L 6 U 4137/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 4070/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 4137/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mehr als 35 vom Hundert (v.H.) zusteht.

Der 1965 geborene Kläger ist mithelfender Familienangehöriger im landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters. Am 3. Januar 1998 wurde er während einer betrieblich veranlassten Fahrt als Pkw-Fahrer in einen Verkehrsunfall verwickelt, bei dem er mit einem entgegenkommenden Pkw zusammenstieß. Dessen Fahrer war in Folge überhöhter Geschwindigkeit und eines Fahrfehlers nach rechts von der Fahrbahn abgekommen und hatte beim Gegenlenken das Fahrzeug übersteuert, wodurch es in Querstellung geraten und auf die Fahrbahnseite des Klägers gelangt war. Der Unfallverursacher wurde bei dem Unfall tödlich verletzt, der Kläger, der keine Möglichkeit hatte, dem ihm entgegenkommenden Fahrzeug auszuweichen, mit schweren Verletzungen in das Kreiskrankenhaus H. eingeliefert. Dort wurde eine Halswirbelkörper (HWK)-II-Bogenfraktur, eine Fraktur der 5. und 6. Rippe rechts, eine Platzwunde am rechten Knie, eine Brustwirbelsäulen(BWS)-Prellung, eine Sternumprellung sowie eine Platzwunde an der rechten Hand diagnostiziert (Durchgangsarztbericht des Chefarztes der Chirurgischen Abteilung Prof. Dr. B. vom 3. Januar 1998). Noch am selben Tag wurde der Kläger in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik T. verlegt, wo die HWK-II-Fraktur (dislozierte Hang man-Fraktur Typ Efendi II) reponiert und im Halo-Fixateur retiniert wurde (Durchgangsarztbericht vom 8. Januar 1998 bzw. Arztbrief des Dr. B., Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik T., vom 12. Januar 1998). Die Mobilisation des Klägers erfolgte zügig und problemlos, worauf der Kläger mit Halo-Fixateur am 13. Januar 1998 in die ambulante Behandlung entlassen wurde. In dem entsprechenden Befund- und Entlassbericht des Ärztlichen Direktors der Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik T., Prof. Dr. W., vom 16. Januar 1998 ist weiter ausgeführt, mit einer vorübergehenden MdE in einem rentenberechtigendem Maße sei zu rechnen. Anlässlich der Wiedervorstellung des Klägers am 3. März 1998 zeigte sich die Fraktur röntgenologisch in guter Stellung knöchern durchbaut; neurologische Auffälligkeiten zeigten sich nicht (Zwischenbericht vom 4. März 1998). Die anlässlich der weiteren Vorstellung des Klägers am 11. März 1998 durchgeführte Computertomographie der HWS ergab noch keine vollständige knöcherne Durchbauung der Bruchspalte, weshalb empfohlen wurde, den Fixateur externe für insgesamt zwölf Wochen zu belassen (Zwischenbericht vom 12. März 1998). Der Halo-Fixateur wurde sodann im Rahmen einer stationären Behandlung vom 30. März bis 3. April 1998 entfernt und die HWS kurzfristig zunächst mittels Schanz’scher Krawatte ruhiggestellt; sodann wurden physiotherapeutische Übungsbehandlungen eingeleitet (Arztbrief vom 17. April 1998). Ausweislich des Zwischenberichts vom 29. April 1998 gab der Kläger bei der nachfolgenden Vorstellung am 28. April 1998 noch Beschwerden bei der Drehbewegung der HWS nach links an und beklagte Erschütterungsschmerzen im Bereich der HWS und der oberen BWS. Die klinische Untersuchung ergab eine schmerzbedingte endgradige Bewegungseinschränkung der HWS bei noch tastbarem Hartspann der paravertebralen Muskulatur im HWS- und oberen BWS-Bereich. Beginnend ab dem 4. Mai 1998 wurde eine Belastungserprobung vereinbart, zunächst für zwei Wochen über vier Stunden täglich mit hiernach folgender Steigerung auf sechs Stunden täglich bis 31. Mai 1998. Ab 1. Juni 1998 könne die Arbeitsfähigkeit dann festgelegt werden. Nach dem weiteren Zwischenbericht vom 25. Mai 1998 stellte sich der Kläger am 19. Mai 1998 erneut in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vor, wobei die Belastungserprobung unter Steigerung der Arbeitszeit auf sechs Stunden pro Tag fortgeführt wurde.

Bei der Beklagten gingen in der Folgezeit zunächst keine Berichte mehr über den weiteren Behandlungsverlauf ein. Anlässlich eines am 17. November 1998 mit dem Kläger geführten Telefonats teilte dieser insoweit mit, er sei weiterhin arbeitsunfähig und habe sich aus betrieblichen Gründen in letzter Zeit nicht in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik vorstellen können. Er bewirtschafte den Betrieb seines Vaters mit ca. 80 Hektar Ackerfläche, 30 Hektar Wiesen/Weiden und ca. 80 Milchkühen, zuzüglich Nachzucht. Bei schwerer körperlicher Arbeit, insbesondere bei Stallarbeiten träten starke Schmerzen im Bereich der HWS und beider Schultern auf. Langfristig denke er an eine Umstrukturierung des Betriebes. Insoweit bat er um Beratung und Mitteilung von Leistungsmöglichkeiten der gesetzlichen Unfallversicherung (Gesprächsnotiz vom 17. November 1998).

Am 28. Januar 1999 stellte sich der Kläger erneut in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vor, wobei er ausweislich des entsprechenden Zwischenberichts vom 3. Februar 1999 über Schmerzen im Bereich beider Schultern und des Nackens sowie im Bereich der BWS und in beiden Hüften geklagt habe. Er habe zudem über Probleme beim Heben schwerer Gegenstände berichtet, über ein Krachen im Bereich der HWS sowie darüber, dass er in seinem Beruf nicht mehr so belastbar sei wie vor dem Unfall. Da sich für die geklagten Beschwerden bei der klinischen Untersuchung kein objektivierbares Unfallkorrelat habe finden lassen (freie Beweglichkeit von HWS und BWS ohne Druck- oder Klopfschmerz, keinerlei neurologische Auffälligkeiten, beidseits freie Beweglichkeit der Hüften ohne Druck- oder Klopfschmerz), diese jedoch als Unfallfolge geltend gemacht worden seien und therapeutische Maßnahmen aus dem Untersuchungsergebnis nicht abzuleiten seien, wurde die Durchführung eines Zusammenhangsgutachtens empfohlen.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Dr. D., Oberarzt in der Klinik für Unfallchirurgie im M.hospital S., sodann das unfallchirurgische Gutachten vom 16. Juni 1999, in dem er als Unfallfolgen noch eine endgradig eingeschränkte beidseitige Seit-Neig-Beweglichkeit sowie Vorneig- und Rückneig-Beweglichkeit der HWS und eine um 1/3 eingeschränkte beidseitige Dreh-Beweglichkeit der HWS beschrieb. Radiologisch dokumentiert sei eine bauchseitige knöcherne Abstützreaktion zwischen der korrespondierenden Grund-/Deckplatte von HWK 2/3 und eine beckenwärts gelegene knöcherne Abstützreaktion zwischen dem mittleren Wirbelbogenanteil von HWK 2 und der kopfwärts gelegenen hinteren Wirbelhöhe von HWK 2. Arbeitsfähigkeit habe seit 1. August 1998 bestanden. Seither betrage die MdE auf rein unfallchirurgischem Fachgebiet 10 v.H. Zur Klärung der Unfallfolgen auf neurologischem Fachgebiet schlug Dr. D. eine neurologische Zusatzbegutachtung vor. In dem daraufhin von der Beklagten veranlassten Gutachten der Dr. E., Oberärztin in der Neurologischen Klinik im M.hospital S., vom 26. April 2000 wurde aufgrund der vom Kläger glaubhaft geschilderten Beschwerden im Bereich der HWS ein chronisches Cervicalsyndrom bei konsolidierter HWK-2-Fraktur diagnostiziert und die MdE auf neurologischem Fachgebiet auf 10 v.H. eingeschätzt. Im Hinblick auf die ihres Erachtens beim Klägers erkennbare psychische Belastung durch den Unfall mit reaktiv-depressiven Zügen hielt die Gutachterin eine psychologisch-psychiatrische Zusatzbegutachtung für erforderlich. Die Beklagte holte hierauf die Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. S., Facharzt für Chirurgie, vom 4. Mai 2000 ein. Dieser schätzte die Gesamt-MdE auf orthopädischem und neurologischem Fachgebiet auf 20 v.H. und schlug die Zahlung eines entsprechenden Vorschusses vor. Die Einholung eines psychologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens erachtete er gleichfalls für erforderlich.

Die Beklagte beauftragte sodann den Dipl.-Psychologen und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. M. mit der Erstattung eines entsprechenden Gutachtens, was jedoch daran scheiterte, dass der Kläger drei Einbestellungen zur gutachtlichen Untersuchung nicht Folge leistete.

Mit Bescheid vom 10. Januar 2001 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 3. Januar 1998 als Versicherungsfall an und gewährte dem Kläger wegen der Unfallfolgen "Einschränkung der Beweglichkeit der HWS, chronisches Cervicalsyndrom, subjektive Beschwerden" ab 1. August 1998 Rente nach einer MdE um 20 v.H. der Vollrente. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, sich einer psychologisch-psychiatrischen Untersuchung unterziehen zu wollen. Zu einer entsprechenden Untersuchung sei es zuvor nur deshalb nicht gekommen, weil er seinen Betrieb zu den festgesetzten Untersuchungsterminen nicht habe verlassen können. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. erstattete sodann unter dem 24. Oktober 2002 ein psychiatrisches Gutachten, in dem sie eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizierte. Diese Diagnose gründe sich auf die dauerhaft vorhandene Konfrontation des Klägers mit den Unfallfolgen bei glaubhaften körperlichen Beschwerden und ganz erheblicher psychischer Problematik mit depressiven Reaktionen, Insuffizienzgefühlen, Ängsten und Verhaltensauffälligkeiten. Die hierdurch bedingte MdE schätzte die Gutachterin ab 1. August 1998 auf 50 v.H. Zur Beurteilung der unfallbedingten Gesamt-MdE schaltete die Beklagte nochmals Dr. S. ein, der es zur endgültigen Beurteilung für erforderlich erachtete, noch den gesundheitlichen Zustand des Klägers vor dem in Rede stehenden Unfall weiter aufzuklären und hiernach eine psychiatrische Stellungnahme zum Gutachten der Dr. R. einzuholen (Äußerung vom 18. November 2002). Die Beklagte zog von der Landwirtschaftlichen Krankenkasse das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei und wandte sich im Hinblick auf die zu beurteilende unfallbedingte MdE sowohl an den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K., der über den Kläger unter dem 5. März 2001 einen neurologischen Befundbericht erstellt hatte, als auch an die Oberärztin Dr. E ... Diese legte unter dem 18. Dezember 2002 dar, die Gutachterin Dr. R. habe die an sie gerichteten Fragen umfassend und in allen Punkten nachvollziehbar beantwortet. Sofern Zweifel am Zusammenhang der psychiatrischen Erkrankung mit dem Unfall bestünden, sei eine psychiatrische Zweitbegutachtung notwendig. Ausweislich der aktenkundigen Gesprächsnotiz vom 26. November 2002 hatte sich Dr. K. zuvor telefonisch sowohl negativ über die Qualität des Gutachtens der Dr. R. als auch über das neurologische Gutachten der Dr. E. geäußert. Der nochmals hinzugezogene Dr. S. ging in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28. November 2002 von chirurgischer und neurologischer Seite weiterhin von einer MdE um 20 v.H. aus und schlug unter Berücksichtigung des psychiatrischen Fachgebietes in seiner weiteren Stellungnahme vom 7. Januar 2003 eine Gesamt-MdE um 50 v.H. vor.

Auf Veranlassung des hiernach eingeschalteten Widerspruchsauschusses veranlasste die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. O. vom 28. Februar 2003. Dieser sah auf neurologischem Fachgebiet keine messbare eigenständige MdE und erachtete die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung für unzutreffend, weil die diagnostischen Leitlinien des ICD-10 das Vorhandensein einer bestimmten psychischen Symptomkonstellation forderten und das Traumakriterium das Vorhandensein einer außergewöhnlichen Bedrohung oder eine Situation von katastrophenartigem Ausmaß verlange. Störungen des Sozialverhaltens, des Arbeitsverhaltens oder eine Zuspitzung familiärer Konfliktsituationen und das Vorhandensein körperlicher Schmerzen, wie von Dr. R. beschrieben, stellten keine Begründung für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung dar. Demgegenüber seien den anamnestischen Angaben des Klägers Hinweise auf das Vorliegen einer Anpassungsstörung bzw. einer länger dauernden depressiven Reaktion zu entnehmen, die in ihren Auswirkungen einer mäßig schweren depressiven Symptomatik entsprächen. Diese rechtfertigten eine MdE von maximal 30 v.H. Unter Berücksichtigung der traumatologischen und neurologischen Teil-MdE schätzte Dr. O. die Gesamt-MdE für die Folgen des Unfalls mit 30 v.H. ein. Eine nochmalige neurologische Begutachtung bei einem der von der Beklagten vorgeschlagenen Gutachter lehnte der Kläger ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 2003 gab die Beklagte dem Widerspruch des Klägers insoweit statt, als sie die Rente ab 1. August 1998 nunmehr auf der Grundlage einer MdE um 30 v.H. gewährte. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Kläger am 6. Oktober 2003 Klage beim Sozialgericht Stuttgart, das die Rechtssache mit Beschluss vom 30. Oktober 2003 an das Sozialgericht Karlsruhe (SG) verwies. Der Kläger machte die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 50 v.H. geltend und berief sich auf das Gutachten der Dr. R. vom 24. Oktober 2002, die eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert und die MdE mit 50 v.H. eingeschätzt habe. Den Vergleichsvorschlag der Beklagten nahm er nicht an. Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten entgegen, bot dem Kläger jedoch vergleichsweise. an, die Verletztenrente nach einer MdE um 35 v.H. zu gewähren, ausgehend von einer MdE um 30 v.H. für das psychiatrische und eine solche um 10 v.H. für das orthopädische Fachgebiet. Das SG erhob das Gutachten des Dr. J., Oberarzt in der Orthopädischen Klinik der St. V.-Kliniken K., vom 9. Juli 2004, der als Unfallfolgen neben Narben im Bereich des Schädels nach angelegtem Halo-Fixateur eine Bewegungseinschränkung im HWS-Segment C2/3 sowie eine mäßige Verspannung der Nackenmuskulatur beschrieb, die er mit einer MdE um 10 v.H. bewertete. Die vom Kläger angegebenen stärksten Beschwerden im Bereich des Nackens, des Kopfes und der oberen BWS sowie die Kraftlosigkeit im Bereich der Arme vermochte er weder klinisch noch kernspintomographisch ausreichend zu objektivieren. Von neurologischer Seite seien bisher nie Ausfälle nachgewiesen worden; das Cervicalsyndrom beschreibe die angegebenen Beschwerden, die bereits orthopädisch berücksichtigt seien. Das SG erhob ferner das Gutachten des Dr. H., Chefarzt der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie im Klinikum am W., vom 4. Februar 2005. Dieser beschrieb eine Anpassungsstörung im Sinne einer längeren depressiven Reaktion, die er mit einer MdE um 30 v.H. bewertete und verneinte das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, da die entsprechenden Kriterien hierfür nicht erfüllt seien. Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhob das SG darüber hinaus das nervenärztliche Gutachten der Priv. Doz. Dr. W. vom 6. Februar 2006, die eine posttraumatische Belastungsstörung mit depressiver Komponente sowie ein chronisches Schmerzsyndrom im Bereich von Nacken, Hinterkopf und Schultern diagnostizierte und die MdE mit 60 v.H. beurteilte. Auf weiteren Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG erhob das SG das Gutachten des Prof. Dr. Dr. W., Chefarzt der E.-Klinik O., vom 16. Februar 2006, der die MdE auf orthopädischem Fachgebiet mit 20 v.H. einschätzte und unter Berücksichtigung der Beeinträchtigungen von nervenärztlicher Seite die Gesamt-MdE mit 70 v.H. bewertete. Mit Urteil vom 30. Juni 2006 verurteilte das SG die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen und Abänderung des Bescheids vom 10. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. September 2003, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE um 35 v.H. zu gewähren. Das SG stütze sich dabei auf die Gutachten der Sachverständigen Dr. J. und Dr. H. und bildete aus dem Teil-MdE-Werten von 30 v.H. und 10 v.H. eine Gesamt-MdE um 35 v.H. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des den Bevollmächtigten des Klägers am 11. August 2006 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen.

Dagegen hat der Kläger am 16. August 2006 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, der Sachverständige Prof. Dr. Dr. W. sei mit nachvollziehbaren Gründen von orthopädischer Seite zu einer MdE um 20 v.H. gelangt. Zu Unrecht und ohne die hierzu erforderliche Fach- und Sachkenntnis zu haben, habe sich das SG demgegenüber den Ausführungen des Sachverständigen Dr. J. angeschlossen. Entsprechendes gelte hinsichtlich der MdE von neurologischer Seite. Auch insoweit habe sich das SG zu Unrecht dem Sachverständigen Dr. H. angeschlossen, obwohl die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung sowohl von der Gutachterin Dr. R. als auch von der Sachverständigen Priv. Doz. Dr. W. eindeutig festgestellt worden seien. Weshalb das SG dem Sachverständigen Dr. H. gefolgt sei, habe es nicht ausreichend dargetan. Insoweit fehle dem Gericht auch die notwendige Sach- und Fachkunde. Soweit das SG Zweifel an den für ihn positiven Gutachten gehabt habe, hätte es sich der Sachkunde eines weiteren Gutachters bedienen müssen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. Juni 2006 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 10. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. September 2003 zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um 70 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuW.n.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und verweist darauf, dass die unfallbedingte MdE auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet sowohl von dem Sachverständigen Dr. J. als auch von den Gutachtern Dr. D. und Dr. E. schlüssig und nachvollziehbar mit 10 v.H. bewertet worden sei In Abweichung hiervon sei lediglich der Sachverständige Prof. Dr. Dr. W. zu der höheren MdE um 20 v.H. gelangt, wobei er seine Einschätzung - wie im Urteil des SG überzeugend dargelegt - lediglich unzureichend begründet habe. Von neurologisch-psychiatrischer Seite habe Dr. H. - wie zuvor auch schon Dr. O. - ausführlich und überzeugend dargelegt, dass aufgrund der diagnostischen Leitlinien die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht zu stellen sei. Auch die von der Sachverständigen Priv. Doz. Dr. W. erhobenen Befunde rechtfertigten insoweit kein anderes Ergebnis.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht zum überwiegenden Teil abgewiesen. Denn die beim Kläger verbliebenen Folgen des Unfalls vom 3. Januar 1998 rechtfertigen über die Feststellung der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 9. September 2003 hinaus zwar die Bemessung mit der geringfügig höheren MdE um 35 v.H., jedoch keine noch höhere Bewertung, insbesondere nicht die im Berufungsverfahren geltend gemachte MdE um 70 v.H.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs dargelegt und im Hinblick auf die Bewertung der beim Kläger unfallbedingt eingetretenen MdE mit zutreffender Begründung aus Teil-MdE-Werten um 10 v.H. für die orthopädischen und 30 v.H. für die psychiatrischen Beeinträchtigungen eine Gesamt-MdE um 35 v.H. gebildet. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung.

Ebenso wie das SG vermochte sich auch der Senat nicht den Einschätzungen der Sachverständigen Priv. Doz. Dr. W. und Prof. Dr. Dr. W. anzuschließen, auf deren Beurteilung der Kläger seine Auffassung stützt, die Verletztenrente sei auf der Grundlage einer MdE um 70 v.H. zu gewähren. Von orthopädischer Seite teilt der Senat - wie zuvor schon das SG - die Auffassung des Sachverständigen Dr. J., der in Übereinstimmung mit dem im Verwaltungsverfahren hinzugezogenen Gutachter Dr. D. die MdE mit 10 v.H. bewertet hat. Soweit der Sachverständige Prof. Dr. Dr. W. im Rahmen seiner zusammenfassenden Beurteilung die Folgen der beim Kläger von der HWS ausgehenden Beeinträchtigungen mit einer MdE um 20 v.H. bewertet hat, ist diese Einschätzung nicht schlüssig begründet. Denn Prof. Dr. Dr. W. hat die von der nervenärztlichen Sachverständigen Priv. Doz. Dr. W. beschriebenen chronischen Nacken-, Hinterkopf- und Schulterschmerzen nach HWS-Trauma mit Bogenfraktur HWK 2, die sie für sich betrachtet von neurologischer Seite mit einer MdE um 10 v.H. bewertet hat, offenbar zusätzlich zu den von ihm von orthopädischer Seite beschriebenen Frakturfolgen berücksichtigt und bewertet. Im Hinblick auf die Bewertung der Unfallfolgen für den insoweit in Rede stehenden HWS-Bereich hat der Sachverständige Dr. J. für den Senat überzeugend nämlich darauf hingewiesen, dass die von der HWS ausgehenden Beeinträchtigungen allein orthopädisch zu bewerten seien, demgegenüber jedoch zusätzlich keine eigenständige neurologische Bewertung rechtfertigten. Dieser Einschätzung schließt sich der Senat an. Denn die HWK-II-Bogenfraktrur war - wie die zahlreich vorliegenden Berichte über den Behandlungsverlauf beim Kläger aufzeigen - zu keinem Zeitpunkt mit neurologischen Ausfallerscheinungen verbunden. Soweit Dr. E. im Rahmen ihres Gutachtens vom 26. April 2000 daher ein chronisches Cervicalsyndrom bei konsolidierter HWK-2-Fraktur diagnostiziert und die hieraus resultierenden Beschwerden mit einer MdE um 10 v.H. bewertet hat, handelt es sich exakt um die Beschwerden, die auch im Gutachten des Dr. D. im Zusammenhang mit den beschriebenen Bewegungseinschränkungen als Begleiterscheinungen Eingang in die orthopädische Bewertung gefunden haben. Eine zusätzliche und damit eigenständige Bewertung rechtfertigen die nach der knöchern konsolidierten Halswirbelkörperfraktur verbliebenen Beschwerden von neurologischer Seite demnach nicht. Damit stellt sich aber die Einschätzung des Prof. Dr. Dr. W., der für die Bemessung der MdE im Bereich der HWS die neurologische Bewertung der Priv. Doz. Dr. W. in seine Beurteilung mit einbezogen hat, als überhöht dar.

Auch von psychiatrischer Seite vermochte sich der Senat - ebenso wie zuvor schon das SG - nicht dem auf Antrag des Klägers eingeholten Gutachten der Priv. Doz. Dr. W. anzuschließen, die von einer posttraumatischen Belastungsstörung mit depressiver Komponente ausgegangen ist und diese Erkrankung mit einer MdE um 60 v.H. bewertet hat. Insoweit haben sowohl der im Verwaltungsverfahren von der Beklagten hinzugezogene Beratungsarzt Dr. O. als auch der Sachverständige Dr. H. für den Senat nachvollziehbar und überzeugend begründet deutlich gemacht, dass beim Kläger die charakteristischen Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht zu objektivieren sind. Insoweit sieht sich der Senat gerade auch durch die einschlägige unfallmedizinische Literatur, insbes. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, 2003, S. 228ff, bestätigt, in der als charakteristische Erscheinungen einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgeführt werden: ungewolltes Wiederaufleben des traumatischen Ereignisses in Träumen und Gedanken, Vermeiden von Situationen, die an das Ereignis erinnern, Ängste oder Phobien, Einschränkung der emotionalen Reagibilität und anhaltende Symptome eines erhöhten Erregungsniveaus, wie Schlafstörungen, Reizbarkeit oder Schreckreaktionen. Die posttraumatische Belastungsstörung folgt dabei dem Trauma unmittelbar und tritt lediglich selten mit einer Latenz bis zu sechs Monaten auf. Anhaltspunkte dafür, dass die beschriebenen Symptome beim Kläger in dem erforderlichen zeitlichen Zusammenhang zu dem Unfall vom 3. Januar 1998 aufgetreten sind, sind nicht ersichtlich. Solche Gesichtspunkte sind insbesondere nicht den vorliegenden Berichten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. zu entnehmen, wo sich der Kläger nach dem Unfall regelmäßig zur Untersuchung vorgestellt hatte. Wegen entsprechender Symptome hat der Kläger darüber hinaus auch weder fachärztliche Hilfe in Anspruch genommen, noch hat er der im Verwaltungsverfahren mit einer Begutachtung beauftragten Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. anlässlich der durchgeführten gutachtlichen Untersuchung im Mai 2002 über Symptome der dargelegten Art berichtet. Die von der Gutachterin beschriebene Belastungssituation, unter der der Kläger seinerzeit gelitten habe, erfüllt diese Kriterien nicht. So hatte der Kläger im Wesentlichen über die ca. drei Monate andauernde Behandlung mittels Fixateur externe berichtet, die ihn sehr belastet habe, seine Gedanken und Sorgen, die er sich im Hinblick auf die zukünftige Ausübung seines Berufes gemacht habe und die durch seine Arbeitsunfähigkeit verursachte betriebliche Situation mit ihren finanziellen Folgen, die zunehmend auch die familiäre Situation belastet habe. Die Diagnose eine posttraumatischen Belastungsstörung lässt sich aus der so beschriebenen Belastungssituation nicht ableiten.

Soweit die Sachverständige Priv. Doz. Dr. W. in ihrem Gutachtens, das sie mehr als acht Jahre nach dem in Rede stehenden Unfall erstattet hat, die Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörungen als erfüllt sah, hat sie dies nicht überzeugend begründet. Zwar hat sie - wenn auch nur vage - das Vorliegen der von ihr als sog. "B-Kriterium" bezeichneten anhaltenden Erinnerungen bzw. das Wiedererleben der Belastung bejaht, jedoch bestätigte sie das Vorliegen dieses Kriteriums nur vorsichtig dahingehend, dass zumindest partiell das entsprechende Merkmal durch die beschriebenen Albträume erfüllt sei. Den anamnestischen Angaben des Klägers anlässlich der seinerzeitigen gutachtlichen Untersuchung lässt sich demgegenüber jedoch lediglich entnehmen, dass er häufig Albträume habe. Welcher Art diese Albträume sind, ob darin insbesondere das traumatische Ereignis vom 3. Januar 1998 wiedererlebt wird, ist den entsprechenden Angaben jedoch nicht zu entnehmen. Demgegenüber hat der Kläger es aber gerade ausdrücklich verneint, dass ihn Erinnerungen an den Unfall überfielen. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat von einem ungewollten Wiederaufleben des traumatischen Ereignisses aber gerade nicht auszugehen.

Für den Senat überzeugend ist demgegenüber die Beurteilung des Sachverständigen Dr. H., der eine Anpassungsstörung im Sinne einer längeren depressiven Reaktion diagnostiziert und insoweit ausgeführt hat, dass derartige Zustände von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung die sozialen Funktionen und Leistungen behinderten und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen aufträten. Bei dem von Dr. H. erhobenen Befund einer zumeist leicht gedrückten, kurzfristig auch mäßig gedrückten Stimmungslage, einer affektiv leicht reduzierten Schwingungsfähigkeit, eines leicht reduzierten Antriebs und einer streckenweise starren Psychomotorik bei testpsychologisch nachweisbaren mäßigen Konzentrationsstörungen und mittelschweren Störung der Gedächtnisleistung ist es für den Senat im Hinblick auf den aktenkundig dokumentierten Krankheitsverlauf schlüssig nachvollziehbar, dass sich als Folge des Unfalls vom 3. Januar 1998 eine derartige Anpassungsstörung entwickelt hat. Diese ist im Hinblick auf ihren Schweregrad angesichts der Symptome und der hierdurch bedingten Einschränkungen nach Überzeugung des Senats mit einer MdE um 30 v.H. auch angemessen bewertet. Die Zugrundelegung einer MdE um 60 v.H. lassen diese Beeinträchtigungen nicht zu. Denn eine MdE dieses Ausmaßes rechtfertigende schwere Störungen mit erheblichen sozialen Anpassungsschwierigkeiten lassen sich beim Kläger nicht feststellen.

Nach alledem hat das SG die von orthopädischer und psychiatrischer Seite zu objektivierenden Unfallfolgen jeweils für sich betrachtet angemessen bewertet. Soweit es daraus eine unfallbedingte Gesamt-MdE um 35 v.H. gebildet hat, begegnet dies ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Die Berufung des Klägers konnte demnach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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