L 1 U 871/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 U 2141/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 871/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. Januar 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht ein Anspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten durch die Beklagte für die am rechten Knie erfolgten Heilbehandlungsmaßnahmen.

Der 1940 geborene Kläger hatte sich am 29. August 2002 beim Abladen von Rundeisen eine Prellmarke und Quetschung am rechten Unterschenkel zugezogen; vom Durchgangsarzt waren am 31. August 2002 eine ausgedehnte Hämatomschwellung im Innenknöchelbereich und distalen Drittel des Unterschenkels, eine Prellmarke und Hautblasen an der Unterinnenschenkelseite 10 cm über dem Innenknöchel ohne Knochenverletzung und ohne Befund am oberen Sprunggelenk und Knie bei leichten Schmerzen am Innenband des rechten Knies festgestellt worden (Durchgangsarztbericht Dr. S./Dr. S. vom 2. September 2002; Unfallanzeige vom 9. September 2002; Befundbericht Dr. S. vom 25. September 2002). Die Beklagte erbrachte ab 31. August bis 25. September 2002 Verletztengeld.

Am 4. Dezember 2002 ging der Bericht des S.-Krankenhauses W. GmbH vom 30. November 2002 bei der Beklagten ein, wonach beim Kläger im Rahmen eines arthroskopischen Eingriffs eine Teilresektion des medialen Meniskus erfolgt sei bei fortgeschrittener degenerativer medialer Meniskusruptur rechtes Knie, Chondromalazie II. Grades, mediale Femur und Ausschluss einer posttraumatischen Patellaläsion. Die Beklagte teilte den behandelnden Ärzten daraufhin mit, dass wegen der Kniebeschwerden keine Behandlung mehr zu ihren Lasten erfolgen solle.

Mit Bescheid vom 28. Januar 2003 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls ab, da die im Rahmen der Arthroskopie festgestellten Schäden nicht auf den angeschuldigten Unfall zurückzuführen seien. Die Behandlung sei vielmehr aufgrund von unfallunabhängigen Erkrankungen durchgeführt worden, die Prellung und Quetschung des linken Unterschenkels sei zu diesem Zeitpunkt schon folgenlos ausgeheilt gewesen und habe keine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit hinterlassen.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2003 zurückgewiesen wurde.

Dagegen hatte der Kläger am 2. Juni 2003 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben (Az.: S 14 U 1908/03), die mit Beschluss vom 8. August 2003 zum Verfahren S 14 U 4317/02 (Unfall vom 13. Februar 1988) verbunden wurde. Mit Urteil vom 22. März 2006 hat das SG die Klagen abgewiesen und in den Entscheidungsgründen u.a. ausgeführt, es spräche mehr gegen als für einen Zusammenhang der bestehenden Knieschäden mit dem angeschuldigten Unfallereignis. Insbesondere seien Knieschädigungen im zeitlichen Zusammenhang zum Unfall nicht dokumentiert, auch der Unfallhergang und der Krankheitsverlauf sprächen nicht für einen Zusammenhang. Insbesondere seien schon 9 Jahre vor dem Unfall Beschwerden im rechten Knie dokumentiert, darüber hinaus sei der Befund im linken Knie vergleichbar degenerativ ausgeprägt wie rechts. In dem gegen diese Entscheidung durchgeführten Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (Az.: L 1 U 2927/06) hat der erkennende Senat durch Beschluss vom 14. Februar 2007 u.a. die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. März 2006 zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 30. März 2007 als unzulässig verworfen.

Unter dem 26. Mai 2006 übersandte Dr. R., St. V.-K. K., einen Arztbrief nach ambulanter Vorstellung des Klägers, in dem u.a. auch über medial betonte Knieschmerzen rechts bei der Verdacht auf Re-Ruptur des Meniskus berichtet wurde und als Therapievorschlag ein Kernspintomogramm des Knies unterbreitet wurde. Mit Schreiben vom 9. Juni 2006 teilte die Beklagte Dr. R. mit, dass es sich bei den Kniebeschwerden nicht um Folgen des Unfalls vom 29. August 2002 handle und eine Behandlung nicht zu Lasten der Beklagten durchgeführt werden solle. Hiergegen legte der Kläger unter dem 24. August 2006 "Widerspruch" ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2007 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Kniebeschwerden rührten nicht vom angeschuldigten Unfall her.

Dagegen hat der Kläger am 26. April 2007 Klage zum SG erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt (Arzt für Orthopädie Dr. B., Auskunft vom 4. September 2007; Arzt für Orthopädie Dr. B., Auskunft vom 13. September 2007; Dr. T., Auskunft vom 19. September 2007; Dr. R./Dr. K., Auskunft vom 12. Oktober 2007).

Mit Urteil vom 9. Januar 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, für das Gericht sei nicht nachgewiesen, dass sich am 29. August 2002 ein Trauma am rechten Knie ereignet habe. Aber selbst unterstellt, der Kläger sei - wie von ihm geschildert - bei dem fraglichen Ereignis direkt auf das Knie gefallen, sei ein Anpralltrauma des rechten Knies medizinisch nicht nachgewiesen.

Gegen das am 24. Januar 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. Februar 2008 Berufung eingelegt.

Er beantragt, sinngemäß gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. Januar 2008 sowie den Bescheid vom 9. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Heilbehandlungskosten für die rechtsseitigen Kniebeschwerden zu tragen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Der Senat hat den Beteiligten mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten hatten, sich hierzu zu äußern und die Entscheidung einstimmig ergeht.

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist das Schreiben vom 9. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2007. Der Widerspruchsbescheid hat der schlichten Willenserklärung, die das Schreiben vom 9. Juni 2006 enthielt und jedenfalls kein an den Kläger gerichteter Verwaltungsakt war, seine Gestalt als Verwaltungsakt gegeben (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 85 Rz. 7a mwN). Das Schreiben vom 9. Juni 2006 konnte deshalb mit dem Widerspruchsbescheid Gegenstand der erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sein.

Versicherte haben nach Maßgabe der §§ 26 ff Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) und unter Beachtung des Neunten Buches Anspruch auf Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, auf ergänzende Leistungen, auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit sowie auf Geldleistungen (§ 26 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Der Unfallversicherungsträger hat gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern.

Voraussetzung für die Übernahme der Kosten der Heilbehandlung für die Beschwerden des Klägers im rechten Knie ist danach, dass im rechten Knie durch einen Versicherungsfall verursachte Gesundheitsschäden vorliegen. Insoweit gilt auch für die Übernahme der Kosten der Heilbehandlung die Lehre von der rechtlich wesentlichen Ursache (vgl. Kasseler Kommentar/Ricke vor § 26 SGB VII Rz. 2). Danach sind als Folge eines Unfalls Gesundheitsstörungen nur zu berücksichtigen und deshalb Kosten der Heilbehandlung zu tragen, wenn das Unfallereignis wie auch das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der hierbei eingetretenen Schädigung und der Gesundheitsstörung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, welcher nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit ausreicht (BSGE 58, 80, 82; 61, 127, 129; BSG, Urt. v. 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R - m.w.N.). Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286). Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSGE 63, 277, 278). Daran fehlt es, wenn die Krankheitsanlage so leicht ansprechbar gewesen ist, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte (vgl. BSGE 62, 220, 222; BSG, Urt. v. 2. Mai 2001 - B 2 U 18/00 R -, in: HVBG-Info 2001, 1713). Lässt sich ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. BSGE 6, 70, 72; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11 S. 33).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der im Arztbrief des Dr. R./Dr. K. aufgeführte Verdacht auf eine Re-Ruptur des Meniskus im rechten Knies rechtlich wesentlich durch das angeschuldigte Unfallereignis verursacht worden ist.

Der Kläger hat am 29. August 2002 zwar einen Arbeitsunfall erlitten. Durch Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. März 2006 sowie den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Februar 2007 ist jedoch rechtskräftig festgestellt, dass im Bereich des rechten Knies keine Gesundheitsschäden vorliegen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das angeschuldigte Geschehen zurückgeführt werden können. Auf den Inhalt der Entscheidungsgründe der genannten Entscheidungen wird insoweit verwiesen. Schon deshalb können wegen Beschwerden im rechten Knie, die der Kläger erneut auf den angeschuldigten Arbeitsunfall vom 29. August 2002 zurückführt, keine Heilbehandlungskosten gegenüber der Beklagten geltend gemacht werden.

Darüber hinaus ist im Arztbrief des Dr. R./Dr. K. über medial betonte Knieschmerzen rechts bei Verdacht auf Re-Ruptur des Meniskus berichtet worden. Selbst wenn der ursprüngliche Meniskusschaden auf den angeschuldigten Arbeitsunfall zurückgeführt werden könnte, hat der Kläger weder nachgewiesen noch behauptet, dass (auch) die vermutete Re-Ruptur durch eine berufliche Betätigung wesentlich verursacht worden wäre und nicht nur gelegentlich einer beruflichen Betätigung oder völlig unabhängig von einer beruflichen Betätigung aufgetreten wäre.

Anlass zu weiteren Sachaufklärungen von Amts wegen bestand nicht, ebenfalls bestand kein Anlass, auf das Schreiben des Klägers vom 24. Mai 2008 mit einer Entscheidung zuzuwarten. Der Kläger hat darin - erneut - um Verlängerung der Stellungnahmefrist gebeten, ohne sich jedoch zu den Gründen zu äußern, was angesichts der gerichtlichen Verfügung vom 7. Mai 2008 zu erwarten gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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