S 6 KR 502/04

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 6 KR 502/04
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 03.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.05.2004 wird aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Kündigung der Mitgliedschaft des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Beklagten rechtmäßig erfolgte zum 30.06.2004.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unverzüglich eine Kündigungsbestätigung auszustellen.

Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Kündigung der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung streitig.

Der Kläger trat mit Wirkung vom 01.09.2003 der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Mitglied bei. Der allgemeine Beitragssatz lag im März 2004 bei 12,8 %. Zum 01.04.2004 fusionierte die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit der BKK Braunschweig unter Beibehaltung des Namens "Taunus BKK". Zugleich setzte die Beklagte den neuen allgemeinen Beitragssatz ab dem 01.04.2004 auf 13,8 % fest.

Nachdem der Kläger von der Beitragsanhebung Kenntnis erlangt hatte, erklärte er mit Schreiben vom 20.04.2004 die Kündigung der Mitgliedschaft zum 30.06.2004.

Durch Bescheid vom 03.05.2004 lehnte die Beklagte die Bestätigung der Kündigung mit der Begründung ab, durch die Fusion der Taunus BKK mit der BKK Braunschweig sei eine neue Krankenkasse entstanden mit einem neuen Beitragssatz. Deshalb bestehe kein Sonderkündigungsrecht. Die Beklagte führte weiter aus, die Maßnahme sei geboten gewesen, um die wirtschaftliche Basis der Taunus BKK zu stärken. Insoweit hätten stark gestiegene Leistungsausgaben die Finanzen der Kasse belastet. Die bis Ende des vergangenen Jahres schuldenfreie Taunus BKK habe aufgrund der gestiegenen Ausgaben ein leichtes Defizit verzeichnet. Mit der Beitragsanhebung habe sie dem rechtzeitig gegengesteuert.

Der Kläger erhob Widerspruch mit Schreiben vom 07.05.2004 und machte geltend, obwohl die Beitragssteigerung mit einer Fusion verbunden sei, handele es sich um eine Beitragserhöhung im Sinne des § 175 Abs. 4 Satz 5 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Ihm stehe deshalb das Sonderkündigungsrecht zu. So hätten bereits das Sozialgericht Stuttgart und das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt entschieden.

Durch Widerspruchsbescheid vom 17.05.2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Taunus BKK habe zum 01.04.2004 mit der BKK Braunschweig fusioniert. Im Falle einer Vereinigung von Krankenkassen seien die bisherigen Krankenkassen mit dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Vereinigung geschlossen. Durch die Schließung würden die jeweiligen Satzungen außer Kraft treten. Damit trete auch der in den jeweiligen Satzungen bestimmte Beitragssatz gleichfalls außer Kraft. Die zum 01.04.2004 rechtlich aus der Fusion der beiden Vorkassen neu entstandene Taunus BKK habe in der neu beschlossenen Satzung auch einen neuen Beitragssatz festgesetzt. Dieser neu festgesetzte Beitragssatz sei rechtlich ohne Bezug zum Beitragssatz der Vorkassen. Gegenüber dem Beitragssatz der Vorkassen könne es deshalb nicht zu einer Beitragssatzerhöhung oder Beitragssatzsenkung kommen. Dem Kläger stehe deshalb kein Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V zu. Vielmehr sei er nach § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V 18 Monate an die Kassenwahl gebunden. Eine Kündigung sei erst nach Ablauf dieser Frist möglich. Die von dem Kläger genannte Entscheidung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt führe nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Das Urteil entfalte über den entschiedenen Fall hinaus keine Bindungswirkung. Dies gelte ebenso für die von dem Kläger zitierte Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart.

Dagegen hat der Kläger am 03.06.2004 Klage erhoben. Er hält an seiner Auffassung fest, dass ein Sonderkündigungsrecht bestehe. Für die Frage, ob eine Beitragserhöhung vorliege, müsse auf die Sicht der Kassenmitglieder abgestellt werden. Danach komme es allein auf den Beitragssatz an. Soweit mit der Änderung des Beitragssatzes gleichzeitig auch eine Fusion abgewickelt werde, sei dies nicht relevant. Die Sichtweise der Beklagten sei formal und führe zu einer Verzerrung des Wettbewerbs.

Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 03.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.05.2004 festzustellen, dass die Kündigung seiner Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Beklagten rechtmäßig erfolgte zum 30.06.2004, und die Beklagte zu verurteilen, ihm unverzüglich eine Kündigungsbestätigung auszustellen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, dem Kläger stehe das reklamierte Sonderkündigungsrecht nicht zu. Dementsprechend habe er auch keinen Anspruch auf Ausstellung einer Kündigungsbestätigung. Zum 01.04.2004 habe die Taunus BKK mit der BKK Braunschweig fusioniert. Im Falle einer solchen Vereinigung von Krankenkassen seien die bisherigen Krankenkassen mit dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Vereinigung geschlossen. Gleichzeitig würden die bisherigen Satzungsbestimmungen und damit auch die Beitragssätze außer Kraft treten. Daraus folge, dass eine Erhöhung dieser Beitragssätze nicht mehr stattfinden können. Für die aus der Fusion entstandene Taunus BKK sei originär und erstmalig ein Beitragssatz festgesetzt worden, ohne dass ein Bezug zu den ehemaligen Beitragssätzen der früheren Krankenkassen bestehe. Im Falle der Fusion stehe nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut dem Versicherten ein Sonderkündigungsrecht nicht zu. Der Gesetzgeber habe insoweit mit Absicht kein Sonderkündigungsrecht bei einer Fusion von Krankenkassen vorgesehen. Fusionen unter Krankenkassen seien politisch erwünscht. Der aus der Fusion hervorgehende neue Beitragssatz sei immer eine Mischkalkulation der Beitragssätze der beiden alten Krankenkassen, sodass es auch immer zu einer "Beitragserhöhung" für die Mitglieder einer der beiden alten Kassen kommen müsse, sehe man von dem seltenen Fall der gleich alten Beitragssätze ab. Ursache der von dem Kläger behaupteten "Beitragserhöhung" sei also gerade nicht ein von der alten Kasse mit dem niedrigeren Beitragssatz zu vertretender Missstand, der auf dem Rücken der Versicherten ausgetragen werden. Die Beklagte beantragt im Übrigen die Anordnung des Ruhens des Verfahrens im Hinblick auf bereits anhängige Sprungrevisionen bei dem Bundessozialgericht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und auch begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 03.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.05.2004 ist rechtswidrig. Der Kläger kann von der Beklagten die unverzügliche Ausstellung einer Kündigungsbestätigung verlangen, weil seine mit Schreiben vom 20.04.2004 ausgesprochene Kündigung seiner Mitgliedschaft zum 30.06.2004 rechtmäßig ist.

Nach § 175 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) sind Versicherungspflichtige und Versicherungsberechtigte an die Wahl der Krankenkasse mindestens 18 Monate gebunden, wenn sie das Wahlrecht ab dem 1. Januar 2002 ausüben. Eine Kündigung der Mitgliedschaft ist zum Ablauf des übernächsten Kalendermonats möglich, gerechnet von dem Monat, in dem das Mitglied die Kündigung erklärt (§ 175 Abs. 4 Satz 2 SGB V). Die Krankenkasse hat dem Mitglied unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von zwei Wochen nach Eingang der Kündigung eine Kündigungsbestätigung auszustellen (§ 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V). Nach § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V kann, sofern eine Krankenkasse ihren Beitragssatz erhöht, die Mitgliedschaft abweichend von Satz 1 bis zum Ablauf des auf das Inkrafttreten des der Beitragserhöhung folgenden Kalendermonats gekündigt werden.

Mit der vorstehenden Regelung hat der Gesetzgeber eine grundsätzliche Bindungsfrist von 18 Monaten für alle Versicherten an die Kassenwahl geregelt. Zugleich hat er eine Ausnahmeregelung für den Fall einer Beitragssatzerhöhung getroffen und ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt. Ziel des Gesetzgebers war es, mit dem Sonderkündigungsrecht einen Anreiz für die Krankenkassen zu schaffen, sich um eine möglichst wirtschaftliche Leistungserbringung und Verwaltung zu bemühen und Beitragssatzerhöhungen erst dann vorzunehmen, wenn keine andere Möglichkeit zur Deckung eines Finanzbedarfs besteht (vgl. Bundestagsdrucksache 14/6568, Seite 6). Die Voraussetzungen für das Sonderkündigungsrecht des § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V sind hier erfüllt, denn es liegt entgegen der Auffassung der Beklagten der Fall einer Beitragssatzerhöhung im Sinne dieser Vorschrift vor. Insbesondere kann dem Vortrag der Beklagten nicht gefolgt werden, durch die Fusion der beiden Krankenkassen sei für die neu entstandene Krankenkasse der Beitrag originär und erstmalig festgesetzt worden, ohne dass ein Bezug zu den ehemaligen Beitragssätzen der früheren Krankenkassen bestanden habe. Einen solchen Bezug bejaht die Beklagte bereits selbst im Rahmen ihrer Einlassungen. Sie hat u. a. vorgetragen, der Fusion zweier Krankenkassen sei im Hinblick auf den neuen Beitragssatz einer Mischkalkulation der Beitragssätze der beiden alten Krankenkassen immanent. Ein Bezug des neuen Beitragssatzes zu den alten Beitragssätzen der früheren Krankenkassen besteht damit durchaus. Dessen ungeachtet setzt sich die Beklagte aber auch mit ihrem Vortrag zu ihren eigenen Ausführungen an die Versicherten in Widerspruch. So hat die Beklagte im Bescheid vom 03.05.2004 darauf hingewiesen, die Beitragsanhebung sei geboten gewesen, um einem leichten Defizit gegenzusteuern. Entsprechende Hinweise hat die Beklagte auf ihrer Internetseite gegeben und auf gestiegene Ausgaben im Bereich der Leistungserbringung verwiesen. Sie hat hierzu ausgeführt, die Taunus BKK habe im Jahr 2003 überdurchschnittlich viele neue Mitglieder gewonnen, was zunächst zu einem Beitragsüberschuss geführt habe. Die Zuwachsraten hätten sich jedoch im Verlauf des Jahres normalisiert bei gleichzeitig gestiegenen Ausgaben. Zudem hätten überdurchschnittlich viele Versicherte Ende des Jahres 2003 angesichts der bevorstehenden Gesundheitsreform noch viele Leistungen in Anspruch genommen. Auch hierdurch seien die Ausgaben deutlich gestiegen. An diesen Ausführungen muss sich die Beklagte festhalten lassen. Die Beklagte hat damit ihre Beitragserhöhung, die sie auch selbst so bezeichnet hat, gerade nicht mit dem Erfordernis der Bildung eines neuen Beitragssatzes nach der Fusion begründet. Sie kann sich deshalb nicht - formalistisch - auf die Vorschrift des § 144 Abs. 4 Satz 1 SGB V berufen, wonach im Falle der Vereinigung zweier Krankenkassen diese mit dem Zeitpunkt der Vereinigung geschlossen sind und es deshalb einer neuen Satzung und der Festsetzung neuer Beitragssätze bedarf. Vielmehr stellt das Vorgehen der Beklagten eine Umgehung derjenigen Ziele dar, die der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V erreichen wollte, indem sie den Zeitpunkt der Fusion genutzt hat, um - aus anderen Gründen - die Beitragssätze zu erhöhen. Dies kann nicht zu Verweigerung des Sonderkündigungsrechtes führen. Selbst wenn man den grundsätzlichen Ausschluss des Sonderkündigungsrechtes im Falle einer Fusion zweier Krankenkassen bejahen wollte, worauf noch einzugehen sein wird, so wäre im vorliegenden Fall das Sichberufen auf die Fusion jedenfalls rechtsmissbräuchlich, weil die Beitragssatzerhöhung im Wesentlichen nicht auf der Fusion, sondern auf gestiegenen Ausgaben in der Zeit vor der Fusion beruht.

Ergibt sich der Anspruch des Klägers bereits aus den vorstehenden Ausführungen, so wird der Anspruch weiter durch folgende Überlegungen untermauert: Nach § 144 Abs. 4 Satz 2 SGB V, der gemäß § 150 Abs. 2 Satz 1 SGB V auch für Betriebskrankenkassen entsprechend gilt, tritt die neue Krankenkasse in die Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkassen ein. Es handelt sich dabei um eine generelle Nachfolgeklausel, die zur Folge hat, dass die Rechte der Versicherten einschließlich des Sonderkündigungsrechts des § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V nicht verloren gehen. Mithin steht den Mitgliedern der durch Fusion neu entstandenen Krankenkasse ein Sonderkündigungsrecht stets dann zu, wenn der neu festgesetzte Beitragssatz über dem bisherigen Beitragssatz der früheren Krankenkasse liegt, der der Versicherte angehört hat. Insofern kommt es für das Bestehen des Sonderkündigungsrechtes auf die Tatsache der Beitragssatzerhöhung an und nicht darauf, aus welchem Grund der Beitragssatz erhöht worden ist (vgl. Kasseler Kommentar, § 175 SGB V, Rdnr. 35). Hierbei ist weiter zu berücksichtigen, dass § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V nicht nur dem Anreiz für die Krankenkassen zur möglichst wirtschaftlichen Leistungserbringung und Verwaltung dient, sondern auch dem Schutz des Versicherten. Diesem soll die Möglichkeit gegeben werden, einer stärkeren finanziellen Belastung aufgrund der Beitragssatzerhöhung durch vorzeitigen Kassenwechsel zu entgehen. Für den Versicherten macht es aber keinen Unterschied, ob der höhere Beitragssatz unmittelbar aus einer Fusion resultiert oder aber auf finanziellen Hintergründen beruht, die bereits vor der Fusion maßgeblich waren. Im Ergebnis stünde hier dem Kläger das Sonderkündigungsrecht selbst dann zu, wenn die Beklagte die Beitragssatzerhöhung allein aus der Notwendigkeit der Bildung eines neuen Beitragssatzes nach der Fusion und nicht auf der Grundlage gestiegener Ausgaben vorgenommen hätte.

Nach alledem ist die Kündigung des Klägers im Rahmen des Sonderkündigungsrechtes des § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V rechtmäßig. Er kann deshalb gemäß § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V von der Beklagten die unverzügliche Ausstellung einer Kündigungsbestätigung verlangen.

Soweit die Beklagte beantragt hat, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, war dem bereits deshalb nicht zu folgen, weil der Kläger dem Antrag ausdrücklich widersprochen hat.

Nach alledem war der angefochtene Bescheid der Beklagten aufzuheben, die Rechtmäßigkeit der Kündigung zum 30.06.2004 festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unverzüglich eine Kündigungsbestätigung auszustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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