L 6 SB 3549/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 SB 4198/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3549/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen ist.

Der am 4. Oktober 1948 geborene Kläger beantragte am 22. Februar 2005 beim Landratsamt Z. (LRA) die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft unter Berücksichtigung der Gesundheitsstörungen Diabetes mellitus, Lumbago, Hypertonie und Hyperlipidämie. Das LRA holte bei der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. K. den Befundbericht vom 3. März 2005 ein, dem sie verschiedene Arztbriefe beifügte. In ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 1. April 2005 bewertete die Ärztin K. die Funktionsbeeinträchtigungen beim Kläger mit einem GdB von 30 und legte dabei Einzel-GdB-Werte wie folgt zugrunde:

Diabetes mellitus, Nierenfunktionseinschränkung Teil-GdB 20 Bluthochdruck Teil-GdB 10 Funktionsbehinderung der Wirbelsäule Teil-GdB 20.

Mit Bescheid vom 5. April 2005 stellte das LRA den GdB beim Kläger dann ab 22. Februar 2005 mit 30 fest. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, bei ihm sei die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen. Er müsse seinen Diabetes mellitus mit mehreren Insulininjektionen täglich behandeln, gleichwohl lägen die Werte immer im oberen Bereich. Hierfür ergebe sich nach dem GdB-Katalog der Deutschen Diabetes-Gesellschaft ein Wert von 50 bis 60. In Zusammenhang damit habe sich auch eine beginnende Niereninsuffizienz eingestellt. Sein Bluthochdruck sei ferner nur unzureichend einstellbar. Möglicherweise liege auch ein Knieschaden vor. Zwei- bis dreimal wöchentlich träten im Übrigen starke Kopfschmerzen auf, die möglicherweise im Zusammenhang mit der Erkrankung der Halswirbelsäule zu sehen sein könnten. Das LRA wandte sich an die Fachärztin für Innere Medizin Dr. T., in deren diabetologischer Schwerpunktpraxis der Kläger wegen seines Diabetes behandelt wird, die unter dem 30. August 2005 mitteilte, seit dem Jahr 2000 sei ein Diabetes mellitus Typ II bekannt, der von einer arteriellen Hypertonie begleitet werde. Im Rahmen dieser Erkrankung sei es zum Auftreten einer diabetischen Nephropathie im Stadium II (Mikroalbuminurie) gekommen. Dieses Stadium sei potenziell reversibel, soweit es gelinge, auf eine Verbesserung der Diabeteseinstellung und der Einstellung der arteriellen Hypertonie hinzuarbeiten und darin erfolgreich zu sein. Die Befunde bestünden seit diesem Jahr und hätten sich bislang nicht verbessert. Weitere morphologische Störungen der Niere hätten sich sonographisch nicht feststellen lassen. Andere Organe seien durch die bestehende Mikroalbuminurie nicht beeinträchtigt. Beim Kläger sei im Übrigen nicht von einer Migräne im klassischen Sinne auszugehen, vielmehr von einem vertebragen ausgelösten Kopfschmerz, der mit rezidivierenden Blockadeerscheinungen der Wirbelsäule assoziiert sei und durch diese ausgelöst werde. Unter dem 11. Oktober 2005 äußerte sich Dr. T. im Hinblick auf die durchgeführte Therapie nochmals ergänzend. Aufgrund der mitgeteilten Behandlung mit Insulin und Antidiabetika bewertete die wiederum hinzugezogene Ärztin K. unter dem 2. November 2005 den Diabetes mellitus unter Zugrundelegung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) mit 30 und wies darauf hin, dass lediglich eine beginnende Nephropathie als Folgeschaden dokumentiert sei, die noch keinen messbaren GdB bedinge. Neben dem Bluthochdruck und der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sei eine Kopfschmerzsymptomatik zu berücksichtigen, woraus insgesamt ein GdB von 40 resultiere. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2005 wurde dem Widerspruch insoweit stattgegeben, als der GdB ab 22. Februar 2005 mit 40 bewertet wurde. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Am 7. Dezember 2005 erhob der Kläger beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage, mit der er geltend machte, er müsse seinen Diabetes mellitus mit mehreren Insulininjektionen am Tag behandeln, was schwer mit seiner beruflichen Tätigkeit als Baugeräte-/Maschinenführer auf verschiedenen Baustellen zu vereinbaren sei und er sich dadurch oft erst später als üblich spritzen könne. Seine Werte lägen immer im oberen Bereich. Seit drei Monaten müsse er sich sogar viermal täglich spritzen. Beim letzten Bluttest seien auch seine Nierenwerte sehr schlecht gewesen. Insgesamt werde die Schwerbehinderteneigenschaft erreicht. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten entgegen. Er erachtete den festgesetzten GdB von 40 für angemessen und legte zu den vom SG durchgeführten medizinischen Ermittlungen die Stellungnahme des Dr. Götz vom 14. September 2006 vor. Das SG hörte den Chirurgen Dr. Sch. unter dem 11. Mai 2006, Dr. T. unter dem 12. Mai 2006 sowie den Chirurgen Dr. F. unter dem 27. Juni 2006 schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. T. beschrieb im Hinblick auf den Diabetes mellitus unter intensivierter Insulintherapie mit Normalinsulin eine zumindest befriedigende Einstellung. Sie verwies auf eine unbefriedigende Gewichtsentwicklung und eine nach wie vor bestehende Grenzwerthypertonie, die trotz zahlreicher Schulungsmaßnahmen ambulanter Art zur Empfehlung einer stationären Reha-Maßnahme geführt habe, um den Einstieg in eine komplexe Verhaltensänderung zur gesundheitsfördernden Lebensweise zu finden. Sie legte den Entlassungsbericht der Hochrheinklinik Bad Säckingen vom 24. April 2006 vor, wo der Kläger vom 29. März bis 19. April 2006 behandelt worden war. Das SG zog noch weitere Arztbriefe von Dr. T. und Dr. Sch. bei und wies die Klage mit Urteil vom 8. Mai 2007 im Wesentlichen mit der Begründung ab, aus den zutreffend zugrunde gelegten Teil-GdB-Werten sei in nicht zu beanstandender Weise ein Gesamt-GdB von 40 gebildet worden, der den Gesamtauswirkungen der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen beim Kläger hinreichend Rechnung trage. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des den Bevollmächtigten des Klägers am 21. Juni 2007 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen.

Dagegen hat der Kläger am 20. Juli 2007 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und sich gegen die Bewertung der Diabeteserkrankung gewandt. Diese sei nach dem Katalog der Deutschen Diabetes-Gesellschaft bereits mit einem Einzel-GdB von 50 bis 60 zu bewerten. Das SG habe nicht überzeugend begründet, weshalb es sich diesem Katalog nicht anschließe. Unberücksichtigt geblieben sei zudem, dass er auch durch die Insulinbehandlung nicht ausreichend einstellbar sei, da hierzu bereits die äußeren Rahmenbedingungen fehlten. Ihm sei es nicht möglich, während seiner Arbeit entsprechende Pausen für Insulininjektionen zu nehmen. Nicht ausreichend berücksichtigt sei im Übrigen die diabetische Nephropathie, obwohl das SG selbst darauf hingewiesen habe, dass Organkomplikationen zu einer Höherbewertung führen könnten. Bei ihm rechtfertige die Nephropathie eine Höherbewertung auf 40. Er hat das an seine Bevollmächtigten gerichtete ärztliche Attest der Dr. T. vom 23. Januar 2008 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. Mai 2007 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 5. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. November 2005 zu verurteilen, den GdB mit 50 festzustellen.

Der Beklagte hat sich in dem Verfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 17. Dezember 2007 darauf hingewiesen worden, dass der Senat erwäge, gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden. Der Kläger hat sodann auf eine bevorstehende Nierenuntersuchung hingewiesen, worauf ihm Gelegenheit gegeben wurde, noch zu dem entsprechenden Ergebnis vorzutragen. Hierauf hat er das erwähnte Attest vom 23. Januar 2008 vorgelegt. Zu der erwogenen Verfahrensweise hat sich weder der Kläger noch der Beklagte geäußert.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid des Beklagten vom 5. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. November 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte hat den GdB beim Kläger seit 22. Februar 2005 zutreffend mit 40 bewertet. Denn die Gesamtheit der beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen rechtfertigt nicht die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs im Einzelnen dargelegt und hinsichtlich der im Einzelnen zu berücksichtigenden Gesundheitsstörungen mit zutreffender Begründung Teil-GdB-Werte ermittelt, die den daraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen des Kläger angemessen Rechnung tragen. Unter Berücksichtigung der Gesamtheit des Einschränkungen hat es den Gesamt-GdB ferner auch zutreffend mit 40 bewertet. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung.

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren geltend gemacht hat, nach dem Katalog der Deutschen Diabetes-Gesellschaft sei allein die Diabeteserkrankung bereits mit einem Teil-GdB von 50 bis 60 zu bewerten, ist darauf hinzuweisen, dass der Senat für die Bemessung des GdB ebenso wie das SG im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten die Bewertungsmaßstäbe der AHP heranzieht, nicht aber diejenigen der Deutschen Diabetes-Gesellschaft. Bei den AHP handelt es sich um ein ausgewogenes Bewertungsgefüge, das die Auswirkungen einer großen Vielzahl von Erkrankungen in Bezug auf die Teilhabe der behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft jeweils für sich betrachtet und in Bezug auf die von anderen Erkrankungen ausgehenden Einschränkungen bewertet und dabei zugleich in ein angemessenes Verhältnis setzt. Bei den von der Deutschen Diabetes-Gesellschaft angegebenen Werten kann davon nicht ausgegangen werden. Denn diese berücksichtigen ersichtlich allein die Auswirkungen einer Diabetes-mellitus-Erkrankung, ohne dass erkennbar wäre, dass die vorgeschlagene Werte Teil eines Gesamtsystems sind und darin unter Berücksichtigung der von anderen Erkrankungen ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen eingebettet sind. Denn soweit darin eine entsprechende Erkrankung, die mit zwei oder mehr Insulininjektionen pro Tag oder mit Insulininfusionssystemen, je nach Häufigkeit der notwendigen Stoffwechselselbstkontrollen bereits mit einem GdB von 50 bis 60 bewertet wird, steht dies nicht in einem angemessenen Verhältnis zu anderen Behinderungen, die im Rahmen der AHP einen derart hohen GdB bedingen. So ist nur schwer nachvollziehbar, dass ein an einem Diabetes mellitus leidender Behinderter, der in dem dargelegten Umfang Insulininjektionen benötigt bzw. entsprechende Stoffwechselselbstkontrollen durchführen muss, ebenso eingeschränkt ist, wie ein Behinderter beim Verlust einer Hand, eines Beines im Unterschenkel oder bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule. Selbst mit den von seinen weiteren Gesundheitsstörungen ausgehenden Funktionsbehinderungen ist der Kläger - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - nicht derart eingeschränkt.

Soweit der Kläger darüber hinaus geltend gemacht hat, der Diabetes mellitus sei durch die Insulinbehandlung nicht ausreichend einstellbar, steht dies im Widerspruch zu den Ausführungen der Dr. T., die den Kläger gerade wegen dieser Erkrankung behandelt. Dr. T. führte im Rahmen ihrer Auskunft als sachverständige Zeugin vom 12. Mai 2006 gegenüber dem SG aus, dass der Diabetes mellitus beim Kläger unter Kombinationsbehandlung zumindest befriedigend eingestellt sei. Wenn auch die äußeren Rahmenbedingungen für den Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eher ungünstig sein sollten, so rechtfertigt dies nicht von vornherein die von ihm gezogene Schlussfolgerung, dass die Erkrankung nicht ausreichend einstellbar sei. Die Einschätzung des Klägers wird auch nicht durch das von ihm vorgelegte Attest der Dr. T. vom 23. Januar 2008 gestützt. Denn auch darin bestätigt diese gerade nicht, dass eine ausreichende Einstellbarkeit nicht erreicht werden könne. Vielmehr weist diese Ärztin darauf hin, dass der erzielte medizinische Behandlungserfolg nur durch äußerst bemühtes und diszipliniertes Verhalten des Klägers zu erreichen gewesen sei. Dieser aber bereits im eigenen Interesse gebotene Umgang mit der Erkrankung rechtfertigt keine höhere GdB-Bewertung. Entgegen der Ansicht der Dr. T. können intensive Bemühungen, die eigene Gesundheit zu verbessern, selbst dann nicht zu einer höheren Bewertung des GdB führen, wenn Anstrengungen erforderlich sind, die von anderen gleichermaßen Erkrankten nicht erbracht werden müssen. Denn mit dem GdB werden die aus einer Erkrankung resultierten Funktionsbeeinträchtigungen bewertet, nicht aber das im Einzelfall eingesetzte Ausmaß an Bemühungen zur adäquaten Behandlung der entsprechenden Erkrankung.

Letztlich liegen beim Kläger auch keine Organkomplikationen vor, die es rechtfertigen könnten, den für die in Rede stehende Erkrankung zugrunde gelegten Teil-GdB von 30 weiter zu erhöhen. Denn die von Dr. T. im Rahmen ihres Befundberichts vom 30. August 2005 gegenüber dem LRA beschriebene Nephrophatie befindet sich nach wie vor allenfalls im Stadium einer beginnenden Mikroalbuminurie, wie dem vom Kläger vorgelegten Attest der genannten Ärztin vom 23. Januar 2008 zu entnehmen ist.

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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