verlust bzw. der Vernichtung der Verwaltungsakten, welche sie als erste Beteiligte erhielt, ausreichend Zeit, die von ihr für erforderlich gehaltenen umfangreichen Ermittlungen für den Versuch einer Rekonstruktion der Verwaltungsakten durchzuführen.
Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 193 SGG. § 197a SGG findet vorliegend noch keine Anwendung (Art. 17 Abs. 1 Satz 2 6. SGG-Änderungsgesetz).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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